Gila Lustiger . Erschütterung . Über den Terror

Online-Publikation: Mai 2017  im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Gila Lustiger . Erschütterung . Über den Terror>>
160 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag ; ISBN: 978-3-8270-1332-3; € 16,00 [D] ; € 16,50 [A]
Piper Verlag ; 80799 München; https://www.piper.de/

Charakteristika
> Ein kluges Plädoyer für unsere freiheitlichen Welt
> Über den Terror in  Paris .

Inhalt
Für Paris und ganz Europa begann 2015 eine neue Zeit: Der brutale Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo sowie der Terror vom 13. November setzten den grausamen Rahmen für ein Jahr, das nicht nur in Frankreich von einer Vielzahl weiterer Übergriffe mit islamistischem Hintergrund, antisemitischen Attentaten und einem erschreckenden Zulauf für den Front National geprägt war. Die in Paris lebende Schriftstellerin Gila Lustiger hat bereits in ihrem Gesellschaftsroman »Die Schuld der anderen« hellsichtig Ursachen und Hintergründe beschrieben. Auch die jüngsten Terrorakte hat sie miterlebt, aus dieser Erfahrung ist ihr Essay entstanden. Der kluge Versuch, einer tief empfundenen Erschütterung mit Vernunft zu begegnen und vehement unsere freiheitlichen Werte zu verteidigen – als Pariserin, Mutter zweier Kinder, Jüdin, Europäerin.

Autorin
Gila Lustiger wurde 1963 in Frankfurt am Main geboren. Sie studierte Germanistik und Komparatistik an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1987 lebt sie als freie Autorin in Paris. Ihr erster Roman, »Die Bestandsaufnahme«, erschien 1995, dann 1997 »Aus einer schönen Welt«. Mit »So sind wir «(2005), einem Familienroman über die Geschichte der europäischen Juden, stand sie 2005 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. 2011 erschien ihr Roman »Woran denkst Du jetzt«, 2015 ihr hellsichtiger und vielgelobter Gesellschaftsroman »Die Schuld der anderen«, der wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste stand, und Anfang 2016 ihr preisausgezeichneter Essay »Erschütterung«, in dem sie sich mit den Gründen und Folgen der Terrorattentate in Frankreich auseinandersetzt.

Fazit, vorangestellt
Beginnen Interessierte von hinten an die vielen Zwischentiteln unübersichtlich(inhaltlich un-verzeichnet) zu lesen, schrieb auch  die Autorin Gila Lustiger in "Erschütterung" .über den Terror" ohne Wut (Ohnmacht, Verzweiflung...) wie auch andere nicht, hinzu kommt noch die Scheinheiligkeit (ausgelöst durch die A-sozialen Medien) analog in Art des Happening / aktuell Performance (1) 'free hugs' gefühlsduselig am Place de la Republique präsentiert, statt an der Champs Elysees, vor den Polizeiwagen ?!. Richtig ist dagegen das Zitat von Lustiger von H.P. Bahrdt : Die Fähigkeit , die Individualität  des anderen auch dann zu respektieren, wenn keine Hoffnung besteht, sie jemals zu verstehen (weil man durch einen Terroristen gesprengt wird) nennt man 'resignierende Humanität?!'.
Lustiger's Einschub des Newsspeak ist zu loben, da sie die offizielle Sprachwendungen entlarvt, z.B. Sonderwirtschaftszone = (Vierteln ab10 000, mit hoher Arbeitslosigkeit und Schulabbrechern .. Banlieues / ZUS / Zones urbaines sensibles). Die Krawalle dort, sind aber berits seit mehr als elf Jahren bekannt !
Auch der Slogan Hollande's 'Frankreich ist im Krieg', zitiert sie,  es geht um 'Kriegsakte' ist zwar andersartig/asymmetrisch  aber die offizielle Formulierung zugleich abartig,...
Quintessenz: Es geht im Buch zu wie in einem Spektakel, zwar mit Esprit und einem Tohuwabohu. Ungereimt. Schade.
m+w.p17-6

