PA4 Diskurse 2014 Zukunft I - III
d-PA4-Diskurse 2014 Zukunft  I - III

JAHRESÜBERSICHT

PA4 Diskurse 2014 Zukunft  I - III

umfasst:

I
Zukunft I Weg Ziel
Zukunft I Foucault
Zukunft I Buddhistisch
Zukunft I Lebensmodell

II
Zukunft II Paul Chan Works
Zukunft II Baudrillard Simulation

AKTUELL

III
Zukunft III Feuerstein Epikur Prankl
-d-Diskurs-PA4-14-10ZukunftIII-Feuerstein-Epikur

Diskurs PA4- Zukunft III
Zukunft III  Küng - Will : Wie Sterben
-d-Diskurs-PA4-14-10ZukunftIII-Kueng-wie sterben

Diskurs PA4-Zukunft III
Zukunft III  Ostern : Sterben -Weiterleben
-d-Diskurs-PA4-14-10Zum Sterben

Zukunft III Feuerstein Epikur Prankl

Zukunft III Feuerstein Epikur Prankl
-d-Diskurs-PA4-14-10ZukunftIII-Feuerstein-Epikur

-d-Diskurs-PA4-14-10ZukunftIII-Feuerstein-Epikur

Briefwechsel

Müllheim 5.10.’14 Diskurs: Feuerstein-Epikur-Prankl . Fragen  und  Quellen

Inhaltsfolge

1 Brief Prankl an Feuerstein
2 Brief  Feuerstein an Prankl
3 Zur Rezension und Epikur
4 Anmerkung  zum Briefwechsel 5 Zum Auszug des Briefes

***

1 Brief Prankl an Feuerstein Lieber Günther Feuerstein,

auch freue ich mich von Dir zu hören und dass es Dir – wie ich es lese – sehr gut geht, mir geht es gut. Ich habe noch ein paar Fragen und Antworten zu deinen phänomenologisch-statistischen und spirituellen Extempores.

1 Darin stimme ich Dir grosso modo zu.

2 Gleichfalls teile ich die tiefe Skepsis bezüglich der Esoterik (als modische Ausprägung )

3 Es gibt in der wissenschaftlich orientierten Medizin, was mein Hausarzt den Weisskitteleffekt nennt und was entsprechend Studien mit Plazebo /Nozebo bezeichnet wird, ein Phänomen was bis zu einem Drittel eine Störung /Krankheit so oder so beinflusst…

4 Auch im Geistigen sin wir d’accord…

5 Um in den geistig-philosophischen Bereich einzukehren, sende ich Dir den rund 2300 Jahre alten ’Brief  an Menoikeus’ von Epikur, auszugsweise.

6 Vorbemerkend dazu nenne ich Platon (der in seinem zweifachem Denken und sokratischem Diskurs), apollinische (Demokrit und Epikur) wie dionysische Züge (transzendente, an göttliches glaubende ..) hat. Aber wie ich Sokratisches vorziehe und im Fragen (sokratisch) jeweils ende … .

7 Und was die Erwartungshaltung im und zum Ende unseres Leben betrifft, spreche ich von einer ‚molekularen Reise’ die ich vorbereitend denke und frageoffen dann antrete . Wie siehst Du das?

8 Mein Kompliment gilt besonders deiner geistigen Gelassenheit, die deine Zeilen ausstrahlen „ich lese, schreibe, lehre, reise und denke“…

*************

 Brief Feuerstein an Prankl Wien, 20.10.’14
2b

Lieber Walter Prankl,
Da hast Du ja ein enormes Problem angeschnitten – wie viele Bücher sind darüber schon geschrieben? Wie soll ich Dir auf zwei Seiten antworten?
Wittgenstein hat seine Philosophie-Sätze nummeriert, das gefällt mir!

1. Vom   „glücklich Sterben“ reden alle(und schreiben viele Bücher), die glücklich leben, vorwiegend die wohlhabende und bürgerliche Mittelschicht. Das ist ziemlich zynisch.

2. Denn „glücklich leben“ tun nur nur 40% der Weltbevölkerung (wenn auch 80% der Österreicher!) Die elend Sterbenden sind selber schuld, weil die Gebrauchsanweisungen der „glücklich“ Sterbenden nicht lesen!

3. Ich kann, darf und will nicht über das Ende meines Lebens bestimmen, es sei denn, unter unerträglichem Schmerz.

4. Mein Leben gehört nämlich nicht mir.  Das ist christliche und kommunistische Tradition.

5. Wem gehört es?  Dem Absoluten, der Familie, der Gemeinschaft, dem Beruf, der Kunst, der Verantwortung  all dem gegenüber, ja, letzten Endes Gott.

6. Dies zu respektieren, gehört zur viel zitierten „Ehrfurcht vor dem Leben“.

7. Wie kann ich im „Einklang“, im „Reinen“ mit mir Leben?  Der A hasst mich, trotz meiner Friedens-angebote, weil ich mehr verdiene als er, die B hat eine tiefe Abneigung, weil ich sie nicht geheiratet habe, der C findet meinen Hausentwurf entsetzlich und bekämpft ihn…. usw. „Es kann kein Mensch in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“

8. Wie kann ich im inneren Frieden sterben, wenn die halbe Welt sich den Schädel zerschlägt     und/oder verhungert und die andere Hälfte alle Geschenke Gottes verpasst?

9. Wie kann ich in Frieden sterben, wenn ich untilgbare Schmerzen leide und darüber Gott und die Welt anklage? (Daher: Mindestens einmal täglich Dank an den Himmel/Gott für die Gesundheit – mit Abruf!)

10. Ich bin im „Reinen“ mit mir, weil ich viel Schlechtes getan habe, das ich nicht tilgen konnte, weil viele Irrtümer begangen habe, die ich nicht korrigieren konnte, weil ich viele Sehnsüchte hatte, die ich nicht befriedigen konnte, weil ich viele Ziele (mehr Bauen!)  nicht erreicht habe.

11. …“gutes, richtiges, leichtes, schönes – glückliches Sterben“, schreibst Du. Aber wie: Schlecht gelebt, falsch gehandelt, schwer gelitten, hässlich gedacht – im Sterben soll alles anders sein?

12. Na ja, übers Sterben hab ich ja nicht erst am Beginn des 90. Lebensjahres nachgedacht, sondern spätestens mit 19 Jahren, anno 45, beim Tiefflieger-Beschuss. Bin etwas in Übung. Trotzdem bin sicher, dass es mich total überraschen wir oder dass es elende Krankheiten gegen wird.
Nachher kommt was – aber was?  Is‘ eh gut, dass man’s nicht weiss!
Nett, mit Dir Stenogramm-Philosophie zu machen. Ein bissl dilettantisch!
Ganz herzliche Grüsse,  viele Wünsche, Günther

2a Feuerstein an Prankl Wien, 30.8.’14

Lieber Walter Prankl schön, wieder etwas von Dir zu hören – bzw. zu lesen! Und noch schöner, dass meine „Archetypen“ noch immer in Deiner Erinnerung sein! Ja, ich habe nichts davon reduzieren müssen – leider habe ich aber doch nicht Zeit und Mut gefunden, die Arbeit weiter zu entwickeln! Doch eines ist gewiss: Meine Arbeit liegt auf einer völlig anderen – bin ich ziemlich sicher – als die Ansätze von Dr. Ruediger Dahlke! Eigentlich ist meine Studie primär eine phänomenologisch-statistische auch bei den spirituellen Extempores. Gegen die so  genannte „Esoterik“, in die westliche Welt bzw. in unser Jahrhundert transferiert, habe ich eine tiefe Skepsis – oder noch deutlicher: Die Systeme der Tierkreiszeichen sind ein kulturhistorisch hochinteressantes Phänomen, die Alchemie ist ein spannendes, aber primitives, mittelalterliches System und die magische Medizin ist für den westlichen Menschen lebensgefährlich. Gibt es einen einzigen wissenschaftlichen Beweis, dass die Sterne einen Einfluss auf unser irdisches Leben haben? Sicher nicht! Leugne ich den „Geist“, das „Geistige“? Keineswegs! Ich finde es in den grossen Religionen, im Christentum vor allem, in der Philosophie, in der Kunst, in der Liebe, in der Gemeinschaft. Urprinzipien – Reinkarnation – Astrologie – Hermetik – Tarot – Alchemie – Sternzeichen – Urschwingungen – Resonanzen – Harmonie – Balance – Resonanz und natürlich auch Esoterik sind Begriffe, die auf meinem Index stehen, soweit sie nicht auf seriöse, messbare physikalische Begriffe zurückzuführen sind, von denen sie gekommen sind! Lieber Walter Prankl, warte noch ein gutes Jahr, dann sende ich Dir meine Studie „Credo   quia absurdum est“ – da findest Du vielleicht einige weitere Gedanken zum Thema! Ansonsten: Mir geht’s prima! Lese, schreibe, lehre, reise – denke! Liebe Grüsse Günther

