Friedenspreis Jaroin Lanier 2014 . Biografie . Reden


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Friedenspreis Jaroin Lanier 2014 . Biografie . Reden
-d-Diskurs14-10Friedenspreisrede Jaroin Lanier

Friedenspreis 2014 :  Jaroin Lanier
http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/445722/?aid=800948
Inhaltsfolge
1  Friedenspreisrede Jaroin Lanier
2 Biographie von Jaron Lanier
3 Grußwort Heinrich Riethmüller
4 Laudatio von Martin Schulz : http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/819313/

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1 Friedenspreisrede Jaroin Lanier
http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/445722/
Der Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat den amerikanischen Informatiker, Musiker und Schriftsteller Jaron Lanier zum diesjährigen Träger des Friedenspreises gewählt. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 12. Oktober 2014, um 10.45 Uhr in der Paulskirche statt und wird live in der ARD übertragen. Der Friedenspreis wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert.
Begründung der Jury
Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2014 an
Jaron Lanier
und ehrt mit dem amerikanischen Informatiker, Musiker und Schriftsteller einen Pionier der digitalen Welt, der erkannt hat, welche Risiken diese für die freie Lebensgestaltung eines jeden Menschen birgt.
Eindringlich weist Jaron Lanier auf die Gefahren hin, die unserer offenen Gesellschaft drohen, wenn ihr die Macht der Gestaltung entzogen wird und wenn Menschen, trotz eines Gewinns an Vielfalt und Freiheit, auf digitale Kategorien reduziert werden. Sein jüngstes Werk „Wem gehört die Zukunft“ wird somit zu einem Appell, wachsam gegenüber Unfreiheit, Missbrauch und Überwachung zu sein und der digitalen Welt Strukturen vorzugeben, die die Rechte des Individuums beachten und die demokratische Teilhabe aller fördern.
Mit der Forderung, dem schöpferischen Beitrag des Einzelnen im Internet einen nachhaltigen und ökonomischen Wert zu sichern, setzt Jaron Lanier sich für das Bewahren der humanen Werte ein, die Grundlage eines friedlichen Zusammenlebens, auch in der digitalen Welt, sind.
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Der High-Tech-Frieden braucht eine neue Art von Humanismus
-Es gilt das gesprochene Wort! - Dieser geschichtsträchtige Preis darf nicht mir allein gelten. Ich kann ihn nur im Namen der Weltgemeinschaft der digitalen Aktivisten und Idealisten annehmen, auch wenn viele von uns nicht einer Meinung sind. Ich nehme diesen Preis auch zu Ehren des Lebens von Frank Schirrmacher entgegen, der in unserer Zeit eine Quelle des Lichts gewesen ist. Er wird uns schrecklich fehlen.
Jaron Lanier
Gerne würde ich hier eine Rede halten, die zum großen Teil positiv und inspirierend ist, aber als Realist bin ich gezwungen, manchmal etwas dunkler zu werden. Wenn man dem Realismus genug Vertrauen schenkt, kann man sich durch die Ausläufer der Dunkelheit hindurch brennen. Denn oft stellt sich heraus, dass auf der anderen Seite das Licht wartet.
Wir leben in einer verwirrenden Zeit. In der entwickelten Welt haben wir so lange Überfluss genossen, dass wir ihn kaum noch zu schätzen wissen. Wir lieben besonders unsere Gadgets, denen wir immer noch Neues abgewinnen können, aber vieles deutet darauf hin, dass wir, wenn wir die Augen weiter öffnen würden, über den Rand eines Abgrunds blickten.
Es tut mir weh, die bekannte Liste der aktuellen Gefahren anzustimmen: zuallererst der Klimawandel; die Spiralen von Bevölkerungswachstum und Abwanderung, die unseren Gesellschaften völlig entgegenlaufen; unsere Unfähigkeit, für die Neige der billigen fossilen Brennstoffe vorzusorgen; die scheinbar unausweichlichen Wellen von Sparmaßnahmen; die unhaltbaren Trends von Reichtumskonzentration; der Aufstieg gewalttätiger Extremisten in vielerlei Formen an vielerlei Orten… und natürlich sind all diese Prozesse miteinander verstrickt.
Angesichts dessen ist es für viele von uns (und für mich am meisten) natürlich eine Überraschung, dass der diesjährige Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgerechnet an eine Figur wie mich verliehen wird, die mit dem Aufstieg der digitalen Technologien assoziiert wird. Sind digitale Spielzeuge nicht mehr als der flüchtige Schaum auf den großen dunklen Wellen?
Digitale Errungenschaften haben auf jeden Fall geräuschvolle Veränderungen in unsere Kultur und Politik gebracht.
Fangen wir mit den guten Nachrichten an. Wir haben einen ersten Blick darauf erhascht, was eine digital effiziente Gesellschaft sein könnte, und trotz der Absurdität der Überwachungsökonomie, für die wir uns scheinbar bisher entschieden haben, dürfen wir nicht vergessen, dass es auch viel Positives gibt. Wie sich zeigt, kann Abfall systematisch reduziert werden, genau in dem Moment, da wir den Klimawandel noch wirksamer bekämpfen müssen. Wir haben festgestellt, dass sich Sonnenenergie viel effektiver nutzen lässt, als viele für möglich gehalten hätten, indem sie an ein intelligentes Netz gekoppelt wird, um zuverlässig zur Verfügung zu stehen. Das ist genau die Art von positiven Optionen, die meine Kollegen und ich uns von einer digitalen Vernetzung erhofft hatten. Doch die praktischen Hoffnungen für digitale Netzwerke werden von einem symbolischen, fast metaphysischen Projekt begleitet. Die digitale Technik wird in unserer Zeit als maßgeblicher Kanal des Optimismus überfrachtet. Und das, nachdem vor ihr so viele Götter versagt haben. Was für ein sonderbares Schicksal für ein Phänomen, das als sterile Ecke der Mathematik begonnen hatte.
Trotzdem ist digitaler Kulturoptimismus nicht verrückt. Wir haben neue Muster der Kreativität gesehen und vielleicht sogar ein paar neue Fühler der Empathie gefunden, die sich über frühere Barrieren wie Entfernung und kulturelle Fremdheit hinaus strecken. Diese freudigen Ereignisse wurden inzwischen erschöpfend gefeiert, aber sie bleiben eine Tatsache. Um ein triviales persönliches Beispiel zu geben, wie herrlich, dass ich heute mit Ud-Spielern auf der ganzen Welt in Verbindung stehe, mit denen ich über das Internet für Konzerte proben kann. Es macht einen Riesenspaß.
Ich habe ein paar der guten Dinge erwähnt, doch wenn wir unser digitales Spielzeug verwenden, unterwerfen wir uns bekanntermaßen der billigen und beiläufigen Massenspionage und
-manipulation. Damit haben wir eine neue Klasse ultra-elitärer, extrem reicher und unberührbarer Technologen erschaffen; und allzu oft geben wir uns mit dem Rausch eines digital effizienten Hyper-Narzissmus‘ zufrieden. Ich habe immer noch größere Freude an Technologie, als ich ausdrücken kann. Die virtuelle Realität kann Spaß machen und wunderschön sein. Trotzdem stehe ich hier, so kritisch. Denn Widersprüche und Mehrdeutigkeiten zu vermeiden, heißt, die Realität zu vermeiden.
Können wir zurücktreten und Bilanz ziehen? Gibt es derzeit mehr digitales Licht oder mehr Dunkelheit?
Dies ist eine Frage, über die Online-Kommentatoren täglich viele tausend Mal nachdenken. Eine Meinung über die Internet-Kultur abzugeben, ist wie ein Tropfen aus einer Pipette auf einen Bürgersteig bei Sturzregen. Jeder, der im Netz das Wort ergreift, weiß, wie es heutzutage ist. Entweder du schließt dich mit denen zusammen, die deine Meinung teilen, oder deine Meinung wird sofort von gewaltigen Klingen in den großen grauen Brei püriert. In der Online-Welt führen These und Antithese, eine Hand und die andere, nicht mehr zu einer höheren Synthese. Hegel wurde enthauptet. Stattdessen gibt es nur statistische Datenwellen, die unaufhörlich zu erstaunlichen Vermögen zusammengerührt werden von denen, die sie benutzen, um ihren wirtschaftlichen Vorteil auszurechnen.  Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hat mit Büchern zu tun, also müssen wir uns in der Ära der digitalen Übernahme fragen: „Was ist ein Buch?“
Im Internet gibt es ebenso viele Kommentare über das Internet wie Pornographie und Katzenfotos, aber in Wirklichkeit können nur Medien außerhalb des Internet – insbesondere Bücher – Perspektiven und Synthesen aufzeigen. Das ist einer der Gründe, warum das Internet nicht zur einzigen Plattform der Kommunikation werden darf. Wir haben am meisten davon, wenn es nicht gleichzeitig Subjekt und Objekt ist.
Aus diesem Grund schreibt ein Geschöpf der digitalen Kultur wie ich Bücher, wenn es Zeit ist, einen Blick auf das große Ganze zu werfen. Denn es besteht die Chance, dass ein Leser ein ganzes Buch liest. Zumindest gibt es einen ausgedehnten Moment, den ich mit dem Leser teile.