1) Performance wird eine situationsbezogene, handlungsbetonte und vergängliche (ephemere) künstlerische Darbietung eines Performers oder einer Performancegruppe genannt. Die Kunstform hinterfragt die Trennbarkeit von Künstler und Werk sowie die Warenform traditioneller Kunstwerke.
https://de.wikipedia.org/wiki/Performance_%28Kunst%29
***

Leseprobe
In den ersten Tagen nach den Attentaten vom 13. November 2015 in Paris tat ich nichts anderes, als mich zu informieren. Ich las Zeitung, hörte Radio, sah die zahllosen Fernsehberichte, durchstöberte das Netz nach Meldungen und Bildern, die unter diversen Hashtags verbreitet wurden, und diskutierte mit Freunden die jeweils neuen Ermittlungsergebnisse, die Liveticker der Nachrichtenagenturen hinaus in die Welt schickten. Ihre Informationen erreichten mich im Minutentakt, und ich gab mich ihnen hin von frühmorgens bis spät in die Nacht.
Ich tat es aus Erschütterung. Weil ich verstehen wollte, was eigentlich geschehen war, was uns da überrollte und was es zu bezwingen galt. »Denn Wissen selbst ist Macht«, zitierte ich bei jeder Gelegenheit den englischen Philosophen Francis Bacon, wenn meine Familie mich fragte, was zum Teufel mit mir los sei, und verlangte, auch einmal ohne die Stimme der Radiojournalisten von France Culture und France Inter aufzuwachen. Keiner wusste besser als ich, wie falsch es war, sich von dieser Informationsflut mitreißen zu lassen, schließlich hatte ich in Israel gelebt, einem Land, in dem Attentate zum Alltag gehörten. Dort erklärten Psychologen, dass solche Informationen nie der Kommunikation dienten, kein Wissen vertieften, keine Erkenntnis lieferten, ja, dass eine Überfülle an Meldungen die Angst nicht mindere, ganz im Gegenteil, sie schüre sie nur und ließe die Menschen in Passivität versinken. Mehr als eine Stunde pro Tag solle man sich nicht informieren, es sei denn, das Leben hinge davon ab. Stattdessen solle man sich auf seinen Alltag konzentrieren.
Hätte ich den Rat beherzigt, so hätte ich meine Familie und meine Freunde wohl besser täglich bekocht, und selbst endlich einmal mein Büro aufzuräumen, wäre vernünftiger gewesen, als auf die Push-Meldungen meines Smartphones zu warten. Seit den Attentaten steckte das Mobiltelefon immer in meiner Hosentasche, lag vor mir auf dem Tisch oder nachts neben meinem Bett. Und zwar immer laut gestellt. Selbst zum Joggen im Jardin du Luxembourg nahm ich es mit, denn man wusste ja nie. Ich war informationssüchtig geworden, und mein Suchtmittel war im digitalen Zeitalter sofort verfügbar. Ich musste nicht einmal wie José, der Clochard in unserer Straße, zum Supermarkt gehen, um den billigen Fusel zu erstehen. Ich setzte mich einfach an den Schreibtisch und öffnete den Browser. Mit nur wenigen Mausklicks bekam ich meinen Stoff.
»Ein Kriegsakt«
Die meisten Meldungen kamen im Konjunktiv daher. »Nach Informationen unserer Fernsehkollegen …«, hieß es, oder: »Wie die Zeitung Libération meldete, könnte …«, oder: »Unter Berufung auf Augenzeugen hätte …«, oder: »Laut einem Bericht der Washington Post sei …«. Schon am zweiten Tag hatten die Nachrichten den Weg einmal rund um die Welt gemacht. Hatte einer der vielen sich in der Stadt aufhaltenden Journalisten, eine Information, ein Bild, eine Anekdote aufgeschnappt, hatte er gar einen neuen Augenzeugen aufgetan, eine neue Auskunft unter der Hand ergattern können, so wurde er von seinen Kollegen sofort zitiert. CNN berichtete, was AFP bekanntgegeben hatte, wo man sich wiederum auf Mediapart berief – die Spirale endete nirgendwo, denn die polizeilichen Ermittlungen benötigten nun mal die Zeit, die polizeiliche Ermittlungen benötigen, die ganze Welt jedoch lechzte nach Handlung und Ergebnissen. Und vor allen Dingen ersehnte sie, über effiziente Maßnahmen benachrichtigt zu werden. Maßnahmen, die sie vor dem schützen sollten, was Präsident Hollande per Twitter-Account des Élysée-Palasts einen »Akt absoluter Barbarei« und einen »Kriegsakt« genannt hatte. »Was sich gestern ereignet hat, ist ein Kriegsakt«, hatte er schreiben lassen, »und dem gegenüber muss das Land die angemessenen Entscheidungen treffen«.