­Zur Rezension und Epikur

Online-Publikation: August 2014 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung

Jan Erik Heßler : Epikur, Brief an Menoikeus . Edition, Übersetzung, Einleitung und Kommentar >378 Seiten. Gebunden. ISBN 978-3-7965-3213-9 ; sFr. 85.- / € (D) 71.- / € (A) 73.- Schwabe  Verlag, Basel; http://www.schwabe.ch;

Inhalt

Weder sollte man in jungen Jahren zögern, sich philosophisch zu betätigen, noch sollte man im Alter das Philosophieren als Mühe empfinden. Epikur

Der Brief an Menoikeus ist der zentrale Text für die Ethik des griechischen Philosophen Epikur und der einzige im Ganzen überlieferte auf diesem Teilgebiet seiner Lehre. Seine Bedeutung verdankt der Text nicht nur seinem Erhaltungszustand, sondern auch seinem Inhalt, umfasst er doch in knapper, verständlicher Form nahezu alle grundlegenden Richtlinien, die nach Epikur für ein Leben in Glückseligkeit entscheidend sind. Die vorliegende Arbeit bietet die erste textkritische Ausgabe des Briefs seit 40 Jahren, eine neue Übersetzung sowie eine umfassende wissenschaftliche Einleitung zu allgemeinen Aspekten epikureischer Literatur und speziellen Problemen des Briefs: Sie erläutert die Intention, die literarische und sprachliche Form sowie Themen des Briefs. Den größten Teil der Arbeit macht der erste ausführliche Kommentar zu dieser Schrift aus: Neben umfassenden sprachlichen und textkritischen Erläuterungen werden die Argumente des Briefs in das philosophische System des Kepos eingeordnet und Epikurs Auseinandersetzung mit anderen Autoren beleuchtet, besonders der philosophischen Konkurrenz. Vor allem aber findet erstmals Berücksichtigung, dass der Brief als eine Werbeschrift (protreptikos) bestimmten Gesetzen folgt, die Auswirkungen auf die sprachliche und inhaltliche Gestaltung haben: als Werbeschrift richtet sich der Text an jedermann und muss somit ohne Vorkenntnisse verständlich sein. All dies ermöglicht eine neue Perspektive auf Epikurs hier vorgestellte Ansichten u.a. über die Götter, den Tod, die Lust und das Leben des Weisen in Eudaimonie (2).    

Der Autor

Jan Erik Heßler, geb. 1980, studierte in Würzburg griechische, lateinische und italoromanische Philologie sowie Geschichte. Er wurde im Jahr 2012 promoviert und ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Gräzistik der Universität Würzburg tätig.

Fazit

'Der Tod betrifft uns nicht' steht als Quintessenz im Kommentar des Diskursbuches "Epikur (1a), Brief an Menoikeus (1b)* von Jan Erik Heßler, die nach über zwei Jahrtausenden immer noch aktuell erscheint. Und im ganz besonderen Masse, in einer Zeit, in der die Depression und Kümmernis Hochsaison hat - in der Epikurs 'Lustlehre (3)' besonderer Bedeutung zukommt.

So lösen sich - nach Epikur in seinem Brief - die Atome des Körpers und der Seele auf, wahrnehmungsfrei. So folgert er: 'Da aber das Wahrnehmbar den Menschen betrifft, geht ihn de Tod nichts an' und auch der Tod als Übel ist nicht möglich, da man ihn nicht wahrnehmen kann. 'Für Epikur ist die Seele ein körperliches Wesen und abhängig vom Leib'. Erwartung, Furcht und Schmerz im Sterbeprozess bleiben daher aussen vor. Denn mit dem Tod erlischt die Wahrnehmung.

Diese epikureische Wahrnehmungslehre klingt auch heute nciht nur logisch überzeugend, so verbleibt die Frage des Schmerzertragens, die Epikur mit der Erinnerungkraft an die vergangenen philosophischen Diskursen (direkt und in Briefform) entgegen hält - in der die Transzendenz aufzuleuchtn scheint, und so philosophisch formulierte Lust als Gegenkraft wirkt. Ein eindringliches und zugleich sprachanalytisch hervorragandes Traktat (deutsch-altgriechisch fliessend und überzeugend formuliert) liegt zum Aktuellen Diskurs* zu 'Tod und Lust (3)' auf aktuller Wahrnehmungshöhe bereit. m+w.p14-8

*)http://www.kultur-punkt.ch/akademie4/

(1a) Epikur (griechisch Ἐπίκουρος, Epíkouros; * um 341 v. Chr. auf Samos; † 271 oder 270 v. Chr. in Athen) war ein griechischer Philosoph und Begründer des Epikureismus. Diese im Hellenismus parallel zur Stoa entstandene philosophische Schule hat durch die von Epikur entwickelte hedonistische Lehre seit ihren Anfängen zwischen Anhängern und Gegnern polarisierend gewirkt. Sie war und ist durch ein verbreitetes Missverständnis des epikureischen Lustbegriffs Fehldeutungen ausgesetzt. Nach dem Garten, in dem Epikur und seine Anhänger sich versammelten, wird dessen Schule auch Kepos genannt.

(1b) Menoikeus (griechisch Μενοικεύς) ist eine Figur der griechischen Mythologie.

(2) Eudaimonie, Eudämonie oder Eudaimonia ist ein in der praktischen Philosophie häufig gebrauchter Begriff, der ursprünglich (etwa bei Aristoteles) das Gedeihen oder Gelingen (der Lebensführung) bezeichnet. Mittelbar wird der Begriff mit Glückseligkeit und seelischem Wohlbefinden verbunden.

Als Eudämonismus wird eine philosophische Lehre bezeichnet, die im Glück des Einzelnen oder der Gemeinschaft die Sinnerfüllung menschlichen Daseins sieht. Vertreter dieser Lehre nennt man Eudämonisten.

http://de.wikipedia.org/wiki/Eudaimonie

(3) Lustlehre Epikurs

Hedonismus (von altgriechisch ἡδονή, hēdonḗ, „Freude, Vergnügen, Lust, Genuss, sinnliche Begierde“;[1] Wortbildung mit dem Suffix -ismus) bezeichnet zumeist eine philosophische bzw. ethische Strömung, deren Grundthese lautet, dass einzig Lust bzw. Freude und die Vermeidung von Schmerz bzw. Leid intrinsisch oder allgemein wertvoll sei(en). Im Gegensatz zu dem philosophischen Verständnis wird im alltagssprachlichen Gebrauch mit dem Begriff Hedonismus häufig eine nur an momentanen Genüssen orientierte egoistische Lebenseinstellung bezeichnet. In diesem Sinne wird der Begriff Hedonismus oft abwertend gebraucht und als Zeichen der Dekadenz interpretiert. Unter der Bezeichnung „psychologischer Hedonismus“ wird tatsächlich verstanden, dass der Mensch im Allgemeinen einzig nach Lust bzw. Freude strebt.

4 Anmerkung zum Briefwechsel

Brief von Epikur an Menoikeus und von Walter an Dietlinde und Marietta zum aktuellen Diskurs, mit-sich-selbst und im Gespräch:

' Weder sollte man in jungen Jahren zögern, sich philosophisch zu betätigen, noch sollte man im Alter das Philosophieren als Mühe empfinden '.

Hier liegt vor uns ein diskursives Buch zu Tod, Schmerz und Lust . Unsere nun seit 15 Jahren geführten Diskurse* erhalten eine Schützenhilfe den Diskurs weiterzuführen, bis zuletzt...

5 Zum Auszug des Briefes

Epikur an Menoikeus: S.110 Einleitung … Seelische Lust, die aus dem Gleichgewicht der Seelen-Atome resultiert und durch übermässige Sinneslust gestört wird ..