Wäre ein Buch nicht mehr als ein Erzeugnis aus Papier, könnten wir es nur auf die Art feiern, wie wir Klarinetten oder Bier feiern. Wir lieben diese Dinge, aber es sind eben nur bestimmte Erfindungen, aus denen sich Produkte entwickelt haben, mit ihren jeweiligen Fachmessen und Subkulturen.
Doch ein Buch greift viel tiefer. Es ist die Feststellung eines bestimmten Verhältnisses zwischen einem Individuum und der menschlichen Kontinuität. Jedes Buch hat einen Autor, eine Person, die ein Risiko auf sich genommen und eine Verpflichtung eingegangen ist, in dem sie sagt: „Ich habe einen wesentlichen Teil meines kurzen Lebens damit verbracht, eine bestimmte Geschichte und einen bestimmten Standpunkt wiederzugeben, und ich bitte euch, dasselbe zu tun, indem ihr mein Buch lest: Darf ich so viel Engagement von euch verlangen?“ Ein Buch ist ein Bahnhof, nicht die Gleise. Bücher sind ein Spiel mit hohem Einsatz, vielleicht nicht in Bezug auf Geld (im Vergleich mit anderen Branchen), doch in Bezug auf Aufwand, Engagement, Aufmerksamkeit, der Bereitstellung unseres kurzen Menschenlebens und unseres Potenzials, positiven Einfluss auf die Zukunft zu nehmen. Autor zu sein, zwingt uns zu einer vermenschlichenden Form der Verwundbarkeit. Das Buch ist ein Bauwerk menschlicher Würde.
Das Wesen des Buchs ist Beweis dafür, dass individuelle Erfahrung existentiell für die Bedeutungsebene ist, denn jedes Buch ist anders. Bücher aus Papier sind naturgemäß nicht zu einem kollektiven universalen Buch verquirlt. Seltsamerweise ist für uns der Gedanke normal geworden, es gäbe nur einen Wikipedia-Eintrag für ein humanistisches Thema, für das es absolut nicht die eine optimierte Darstellung geben kann; die meisten Themen sind keine mathematischen Sätze. Im Zeitalter des Buchdrucks gab es viele verschiedene Enzyklopädien, von denen jede einen Blickwinkel vertreten hat, und doch gibt es im digitalen Zeitalter nur eine. Wieso muss das so sein? Es ist keine technische Zwangsläufigkeit, trotz „Netzwerkeffekten“. Es ist eine Entscheidung, die auf dem unbestrittenen, aber falschen Dogma beruht, Ideen selbst sollten mit Netzwerkeffekten gekoppelt werden. (Manche sagen, Wikipedia werde zum Gedächtnis einer globalen künstlichen Intelligenz.)Bücher verändern sich. Einige der Metamorphosen sind kreativ und faszinierend. Ich bin entzückt von der Vorstellung, eines Tages könnte es Bücher geben, die sich mit virtuellen Welten synchronisieren, und von anderen seltsamen Ideen.
Aber zu viele der Metamorphosen sind unheimlich. Plötzlich müssen wir uns gefallen lassen, überwacht zu werden, um ein eBook zu lesen! Auf was für einen eigentümlichen Handel haben wir uns da eingelassen! In der Vergangenheit kämpften wir, um Bücher vor den Flammen zu retten, doch heute gehen Bücher mit der Pflicht einher, Zeugnis über unser Leseverhalten abzulegen, und zwar einem undurchsichtigen Netzwerk von Hightech-Büros, von denen wir analysiert und manipuliert werden. Was ist besser für ein Buch, ein Spionagegerät zu sein oder Asche?
Bücher haben uns immer geholfen, die Probleme zu lösen, die wir uns aufgehalst haben. Jetzt müssen wir uns selbst retten, indem wir die Probleme erkennen, die wir den Büchern aufhalsen. Abgesehen von Büchern geht es bei einem „Friedenspreis“ offensichtlich um Frieden, aber was meinen wir mit Frieden?
Ganz sicher muss Frieden bedeuten, dass keine Gewalt und kein Terror benutzt werden, um Macht oder Einfluss zu gewinnen. Aber dem Frieden müssen außerdem schöpferische Eigenschaften innewohnen.
Die meisten von uns wollen keine statische oder stumpfsinnige Existenz akzeptieren, selbst wenn sie frei von jeder Gewalt wäre. Wir wollen nicht die friedliche Ordnung akzeptieren, die uns autoritäre oder aufgezwungene Lösungen vermeintlich bieten, seien sie digital oder altmodisch. Genauso wenig dürfen wir erwarten, dass zukünftige Generationen für immer unsere Version einer nachhaltigen Gesellschaft akzeptieren, ganz gleich wie klug wir sind und wie gut unsere Intentionen.
Frieden ist also ein Puzzle. Wie können wir frei sein, ohne die Freiheit zu missbrauchen? Wie kann Frieden gleichzeitig abwechslungsreich und stabil sein?
Die Kompromisse zwischen Freiheit und Stabilität, die wir erlebt haben, neigen dazu, auf Bestechung zu beruhen – durch stetig wachsenden Konsum -, aber das scheint auch keine langfristige Lösung zu sein.
Vielleicht ließe sich die Gesellschaft durch digitale Boni stabilisieren, das ist zumindest eine Idee, die man im Silicon Valley häufiger hört. Bringt die Leute dazu, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern, indem ihr sie mit virtuellen Vergütungen in Videospielen umgarnt. Am Anfang mag es funktionieren, aber dieser Ansatz hat etwas Verlogenes, Gönnerhaftes an sich. Ich glaube, wir wissen heute einfach noch nicht genug, um Lösungen für das langfristige Puzzle Frieden zu finden. Das mag negativ klingen, aber eigentlich ist es eine ganz klar optimistische Aussage; denn ich glaube, dass wir immer mehr über den Frieden lernen.
Die dunkelste meiner digitalen Ängste betrifft das, was ich den „Rudelschalter“ nenne. Es ist die These von einem hartnäckigen Zug des menschlichen Charakters, der sich dem Frieden widersetzt.
Nach dieser Theorie sind die Menschen Wölfe; wir gehören zu einer Spezies, die als Individuum oder als Rudel funktionieren kann. In uns ist ein Schalter. Und wir neigen dazu, uns immer wieder plötzlich in Rudel zu verwandeln, ohne dass wir es selbst bemerken.
Wenn es eines gibt, das mich am Internet ängstigt, dann dies: Es ist ein Medium, das „Flashmobs“ auslösen kann und regelmäßig schlagartig „virale“ Trends schafft. Zwar haben diese Effekte bisher noch keinen größeren Schaden angerichtet, aber was haben wir im Gegenzug, um sie zu verhindern? Wenn Generationen heranwachsen, die sich großenteils über globale korporative Cyber-Strukturen wie geschützte soziale Netzwerke organisieren und austauschen, woher wissen wir, wer die Kontrolle über diese Strukturen erbt?
Die traditionelle Definition von „Frieden“ bezieht sich auf den Frieden zwischen Rudeln oder Klans, und so ist „Stammesgefühl“ vielleicht die gefährlichste unserer Sünden. Es zersetzt uns tief im Wesen.
Trotzdem wird Schwarmidentität fast überall als Tugend angesehen. Das Buch der Sprüche im Alten Testament enthält eine Liste von Sünden, darunter Lügen, Mord, Hochmut und so weiter, aber auch „Hader zwischen Brüdern säen“. Ähnliche Gebote gibt es in allen Kulturen, allen politischen Systemen, allen Religionen, die ich studiert habe. Ich will damit nicht sagen, dass alle Kulturen und Glaubensbekenntnisse gleich sind, sondern dass es eine Gefahr gibt, die uns gemein ist, weil sie in unserer Natur liegt, und die wir abzuwehren lernen müssen. Die Loyalität zum Rudel wird immer wieder mit Tugend verwechselt, obwohl – besonders wenn! – Menschen sich selbst als Rebellen sehen. Es tritt immer Rudel gegen Rudel an.
Dies gilt für die Anhänger bestimmter Pop-Richtungen oder Stile digitaler Politik wie für traditionelle Volkszugehörigkeiten, Nationalitäten und Religionen. In der digitalen Kultur zum Beispiel wird schnell diffamiert, wer sich nicht streng genug zum Dogma der „offenen“ Netzgemeinde bekennt.
Immer wieder brechen krude „Sünden“ wie Habgier oder Rudel-Mentalität hässlich, aber verstohlen durch unsere sorgsam kultivierten Muster des perfekten Denkens – ausgerechnet dann, wenn wir uns einbilden, wir wären nahe an der technischen Perfektion. Die großartige Idee der Menschenrechte wird in unserer algorithmischen Ära durch Kumpanei zunichte gemacht. Nach Generationen von Denkern und Aktivisten, die für die Menschenrechte kämpften, was ist passiert? Konzerne sind Personen geworden – das hat zumindest das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten entschieden! Ein Menschenrecht ist ein uneingeschränkter Vorteil, also verschwören sich gewiefte Spieler, um für sich und ihre Rudel-Kumpane das Vielfache dieses Vorteils zu errechnen. Was können wir in Amerika noch mit der Idee der Menschenrechte anfangen? Sie wurde ad absurdum geführt.