Was aber waren »angemessene Entscheidungen«? Auch darüber wurde sofort und weltweit diskutiert, fortan las ich Analysen und Gastbeiträge von Terrorexperten, Psychologen, Soziologen, Philosophen, Sozialarbeitern, Müttern von Dschihadisten, Vätern von Opfern, Islamwissenschaftlern, Nahostspezialisten und Politikern, die herangezogen wurden, um uns zu erklären, was geschah und was noch geschehen könnte.
»Ein Haifisch und ein Elefant«
Dass Dschihadisten Journalisten, Karikaturisten und Juden hassen, damit hat sich die Zivilgesellschaft schlechten Gewissens abgefunden. Mit den Attentaten vom 13. November geriet jedoch unsere gesamte Gesellschaft ins Visier. Paris sei »die Hauptstadt der Abscheulichkeit und der Perversion«, hieß es im Bekennerschreiben des sogenannten Islamischen Staates, und dass »diese Attacke nur der Anfang des Sturms (sei) und eine Warnung für alle, die daraus Lehren ziehen wollen«.
Die linke Regierung zog ihre Lehren schnell. Bereits am nächsten Tag verhängte Präsident François Hollande den Ausnahmezustand. Grenzkontrollen wurden eingeführt, Reservisten einberufen, Soldaten mobilisiert, Hausdurchsuchungen durchgeführt. Am dritten Tag nach den Anschlägen verkündete Hollande in einer Rede vor den versammelten französischen Abgeordneten und Senatoren im Schloss von Versailles ein ganzes Bündel weiterer Maßnahmen, darunter die Verlängerung des Ausnahmezustands, ein Treffen mit den Präsidenten Obama und Putin, um eine Koalition gegen den IS zu schmieden, die Intensivierung von Luftangriffen gegen Stellungen der Terrormiliz im Irak und in Syrien, eine Zurücknahme des geplanten Personalabbaus bei der Armee, die Verlegung des Flugzeugträgers Charles de Gaulle nach Syrien und eine Gesetzesreform, aufgrund derer gebürtigen Franzosen mit doppelter Staatsbürgerschaft nach einer Terrorismus-Verurteilung der französische Pass entzogen werden könne.
Ich kann mich sehr gut an einen kurzen Wortwechsel zwischen einem Freund und mir erinnern. Wir standen in einem Bistro, in dem man Lotto-Wetten abschließt, an der Theke, tranken Limonade und lauschten jener Rede im Fernseher über dem Kopf des Wirtes.
»Frankreich ist im Krieg«, begann Hollande, »die am Freitag begangenen Attentate sind Kriegsakte. Wir werden den Ausnahmezustand auf drei Monate verlängern … Aber dieser andersartige Krieg gegen einen neuen Gegner erfordert ein verfassungsmäßiges Dispositv, das ein Krisenmanagement ermöglicht …«
»Was wird denn das, bitte schön?«, flüsterte ich meinem Freund entsetzt zu.
Und er antwortete: »Jetzt ist aber gut, Gila. Ich will nichts mehr hören. Genug ist genug!«
Ich sagte kein Wort mehr. Und als das gesamte Bistro, inklusive der Gewohnheitstrinker, im Anschluss an die Rede gemeinsam mit den französischen Abgeordneten und Senatoren die Marseillaise anstimmte, blickte ich verlegen auf meine Turnschuhspitzen. Volksempfinden flößt mir Angst ein. Doch zwei Tage später flennte auch ich, als ich während der Liveübertragung aus dem Londoner Wembley-Stadion mitverfolgte, wie nahezu 70 000 Menschen beider Nationen vor dem Fußball-Länderspiel die französische Nationalhymne anstimmten.
»Ein Haifisch und ein Elefant können sich nicht begegnen und keinen Krieg führen. Aber schon was im selben Wasser lebt, hat – ob es will oder nicht – eine Einheit, in der Krieg oder Verstehen möglich ist«, erklärt Ernst Bloch in Abschied von der Utopie. Lebten der IS und wir nun im selben Gewässer? Und wer hatte das beschlossen, der IS oder Frankreich? Ja, musste Präsident Hollande unbedingt das gleiche Vokabular benutzen wie diese Terroristen, die doch nichts anderes wollten, als einen Bürgerkrieg in Europa heraufzubeschwören? Wir waren also im Krieg. Na wunderbar, dachte ich. Und wer, bitte schön, hatte uns, das Volk, gefragt?