S.116 Theistet, Platon: Ausrichtung auf die Konzentration auf intelligente Strukturen und die                            unsterbliche Seele.. Epikur: Ausrichtung orientiert sich am Gott ähnlichen Weisen, ohne jede Erschütterung zu leben Aristoteles: Ausrichtung im Menschen als ein göttliches Element, das ihn wie einen Gott                            erscheinen lässt.. Hauptteil: 196ff Ansicht über den Tod Während sich nach Platon die Seele vom Körper trennt und weiterleitet endet für Epikur mit dem Tod die Existenz des Individuums (stimme zu w.p.) So lösen sich die Atome des Körpers und der Seele auf eine Wahrnehmung ist nicht mehr möglich. Da aber das Wahrnehmbare den Menschen betrifft, geht ihn der Tod nichts an. Die Aussage, der Tod sei ein Übel, ist nicht möglich, da man ihn nicht wahrnehmen und dementsprechend beurteilen kann. Die Seele ist ein körperliches Wesen und abhängig vom Leib, in dem sie verstreut ist. Sie wird mit dem Körper geboren und vergeht auch mit ihm. Schmerzen beim Sterben sind für den Epikureer durch grössere Lust ( phil. Diskurs-Erinnern) zu überwinden… Folglich ist die Erwartung eines Lebens nach dem Tod genau wie die Furcht vor diesem unbegründet…mit dem Tod erlischt die Wahrnehmung, die Seele löst sich auf und ein leben nach dem Tod und eventuell gedachte Qualen in einer Unterwelt gibt es nicht. Epikur’s Quintessenz An den Tod zu denken ist nicht nur schädlich, sondern auch nicht erfolgversprechend… über die Zukunft kann man nicht gänzlich entscheiden – wann der Tod eintritt, ist also völlig offen…

***

Zukunft III Küng - Will : Wie Sterben

Diskurs PA4- Zukunft III
Zukunft III  Küng - Will : Wie Sterben
-d-Diskurs-PA4-14-10ZukunftIII-Kueng-wie sterben

Diskurs Aktuell  / Lebenswelt
H. Küng : Glücklich sterben
-c-piper14-9kueng-sterben

Online-Publikation: Oktober 2014 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<<  Hans Küng : Glücklich sterben? Mit dem Gespräch mit Anne Will >>
160 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-492-05673-1; € 16,99 [D], € 17,50 [A], sFr 24,50 http://www.piper.de

Autor und Protagonist
Hans Küng, geboren 1928 in Sursee/Schweiz, ist Professor Emeritus für Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen und Ehrenpräsident der Stiftung Weltethos. Er gilt als einer der universalen Denker unserer Zeit. Sein Werk liegt im Piper Verlag vor. Zuletzt erschienen von ihm »Was ich glaube« – sein persönlichstes Buch – sowie »Erlebte Menschlichkeit«, der dritte Band seiner Memoiren. Weiteres zum Autor: www.weltethos.org
Gesprächspartnerin und Journalistin
Anne Will ist eine deutsche Fernsehjournalistin. Von 2001 bis 2007 moderierte sie die Nachrichtensendung Tagesthemen im Ersten, seit September 2007 leitet sie die politische Talkshow Anne Will des NDR im Ersten. Wikipedia
Geboren: 18. März 1966 (Alter 48), Köln
Lebenspartnerin: Miriam Meckel (2007–)
Fernsehsendungen: Anne Will
Auszeichnungen: Deutscher Fernsehpreis, Goldene Kamera

Inhaltsfolge
1 Inhalt
2 Einführung :Glücklich sterben?
3 Einleitung Hans Küng: Kann Sterben glücklich sein? 
4 Gespräch mit Anne Will   : Vom Glück des Widerspruchs

***
1 Inhalt
Wer bestimmt über das Ende meines Lebens?
»Gerade weil ich an ein ewiges Leben glaube, darf ich, wenn es an der Zeit ist, in eigener Verantwortung über Zeitpunkt und Art meines Sterbens entscheiden.« Mit diesen Worten stellt Hans Küng die traditionelle Auffassung in Frage, nach der gilt: aushalten, bis zum Schluss, denn allein Gott bestimmt das Lebensende. Seitdem Hans Küng als junger Priester das qualvolle Sterben seines Bruders mit ansehen musste, seit er Zeuge des Dahindämmerns seines Freundes Walter Jens wurde, ist in ihm die Überzeugung gewachsen, dass niemand zu einer solchen Existenz gezwungen sein muss.
So verbindet Hans Küng frühere Texte über das Sterben mit seinen Glaubensüberzeugungen und theologischen Einsichten, die er eindrücklich im Gespräch mit Anne Will offenlegte, zu einer klaren Position: »Glücklich sterben« im Sinne von Hans Küng hat nichts mit »Selbstmord« zu tun, sondern meint ein menschenwürdiges Ende des Lebens.

2 Einführung :Glücklich sterben?
Hans Küng : Ein persönliches Vorwort 
»Sie gefährden Ihr ganzes großes Lebenswerk durch Ihr dezidiertes Eintreten für Selbstverantwortung im Sterben.« So oder ähnlich haben sich seit Erscheinen des dritten Bandes meiner Memoiren »Erlebte Menschlichkeit« (Oktober 2013) nicht wenige Freunde und Leser mündlich oder schriftlich mir gegenüber geäußert. Solche Einwände nehme ich sehr ernst, möchte ich doch nicht vor allem mit dem Thema Sterbehilfe der Nachwelt in Erinnerung bleiben. Meine Einstellung zum Sterben kann man letztlich ja nur dann richtig bewerten, wenn man etwas weiß von meinem lebenslangen Bemühen um grundlegende Themen wie die Gottesfrage, das Christsein, ewiges Leben, Kirche, Ökumene, Weltreligionen, Weltethos …
Ich bekenne mich nach wie vor zur ersten der vier »unbedingten Weisungen« eines Weltethos, zur »Verpflichtung auf eine Kultur der Ehrfurcht vor allem Leben«, wie sie das Parlament der Weltreligionen in Chicago 1993 proklamiert hat: »Aus den großen alten religiösen und ethischen Traditionen der Menschheit vernehmen wir die Weisung: Du sollst nicht töten! Oder positiv: Hab Ehrfurcht vor dem Leben! Besinnen wir uns also neu auf die Konsequenzen dieser uralten Weisung: Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. Kein Mensch hat das Recht, einen anderen Menschen physisch oder psychisch zu quälen, zu verletzen, gar zu töten.« Doch gerade weil »die menschliche Person unendlich kostbar und unbedingt zu schützen« ist, und dies bis an ihr Ende, muss genau überlegt werden, was dies im Zeitalter einer Hochleistungsmedizin bedeutet, die das Sterben weitgehend schmerzlos herbeizuführen, aber auch in vielen Fällen beträchtlich hinauszuzögern vermag.
Dieser Problematik möchte ich mich hier in -aller Offenheit stellen und möchte gerade niemanden von all den Vielen enttäuschen, denen ich oft über Jahrzehnte in mancher Hinsicht Orientierung geben konnte. Andererseits aber erfahre ich nun so viel Zustimmung und Bestärkung von religiösen wie nichtreligiösen Menschen, die mir dankbar sind für den Mut, gerade als christlicher, ja katholischer Theologe kompetent und ehrlich diese emotional wie politisch schwer belastete und entsprechend kontrovers diskutierte Frage der Sterbehilfe anzusprechen.
Man wird also unterscheiden müssen zwischen dem breiten Konsens in Bezug auf die Ehrfurcht vor dem Leben und dem Dissens bezüglich der Art und Weise einer Sterbehilfe. In den Weltethos-Dokumenten findet man zwar allgemein ein nachdrückliches Plädoyer für Ehrfurcht vor dem Leben, aber keine Stellungnahme zur speziellen Frage der Sterbehilfe, da sich zur Zeit diesbezüglich weder zwischen den Weltreligionen noch innerhalb der einzelnen Religionen ein Konsens feststellen lässt.
Mein Vorstoß bezüglich der Sterbehilfe ist meine höchst persönliche Angelegenheit, nicht etwa die der Stiftung Weltethos. Und so bitte ich denn in aller Bescheidenheit diejenigen, die meine Auffassung teilen, weiter um ihre Unterstützung, und diejenigen, die sie ablehnen, um das Bemühen, meine Auffassung vielleicht besser zu verstehen. Zu diesem Zweck habe ich dieses Buch geschrieben. Es ist kein völlig neues Opus – das habe ich mir 2013 in meinen Abschiedsreden verboten –, aber doch ein neues Opusculum, das jedem Leser eine Klärung und Vertiefung ermöglichen sollte.
Es erfüllt mich mit Dankbarkeit, dass mir noch die Kraft geschenkt war, dieses Buch zu vollenden. Spüre ich doch in der Endphase der Abfassung, wie meine Kräfte schwächer werden und mir auch manche geistige Tätigkeiten zur großen Anstrengung werden. Zweifellos könnte man an einigen Stellen dieses Buches noch weitere Details und Präzisierungen anbringen, doch hat ja mein Buch nicht etwa den Anspruch, die komplexe Frage der Sterbehilfe definitiv zu klären. Vielmehr will es einen Beitrag in einem andauernden Diskussionsprozess leisten und die Stimme eines christlichen Theologen einbringen, der von dieser Problematik selbst existenziell betroffen ist.
Von Herzen danke ich allen, die mir in dieser schwierigen Thematik mit vielfältigem Rat und wichtigen Informationen hilfreich waren, und allen, die ganz praktisch am Entstehen dieses Buches mitbeteiligt waren. 
Tübingen, im Juni 2014

