SWR - Diskurs: Mit Qualität Vertrauen zurückgewinnen

Diskurs aktuell
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Medien & Manipulation

SWR - Diskurs:

Quintessenz: Es geht aktuell um 'Verkäufliche Aufmerksamkeit - in der Boulevard-Presse -
                    statt um Hoffnung und Machbarkeit gegen Ungerechtigkeit'

ÜBERBLICK
"Lügenpresse" heißt es inzwischen mit unschöner Regelmäßigkeit, auch in der Öffentlichkeit, wie zum Beispiel bei einer der großen Demos der Pegida-Bewegung in Dresden im Herbst 2015, und auch bei Veranstaltungen der AfD bekommt man diesen Lügenpresse-Vorwurf gerne zu hören. Das Schlagwort gehört inzwischen leider fast schon zum Alltags-Vokabular. Wie können, wie sollten die Medien mit diesem Vorwurf, mit diesem Problem umgehen?
 
Das SWR2 Kulturgespräch   1.3.2016
 mit Prof. Hans-Jürgen Arlt, Kommunikationswissenschaftler und Publizist, UdK Berlin, führte Martin Gramlich am 1.3.2016 um 7.45 Uhr.

INHALT:
Herr Arlt,
 bevor wir dazu kommen, wie man mit diesem Problem umgehen kann, erst mal die Frage, woher kommt es, dass Medien, die Jahre oder Jahrzehnte lang eine Instanz waren, inzwischen für manche Menschen und Gruppen nur noch "die Lügenpresse" sind? Woher dieser Vertrauensverlust?
 Die Frage ist,
 ob Ihre Voraussetzung stimmt, ob diese Medien immer diese vertrauensvolle und vertrauenswürdige Instanz waren? Ich glaube, man muss sehen, dass Vertrauen zwei Seiten hat: eine Seite, die Vertrauen schenkt, und eine andere Seite, die Vertrauen verdient. Und deshalb muss man in einer solchen Vertrauenskrise, in einer solchen Vernichtung von Vertrauen sowohl über den Zustand des Journalismus sprechen als auch über die Verfassung des Publikums. Und der Journalismus lebt mit Misstrauen, seit es ihn gibt. Volles Vertrauen hat Journalismus noch nie genossen. Und das kann in einer demokratischen Öffentlichkeit, bei Lichte besehen, auch niemand wollen, weil Demokratie eine Einladung an den kritischen Verstand ist, keine Anweisung zur Vertrauensseligkeit.
Im Moment
 ist es nun aber so, dass diese Unsicherheit, die, wie Sie sagen, schon immer da war, einfach zu groß geworden ist.
 Meine Diagnose, die Sie so vielleicht nicht erwarten, ist: Die journalistischen Leistungen sind insgesamt nicht weniger und nicht schlechter geworden, vielleicht waren sie in Deutschland noch nie so gut, es gibt aber mindestens drei Aber. Erstens: Der Journalismus wird von einem Übermaß an Werbung, Öffentlichkeitsarbeit und Unterhaltung an den Rand gedrängt, zweitens: Der Journalismus wird von Medienunternehmen, die Animationsarbeit unter dem falschen Namen Journalismus machen, in Misskredit gebracht, was übrigens die hausgemachte Krisenursache der Medienbranche ist.
Was heißt Animationsarbeit,
 wenn ich Sie hier gerade unterbrechen darf?
Wir haben ein Phänomen zu beobachten,
  dass Medienunternehmen Veröffentlichungen produzieren, die nur noch darauf ausgerichtet sind, verkäufliche Aufmerksamkeit zu wecken. Es geht nicht mehr darum, eine interessante und wichtige Information an das Publikum zu vermitteln, sondern es geht nur noch darum, dass das Publikum hinschaut. Und dieses Hinschauen wird an die Werbung weiter verkauft.
 Das ist ein Phänomen, was es im Boulevard-Journalismus ansatzweise schon immer gegeben hat, weil der Boulevard-Journalismus natürlich sehr viel mehr auf Aufmerksamkeitsproduktion angewiesen ist. Aber durch das Internet wird das sehr, sehr stark forciert. Nehmen Sie Online-Portale, wie etwa in der Schweiz "watson", "Bassi", "Hassington T…" oder auch "bild.de". Die ganze Machart, die Auswahl der Themen, das Layout, die Wortwahl, alles soll Aufmerksamkeit anreizen, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Das Motto, unter dem das passiert, ist so billig wie möglich und so reichweitenstark wie möglich. Und das alles geschieht im Namen vom Journalismus. Und das große Problem dabei ist, dass damit die journalistische Leistung in Misskredit gebracht wird.