Ein anderes Beispiel: Ausgerechnet wenn digitale Unternehmen glauben, sie täten das Bestmögliche, optimieren die Welt, stellen sie plötzlich fest, dass sie ein gewaltiges Imperium der Spionage und Verhaltensmanipulation leiten. Man denke an Facebook, das erste große öffentliche Unternehmen dieser Art, das von einem einzigen sterblichen Individuum kontrolliert wird. Facebook steuert heute zum großen Teil die Muster sozialer Verbindungen in der ganzen Welt. Doch wer wird seine Macht erben? Steckt in diesem Dilemma nicht eine neue Art von Gefahr?
In Deutschland hat dieses Thema natürlich ein besonderes Echo. Gerne würde ich etwas Tiefgründiges dazu sagen, aber offen gestanden verstehe ich einfach nicht, was passiert ist. Meine Mutter kam aus Wien, und viele ihrer Verwandten fielen dem Übel und der hochglänzenden Mega-Gewalt des Nazi-Regimes zum Opfer. Als junges Mädchen hat sie schreckliches Leid erlebt und wäre fast selbst gestorben. Wenn mir diese Ereignisse nicht so nahe wären, wenn ich ihre Wirkung gedämpfter zu spüren bekommen hätte, fiele es mir jetzt vielleicht leichter, so zu tun, als würde ich verstehen, was passiert ist, wie so viele Gelehrte behaupten.
Auch wenn ich viel darüber gelesen habe, finde ich es immer noch unglaublich schwer, die Nazi-Zeit zu verstehen. Auf jeden Fall haben die Nazis bewiesen, dass eine moderne, hoch technisierte Sensibilität kein Schutz gegen das Böse ist. In dieser Hinsicht verstärkt die Nazi-Zeit meine Sorge, dass das Internet als überlegene Plattform für plötzliche Massengewaltausbrüche von Rudeln oder Clans dienen könnte. Doch ich glaube auch nicht, dass die strikte Ablehnung von Rudel/Clan-Identitäten der beste Weg wäre, die damit verknüpfte Gewalt zu vermeiden. Anscheinend brauchen die Menschen sie. Länder wehren sich in den meisten Fällen dagegen, ihre Identität zugunsten größerer Konföderationen aufzugeben. Nur sehr wenige Menschen sind bereit, als Weltbürger zu leben, von jeder nationalen Bindung losgelöst. Es ist etwas Unwirkliches, Abstraktes an einem solchen Versuch, den menschlichen Charakter zu perfektionieren. Das Beste wäre vielleicht, wenn jedes Individuum vielen verschiedenen Gruppen angehörte, so dass kaum klare Klans erkennbar wären, die gegeneinander antreten könnten. Während der digitalen Anfänge vor ein paar Jahrzehnten war genau das meine Hoffnung für digitale Netzwerke. Wenn sich in einer besser verbundenen Welt jeder Mensch zu einer verwirrenden Vielfalt von „Teams“ zugehörig fühlen würde, wären die Loyalitäten vielleicht zu komplex, als dass traditionelle Rivalitäten eskalieren könnten.
Das ist auch der Grund, warum mir der Trend sozialer Netzwerke Sorgen bereitet, die Leute in Gruppen zusammenzutreiben, um sie zu besseren Zielscheiben für das zu machen, was sich heute Werbung nennt, in Wirklichkeit wohl eher das Mikromanagement der billigsten Option, die der Verlinkung.
Die Welt kommt mir jedes Mal vor wie ein besserer Ort, wenn mir jemand begegnet, der sich mehreren Sportmannschaften verbunden fühlt und sich bei einem Spiel nicht entscheiden kann, zu wem er hält. Dieser Mensch ist begeistert, aber er ist auch verwirrt; plötzlich ist er ein Individuum und kein Teil eines Rudels mehr. Der Schalter wird zurückgesetzt.
Diese Art von Rücksetzung ist interessant, weil es die äußeren Umstände sind, nicht der Ausdruck von Ideen, die die Veränderung des Blicks bewirken, denn genau das passiert in der Technologie ständig.
In der Vergangenheit konnte eine Idee in einem Buch überzeugend oder verführerisch sein, oder sie konnte den Menschen mit Gewehren und Schwertern aufgezwungen werden. Heute aber sind die Ideen in dem Computercode versteckt, mit dem wir unser Leben führen.Datenschutz ist ein Beispiel dafür. Ganz gleich, was man über Datenschutz denkt, es ist der Code, der in fernen Cloud-Computern läuft, der bestimmt, welche Konzepte von Datenschutz gelten.
Die Idee von Datenschutz hat viele Facetten, breit gefächert und stets schwer zu definieren, doch der Code, der Datenschutz schafft oder verhindert, ist auf banale Weise konkret und allgegenwärtig. Datenschutz ist längst keine persönliche Entscheidung mehr, und damit nicht einmal mehr ein Thema, über das wir im alten Sinn nachdenken können. Nur fanatische Scholastiker verschwenden ihre Zeit mit irrelevanten Fragen. Das einzig sinnvolle Nachdenken über Datenschutz wäre ein Nachdenken, dass zu Veränderungen im Code führt. Doch wir haben unsere Politik zum großen Teil an ferne Konzerne „outgesourct“, womit es oft keinen klaren Kanal zwischen dem Denken und dem Kodieren gibt, also zwischen dem Denken und der gesellschaftlichen Realität. Programmierer haben eine Kultur geschaffen, in der sie den Regulatoren davonlaufen können.
Wir verlangen von den Regierungen, sich mit größter Vorsicht in die bizarren Prozesse zu begeben, um zu regulieren, wie die Cloud-basierten Konzerne unsere Kommunikation und unsere koordinierten Interaktionen kanalisieren. Doch manchmal unterwandern Programmierer das, wozu die Unternehmen gezwungen wurden, und führen die Regierungseingriffe ad absurdum. Dieses Muster hat sich beim Urheberrecht gezeigt, und auf andere Art bei Themen wie dem Recht auf Vergessen und gewissen Bereichen des Datenschutzes, insbesondere der Privatsphäre von Frauen online. (Die derzeitige Praxis privilegiert anonyme Schikanierer gegenüber den Frauen, die schikaniert werden.)
In jedem Fall wollen viele der kreativsten und gutmütigsten Aktivisten nicht, dass Menschen die Möglichkeit haben, sich gegen die „Offenheit“ des Netzes zu wehren. Gleichzeitig aber haben viele digitale Aktivisten eine scheinbar unendliche Toleranz gegenüber der gigantischen Ungleichheit, wer von dem allsehenden Auge profitiert.
Big Data schürt die algorithmische Konzentration von Reichtum. Zuerst ist es in der Musik- und Finanzbranche passiert, doch der Trend greift auf jeden zweiten Schauplatz menschlicher Aktivität über. Algorithmen erzeugen keine Garantien, doch sie zwingen nach und nach die breite Gesellschaft dazu, Risiken zu übernehmen, von denen nur ein paar wenige profitieren. Dies wiederum führt zu Austerität, rigorosen Sparmaßnahmen seitens der Politik. Da Austerität mit einer Share Economy gekoppelt ist (denn Sharing liefert die Daten, mit denen die Maschine läuft), erlebt jeder einzelne, bis auf die winzige Minderheit ganz oben auf den Rechnerwolken, einen graduellen Verlust von Sicherheit.
Diese Entwicklung ist in meinen Augen die bisher größte negative Konsequenz der Netzwerktechnologie. Womit ich ein anderes Problem nicht ignorieren will, das viel mehr Aufmerksamkeit erhalten hat, weil es spektakulärer ist. Denn eine der Nebenwirkungen der algorithmischen Überwachungswirtschaft ist das zwangsläufige Durchsickern der gesammelten Daten in die Computer nationaler Geheimdienste. Das meiste, das wir heute darüber wissen, verdanken wir Edward Snowdens Enthüllungen. Staatlicher Überwachung entgegenzuwirken ist grundlegend für die Zukunft der Demokratie, aber Aktivisten dürfen nicht vergessen, dass wir es im Moment mit einer Situation zu tun haben, in der durch Mechanismen von ungleicher Wohlstandsverteilung und Austerität die Regierungen zugunsten der Unternehmen geschwächt werden, die die Daten überhaupt einsammeln. Das gilt natürlich nur für Demokratien; nicht-demokratische Regimes übernehmen die Kontrolle über ihre eigenen Clouds, so wie wir es zum Beispiel in China sehen.
Manchmal frage ich mich, ob wir unsere Demokratien an Technologie-Firmen outgesourct haben, damit wir nicht selbst zur Rechenschaft gezogen werden können. Wir geben unsere Macht und unsere Verantwortung einfach ab.
Bevor es zu Missverständnissen kommt, möchte ich folgendes klar stellen. Ich bin kein Gegner großer Konzerne. Ich mag große Konzerne, vor allem große Technologie-Konzerne. Meine Freunde und ich haben ein Start-up-Unternehmen an Google verkauft, und im Moment habe ich eine Forschungsstelle bei Microsoft. Wir dürfen einander keiner Reinheitsprüfung unterziehen, als wären wir Cloud-Algorithmen, die sich gegenseitig für gezielte Werbung analysieren.
Die verschiedenen Institutionen, die von Menschen erfunden werden, müssen sich nicht gegenseitig auslöschen, sondern können sich gegenseitig ins Gleichgewicht bringen. Wir können lernen, „loyale Opposition“ innerhalb der Institutionen zu sein, die wir unterstützen oder zumindest tolerieren, seien es Regierungen, Unternehmen, Religionen, etc. Wir müssen nicht immer zerstören, um etwas zu erschaffen. Wir können und sollten in einem Knäuel von Loyalitäten leben. So könnten wir den Rudel-Schalter vermeiden.