Preis und Stimmen
Der Horst Bingel-Preis 2016 geht an Gila Lustiger
Lustiger trifft mit ihrem Essay den Nerv einer Gesellschaft, die ihre Feinde selbst produziert; sie formuliert einen Weckruf.« Die Jury
Gila Lustiger wird für ihr Essay »Erschütterung. Über den Terror« der Horst Bingel-Preis verliehen.
Lustiger trifft mit ihrem Essay den Nerv einer Gesellschaft, die ihre Feinde selbst produziert; sie formuliert einen Weckruf.« Die Jury
 
Rezensionen und Pressestimmen:
Kölner Stadt-Anzeiger
»Gila Lustigers Essay "Erschütterung" gehört zu den Büchern der kritischen Aufklärung. Es ist ein unaufgeregtes und einsichtsvolles Plädoyer für eine unkriegerische Integration. Mit einem Wort: höchst lesenswert.«  
 
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
»Die in Paris lebende Schriftstellerin hat gerade ein Buch über die Anschläge vom 13. November geschrieben: 'Erschütterung'. Dann kam Brüssel.«  
 
3sat "Kulturzeit"
»An der Oberfläche übt man sich in Normalität, doch in Frankreich herrscht noch immer der Ausnahmezustand. Die Gesellschaft ist tief erschüttert, meint Gila Lustiger.«  
 
ARD "Titel, Thesen, Temperamente"
»Die Bilder des Anschlags auf Paris im vergangenen November sind noch im Kopf. Die Toten des November-Attentats in Paris sind begraben, aus den Schlagzeilen verschwunden. Und dennoch haben sie das ganze Land verändert: Frankreich – eine ‚verwundete Nation‘. An der Oberfläche übt man sich in Normalität, doch in Frankreich herrscht noch immer der Ausnahmezustand. Die Gesellschaft ist tief erschüttert, meint Gila Lustiger. Sie will in ihrem Essayband 'Erschütterung' die Ursachen, vor allem aber die Folgen des Terrors ergründen.«  
faustkultur.de
»Die Stärke von Gila Lustigers Buch über den Terror liegt darin, dass sie einen Versuch unternimmt, einen Essay im engsten Sinne des Wortes geschrieben hat. Sie stellt vor allem Fragen, deren Beantwortung dem Leser überlassen bleibt.«  
 
Rhein-Main-Zeitung
»Leicht gemacht hat sich die aus Frankfurt stammende Schriftstellerin ihre Antworten nicht. Sie hat systematisch recherchiert und nachgedacht, um das Rätsel zu lösen. […]. Lustiger hat ihren Essay eben erst abgeschlossen, weshalb sie auch noch den Strom der Flüchtlinge nach Deutschland und die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln reflektieren konnte. Eine Frage dieses erhellenden und hellsichtigen Buches lautet denn auch: 'Kann Deutschland aus den Fehlern Frankreichs lernen?'«  
 