3 Einleitung Hans Küng: Kann Sterben glücklich sein? 
Sind Sterben und Glück nicht klare Gegensätze? »Dieser Mensch hat noch einmal Glück gehabt«, sagt man von einem, der beim Autounfall hart am Tod vorbeikam. Und meint damit das Glück des Zufalls, wofür die englische wie die lateinische Sprache mit »luck« und »fortuna« ein eigenes Wort zur Verfügung haben. Ebenso gibt es mit »happiness« und »beatitudo« ein eigenes Wort für das Glück der Erfüllung.

Der Mensch kann mitten im Alltag das kleine Glück des erfüllten Augenblicks erleben – etwa durch ein gutes Wort, eine freundliche Geste oder durch den Dank für eine von ihm erwiesene Wohltat. Ja, er kann bisweilen auch das große Glück eines momentanen Spitzenerlebnisses erfahren – etwa im Rausch der Musik, in einem überwältigenden Naturerlebnis, in der Ekstase der Liebe.

Nur eines kann der Mensch nicht: einer glücklichen Hochstimmung Dauer verleihen, weder durch Geld noch durch Alkohol oder Drogen. Gewiss vermögen höchst unterschiedliche Informationen im menschlichen Gehirn Endorphine, Glückshormone zu produzieren und so euphorische Glücksgefühle hervorzurufen. Doch Gewöhnung führt zur Abstumpfung; unser neurobiologisches Glückssystem ist nicht auf Dauerbetrieb angelegt. Fausts flehentliche Bitte an den Augenblick höchsten Glücks, »Verweile doch, Du bist so schön!«, kommt nicht von ungefähr und wird nicht erhört.

Ein anderes freilich scheint dem Menschen vielleicht möglich: Statt einer anhaltenden glücklichen Hochstimmung eine durchgehaltene glückliche Grundstimmung, die ihnselbst in verzweifelten Situationen nicht verzweifeln lässt, sondern sein Vertrauen trägt. Gemeint ist konkret: grundsätzlich einverstanden sein mit dem Leben, wie es nun einmal ist, ohne sich jedoch mit allem abzufinden. Eine glückliche Grundstimmung heißt also ein Leben in Einklang, im Reinen mit sich. Und da frage ich mich: Lässt sich eine solche Grundhaltung nicht auch angesichts aller menschlichen Gebrechlichkeit und Vergänglichkeit bis hinein ins Sterben durchhalten?

Die »ars moriendi«, die »Kunst des Sterbens«, beschäftigt mich, seitdem in den 1950er-Jahren mein Bruder Georg monatelang an einem unheilbaren Gehirntumor leiden musste, bis er am Wasser in der Lunge erstickte. Sie drängte sich mir besonders auf, seitdem etwa von 2005 an mein lieber Kollege und Freund Walter Jens, obwohl bestens betreut, in seiner Demenz bis zu seinem Tod 2013 dahindämmerte. Diese Erfahrungen bestärkten mich in der Überzeugung: So will ich nicht sterben! Aber sie machten mir zugleich die Herausforderung deutlich, den Zeitpunkt für ein selbstverantwortetes Sterben nicht zu verpassen.

Dies vertraten der Literat Walter Jens und ich in den 1990er-Jahren gemeinsam in Vorlesungen des Studium Generale an der Universität Tübingen und 1995 im gemeinsamen Buch »Menschenwürdig sterben: ein Plädoyer für Selbstverantwortung«, dessen Neuaus­gabe 2009 ich noch mit »20 Thesen zur Sterbehilfe« und Inge Jens mit einem wertvollen persönlichen Beitrag ergänzte.

Schließlich habe ich 2013 im letzten Kapitel meines dritten Memoirenbandes »Erlebte Menschlichkeit« auf 50 Seiten meine persönliche Krankheitsgeschichte (Parkinson, Makuladegeneration, Polyarthritis in den Fingern …) und meine Haltung zum Sterben beschrieben. Dies legte ich in aller Offenheit dar, nicht zuletzt, um in der deutschen Öffentlichkeit, die noch immer unter dem kollektiven kollektiven Trauma der Nazimorde am angeblich »lebensunwerten Leben« leidet, Verständnis zu wecken für die heutige Problematik eines immer weiter künstlich hinausgeschobenen Lebensendes.

Es gehört für mich zur Lebenskunst und zu meinem Glauben an ein ewiges Leben, mein zeitliches Leben nicht endlos hinauszuzögern. Wenn es an der Zeit ist, darf ich, falls ich es noch kann, in eigener Verantwortung über Zeitpunkt und Art des Sterbens entscheiden. Wenn es mir geschenkt sein sollte, möchte ich gerne bewusst sterben und mich menschenwürdig von meinen Lieben verabschieden. Glücklich sterben heißt für mich nicht ein Sterben ohne Wehmut und Abschiedsschmerz, wohl aber ein Sterben in völligem Einverständnis, in tiefster Zufriedenheit und in innerem Frieden. Das bedeutet im Übrigen auch das in viele moderne Sprachen eingegangene, aber von den Nazis schändlich missbrauchte altgriechische Wort »eu-thanasia«: ein »gutes«, »richtiges«, »leichtes«, »schönes«, »glückliches Sterben«.

Also ein »Requiescat in pace, er/sie möge ruhen in Frieden«. Alles noch zu Ordnende geordnet, in Dankbarkeit und in vertrauendem Gebet. Dies ist nicht nur eine Wunschvorstellung. Ich kenne Menschen, die in diesem Sinn glücklich gestorben sind: Meine Mutter gehört zu ihnen. Diese Haltung gründet für mich letztlich in der Hoffnung auf ein definitiv gelingendes, ewiges Leben, in einer anderen Dimension des Friedens und der Harmonie, andauernder Liebe und bleibendem Glück. Dies ist meine von der Bibel gespeiste Vorstellung von einem glücklichen Sterben.

Damit ist schon deutlich geworden: Solch glückliches Sterben hat nichts zu tun mit einem eigenmächtigen, gar noch zur Provokation der kirchlichen Autorität geplanten unseligen »Selbstmord«, wie mir manche Stimmen in den Medien, aber auch in persönlichen Zuschriften unterstellten. Einzelne Vertreter der »kirchlichen Lehre« aber, von der meine Auffassung abweicht, haben offensichtlich noch nicht begriffen, dass sich auch unser Verständnis sowohl vom Anfang wie vom Ende des Menschenlebens mitten in einem epochalen Paradigmenwechsel befindet, der weder mit der Vorstellungswelt und Begrifflichkeit der mittelalterlichen noch der orthodox-protestantischen Theologie durchschaut und gemeistert werden kann. Heutzutage muss doch die enorme Lebensverlängerung aufgrund der früher unvorstellbaren Fortschritte der modernen Medizin und Hygiene in Betracht gezogen werden; zu berücksichtigen sind aber auch die korrigierenden nachmodernen Einsichten in die Grenzen einer rein naturwissenschaftlich-technisch argumentierenden und operierenden Medizin. Der Sinn für die Notwendigkeit einer die Menschlichkeit schützenden ethischen Fundierung einer ganzheitlichen Medizin ist gewachsen. Auch in der katholischen Kirche besteht seit dem Amtsantritt von Papst Franziskus Hoffnung auf größere Offenheit und erbarmende Hilfestellung in solchen notorisch schwierigen Fragen. Für ihn ist das Christentum keine abgehobene doktrinäre Ideologie, sondern ein Weg, den man erlernt, indem man ihn geht.