Zu lernen, über den Standpunkt der Opposition hinauszudenken, kann Klarheit bringen. Ich widerspreche zum Beispiel sowohl denen, die für die flache Verteilung wirtschaftlicher Vorteile sind, als auch denen, die das Star-System nach dem Motto „The Winner takes it all“ favorisieren, das sich in der High-Tech-Wirtschaft der letzten Jahre abzeichnet. Die Wirtschaft muss weder ein Turm sein, der über ein Meer törichter Anwärter aufragt, noch ein Salzsee, in dem alle von einer Kontrollinstanz zur Gleichheit gezwungen werden. Ich spreche mich für eine Wirtschaft mit einer breiten Mitte aus. Alles, was in der Wirklichkeit vermessen wird, sollte eine Glockenkurve ergeben. Lassen sich die Erträge einer Wirtschaft als Glockenkurve darstellen, ist diese Wirtschaft nicht nur ehrlich, sondern auch stabil und demokratisch, denn die Macht ist breit verteilt. Wer wirtschaftliche Gerechtigkeit zum Ziel hat, sollte nicht aus Prinzip die Reichen verdammen, sondern stattdessen die Delle in der Mitte der Verteilung.
Der Konflikt zwischen der Linken und der Rechten ist schon so lange so akut, dass wir nicht einmal über ein ehrliches Vokabular verfügen, um die ehrliche Mathematik der Glockenkurve zu beschreiben. Wir können nicht von einer „Mittelklasse“ sprechen, denn der Begriff ist zu belastet. Und doch ist diese schwer zu artikulierende Mitte das Herz der Mediation, wo wir den Frieden suchen müssen.
So langweilig es zunächst klingen mag, tatsächlich ist die Mediation zwischen den Fronten sowohl der spannendste als auch der vielversprechendste Weg nach vorn. Ständig werden wir mit den Gegensätzen von Alt und Neu konfrontiert, ständig müssen wir uns entscheiden. Sollen wir altmodische Taxis mit ihren altmodischen Rechten für die Fahrer unterstützen oder neue Arten von Services wie Uber, die digitale Effizienz bieten?
Doch diese Entscheidungen sind falsche Entscheidungen! Die einzig ethische Option ist die Synthese aus dem Besten der prä-digitalen und der digitalen Systeme.
Eine Schwierigkeit dabei ist, dass wir Technologen oft in alten Fantasien des Übernatürlichen gefangen sind, die uns daran hindern, ehrlich über unsere Arbeit zu reden. Einst träumten Wissenschaftler davon, Maschinen mit magischen Formeln zum Leben zu erwecken, so dass sie autark würden. Später sollten Algorithmen künstlicher Intelligenz Bücher schreiben, Treibstoffe abbauen, technische Geräte herstellen, Kranke pflegen und Lastwagen fahren. Auch wenn diese Entwicklung zu hoher Arbeitslosigkeit führen würde, würde sich die Gesellschaft allmählich anpassen, vielleicht mit einer Wende zum Sozialismus oder zum bedingungslosen Grundeinkommen. Aber der Plan hat nie funktioniert. Stattdessen wird, was wie Automatisierung aussieht, in Wirklichkeit von Big Data angetrieben. Die größten Computer der Welt ernten Daten von dem, was echte Menschen tun – Schriftsteller zum Beispiel –; sie verhalten sich wie die flächendeckendsten Spionagedienste der Weltgeschichte, und diese Daten werden dann aufbereitet, um die Maschinen zu betreiben.
Wie sich zeigt, bedarf die “Automatisierung“ also immer noch riesiger Massen von Menschen! Doch dem Traum einer maschinenzentrierten Zukunft zuliebe müssen diese echten Menschen anonymisiert und vergessen werden. Dieser Trend lässt die Bedeutung von Urheberschaft schrumpfen, doch über kurz oder lang schrumpft auch die Wirtschaft im Ganzen, während die Entwicklung nur die reich macht, denen die größten Spionagecomputer gehören.
Um scheinbar automatische Übersetzungsprogramme zu erschaffen, muss täglich die Arbeit von Millionen von echten Übersetzern gescannt werden (um Aktualität zu gewährleisten). Und dieses Arrangement ist ein ganz typisches Beispiel.
In der Regel verschleiert jede scheinbare Automatisierung die Entrechtung der Menschen, die hinter dem Vorhang die Arbeit leisten, was wiederum zu Austerität führt, die wiederum Sozialismus, Grundeinkommen und ähnliches als Kompensation für die bühnenwirksam simulierte Arbeitslosigkeit ausschließt. Dieser Zyklus ist ein kolossales Beispiel dafür, wie sich schlaue Leute dumm verhalten.
„Disrupt“ (Zerstörung) ist vielleicht das häufigste Wort in der digitalen Kultur und Geschäftswelt. Wir tun so, als wäre es schwer, „kreative Zerstörung“ – ein besonders beliebter Tropus in der modernen Wirtschaftsrhetorik – differenziert von reiner Zerstörung zu sehen. Aber so schwer ist es gar nicht. Sehen Sie sich um, ob Menschen nicht ihre Sicherheit und Sozialleistungen verlieren, obwohl das, was sie tun, immer noch gebraucht wird. Die Peitsche ist überflüssig geworden, doch die Dienstleistungen, die in jüngster Zeit durch digitale Services effizienter gemacht wurden, sind meistens nur umformatiert, nicht abgelöst worden. Jedes Mal, wenn jemand einen Cloud-Service einführt, um einen Aspekt des Lebens leichter zu machen – sei es der Zugang zu Musik, Mitfahrgelegenheiten, Verabredungen, Krediten etc. -, wird in Kauf genommen, dass die Menschen zuvor einen gewissen Schutz genossen hatten, der nun in Vergleich zu früheren Regelungen seinen Wert verliert.
Künstler, die vom Urheberrecht profitierten, werden im neuen System ihr Recht verlieren. Arbeiter, die in einer Gewerkschaft organisiert waren, werden es nicht mehr sein. Fahrer, die bestimmte Lizenzen und Verträge hatten, müssen ohne sie auskommen. Und auch ganz normale Bürger, die ein Recht auf Datenschutz hatten, müssen sich der neuen Ordnung anpassen. Der Anspruch, dass alte Vorrechte über Bord geworfen werden müssen – etwa Datenschutz oder die Errungenschaften der Arbeiterbewegung –, um neuer technologischer Effizienz Platz zu machen, ist grotesk. Technologie-Idealisten betonen häufig, dass die alten Vorrechte unvollkommen, unfair und korrupt waren – was in vielen Fällen stimmt -, aber sie geben selten zu, dass die neue Situation eklatant weniger Rechte und ein erheblich größeres Maß an Ungerechtigkeit bietet. Allen Technologie-Schaffenden gebe ich bedenken: Wenn eine neue Effizienz von digitalem Networking auf der Zerstörung von Würde beruht, seid ihr nicht gut in eurem Fach. Ihr schummelt. Gute technologische Neuerungen müssen sowohl die Leistung als auch die Würde der Erbringer verbessern.
Wir Menschen sind Genies darin, uns durch den Gebrauch von Computern verwirren zu lassen. Das wichtigste Beispiel dafür ist, dass Computer so tun, als wäre Statistik eine adäquate Beschreibung der Realität. Dies mag klingen wie ein nebensächliches technisches Problem, aber in Wirklichkeit liegt genau hier der Kern der wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit.
Es gibt eine exponentiell ansteigende Zahl von Hinweisen darauf, wie gigantisch „Big Data“ heutzutage ist; die Massen von Sensoren, die sich in unserer Umwelt verbergen, die immer größer werdenden Rechenzentren für Clouds an geheimen Orten, wo sie ihren Wärmeüberschuss verzweifelt an wilde Flüsse abgeben.
Was passiert mit all diesen Daten? Sie werden von statistischen Algorithmen analysiert!
Wenn Sie bitte die Fingerspitze heben und langsam durch die Luft bewegen. Bei der Menge der Kameras, die es in der heutigen Welt gibt, ist wahrscheinlich irgendeine Kamera gerade auf Ihren Finger gerichtet, und wahrscheinlich sagt gerade irgendwo irgendein Algorithmus automatisch vorher, wo sich Ihr Finger im nächsten Augenblick befindet. Vielleicht wurde dieser Algorithmus von einer Geheimdienstoperation, einer Bank, einer kriminellen Vereinigung oder einer Firma aus dem Silicon Valley entwickelt, wer weiß das schon? Die Entwicklung von Algorithmen wird immer billiger, und jeder, der kann, tut es auch.
Und dieser Algorithmus wird wahrscheinlich für kurze Zeit recht behalten. Das ist so, weil Statistik ein gültiger Zweig der Mathematik ist. Außerdem ist die spezielle Wirklichkeit, in der wir leben, Statistik-freundlich angelegt. Das ist eine Facette unserer Realität. Unsere Welt, jedenfalls auf der Ebene, auf der Menschen funktionieren, hat eine luftige, geräumige Eigenschaft. Das heißt, dass die meisten Dinge ausreichend Platz zur Verfügung haben, um weiter das zu tun, was sie gerade tun. Newtons Gesetze (ein Körper in Bewegung behält seine Bewegung bei) würden zum Beispiel nicht in einem gewöhnlichen Schiebepuzzle gelten, in dem jede Bewegung so beschränkt und verzwickt ist.