Radio Bremen
»Mit ihrem Essayband 'Erschütterung' versucht die Schriftstellerin Gila Lustiger ihre persönliche Erfahrung mit den Terroranschlägen in Paris zu verarbeiten.«  
 
Salzburger Nachrichten
»Dieser Terror sollte uns allen Angst machen. Zuerst, im Jänner 2015, haben die Anschläge auf die Redaktion der Zeitschrift 'Charlie Hebdo‘ und einen jüdischen Supermarkt Entsetzen ausgelöst. Dann, am 13. November 2015, ist bei den Anschlägen in Paris die ganze Zivilgesellschaft angegriffen worden. Doch Gila Lustiger ist überzeugt: Die Franzosen lassen sich nicht einschüchtern.«  
 
arte Metropolis
»Gila Lustiger, eine deutsche Autorin jüdischer Herkunft, lebt seit fast 30 Jahren in Paris. Sie ist fassungslos, dass die Attentäter Franzosen sind: junge Männer, in Frankreich aufgewachsen und zur Schule gegangen.«  
 
WDR 5 "Scala"
»Doch es sind weniger Informationen und Analysen, die Gila Lustigers Buch interessant machen. Es sind vielmehr ihre persönlichen Beobachtungen und Selbstbeobachtungen im vom Terror gezeichneten Pariser Alltag. […]. Gila Lustigers Buch über den Terror liefert keine schnellen Antworten, es stellt vor allem Fragen. Und genau darin liegt seine Stärke. Es ist ein Essay im Wortsinn, der Versuch, die emotionale Erschütterung durch den Terror zu überwinden, denkend, schreibend und auch lesend.«  
 
Deutschlandradio Kultur
»Lustigers Essay 'Erschütterung' […] behandelt unter anderem den Zusammenhang zwischen Terror und sozialen Problemen. Sie selbst sei nach den Anschlägen im November ‚live-ticker-süchtig‘ gewesen, sagte die deutsche Autorin, die seit fast 30 Jahren in Frankreich lebt Die Medien fütterten die Menschen mit immer angeblich neuen und wichtigen Erkenntnissen, damit sie sich sicher fühlten. Stattdessen brauche es wieder mehr Bereitschaft zur Reflexion. ‚Bevor man Antworten findet, muss man versuchen, die richtigen Fragen zu stellen.«  
 
ORF ZIB 2
»Kaum etwas hat Frankreich in den vergangenen Jahrzehnten so massiv geprägt wie die Terroranschläge in Paris Anfang und Ende des vergangenen Jahres. Auch Gila Lustiger, eine deutsche Schriftstellerin, die seit vielen Jahren in Paris lebt, befasst sich jetzt in ihrem jüngsten Buch mit der Aufarbeitung dieser Ereignisse. In 'Erschütterung. Über den Terror' versucht sie, nicht nur den Ursachen auf den Grund zu gehen, sondern beschäftigt sich vor allem mit der Frage, was der Terror mit uns und aus uns macht.«  
 
Frankfurter Rundschau
»Gila Lustiger ist in ihrem großen Essay 'Erschütterung. Über den Terror' dem nachgegangen, was der vielfache Tod, der Umgang der Medien mit dem Horror, mit ihr und den Menschen anstellt.«  
 
Aachener Zeitung (kna)
»Ihr Essay ist weder Medien- noch Politikerschelte. Ausgehend von persönlichen Beobachtungen und Gesprächen nähert Lustiger sich vielen gesellschaftlich umstrittenen Themen an. […]. Manchmal, schreibt sie, wolle man ‚einfach verstummen‘. Doch ihr Text ist ein Plädoyer für das Gegenteil: für Debatten und Austausch, für Bildung und Erziehung – ohne Angst. Denn, so Lustiger: Es 'muss weitergedacht werden.'«  