Auf manche in dieser Einführung angesprochenen Fragen war auch die prominente Fernseh-Moderatorin Anne Will in einem Gespräch mit mir eingegangen, das vom Ersten Deutschen Fernsehprogramm ARD am 20. November 2013 ausgestrahlt und vom Sender Phoenix am 2. Januar 2014 wiederholt wurde. Das Gespräch bildet die Plattform meiner weiteren Überlegungen. Ich bin meiner gescheiten und einfühlsamen Gesprächspartnerin von Herzen dankbar dafür, dass sie mir gestattet, diesen lebendigen und ungekünstelten Dialog hier zu veröffentlichen. Wollte ich doch wie gesagt kein völlig neues Buch schreiben, wohl aber zur Klärung und Vertiefung meiner Auffassung beitragen, auch auf schriftlich und mündlich geäußerte Einwände eingehen und dafür auf frühere Texte zurückgreifen sowie neue Kommentare hinzufügen. Einer breiteren Öffentlichkeit – und angesichts der gegenwärtigen Diskussion in Parlamenten, Berufsverbänden, Gerichten und Kirchen besonders Politikern, Ärzten, Juristen und Seelsorgern – möchte ich Stoff zu kritisch-selbstkritischen Reflexionen bieten. Dies alles in der Hoffnung auf eine interessierte und zugleich verständnisvolle Diskussion.

4 Gespräch mit Anne Will   : Vom Glück des Widerspruchs 
Anne Will: Lieber Hans Küng, wir sitzen hier im November 2013, an einem wunderschönen Tag, knallblauer Himmel, draußen Sonnenschein. 2013 ist für Sie ein besonderes Jahr, Sie sind 85 geworden, im März, und Sie haben mit dem dritten Band Ihre Lebenserinnerungen abgeschlossen. Also eine Art Abschluss, ein Ende, vom »Abend des Lebens« schreiben Sie. Außerdem haben Sie öffentlich gemacht, dass Sie an Parkinson erkrankt sind. Und Sie haben auch gesagt, vor langer Zeit ja schon, Sie werden dann, wenn die Krankheit Sie verändern sollte, Sterbehilfe in Anspruch nehmen, aus dem Leben scheiden. Woher wissen Sie eigentlich, dass dann, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, kein ­irdisches Glück mehr auf Sie wartet?

Hans Küng: Ach, ich würde nicht sagen, dass kein irdisches Glück mehr auf mich wartet, sondern ich weiß dann nur, dass mein Leben sich vollendet hat, dass ich weiter keine Aufgaben mehr zu erfüllen habe, dass es einfach Zeit ist. Wie es bei Kohelet im Alten Testament heißt, es gibt eine Zeit zu leben und eine Zeit zu sterben. Und dann wird es eben so weit sein.

Anne Will: Ist es ein bestimmter Tag, den Sie jetzt schon kennen?

Hans Küng: Nein. Ich habe auch nie gesagt, ich würde mich sofort verabschieden, das wurde eine Zeit lang durch die Medien so verbreitet. Ich habe immer noch die Möglichkeit, dass meine verschiedenen Krankheiten …

Anne Will: Was ist es denn alles? 
Hans Küng: Na ja, mit dem Schreiben habe ich Schwierigkeiten, ich habe Schwierigkeiten mit den Augen, eine Makuladegeneration, ich habe Schwierigkeiten mit dem Rücken, mit dem Lendenwirbel und so weiter. Das ist alles nicht schlimm, wenn man so will, aber es sind einfach Zeichen, dass die letzte Periode begonnen hat und dass mein Leben auch nicht ewig dauert. Ich habe mich von vornherein immer mit dem Leben so abgefunden, wie es war. Ich wollte das auch nicht verschweigen, was ich ja leicht hätte machen können. Ich hätte ja leicht diesen dritten Band furios abschließen können mit irgendeinem großen Ereignis. Ich habe genügend solcher Ereignisse erlebt. Aber ich wollte bis zum Ende die Wahrheit in Wahrhaftigkeit sagen.

Anne Will: Ich habe Sie eben kurz unterbrochen an der Stelle, als Sie, glaube ich, dabei waren, uns zu entwickeln, woran Sie festmachen könnten, dass der Zeitpunkt gekommen wäre, wo Sie sagen, okay, jetzt ist mein Leben vollendet, und jetzt mag ich den nächsten Schritt gehen.

Hans Küng: Also der sichere Terminus, wo es für mich klar wäre, wäre das, wenn ich irgendwelche Zeichen von Demenz spüre. Hier um die Ecke wohnte Walter Jens. Ich habe über Jahre seine Demenzerkrankung miterlebt. Wir haben ja in den 1990er-Jahren zusammen Vorlesungen gehalten, die »Menschenwürdig sterben« hießen, unten in der Universität. Und Jens hat immer gesagt, es wäre für ihn ein Glück, wenn er wie Sigmund Freud damals einen Arzt fände, der ihm dann helfen würde zu sterben. Er hat das eigentlich vorgehabt, er hat aber den Moment verpasst. Ich will auf keinen Fall den Moment verpassen. Beginnende Demenz wäre jedenfalls eine klare Indikation, was sonst noch dazu kommen kann, das kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich bin bereit zu allem. Ich bin bereit, auch noch eine neue Aufgabe zu übernehmen, wenn eine sich stellt, die ich jetzt noch leisten kann. Aber ich will nicht in demselben Stil weitermachen. Ich habe alle Bücher geschrieben, die ich schreiben wollte, habe alle Reisen gemacht, die ich machen wollte, also ich bin in diesem Sinne ein glücklicher Mensch, relativ glücklich, und kann sagen, mein Werk hat sich in etwa gerundet und vollendet.

Zukunft III M. Ostern : Sterben -Weiterleben

 

Diskurs PA4-Zukunft III
Zukunft III  M. Ostern : Sterben -Weiterleben
-d-Diskurs-PA4-14-10Zum Sterben

-c-Diskurs-PA4-14-10Zum Sterben


 Online-Publikation: 2013-2014 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
 Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
 << Sterben und Weiterleben  : u.v.a. , Margit Ostern . Vortrags- und Gesprächszyklen >>
mailto:MargitOstern@web.de; mailto:info@kultur-punkt.ch;

Seminar: 3./10./17. - 11.'14
Übersicht
I   Tod: Ende oder Wende
II   Ausblick ins Jenseits
III Sinn vom Sterben und Tod

***
Seminar:  stichwortartig dokumentiert 11-6 m+w.p
http://www.kultur-punkt.ch/lebenswelt/sterben-einueben11-6.htm
 Übersicht
 Teil I Tod bedenken
 Teil II Sterben begleiten
 Teil III Sterben einüben: Tod – Trauer / -Arbeit


 INHALT*
 Teil I Tod bedenken

 -Befindlichkeit wahrnehmen: sterben - mitten im Leben vorbereiten
-Dem Tod näher kommen
 -Tod-Trauer-Trauerarbeit
 Sterben als die grösste Lebensleistung erkennen
 Die Angst davor schmerzt mich weniger als das end-gültige Abschiednehmen von ....die Kostbarkeit des Verlorenen, Gesammelten, der Erinnerungen ...
 Inventur beinahe täglich, Ausmisten - Archivkonzentrat optimieren
 Genügend Schlaf: bewusst wahrnehmen, Fasten, Feinfühlen und Achtsamkeit üben
 Die grosse Meditation (Dr.Dr. Becker, Konstanz), die Unumkehrbare, Letzte, in den aktuellen Alltag einüben
 Statt Vergeben (was das Modell TäterIn : Opfer vorsieht ? Schuld-Sühne?) einen überblickenden Abstand einüben, um sich dem Energie-Gleichgewicht zu nähern, Narben bilden..