Doch trotz der scheinbaren Luftigkeit täglicher Ereignisse funktioniert unsere Welt im Grunde doch wie ein Schiebepuzzle. Es ist eine Welt der Struktur, geregelt von Prinzipien der Konservierung und Ausschließung. Was das heißt, ist einfach: Mein Finger setzt wahrscheinlich seine Bewegung fort, aber nicht für immer, denn irgendwann ist er am Ende der Spannweite meines Arms oder er trifft auf eine Wand oder ein anderes Hindernis. Das ist das besondere, schmackhafte Wesen unserer Welt: Es gibt eine allgemeine statistische Vorhersehbarkeit, aber sie gilt nur für begrenzte Zeitabschnitte, und ihre Beschränkungen lassen sich nicht universell vorhersagen. Cloud-basierte Statistiken funktionieren also oft am Anfang, und dann scheitern sie.
Zuerst glauben wir, wir könnten mit unseren Computern in die Zukunft sehen, doch dann plötzlich versagen unsere Systeme. (Gute Wissenschaftler, die mit Theorien arbeiten, nicht nur mit Statistiken, verstehen dieses Problem und bilden in ihren Modellen auch die Wand ab, die die Bewegung des Fingers stoppt. Doch so viel Mühe macht man sich im Cloud-Geschäft selten, da auch ohne sie Milliarden von Dollar gescheffelt werden können.)
Das ist ein allgemeines und verführerisches Muster des intellektuellen Scheiterns in unserer Zeit. Warum lassen wir uns so leicht verführen? Es ist schwer zu beschreiben, wie intensiv die Verlockung ist, wenn man sie nicht selbst erlebt hat.
Wenn zum Beispiel ein Kapitalgeber Cloud-statistische Algorithmen laufen lässt, fühlt er sich zunächst wie König Midas. Er lehnt sich zurück und sieht zu, wie sein Vermögen wächst. Doch dann passiert etwas. Vielleicht gehen ihm die Leute aus, denen er hohle Kredite anbieten kann, oder die Konkurrenz beginnt, ähnliche Algorithmen einzusetzen, oder so etwas in der Art. Irgendeine strukturelle Grenze unterbricht den unglaublichen Lauf des vollkommenen Glücks, und jedes Mal bist du schockiert, schockiert, SCHOCKIERT, auch wenn es nicht das erste Mal ist, weil die verführerische Macht der frühen Phase einfach so unwiderstehlich ist. (Eine Baseball-Mannschaft bei uns in Kalifornien war in dem Buch und dem Film „Moneyball“ gefeiert worden, weil sie dank Statistiken an die Spitze kam, und doch gehören sie heute wieder zu den Verlierern. Das ist absolut typisch.)
Dahinter steckt auch ein gewaltiger Power-Trip. Denn man kann Muster in der Art, wie User sich ausdrücken oder handeln, nicht nur vorhersehen, man kann sie auch erzwingen.
Es ist heute eine gängige Methode, dass digitale Firmen einige User zu einem Service überreden, der eine neue Effizienz durch Algorithmen und Cloud-Konnektivität bietet. So werden Bücher auf Tablets vertrieben, Mitfahrgelegenheiten, Unterkünfte oder Kredite vermittelt, der Kontakt zu Familienmitgliedern und Freunden hergestellt oder Partner für Sex und Liebe verteilt. Egal worum es geht, bald tritt ein Phänomen namens „Netzwerkeffekt“ in Kraft, und schon leben die Nutzer nicht mehr in einer Welt der freien Entscheidung, sondern sehen sich zum großen Teil gezwungen, jeweils den Service zu benutzen, der die anderen übertrumpft. Eine neue Art von Monopol entsteht, häufig in Form einer in Kalifornien ansässigen Firma.
Typischerweise haben die Nutzer das Gefühl, sie machen ein unglaublich gutes Geschäft. Musik umsonst! Sie scheinen unfähig zu sein, die Verbindung zum Schrumpfen ihrer Möglichkeiten zu ziehen. Stattdessen sind sie dankbar. Wenn man ihnen durch die Anwendung von Algorithmen vorschreibt, mit wem sie ausgehen sollen oder wie sie sich ihrer Familie zeigen sollen, werden sie es tun.
Wer immer eine dieser Operationen betreibt, die ich Sirenenserver nenne, kann die Normen der Gesellschaft festlegen, zum Beispiel beim Datenschutz. Es ist, als wäre er König. Das ist ein grober ökonomischer Schnappschuss, der viele Aspekte unserer Gesellschaft in den letzten Jahren beschreibt. Vor einiger Zeit ging es um Musik. Bald wird es um Produktionsverfahren (mit 3D-Druckern und der Automatisierung in Fabriken), das Gesundheitswesen (mit Pflegerobotern) und jeden anderen Zweig der Wirtschaft gehen.
Und natürlich hat diese Entwicklung in den Vereinigten Staaten längst die Idee der Wahlen erreicht, wo computerisierte Wahlkreisschiebungen und gezielte Werbung Wahlen zu Wettbewerben zwischen großen Computer gemacht haben anstatt zwischen Kandidaten. (Bitte lassen Sie nicht zu, dass so etwas auch in Europa passiert.)
Es funktioniert immer wieder, doch es scheitert auch immer wieder an anderer Stelle. Die Musikindustrie kollabiert, doch dasselbe Regelwerk wird auf Bücher angewandt. Mit jedem Zyklus werden von den größten Computern Milliarden gescheffelt. Die egoistische Illusion der Unfehlbarkeit taucht immer wieder auf – der größte Serienschwindler unserer Zeit – und macht die intelligentesten, wohlmeinendsten technologischen Köpfe zum Teil des Problems statt zum Teil der Lösung. Wir machen Milliarden, bevor wir den Karren an die Wand fahren.
Wenn dieses Muster unabwendbar ist, spielt Politik keine Rolle. In diesem Fall könnte Politik höchstens für einen Aufschub vor der vorgezeichneten Auflösung sorgen.
Aber was ist, wenn Politik doch eine Rolle spielen könnte? In diesem Fall ist es traurig, dass die derzeitige digitale Politik oft so unsinnig ist. Der Mainstream der digitalen Politik, die immer noch als jung und „radikal“ angesehen wird, pflügt immer noch mit einer Reihe von Ideen über Offenheit voran, die über drei Jahrzehnte alt sind, selbst wenn die spezielle Formulierung offensichtlich gescheitert ist. Als meine Freunde und ich die so genannte Twitter- oder Facebook-Revolution auf dem Tahrir-Platz beobachteten, von unserem bequemen Posten im Silicon Valley, habe ich gesagt: „Twitter wird diesen tapferen, klugen jungen Ägyptern keine Arbeit geben, also kann die Bewegung nicht glücken.“ Freiheit, losgelöst von Wirtschaft (im weitesten Sinn), ist bedeutungslos. Es ist schwer, darüber zu sprechen, weil man so viele Einwände einkalkulieren muss. So könnte man sagen, dass traditionelle gesellschaftliche Konstrukte wie „Jobs“ oder „Geld“ durch digitale Netzwerke überflüssig gemacht werden könnten und sollten, aber: Jede Erfindung, die sie ablösen sollte, müsste mindestens einige derselben Sicherheiten bieten, an die junge Leute häufig weniger gerne denken. Man kann sich nicht nur auf einen Teil des Kreislaufs des Lebens beziehen.
Dieses schwierige Thema verdient eine vorsichtige Erklärung. Die „Share Economy“ bietet nur die Echtzeit-Vorteile von informellen oder Schattenwirtschaften, wie man sie bisher nur in Entwicklungsländern, vor allem in Slums gefunden hat. Jetzt haben wir sie in die entwickelte Welt importiert, und junge Menschen lieben sie, weil das Gefühl des Teilens so sympathisch ist. Doch die Menschen bleiben nicht für immer jung. Manche werden krank oder sie müssen für ihre Kinder, Partner oder Eltern sorgen. Wir können nicht bei jeder Mahlzeit „für unser Essen singen“. Weil die Realität anders aussieht, muss die Share Economy letztendlich als Täuschungsritual der Todesverleugnung verstanden werden. Biologischer Realismus ist der Hauptgrund, aus dem regulierte Wirtschaften sich überhaupt herausgebildet haben. Wenn wir mit der Share Economy einerseits den Schutz, den Gewerkschaften bieten, aushebeln, und Regierungen in langfristige Muster von Austerität oder Sparpolitik und Schuldenkrisen zwingen, wer wird sich dann um die Bedürftigen kümmern?
Manchmal frage ich mich, ob die jüngeren Leute in der entwickelten Welt angesichts des unvermeidlichen Ansturms der demographischen Alterung nicht die Verlagerung zur digitalen Technologie unbewusst benutzen, um den erdrückenden Verpflichtungen gegenüber der wachsenden Zahl der Alten zu entkommen. Die meisten Länder der entwickelten Welt müssen sich in den kommenden Jahrzehnten mit diesem demografischen Wandel auseinandersetzen. Vielleicht haben die Jungen recht, wenn sie sich zu retten versuchen, aber es bleibt das Problem, dass auch sie eines Tages alt und bedürftig sind, denn so ist die conditio humana. Innerhalb der winzigen Elite der Milliardäre, die die Cloud-Computer betreiben, herrscht der laute, zuversichtliche Glaube, dass die Technologie sie eines Tages unsterblich machen wird. Google zum Beispiel finanziert eine große Organisation mit dem Ziel, „den Tod zu überwinden“. Und es gibt viele Beispiele mehr.