EMMA
»Die Autorin betrachtet die die TäterInnen mit ähnlicher Einfühlsamkeit wie die Opfer, doch lässt hier die Opfer noch einmal lebendig werden.«  
 

literatourismus.net
»Aber [ Gila Lustiger] bleibt offen und diskussionsbereit, bietet größere Zusammenhänge statt einfache Erklärungsmuster und legt auch eigene Zweifel und Unsicherheiten bloß, die andere mittels Dogmatismus beunruhigend einfach aus dem Weg räumen. Die Betrachtung französischer Zustände bietet Anknüpfungspunkte auch für eine deutsche Debatte. 'Erschütterung' ist ein kluges Zeitdokument, dessen bedachte Argumentation sich wohltuend vom populistischen Geschrei dieser Tage abhebt.«  

SWR 2 Kultur
»Gila Lustigers Buch über den Terror liefert keine schnellen Antworten, es stellt vor allem Fragen. Und genau darin liegt seine Stärke. Es ist ein 'Essay' im Wortsinn. Der Versuch, die emotionale 'Erschütterung' durch den Terror zu überwinden, denkend, schreibend und auch lesend.«  
 
Achse des Guten
»Wer wissen will, was uns bevorsteht, sollte Gila Lustigers Buch 'Erschütterung- Über den Terror' in die Hand nehmen. Die Tochter des bekannten jüdischen Historikers Arno Lustiger begann nach den Attentaten des 13. November in Paris emsig zu recherchieren, aus 'Erschütterung', wie sie schreibt, um zu verstehen, was in Frankreich vorgeht.«  
 
Nürnberger Nachrichten
»Für Gila Lustiger sind die Menschenrechte weder teilbar noch verhandelbar - sie gelten für die Ausgegrenzten ebenso wie für die Opfer des Terrors. Sie schreibt darüber mit so guten Argumenten und literarisch so überzeugend, dass man ihrem Buch ganz viele Leser wünscht.«  
Märkische Allgemeine
»Die Autorin schildert ihre Gedanken zum Flüchtlingsproblem und fragt nach den Ursachen des Terrors. Dabei zieht sie erstaunliche Schlüsse.«  

>Bonner General-Anzeiger
»Analytische Schärfe ist das eine - Temperament das andere. 'Erschütterung' ist wie mit beschleunigtem Puls geschrieben, das Buch ist ein emotionaler Essay - eine allzu verständliche Reaktion auf eine Welt, die aus den Fugen geraten ist.«  
 
>Deutschlandfunk "Kulturfragen"
»Ein Text über das Leben im Ausnahmezustand und Lustigers persönliche Analyse der gesellschaftlichen Gründe und Folgen des Terrors.«  
 
>Deutschlandfunk
»Es ist ein Text über das Leben im Ausnahmezustand zu Lustigers persönlicher Analyse der gesellschaftlichen Gründe und Folgen des Terrors.«  
> Gießener Allgemeine
»Es ist ein ›Essay‹ im Wortsinn, ist der Versuch, die durch den Terror ausgelöste emotionale ›Erschütterung‹ zu überwinden im Alltag der Millionenstadt an der Seine, denkend, schreibend oder eben auch lesend. Es entfacht weniger wegen seiner Informationen und Analysen. Es ist gut!«  
 