 Teilnehmer-Aussagen (in Klammer eigene Anmerkungen):
 1
 Freude für..? Tod ? Unheimliche Freude, eine unendliche Bereicherung . in eine andere Welt hineingehen können (ein Plazebo? vegetativer Schutzmechanismus !)..
 2
 Sterbende lächen manchmal, sind schön, Glücksgefühl kein Traurigsein...
 3
 Nach dem Tod wie tamtam, auf See...
 4
 Vergeben? Nein, aber nicht hassen, kein Haben wollen (nicht wie die unerbittliche Täterin).
 Tod hat etwas Sinnliches, Glanz, Licht, Seele scheint aus geöffnetem Fenster fliegen zu können, so Besitz losslassen ...
 5
 Verlust des Lebens ist schrecklich, aber macht nicht traurig . ...
 ( Aber die erarbeitete Trauermenge ist zugleich Kapital für das weitere Leben; Verweigerung macht krank, verursacht Seelenweh , Seelenwahn (zu dem ein Fallbeispiel vorgetragen wurde - zur Hilfestellung? wir sind da nicht kompetent und ist thematisch nicht relevant! -).
6
 Spirituelles Dasein > 5. Dimension ?. ( 5. Dimension: kosmisch-terrestrische Energie "Engel") 4. Dimension: Raum Zeit 3. Dimension: Raum 2. Dimension: Fläche; 1. Dimension: Punkt - Linie ?)
 7
 Der Jugend ist der Tod fremd...
 8
 Sterben ist stets bei/mit uns, Daher gilt "abschiedlich" leben
 9
 Ein Medium spricht: Ihr Sohn war froh tot zu sein ( Reflektierte kosmisch-terrestrische Energiea )
 10
 Ich muss ihn loslassen, Erinnerung bleibt, ein Teil bleibt immer da , auf der Erde (?)
 11
 Loslassen, Vergeben ? > Lebenden weniger, Toten einfacher (Hier wird eine verurteilender Aspekt wahrnehmbar, Tod sühnt, ? Todesstrafe ?)
 12
 Ins Reine bringen mittels Hypnose ? (Nein, eher mit einer "Wahrheits-kommission" in Richtung Weisheit ...) *
 13
 Erdenleben als Film? (Leben von wem gedreht ? Das Leben zeugt eine Peronal-Akte, die es lebenszeitlich zu beackern/konzentrieren gilt..
 Wiederkunft? Nein (aber ein terrestrisch-kosmischer Energiestrom zwischen "drüben" und hier macht es wahrscheinlich, aber nicht als Individuelle Person. personare = durchtönen / sphärisch hindurch wirkender Energiestrom auf Alles in diesem Bereich...) ...
 Lernen, lernen, lernen und immer wachsen...

 Teil II Sterben begleiten

 *) Weisheit
 gilt als eine ideale menschliche Grundhaltung. Diese beruhe
 auf Lebenserfahrung, umfassendem Wissen und Verstehen um Ursprung,
 Sinn und Ziel des Lebens sowie um die letzten Dinge. Brockhaus
 Weisheit
 heißt auf griechisch sophia. Und Philosophie heißt wörtlich übersetzt:
 Liebe zur Weisheit. Also ist der Philosoph ein Freund der Weisheit.
 Weisheit
 gilt seit jeher als eine der wichtigsten menschlichen Tugenden. Der biblische
 König Salomon, Sokrates, Konfuzius oder auch Buddha gelten als weise. Es ist ein uralter Traum, dass die
 Weisheit
 uns Menschen dahin bringen möge, innerlich zu wachsen und zu reifen.
 Weisheit.
 Dalai Lama wirkt durch grenzenloses Mitgefühl, durch großen Weitblick, eine bedingungslose Friedfertigkeit, eine tiefe Bescheidenheit, eine kindliche Fröhlichkeit und Offenheit. So über gesellschaftliche, politische und kulturelle Grenzen hinweg. Im Buddhismus ist Weisheit eine wichtige geistige Kraft.
 Buddhisten sind der Auffassung, dass es nur mit Hilfe der
 Weisheit
 möglich ist, sich vom Leiden zu befreien, verbunden mit Liebe und Mitgefühl.

 **
 Sterben einüben II m+w.p11-7
 Begleiten

 Nachtrag zu I
 Vorsorgevollmacht - persönlich laut Patientenverfügung
- Vernögensangelegenheiten: ausser-/gerichtlich, geschäftsähnliche und alle Verfahrenshandlungen
- Alleinsterben, ohne Begleitung/smöglichkeit :
 Selbstdurchführende - / Alleinige Selbst-Sterbegleitung bis zum äussersten ….
Gefühle sind zeitlos: Meditation /Atem, Fantasie, Wärme, Erinnerungen an Beziehungen und aktuelle,
 Vertrauen ,,, Gelebte Emotionalität
 vergleichbar mit dem Wunsch eines Glas Champagner „Ruinart“, den Umgebende mit/trinken…
- Beachtung von Fetischen aller Art von Erinnerungsobjekten
 (Ahnender Animist - Annahme von Natur-Seele( Beseeltheit / Chi ) und
 Existenz von Energiewesen , Transzendentaler Patchworker ..)

 II Begleiten
 Vorgänge werden erkennbar
- Blutdruck sinkt, Glieder kälter / Schweiss, Atem schneller / langsam, Husten, Rasseln, oft tagelang….
- Auf den eigenen Atem achten, niemals einstimmen in den Atem der Sterbenden… Erdung halten
- Orale Schmerztherapie, Haut eincremen, wechselnde gute Hoch-Lagerung, dünnere Laken, Hämatome im unteren
 Körperbereich, üble Ausdünstungen, Auswürfe ergeben sich
- Koma: Hörsinn ist bis zuletzt intakt, „Schlafhören“; Augen: offen/halboffen, Pupillen starr; Mund: offen
- Im Stadium Wandlung/WegGehen: oft ein Staunen / Erlöstheit nach furchtbaren Schmerztagen
 - AlleinGehen: nutzen die gerade abwesende Begleitung, sterben zuallerletzt gerne ohne diese?!
- Utensilien der Begleitung: Kerze, Zündhölzer, Lieblingsmusik, Bilder, Erzählen von Episoden, Schweigen,
 Hand, Hautberührung .. Wichtig ist da bei sich zu bleiben – Erdung halten.
- Segen? Günstige Umstände? Glück zur Reise? Ein Glas *Ruinart* für alle Anwesende und mich?!
 vielleicht: „Alles Liebe“ ? Du wunderbarer, einmaliger, unwiederbringlicher Mensch… m+w.p
 - Reki /Chi geben
- periodisch Auftanken um geben zu können
 - Annahme von mehreren Seins/Weltebenen
- Feinfühlig bleiben ohne selbst mitzugehen
 - Sterbende sind die wahren Meister
 - Sich bereithalten, Stille aushalten, eigenen Atem gestalten
- Segen, Zuwendung sichtbar, nicht (chi) oder - berührend geben
 - zwischen Sagen und Tun besteht oft eine Diskrepanz
- Angst vor dem und beim Sterben = Angst vor Neuem, das Schlimmste zu erwarten (Endspiel …, Beckett )
 - Demenz als Fluchtort ?
- Sterben als eine zielfreie Reise und als Vorbereitung darauf… Sterben ist eine Reise ins Molekulare, m+w.p

 ***
 Sterben einüben III : Tod – Trauer / -Arbeit

 Tod =
 viele haben Lichterfahrung, Naht oder fahrung, Strahlen
 reine Liebesenergie, Heim at, Geborgenheit, Ruhe,
 wir treffen intelligente Wesen, telepathisch… Gott !/? verschmelzen, lösen in es auf ..
 Wiedergeburt !?
 Trauer =
 Trauertiefe und Erkennen von einem grossen Geist
 Äther- Leib – Astral (R. Steiner )oder Tod als Ende …Beginn der molekularen Reise (m+w.p)
 Wichtig:
 Respektvoller Umgang unmittelbar nach dem Tod
 1. Ruhe, es ist ein kraftvoller Moment
 2. Arzt rufen
 3. Pflegen, Lieblingspflege, Prothetik, Unterkiefer hochbinden
 4. Meditation
 5. Bestattung veranlassen, Leichenwäsche ..Lieblingskleid
 6. Den Übergang schützen, wachen / Totenwache
 7. Danach vorbesprochene Geschenke des Toten verteilen (Testament…)