Ich kenne einige der Hauptbeteiligten der Anti-Tod- oder posthumanen Bewegung, die im Herzen der Silicon-Valley-Kultur sitzt, und ich bin der Ansicht, die meisten von ihnen leben in einer Traumwelt, die weit weg von jeder rationalen Wissenschaft ist. (Es sind auch ein paar gute Wissenschaftler dabei, einfach nur wegen der Finanzierung; Geld kommt in der Wissenschaft heute oft von merkwürdig motivierten Quellen, und ich würde es ihnen nie zum Vorwurf machen.)
Die Arithmetik ist klar. Falls die Unsterblichkeits-Technologie, oder auch nur eine Technologie der drastischen Lebensverlängerung zu funktionieren beginnt, müsste sie entweder auf die kleinste Elite beschränkt bleiben oder wir müssten aufhören, Kinder in die Welt zu setzen, und in eine unendlich fade Gerontokratie übergehen. Dies sage ich um hervorzuheben, dass in der digitalen Technologie häufig, was radikal scheint – was auf den ersten Blick wie kreative Zerstörung wirkt -, sich in Wirklichkeit, wenn es tatsächlich umgesetzt würde, als hyper-konservativ und unendlich fade und langweilig herausstellt.
Eine weitere populäre Idee ist, unser Gehirn in die virtuelle Realität „upzuloaden“, damit wir für immer in einer Software-Form weiterleben könnten. Und das trotz der Tatsache, dass wir noch nicht einmal wissen, wie das Gehirn funktioniert. Wir wissen nicht, wie Ideen durch Neuronen repräsentiert werden. Wir stellen Milliarden von Dollar bereit, um das Gehirn zu simulieren, dabei kennen wir jetzt noch nicht einmal die grundlegenden Prinzipien, nach denen es funktioniert. Wir behandeln Hoffnungen und Glaube, als wären sie etablierte Wissenschaft. Wir behandeln Computer wie religiöse Objekte.
Wir müssen uns überlegen, ob Fantasien von maschineller Gnade lohnenswert sind. Denn wenn wir den Fantasien von künstlicher Intelligenz widerstehen, können wir zur neuen Formulierung einer alten Idee kommen, die in der Vergangenheit viele Formen hatte: „Humanismus.“
Der neue Humanismus ist, wie früher, der Glaube an den Menschen, doch speziell in der Form einer Ablehnung von künstlicher Intelligenz. Das hieße nicht, irgendeinen Algorithmus oder roboterhaften Mechanismus zu verwerfen. Jeder einzelne vermeintlich künstlich intelligente Algorithmus kann genauso gut als nicht-autonome Funktion verstanden werden, die dem Menschen als Werkzeug dient.
Diese Ablehnung gründet nicht auf dem irrelevanten Argument, das häufig vorgeschoben wird, nämlich den Grenzen der Möglichkeiten, sondern vielmehr darauf, dass es immer Menschen geben muss, um einen Computer wahrzunehmen, damit er überhaupt existiert. Ja, ein Algorithmus kann mit den Daten aus einer Cloud, die von Millionen und Abermillionen von Menschen erhoben wurden, eine Aufgabe verrichten. Man sieht die Flachheit von Computern auf praktischer Ebene an ihrer Abhängigkeit von einer verborgenen Masse anonymer Menschen, oder einer tieferen epistemologischen: Ohne Menschen sind Computer Raumwärmer, die Muster erzeugen.
Wir müssen uns nicht darüber einigen, ob im Menschen ein göttliches Element vorhanden ist oder nicht, noch müssen wir entscheiden, ob gewisse „Grenzfälle“ wie die Bonobos als Menschen betrachtet werden sollten. Noch müssen wir absolute Urteile über die letztendliche Natur von Menschen oder Computern abgeben. Doch wir müssen Computer zumindest so behandeln, als wären sie weniger-als-menschlich.
Wenn man spezifische Auswege aus unseren dummen digitalen Wirtschaftsmustern anspricht, begibt man sich auf ein schwieriges Feld. Ich habe hauptsächlich einen Ansatz erforscht und vertreten, nämlich das ursprüngliche Konzept digitaler Medienarchitektur wiederzubeleben, das auf Ted Nelsons Arbeit in den 1960ern zurückgeht.
Ted schlug ein universales Mikro-Zahlungssystem für digitale Beiträge von Menschen vor. Um es noch einmal zu betonen, dies war keine radikale Reaktion, sondern der historische Ausgangspunkt aller Überlegungen zu digitalen Medien.
Ich habe versucht, Teds Idee auszuweiten auf die Art, wie das Leben der Menschen heute in riesige Big-Data-Sammlungen eingelesen wird. Wie schon erwähnt stützen sich kostenfreie Übersetzungsprogramme zum Beispiel auf das Scannen der Arbeit von Millionen echter menschlicher Übersetzer am Tag. Warum können wir diese Leute nicht bezahlen? Das wäre nur ehrlich und fair.
Wenn wir nur zugeben würden, dass immer noch Menschen gebraucht werden, um die Big Data herzustellen, und wenn wir willens wären, unsere Fantasien von künstlicher Intelligenz zu zügeln, dann könnten wir vielleicht ein neues Wirtschaftsmuster erschaffen, in dem auch in den Ergebnissen der digitalen Wirtschaft die Glockenkurve statt des Starsystems auftaucht. Daraus könnten tragfähige Gesellschaften entstehen, die nicht der Austerität zum Opfer fallen, ganz gleich wie gut oder scheinbar „automatisiert“ die Technologie ist.
Diese Idee ist, um das mindeste zu sagen, kontrovers, und ich kann sie in dieser kurzen Rede nicht vollständig erläutern. Es ist nur eine Idee, die wenigstens ausprobiert werden müsste, und die sich dann vielleicht als haltlos herausstellt.
Doch der springende Punkt, die grundlegende Position, von der wir nicht abweichen dürfen, ist: Wir müssen anerkennen, dass es Raum für Alternativen gibt. Das Muster, das wir heute sehen, ist nicht das einzig mögliche Muster, es ist nicht unabwendbar.
Unabwendbarkeit ist eine Täuschung, die die Freiheit aushöhlt.
Je fortschrittlicher die Technologie ist, desto schwieriger wird es, zwischen Algorithmen und Konzernen zu unterscheiden. Was ist Google heute, oder Facebook? In diesen Fällen ist die Unterscheidung bereits esoterisch, und das ist sie bald auch für viele andere Konzerne. Wenn Algorithmen Personen sein können, dann sind es auch Konzerne, wie es in den USA schon jetzt der Fall ist. Was ich heute hier sage, ist, dass weder ein Algorithmus noch ein Konzern eine Person sein sollte!
Der neue Humanismus behauptet, es ist richtig zu glauben, dass Menschen etwas Besonderes sind, nämlich dass Menschen mehr sind als Maschinen und Algorithmen. Es ist eine Behauptung, die in Tech-Kreisen zu rüdem Spott führen kann, und es gibt auch keinen Beweis, dass sie stimmt.
Wir glauben an uns selbst und aneinander, aber es ist eben nur Glaube. Es ist ein pragmatischerer Glaube als der traditionelle Glaube an Gott. Er führt zum Beispiel zu einer faireren und nachhaltigeren Wirtschaft und zu besseren, zurechnungsfähigeren Technologien. (Außerdem ist der Glaube an den Menschen kompatibel mit jedem Glauben oder fehlenden Glauben an Gott.)Für manche Techies mag der Glaube an die Besonderheit des Menschen sentimental oder religiös klingen, und so etwas können sie nicht leiden. Aber wenn wir nicht an die menschliche Besonderheit glauben würden, wie könnten wir dann nach einer humanistischen Gesellschaft streben?
Darf ich vorschlagen, dass die Technologen wenigstens versuchen so zu tun, als würden sie an die menschliche Besonderheit glauben, nur um zu sehen, wie es sich anfühlt?
Zum Schluss möchte ich diese Rede meinem Vater widmen, der, während ich diese Worte schreibe, gestorben ist. Ich war von Trauer überwältigt. Ich bin ein Einzelkind, und jetzt ist keiner meiner Eltern mehr am Leben. All das Leid, das meine Eltern ertragen haben. Die Familie meines Vaters hatte so viele Tode unter den Pogromen zu beklagen. Eine seiner Tanten war ihr Leben lang stumm, nachdem sie als kleines Mädchen nur überlebt hatte, weil sie vollkommen still unter einem Bett ausharrte, während ihre ältere Schwester vor ihr durch ein Schwert getötet wurde. Von der Familie meiner Mutter in Wien sind viele, viele in den Konzentrationslagern umgekommen. Und nach all dem bin nur noch ich übrig.
Doch dann überkam mich schnell eine noch größere Dankbarkeit. Mein Vater ist über neunzig geworden und er hat meine Tochter erlebt. Die beiden kannten sich und hatten sich lieb. Sie haben einander glücklich gemacht.