Leseprobe zu »Erschütterung«
In den ersten Tagen nach den Attentaten vom 13. November 2015 in Paris tat ich nichts anderes, als mich zu informieren. Ich las Zeitung, hörte Radio, sah die zahllosen Fernsehberichte, durchstöberte das Netz nach Meldungen und Bildern, die unter diversen Hashtags verbreitet wurden, und diskutierte mit Freunden die jeweils neuen Ermittlungsergebnisse, die Liveticker der Nachrichtenagenturen hinaus in die Welt schickten. Ihre Informationen erreichten mich im Minutentakt, und ich gab mich ihnen hin von frühmorgens bis spät in die Nacht.
Ich tat es aus Erschütterung. Weil ich verstehen wollte, was eigentlich geschehen war, was uns da überrollte und was es zu bezwingen galt. »Denn Wissen selbst ist Macht«, zitierte ich bei jeder Gelegenheit den englischen Philosophen Francis Bacon, wenn meine Familie mich fragte, was zum Teufel mit mir los sei, und verlangte, auch einmal ohne die Stimme der Radiojournalisten von France Culture und France Inter aufzuwachen. Keiner wusste besser als ich, wie falsch es war, sich von dieser Informationsflut mitreißen zu lassen, schließlich hatte ich in Israel gelebt, einem Land, in dem Attentate zum Alltag gehörten. Dort erklärten Psychologen, dass solche Informationen nie der Kommunikation dienten, kein Wissen vertieften, keine Erkenntnis lieferten, ja, dass eine Überfülle an Meldungen die Angst nicht mindere, ganz im Gegenteil, sie schüre sie nur und ließe die Menschen in Passivität versinken. Mehr als eine Stunde pro Tag solle man sich nicht informieren, es sei denn, das Leben hinge davon ab. Stattdessen solle man sich auf seinen Alltag konzentrieren.
Hätte ich den Rat beherzigt, so hätte ich meine Familie und meine Freunde wohl besser täglich bekocht, und selbst endlich einmal mein Büro aufzuräumen, wäre vernünftiger gewesen, als auf die Push-Meldungen meines Smartphones zu warten. Seit den Attentaten steckte das Mobiltelefon immer in meiner Hosentasche, lag vor mir auf dem Tisch oder nachts neben meinem Bett. Und zwar immer laut gestellt. Selbst zum Joggen im Jardin du Luxembourg nahm ich es mit, denn man wusste ja nie. Ich war informationssüchtig geworden, und mein Suchtmittel war im digitalen Zeitalter sofort verfügbar. Ich musste nicht einmal wie José, der Clochard in unserer Straße, zum Supermarkt gehen, um den billigen Fusel zu erstehen. Ich setzte mich einfach an den Schreibtisch und öffnete den Browser. Mit nur wenigen Mausklicks bekam ich meinen Stoff.
»Ein Kriegsakt«
Die meisten Meldungen kamen im Konjunktiv daher. »Nach Informationen unserer Fernsehkollegen …«, hieß es, oder: »Wie die Zeitung Libération meldete, könnte …«, oder: »Unter Berufung auf Augenzeugen hätte …«, oder: »Laut einem Bericht der Washington Post sei …«. Schon am zweiten Tag hatten die Nachrichten den Weg einmal rund um die Welt gemacht. Hatte einer der vielen sich in der Stadt aufhaltenden Journalisten, eine Information, ein Bild, eine Anekdote aufgeschnappt, hatte er gar einen neuen Augenzeugen aufgetan, eine neue Auskunft unter der Hand ergattern können, so wurde er von seinen Kollegen sofort zitiert. CNN berichtete, was AFP bekanntgegeben hatte, wo man sich wiederum auf Mediapart berief – die Spirale endete nirgendwo, denn die polizeilichen Ermittlungen benötigten nun mal die Zeit, die polizeiliche Ermittlungen benötigen, die ganze Welt jedoch lechzte nach Handlung und Ergebnissen. Und vor allen Dingen ersehnte sie, über effiziente Maßnahmen benachrichtigt zu werden. Maßnahmen, die sie vor dem schützen sollten, was Präsident Hollande per Twitter-Account des Élysée-Palasts einen »Akt absoluter Barbarei« und einen »Kriegsakt« genannt hatte. »Was sich gestern ereignet hat, ist ein Kriegsakt«, hatte er schreiben lassen, »und dem gegenüber muss das Land die angemessenen Entscheidungen treffen«.
Was aber waren »angemessene Entscheidungen«? Auch darüber wurde sofort und weltweit diskutiert, fortan las ich Analysen und Gastbeiträge von Terrorexperten, Psychologen, Soziologen, Philosophen, Sozialarbeitern, Müttern von Dschihadisten, Vätern von Opfern, Islamwissenschaftlern, Nahostspezialisten und Politikern, die herangezogen wurden, um uns zu erklären, was geschah und was noch geschehen könnte.