Sie haben gesagt,
 zu diesem aktuell zu beobachtenden Vertrauensverlust in den Journalismus gehören zwei Seiten. Jetzt haben wir uns die Senderseite angeschaut, wie sieht es denn nun auf der Publikumsseite, bei den Lesern, den Hörern, aus? Woher kommt da auf einmal dieser enorme Vertrauensverlust, dieser starker Vorwurf "Lügenpresse"?
 Ich möchte noch mal den Gedanken stark machen,
 dass der Journalismus, der Bote, nicht für die Botschaft verantwortlich ist, aber die Veröffentlichungen sind verantwortlich für die Art und Weise, wie sie diese Botschaft überbringen. Und das geschieht zunehmend in einer Weise, die es dem Publikum schwer macht, die Absender als vertrauenswürdig einzustufen.
 Und jetzt kommt noch etwas Entscheidendes hinzu:
 Zu Demokatie und zu demokratischer Kommunikation gehört auch die Hoffnung, dass positive Veränderungen machbar sind, dass Machtverhältnisse umkehrbar, Probleme lösbar und Ungerechtigkeiten korrigierbar sind. Aber Jahrzehnte von Massenarbeitslosigkeit, fortlaufenden Umweltzerstörungen, massiven Umverteilungen von unten nach oben, einem Finanzsystem, das unverschämten Luxus genießt und seine Krisen auf Kosten der Steuerzahler bewältigt, ein Sozialsystem, dass die wachsende Armut und zunehmende soziale Unsicherheiten nicht verhindern kann, haben Rahmenbedingungen geschaffen, die es dem Publikum wirklich schwer machen, noch Vertrauen, wem gegenüber auch immer, aufzubringen, und davon wird der Journalismus selbst auch massiv getroffen.
 Mit welchen Mitteln können Medien da reagieren? Sie haben ja bereits angedeutet: Es ist ein Übermaß an schlechten Nachrichten, die uns da auch erreichen. Ein journalistisches Vorgehen, das in diesem Zusammenhang zurzeit diskutiert wird, ist der "konstruktive Journalismus". Da geht es darum, Menschen nicht nur mit schlechten Nachrichten zu demotivieren, zu lähmen, sondern mit guten Nachrichten beziehungsweise mit Auswegen oder Lösungsmöglichkeiten auch zu motivieren. Wäre das ein Ausweg?
 Das Gegenteil von gut ist manchmal gut gemeint.
 Ich halte es für sehr, sehr viel wichtiger, dass der Journalismus sich auf die Erwartungen besinnt, die ihm gesellschaftlich entgegengebracht werden. Der Journalismus soll unabhängig sein, das ist der Anfang von allem. Er soll aktuell und allgemeinverständlich sein, er soll Wichtiges richtig berichten, und er soll kontrollierend und überparteilich sein. Das sind hohe Erwartungen, so hohe Erwartungen, wie sie noch nicht mal die Wissenschaft erfüllt. Aber auch Demokratie hat hohe Erwartungen, auch Justiz hat hohe Erwartungen, und auch Politik mit Gemeinwohl-Orientierung hat hohe Erwartungen. Es ist wichtig, dass man solche Werte ernst nimmt und als Leitsterne, als Richtschnur im Auge behält. Es geht nicht darum, das immer punktgenau zu erfüllen. Das ist überhaupt nicht möglich. Aber es geht darum, dass mit Aufwand und Energie an diesen Ansprüchen und Zielen gearbeitet wird. Und eine Öffentlichkeit, die in so hohem Maße aus Werbung, Öffentlichkeitarbeit, Unterhaltung und Animationsarbeit besteht, in der ist Jou rnalismus, der seine Aufgabe und seine Funktion ernst nimmt, unendlich wichtig. Und sich auf diese zentrale Funktion und diese wichtigen Eigenschaften journalistischer Veröffentlichungen zu besinnen, sie ernst zu nehmen und in den Medienunternehmen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie auch mit Aussicht auf Erfolg wahrgenommen werden können, das ist meines Erachtens die Aufgabe und nicht, verzweifelt nach guten Nachrichten zu suchen.
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Das SWR2 Kulturgespräch mit Prof. Hans-Jürgen Arlt, Kommunikationswissenschaftler und Publizist, UdK Berlin, führte Martin Gramlich am 1.3.2016 um 7.45 Uhr.