Tod und Verlust sind unabwendbar, ganz gleich was meine Freunde mit ihren digitalen Überlegenheitsfantasien und Unsterblichkeitslaboratorien denken und gleichzeitig ihre Liebe zur kreativen Zerstörung bekunden. Ganz gleich wie tief uns das Leid darüber schmerzt, am Ende sind Tod und Verlust langweilig, weil sie unabwendbar sind.
Es sind die Wunder, die wir errichten - die Freundschaften, die Familien, die Bedeutung -, die staunenswert, interessant, glorreich und berauschend sind.
Lasst uns die Schöpfung lieben.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sophie Zeitz Ventura.


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2 Biographie von Jaron Lanier
Jaron Lanier gehört als einer der Pioniere in der Entwicklung des Internets zu den wichtigsten Konstrukteuren der digitalen Welt. Er gilt als der Vater des Begriffs der „virtuellen Realität“ und war selbst als Unternehmer und leitender Forscher an zahlreichen Entwicklungen beteiligt. Heute betreut er als führender Wissenschaftler ein Projekt mehrerer Universitäten zur Erforschung des „Internets 2“ und arbeitet als Forscher für Microsoft Research. Seine bemerkenswerte Lebensgeschichte und seine innovativen Entwicklungen und Einsichten haben Jaron Lanier den Ruf eines Visionärs eingebracht, manche Medien bezeichnen ihn auch als einen „Netzintellektuellen“.
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Kurz nach seiner Geburt am 3. Mai 1960 in New York City zogen Jaron Lanier und seine Familie in die Nähe von El Paso, Texas. Seine Mutter Lillian, Pianistin, Malerin und Tänzerin, war, nachdem sie den Holocaust überlebt hatte, als Fünfzehnjährige von Wien nach New York emigriert. Sein Vater Ellery, Sohn ukrainischer Juden, die vor den Pogromen geflüchtet waren, arbeitete als Architekt, Maler, Schriftsteller, Grundschullehrer und Radiomoderator. Laniers bewegte Kindheit, in der vor allem der frühe Tod der Mutter bei einem Autounfall, die Begeisterung für Musik, mehrere Umzüge und zahlreiche Gelegenheitsjob wichtige Stationen darstellten, führte ihn nach dem Abbruch der Schule und auf Anregung eines Nachbarn, dem Wissenschaftler Clyde Tombaugh (der 1930 den Planeten Pluto entdeckt hat), zur New Mexico State University, an der er als Vierzehnjähriger Mathematik- und Chemie-Seminare besuchte und so erste wichtige Einsichten in die Computertechnologie nehmen konnte.
Mit siebzehn Jahren wechselte er kurz zum Bard College nach New York, anschließend – nach einem weiteren Aufenthalt in New Mexico – ging er nach Kalifornien, und entwickelte in Santa Cruz 1983 ein erstes Videospiel namens „Moondust“, was ihm eine Anstellung bei Atari einbrachte. Hier lernte er Tom Zimmerman kennen, der einen der ersten virtuellen Simulations-Handschuhe konstruiert hat. Sie gründeten gemeinsam mit anderen Freunden 1985 die Firma VPL Research mit dem Ziel, weitere Technologien für die virtuelle Welt zu entwickeln. In der nachfolgenden Zeit konstruierte er virtuelle Kameras, 3D-Grafiken für Kinofilme, den ersten Avatar, einen künstlichen Stellvertreter für eine reale Person in der virtuellen Welt, und trieb die Entwicklung von Internet-basierten Netzwerken voran. Die von ihm entwickelten Anwendungen für dreidimensionale Darstellungen in Web2-Programmen ermöglichen auch die Nutzung virtueller Räume für verschiedenste, beispielsweise auch medizinisch-chirurgische Bereiche. 1999 verkaufte er sein Unternehmen an Sun Microsystems und arbeitete seitdem hauptverantwortlich an zahlreichen Projekten mit.
Der an verschiedenen Universitäten in den USA lehrende Informatiker hat sich darüber hinaus als Musiker, Komponist und bildender Künstler international einen Namen gemacht. Seinen ersten Klavierunterricht hatte er von seiner Mutter erhalten und sich später das Spielen weiterer Instrumente selbst beigebracht. Mit Hilfe seiner Sammlung von mehr als tausend seltenen alten Musikinstrumenten komponierte Jaron Lanier Musik für Konzerte, Ballettaufführungen sowie für die preisgekrönten Filme „Three Seasons“ (1999) und „The Third Wave“ (2009). Darüber hinaus spielte er mit Philip Glass, Yoko Ono, Sean Lennon, Ornette Coleman, George Clinton und zahlreichen weiteren Musikern aus den unterschiedlichsten Musikrichtungen. Seine Gemälde, Zeichnungen und Kunstinstallationen wurden in zahlreichen Museen und Galerien in den USA und Europa gezeigt. Die erste Einzelausstellung hatte er im Jahr 1997 im Museum für Moderne Kunst im dänischen Roskilde. Bei der Produktion des Science-Fiction-Films „Minority Report“ (2002) von Steven Spielberg arbeitete er an den virtuellen Bühnenbildern mit.
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Jaron Lanier gehörte zu jenen Erfindern des Internets, bei denen idealistische Vorstellungen wie die Demokratisierung von Bildung, eine transparente Politik sowie wissenschaftliche Innovationen genauso im Vordergrund standen wie die für die Menschen faszinierenden Errungenschaften, die die digitale Welt anbietet. Doch ungefähr seit der Jahrtausendwende setzt sich Lanier verstärkt mit der immer größer werdenden Diskrepanz zwischen Mensch und Maschine, Wirklichkeit und virtueller Realität sowie zwischen der finanziellen Nutzbarmachung für Internetnutzer und dem Missbrauch von Wissen und Daten auseinander. Hierfür waren auch die Äußerungen führender Neurowissenschaftler verantwortlich, dass das menschliche Gehirn nichts anderes sei als ein hochkomplexer Computer. Technologie, argumentierte Lanier dagegen, ist dafür da, das menschliche Leben zu verbessern und die Kommunikation zwischen Menschen zu fördern, nicht aber, um sie zu ersetzen.
Mit seinen beiden Büchern „Gadget. Warum die Zukunft uns noch braucht“ („You Are Not a Gadget“, dt. 2010 im Suhrkamp Verlag) und „Wem gehört die Zukunft?“ („Who Owns the Future?“ 2013, dt. 2014 im Verlag Hoffmann und Campe) sowie zahlreichen Artikeln über negative Entwicklungen in der digitalen Welt ist er in den letzten Jahren zu einem ihrer wichtigsten Kritiker geworden. Im Zentrum seiner Kritik stehen vor allem jene Entwicklungen, die die Nutzer des Internets in ihrer Freiheit, Persönlichkeit und auch Selbstbestimmung beeinträchtigen. Hierzu gehört auch die so genannte „Umsonst-Mentalität“ des Internets, für das die Nutzer kostenlos Wissen und Daten zur Verfügung stellen. Finanziell profitieren tun jedoch nur wenige Unternehmen, die im Besitz der großen, Daten sammelnden Server sind. Wenn in einem immer größeren Maße Arbeit und Produktion durch computergesteuerte Technologien übernommen werden und die in der digitalen Welt gehandelte Ware „Information“ weiterhin keinen finanziellen Gegenwert für alle einbringt, kann diese „digitale Revolution“ zu einem Zusammenbruch der Mittelschicht führen, so Lanier in seinen Analysen.
Darüber hinaus wird bei ihm der Missbrauch von Datenmengen durch Konzerne, Geheimdienste und Regierungen genauso thematisiert wie die Gefahr für jeden einzelnen, seine Individualität aufs Spiel zu setzen, insbesondere wenn der Mensch sich intellektuell auf das in der Regel niedrigere Niveau einlässt. Die radikale Reduzierung unserer Persönlichkeiten im Netz, so Lanier, kann und wird unser reales Ich beeinflussen.
Was Jaron Lanier im Besonderen auszeichnet und ihn von anderen Kritikern unterscheidet, sind die Lösungsansätze, die er neben aller Kritik in seinen Büchern und Artikeln zur Diskussion stellt. Mit der Forderung nach einem „digitalen Humanismus“ setzt er sich für die Selbstbestimmtheit des Menschen ein, sowohl in der realen Welt als auch in der virtuellen Realität. Hierzu gehört neben dem Schutz des geistigen Eigentums, um die kreative Leistung der Menschen nicht zu beeinträchtigen, auch das Recht eines Jeden auf seine im Netz befindlichen Daten.
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Jaron Lanier lebt mit seiner Frau und seiner Tochter im kalifornischen Berkeley, an dessen Universität er auch lehrt. Für seine Erfindungen und Entwicklungen wurde er mit zwei Ehrendoktortiteln ausgezeichnet und hat 2001 den CMU’s Watson Award sowie 2009 den Lifetime Career Award der IEEE, dem weltweit größten Berufsverband für Ingenieure, erhalten. Sein neuestes Buch „Wem gehört die Zukunft?“ wurde 2014 mit dem Goldsmith Book Prize der Harvard University ausgezeichnet.
Laudator Martin Schulz
Martin Schulz, geboren am 20. Dezember 1955 in Hehlrath, ist gelernter Buchhändler. 1982 gründete er eine eigene Buchhandlung. 1994 wurde er als Abgeordneter der SPD ins Europäische Parlament gewählt. 2012 übernahm Martin Schulz dort das Amt des Parlamentspräsidenten.