Trauerarbeit =
 Selbst nicht hängen bleiben
 Bestattungsinstitut „Horzionte“ http://www.horizonte-bestattungen.de/
 Mögliche Zustände:
 Hilflosigkeit , Bodenverlust, Depression, Abgrundtiefes Alleinsein, Verletzungen werden wach sowohl aktive als passive, diese vergeben und weg-geben lernen für die eigene Gesundheit, Schmerz zulassen
 Zum Abschied mit der/m Verstorbenen reden, ihr/ihm schreiben, kleine Zeichen (Fetische) setzen, gestalten, Vorälle beachten (z. B. Schmetterling erinnert an …) Licht, Gutes und Liebe neu aufnehmen.
 Die telefonische Sterbegleitung mit Ruth und Vera gibt in der Erinnerungsarbeit „im „Hör-Gang“ des Lebens“ ein gutes Gleichgewicht im weiteren Lebensweg …

Schliesslich:
 Die Verstorbenen hinterlassen Spuren fürs weitere Leben, wichtig ist die eigenbestimmte Lebensaufgabe mehr und mehr wieder erkennen, authentisch, selbstbestimmt und achtsam – jeden Tag – liebevoll mit sich selbst umgehen
 Ohne Selbstliebe geht gar nichts (Fromm „Ichliebe und Weltliebe gleichermassen pflegen“, Frankl „Sinn des Lebens fördern“) ….

 ***
Nachtrag
 swr2wissen11-7nachtigall-planetensuche.txt
 Zur Beleuchtung der „ Arroganz“ einer Wiederkehr als individuelles Wesen

„Vor rund 14 Mio Jahren ist das Eisen in unserem Körper aus einer Supernova entstanden ….“:
Stimmt daher bloss molekular, wenn wir als „verblichendes“ Wesen unsere molekulare Rückreise nach unserem Tod optimiert beginnen….
 ***
Weitere vertiefende Hinweise

http://archiv.kultur-punkt.ch/lebenswelt/droemer-knaur-barth13-3.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/pa4-07-11sterben-lernen.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-08-1gronemeyer-sterben.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/naturmedizin/haupt04-11-4.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-ridder-sterbekultur10-10.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/gesundheit-aktuell/ge-sterbehilfe-patientenverfuegungen07-5.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/lebenswelt/beck12-12borasio-sterben.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-eckart-palliativmedizin05-9.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/gesundheit/dtv09-11thorbrietz-leben.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-gronemeyer-sterben4-04.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/lebenswelt/droemer-knaur-barth13-3.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/buchtipps/patmos08-4cardinal-sterbenlernen.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/herder09-1vbrueck-sterben.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/vdf-zhaw13-6digital-erben.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/pa4-13-8gutleben-oluf.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/pa4-13-8gutleben-meinz.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/buchtipps/droemer-knaur-barth13-2olvedi-energien.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/pa4-13-8gutleben-degen.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/pa4-13-8gutleben-brandner.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/pa4-13-8gutleben-dietlinde.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/sterbenlernen-schmid-degen-prankls13-5.htm
***

Wilhelm Schmid: Wie umgehen mit der Endlichkeit? Philosophieren heißt Sterben lernen

Diskurs PA4-Zukunft III
Zukunft III  Schmid : Sterben lernen
sterbenlernen-schmid13-5

http://www.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/sterbenlernen-schmid13-5.htm

 

SWR2 Wissen: Aula Professor Wilhelm Schmid: Wie umgehen mit der Endlichkeit? Philosophieren heißt Sterben lernen

Autor und Sprecher: Professor Wilhelm Schmid * Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch Sendung: Sonntag, 19. Mai 2013, 8.30 Uhr, SWR 2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Zum Autor: Wilhelm Schmid, geb. 1953, lebt als freier Philosoph in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt. Homepage: www.lebenskunstphilosophie.de Jüngste Buchpublikationen: Dem Leben Sinn geben. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen und der Welt. Suhrkamp Verlag. 2013. Unglücklich sein – Eine Ermutigung. Insel Verlag. 2012.

ÜBERBLICK

Der Mensch ist sich seiner Sterblichkeit bewusstIn der Gesellschaft gibt es eine neue Sichtbarkeit des Todes, kaum ein Tatort im Fernsehen kommt ohne Leichensezierung aus, viele medizinische Debatten drehen sich um den Hirntod oder um aktive Sterbehilfe, der philosophische Diskurs thematisiert die Endlichkeit des Daseins. Gleichzeitig ist immer noch unklar, wie jeder Einzelne mit Sterben und Tod umgehen soll? Wilhelm Schmid, Lebensphilosoph aus Berlin, gibt Antworten.