»Ein Haifisch und ein Elefant«
Dass Dschihadisten Journalisten, Karikaturisten und Juden hassen, damit hat sich die Zivilgesellschaft schlechten Gewissens abgefunden. Mit den Attentaten vom 13. November geriet jedoch unsere gesamte Gesellschaft ins Visier. Paris sei »die Hauptstadt der Abscheulichkeit und der Perversion«, hieß es im Bekennerschreiben des sogenannten Islamischen Staates, und dass »diese Attacke nur der Anfang des Sturms (sei) und eine Warnung für alle, die daraus Lehren ziehen wollen«.
Die linke Regierung zog ihre Lehren schnell. Bereits am nächsten Tag verhängte Präsident François Hollande den Ausnahmezustand. Grenzkontrollen wurden eingeführt, Reservisten einberufen, Soldaten mobilisiert, Hausdurchsuchungen durchgeführt. Am dritten Tag nach den Anschlägen verkündete Hollande in einer Rede vor den versammelten französischen Abgeordneten und Senatoren im Schloss von Versailles ein ganzes Bündel weiterer Maßnahmen, darunter die Verlängerung des Ausnahmezustands, ein Treffen mit den Präsidenten Obama und Putin, um eine Koalition gegen den IS zu schmieden, die Intensivierung von Luftangriffen gegen Stellungen der Terrormiliz im Irak und in Syrien, eine Zurücknahme des geplanten Personalabbaus bei der Armee, die Verlegung des Flugzeugträgers Charles de Gaulle nach Syrien und eine Gesetzesreform, aufgrund derer gebürtigen Franzosen mit doppelter Staatsbürgerschaft nach einer Terrorismus-Verurteilung der französische Pass entzogen werden könne.
Ich kann mich sehr gut an einen kurzen Wortwechsel zwischen einem Freund und mir erinnern. Wir standen in einem Bistro, in dem man Lotto-Wetten abschließt, an der Theke, tranken Limonade und lauschten jener Rede im Fernseher über dem Kopf des Wirtes.
»Frankreich ist im Krieg«, begann Hollande, »die am Freitag begangenen Attentate sind Kriegsakte. Wir werden den Ausnahmezustand auf drei Monate verlängern … Aber dieser andersartige Krieg gegen einen neuen Gegner erfordert ein verfassungsmäßiges Dispositv, das ein Krisenmanagement ermöglicht …«
»Was wird denn das, bitte schön?«, flüsterte ich meinem Freund entsetzt zu.
Und er antwortete: »Jetzt ist aber gut, Gila. Ich will nichts mehr hören. Genug ist genug!«
Ich sagte kein Wort mehr. Und als das gesamte Bistro, inklusive der Gewohnheitstrinker, im Anschluss an die Rede gemeinsam mit den französischen Abgeordneten und Senatoren die Marseillaise anstimmte, blickte ich verlegen auf meine Turnschuhspitzen. Volksempfinden flößt mir Angst ein. Doch zwei Tage später flennte auch ich, als ich während der Liveübertragung aus dem Londoner Wembley-Stadion mitverfolgte, wie nahezu 70 000 Menschen beider Nationen vor dem Fußball-Länderspiel die französische Nationalhymne anstimmten.
»Ein Haifisch und ein Elefant können sich nicht begegnen und keinen Krieg führen. Aber schon was im selben Wasser lebt, hat – ob es will oder nicht – eine Einheit, in der Krieg oder Verstehen möglich ist«, erklärt Ernst Bloch in Abschied von der Utopie. Lebten der IS und wir nun im selben Gewässer? Und wer hatte das beschlossen, der IS oder Frankreich? Ja, musste Präsident Hollande unbedingt das gleiche Vokabular benutzen wie diese Terroristen, die doch nichts anderes wollten, als einen Bürgerkrieg in Europa heraufzubeschwören? Wir waren also im Krieg. Na wunderbar, dachte ich. Und wer, bitte schön, hatte uns, das Volk, gefragt?
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