Für seinen Einsatz für die Europäische Integration sowie für die Wahrung von Demokratie und bürgerlichen Freiheitsrechten hat Martin Schulz mehrere Ehrendoktorwürden erhalten, unter anderem der Universitäten Kaliningrad, Istanbul und Jerusalem.

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3 Grußwort Heinrich Riethmüller
„Der kranke Schmetterling weiß bald wieder vom Meer, dieser Stein mit der Inschrift der Fliege hat sich mir in die Hand gegeben. An Stelle von Heimat halte ich die Verwandlungen der Welt.“ Es ist fünfzig Jahren her, da hat die Lyrikerin Nelly Sachs an diesem Ort Gedichte vorgetragen. In jener Zeit hat die Aussage von Adorno, nach Auschwitz noch Lyrik zu schreiben, sei barbarisch, die Diskussion bestimmt. Ob bewusst oder unbewusst – der Vortrag von Nelly Sachs erhielt somit eine hochaktuelle und nachwirkende Brisanz.
Heinrich Riethmüller
Friedenspreisträgerinnen und Friedenspreisträger legen Zeugnis ab über die Zeit. Sie setzen sich für Frieden und Freiheit ein, entwickeln Ideen für eine friedvolle Welt, überwinden Hemmnisse oder brechen mit vermeintlichen Tabus:
Da sind die ersten Preisträger der 1950er Jahre - Max Tau, Albert Schweitzer oder Martin Buber -, die ihrer deutschen Herkunft einen Spiegel vorhalten, der dafür sorgt, die kulturelle und gesellschaftliche Isolation des Landes aufzubrechen.
Da sind Wissenschaftler, Politologen und Philosophen wie Carl Friedrich von Weizsäcker, Alexander Mitscherlich oder Ernst Bloch, die Utopien zur Hoffnung werden lassen, Inhumanes aufzeigen und Entwürfe für eine friedvolle Zukunft schreiben.
Da sind Zeugen und Opfer einer grausigen und gewaltsamen deutschen Vergangenheit wie Janusz Korczak, Fritz Stern oder Saul Friedländer, denen wir mit Demut begegnen und die trotz erlittenem Leid für Versöhnung eintreten.
Da sind Astrid Lindgren, die Kinderbuchautorin, Yehudi Menuhin, der Musiker, oder auch Siegfried Lenz, der in dieser Woche verstorben ist und der mir auch persönlich einer der wichtigsten Autoren gewesen ist.
Sie und die Preisträger
der vergangenen Jahre, David Grossman, Liao Yiwu, Boualem Sansal und Swetlana Alexijewitsch, die sich in ihren Büchern mit Krieg und Unterdrückung befassen, haben die Geschichte des Preises, die auch die Geschichte Deutschlands und seiner Nachbarn ist, entscheidend geprägt.
In diesem Jahr verleiht der Börsenverein den Friedenspreis an den amerikanischen Informatiker Jaron Lanier, einen der schärfsten Kritiker des digitalen Kapitalismus. Diese Wahl des Stiftungsrates hebt sich von den bisherigen Entscheidungen ab und findet sich doch in ihnen wieder.
Jaron Lanier macht deutlich,
dass wir uns in einer entscheidenden Phase der modernen Menschheitsgeschichte befinden. Wir alle nutzen die scheinbar kostenlosen und allumfassenden Informationen der digitalen Welt zur Kommunikation und zur Erweiterung unseres Wissens. Erstmals in der Geschichte der Menschheit machen wir uns in Sekundenschnelle von allem ein Bild und erfüllen per Klick unsere materiellen und virtuellen Wünsche. Unterdrückten Menschen und Völkern bieten die neuen Kommunikationsplattformen die Möglichkeit, sich zu befreien, Revolutionen auszulösen und Diktaturen zu stürzen. Demokratische Gesellschaften profitieren von Informationsvielfalt und neuen Entscheidungswegen.
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Die schöne neue Welt macht uns autark und unabhängig, steht für Fortschritt, Sicherheit und Wohlstand. Doch während wir im Internet surfen, online bestellen, virtuell unsere Kontakte pflegen und Meinungen äußern, hinterlassen wir Spuren und Daten, die von internationalen Konzernen gesammelt und ausgewertet werden. Damit begeben wir uns in die Abhängigkeit globaler Monopolisten, die sich jeder staatlichen und gesellschaftlichen Kontrolle entziehen, ja sie entziehen sich sogar jeder Kommunikation darüber. Die Welt wird zu einem mathematischen Modell.
Ist der Mensch dabei, sich selbst abzuschaffen, die Werte aufzugeben, die ihm bislang wichtig waren? Was wird der Preis sein, den wir für unsere Unbekümmertheit und Bequemlichkeit bezahlen? Wird es dem Menschen gelingen, die Geister, die er rief, zu bändigen? Wird die Künstliche Intelligenz sich zum Nutzen der Menschheit weiterentwickeln oder werden wir bald in Gesellschaften leben, wie sie sich Aldous Huxley und George Orwell nicht haben vorstellen können?
Im Kern geht es bei der vor Jahren auch von Jaron Lanier angestoßenen Debatte darum, ob es der Menschheit gelingt, die Individualität des Einzelnen und damit seine Freiheit zu erhalten, ohne die Vorteile der digitalen Welt zu verlieren, oder ob wir uns in immer größere Abhängigkeit von Maschinen begeben und der Mensch zum Algorithmus wird. Jaron Lanier begnügt sich nicht mit der Rolle des Analysten und Mahners, sondern er entwickelt Lösungen, wie wir der Gefahr dieser Abhängigkeit von Technik und Maschinen Herr werden können.
Jeder, der sich damit auseinandersetzt und über die Gefahren der neuen Welt nachdenkt, setzt sich dem Vorwurf aus, ein Kulturpessimist, ein Maschinenstürmer zu sein. Die Modernität zu hinterfragen, schafft keine Freunde. Das süße Gift der Bequemlichkeit wirkt in uns. Doch kritisches Hinterfragen hat weder mit Pessimismus noch mit Fortschrittsfeindlichkeit zu tun.
Wird die erhoffte virtuelle Vielfalt nicht eigentlich zur realen Einfalt, wenn wir uns darauf einlassen, auf „Gadgets“ reduziert zu werden und wenn sich unser virtuelles Ich allein auf die im Internet hinterlassenen Daten gründet? Geben wir dadurch nicht etwas auf, was für unsere Menschlichkeit und unsere Entwicklungsfähigkeit essentiell ist? Geben wir nicht unsere Persönlichkeit auf, die durch unsere Phantasie, unsere Abstraktionsfähigkeit, unsere Kreativität, aber auch durch unsere Unzulänglichkeiten geprägt wird?
Schon heute ist es möglich, das Leseverhalten aus den in E-Book-Readern gespeicherten Informationen zu erkennen. Schon heute ist es möglich, Autoren zu drängen, ihre Bücher auf Grundlage dieser Erkenntnisse zu schreiben. Und schon heute wäre es möglich, einem Leser ein Buch anzubieten, das genau seinen, dem Lesegerät abgerungenen Wünschen und Erwartungen entspricht. Doch würde sich dieses vermeintliche Feinschmeckermenü dann nicht als Fast Food entpuppen, rundum gewürzt und doch sterbenslangweilig?
Wollen wir, dass der Autor das schreibt, was ankommt, oder wollen wir vielmehr, dass der Künstler das schreibt, was ihm Anliegen ist?
Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch. Er hat Fehler und Unzulänglichkeiten. Deshalb gibt es menschliche Entwicklung, bei der Technologie uns helfen, aber nicht bevormunden soll. Nur dann kann ihr Vorteil zu unserem werden.
Wenn unsere Welt allzu schön beschrieben wird, wenn uns die Mächtigen – und das sind schon lange nicht mehr Politiker – machtvoll suggerieren, dass wir uns nicht sorgen müssen, sondern dem Fortschritt glauben sollen, dann fällt mir das Gedicht eines Zeitgenossen von Nelly Sachs ein. Günter Eich hat vor über 60 Jahren sein bekanntes Gedicht „Wacht auf“ geschrieben. Darin heißt es:
„Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für
euch erwerben zu müssen. Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!“ 
Jaron Lanier sagt in einem Interview: „Menschen sind keine Computer. Menschen haben eine mystische Qualität. Verliert man den Glauben an den Menschen, verliert man auch den Glauben an eine Gesellschaft, die den Menschen dient.“ Es ist dieses Streiten für eine Gesellschaft, die dem Menschen dient, das ihn mit den anderen Friedenspreisträgern verbindet. So erinnern Laniers Ansichten zu einem digitalen Humanismus an die Worte Martin Bubers, für den der wahre Dialog zwischen zwei Menschen nur dann gelingt, wenn keiner der beiden den anderen nur als Objekt, oder neudeutsch Gadget, ansieht.
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Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn es uns gelingt, uns nicht blenden zu lassen von den selbsternannten Gestaltern dieser Welt, wenn wir kritisch hinterfragen, was die Moderne für uns bereit hält, wenn wir Gegenentwürfe zulassen und einfordern und den Menschen in seiner Einzigartigkeit bewahren wollen, dann ist mir nicht bang um die Zukunft. Aber für eine solche Zukunft brauchen wir überzeugende Denker. Denker wie Jaron Lanier.

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