INHALT

Ansage: Mit dem Thema: „Wie umgehen mit der Endlichkeit? Philosophieren heißt Sterbenlernen.“ Vor einigen Wochen kam in der Aula der Kulturwissenschaftler Thomas Macho zu Wort, der von einer neuen Sichtbarkeit des Todes gesprochen hatte: Der Tod werde nicht mehr verdrängt oder tabuisiert, im Gegenteil, er sei permanent präsent, in den Medien, in öffentlichen Diskussionen etwa über Hirntod oder Sterbehilfe, im philosophischen Diskurs über die Endlichkeit oder Unendlichkeit menschlichen Seins. Gleichzeitig herrscht Unsicherheit: Wie soll der Einzelne, wie die Gesellschaft mit Tod und Sterben umgehen, was könnte es eigentlich bedeuten, tot zu sein, markiert der Tod die absolute Grenze? Wilhelm Schmid, Philosoph aus Berlin, gibt Antworten. Wilhelm Schmid: „Was ist eigentlich mein Leben?“ Das ist die Frage, die Menschen sich manchmal stellen. Meist gibt es einen Anlass dafür: Eine Beziehung ist nicht mehr so erfüllend, wie sie mal war. Etwas zerbricht. Eine Arbeitsstelle ist weg. Eine Krankheit bricht herein. Oder es ist einfach nur das Älterwerden. „Where are we now?“ – Wo stehen wir jetzt? fragt David Bowie in seinem jüngsten Popsong mit solcher Melancholie, dass viele Radiosender das Lied gar nicht spielen wollen. So viel Negatives wollen sie ihrem Publikum nicht zumuten. Bowie erinnert sich wehmütig an frühere Zeiten in Berlin, wo er von 1976-78 wohnte. Und nun, realisiert der 66jährige Popstar, geht die Reise des Lebens unweigerlich in Richtung Tod, „just walking the dead“. Aber das gilt für alle Menschen: Am Ende des Älterwerdens steht der Tod. Und die Frage stellt sich: Was ist darüber hinaus? Das beschäftigt ebenfalls alle Menschen, die ja nicht immer nur positiv denken und sich mit leichter Musik betäuben können. Keine Scheu vor dem Nachdenken: Es tut dem Leben gut, sich über Dinge klarer zu werden, die sonst nur ein unheimlicher Unruheherd bleiben. Wenn das Bedürfnis danach wach wird, sollten Menschen dem auch nachgeben. Dass es ein Mysterium des menschlichen Lebens gibt, wird spätestens mit dem Tod plötzlich erfahrbar. Im Laufe des Lebens ist es erst einmal der Tod Anderer, der Menschen zutiefst irritiert. Bricht der Tod plötzlich herein, bleibt nur noch der Abschied vom Toten. Wo aber der Tod sich Zeit lässt, geht ihm ein Sterben voraus, das eine sehr große Herausforderung sein kann. Es kann eine erfüllte, aber auch eine quälend lange Zeit sein, eine Zwischenzeit mit einem unentschiedenen Hin und Her zwischen der bestimmten Wirklichkeit, zu der dieses Leben in seiner Gesamtheit jetzt wird, und der unbestimmten Möglichkeit des Todes, von dem unklar ist, wann und wie er eintreffen wird. Das Leben hängt in der Luft, nicht nur das Leben des Sterbenden, sondern auch derer, die bei ihm sind, mit ihm in irgendeiner Weise zu tun haben und in dieser Zeit den Boden unter den Füßen verlieren können. Und wenn der geliebte Mensch nicht mehr da ist, ergibt sich daraus eine abgrundtiefe Traurigkeit. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass sich in diesem Moment die Menschheitsgeschichte wiederholt, denn das gesamte Werden des Menschen ging wohl mit dem Erschrecken über den Tod einher und mit der Unruhe darüber, wohin ein Mensch dann geht. Plötzlich wird klar, dass das Wesentliche des Lebens, das einen Menschen von klein auf durchdringt, mit dem Tod entschwunden ist. Aber wohin? Was ist mit dem Menschen, der „gegangen ist“? Welche Beziehung zu ihm ist noch möglich? Was kommt nach dem Tod? Was bleibt? Die Seele? Was ist die Seele? Ein göttlicher Hauch? Wie ist das vorstellbar? Kann ein Toter wirklich tot sein? Was geschieht mit ihm? Körperlich, nüchtern, materiell gesehen, gehen die Atome und Moleküle früher oder später in andere Atom- und Molekülverbände über, kein einziges Atom oder Molekül geht verloren. Der Körper hört in der gegebenen Form zu existieren auf, seine Bestandteile erleben jedoch eine Verwandlung in andere Formen. Die Annahme liegt nahe, dass sich dies mit Seele und Geist ganz ähnlich verhält. Denn was liegt ihnen zugrunde? Es können doch wohl nur Energien sein, denn das ist es, was den toten Körper vom lebenden unterscheidet: Die Energien sind nicht mehr in ihm, Wärmeenergie, elektrische Energie, Bewegungsenergie. Wenn aber das Wesentliche eines Wesens die Energien sind, die es beleben, dann gilt: Energie stirbt nicht. Das besagt der Energieerhaltungssatz, den Hermann von Helmholtz 1847 für die Physik formulierte und der auch für die Energieformen gelten könnte, die dem Körper, der Seele und dem Geist eines Menschen zugrundeliegen, für die bekannten – und die unbekannten. Die Energie des Lebens, die mit dem Tod entschwindet, ist dann weiterhin „da“, ohne genau lokalisierbar zu sein. Sie bleibt im Raum, unsichtbar und doch spürbar, kein Quantum geht verloren. Vorstellbar ist jedoch, dass nun andere Formen des Lebens damit aufleben, andere Menschen, Wesen und Dinge durchpulst werden und der Tote auf diese Weise weiterlebt. Die Lebenden, die den Tod nicht fliehen, können die Energie wahrnehmen, aufnehmen und mit ihr ins Leben zurückkehren. Der neue Mut, der sie überkommt, verdankt sich womöglich der Energie, die der Tote nicht mehr für sich beansprucht, sondern dem überlässt, der in Beziehung zu ihm bleibt. Die Zuwendung, die einem Menschen vor dem Tod gewährt worden ist, schenkt dieser nach seinem Tod den Lebenden. Es ist, als trage er mit seiner Präsenz, die sich vom Körper gelöst hat, ihre Ichs, geleite sie auf allen Wegen und halte schützend die Hand über sie. So lebt das Wesentliche eines Menschen vielleicht weiter in den Lebenden und trägt zu ihrem inneren Reichtum bei. Der Umgang mit dem Tod ist der Schlüssel zum Leben. Dass es keinen wirklichen Tod gibt, dass da noch ein anderes Leben ist, auch wenn sich ein Mensch in dieser Gestalt auflöst, ist freilich nicht nachweisbar, nur annehmbar. Entscheidend dafür ist nicht die Wahrheit, die wohl nie zweifelsfrei ausfindig zu machen ist, sondern die Lebenswahrheit, mit der sich leben lässt. Sie hängt ab von der Deutung, die jeder selbst vornimmt und für die er, wenn er Beliebigkeit vermeiden will, nach der Plausibilität der Zusammenhänge fragt und im Übrigen danach, was ihm schön und bejahenswert erscheint. Auch die Wahrheit, auf die manche Individuen und ganze Kulturen sich kaprizieren, kann nur eine Deutung sein. Veränderungen der Deutung aber sorgen im Laufe der Zeit dafür, dass der Tod eine Geschichte hat, die von Menschen geschrieben wird. Den vormodernen Tod sandte ein Gott, sobald es ihm gefiel, einen Menschen, dem er das Leben geschenkt hatte, wieder zu sich „heimzurufen“. Dieser Tod konnte in den langen Zeiten der Geschichte, in denen es charakteristisch für das menschliche Leben war, nichts als harte, nackte Wirklichkeit vorzufinden und über wenige oder gar keine Möglichkeiten zu verfügen, als Erlösung empfunden werden. Ein besseres Leben folgte ihm in jedem Fall, sofern nicht Fegefeuer oder Hölle drohten: Eine große Unruhe empfanden vormoderne Menschen das ganze Leben hindurch bei der Frage, in welcher Weise Gott sie für all ihr Tun und Lassen am Ende noch zur Rechenschaft ziehen würde. Der moderne Tod hingegen durchkreuzt eine hoffnungsvolle Wirklichkeit des Lebens mit einer Rücksichtslosigkeit, die viele Möglichkeiten zerstört und Projekte abbricht. Selten erscheint er als Erlösung, häufiger als Zumutung: Immer bleibt etwas ungelebt. Wo Menschen selbst Einfluss auf ihr Leben nehmen können und sich nicht mehr als Marionetten eines blinden Schicksals oder einer weisen Vorsehung verstehen müssen, kommt dem Tod die Rolle zu, Wünsche und Träume zunichte zu machen, sodass die Frage aufbricht: Warum? Schon zu Lebzeiten bedrängt der Tod die Lebenden mit den Fragen: Lebst du wirklich? Was hast du noch vor? Der moderne Glaube, dass das Leben mit dem Tod zu Ende sei, verstärkt bei vielen Menschen die Angst vor dem Tod, der für immer gestorben wird, sodass sie schon im Leben zu Tode betrübt sein können. Was einst der ritualisierte Übergang zu einer anderen Ebene der Existenz war, mit detailreichen Vorstellungen von einer jenseitigen Welt, kann für moderne Menschen nur noch ein Fallen ins Undenkbare und Unvorstellbare, ins Nichts sein. Dieser Tod hat kein Recht auf Leben, mit aller Macht muss er, solange er sich nicht abschaffen lässt, vor den eigenen Augen und den Augen Anderer verborgen werden. Wenn es gelingen sollte, die Moderne zu verändern, steht es in einer andersmodernen Kultur dem Einzelnen frei, auch ohne Berufung auf einen Gott und auch ohne letzte Wahrheit nicht mehr das Ende des Lebens im Tod zu sehen. Dieser Deutung zufolge gehen Menschen, wie alle Wesen, aus einem allumfassenden Meer von Energie hervor, leben aus ihm heraus und kehren zu ihm zurück. Die Konturen von Menschen, des Menschen überhaupt, zeichnen sich für eine kleine Weile am Meeresufer der wirklichen Welt ab und werden wie das „Gesicht im Sand“, von dem der Philosoph Michel Foucault einmal sprach, von einem Wellenschlag wieder ausgelöscht. Was für einen Moment die Lebensenergie und Seele eines menschlichen Selbst war, geht wieder in die kosmische Energie und Weltseele über, die alles erfüllt und allem zugrunde liegt. Schon zu Lebzeiten spürt ein Mensch in seinem tiefsten Innersten diese namenlose, grenzenlose eigentliche Seele, die Energie, die auch dann bleibt, wenn keine Person mehr da ist, während die persönliche Seele mit ihren charakteristischen Ausprägungen von Energien in Gefühlen, Wahrnehmungen, Erinnerungen, Sehnsüchten in dieser Form nur diesem Menschen eigen und an sein körperliches Dasein gebunden ist. Aus der Binnensicht des Todes fühlt sich die äußerste Erfahrung daher womöglich auch ganz anders an als von außen. Sie könnte der Erfahrung ähneln, nach der die Liebenden sich sehnen und die sie in manchen Augenblicken auch erlangen: Wie die Liebe könnte der Tod eine Rückkehr zum energetischen Zustand sein, um auf dieser Ebene miteinander und mit allem zu verschmelzen, nur noch Energie zu sein, reine Möglichkeit, denn Energie ist Möglichkeit – je mehr Energie, desto mehr Möglichkeiten. Was in einzelnen Momenten beim Einswerden mit einem Anderen erfahrbar ist, wird zur unio mystica mit dieser anderen Dimension: Der „kleine Tod“ der Liebesekstase könnte eine Vorahnung des großen Aktes sein, der der Tod selbst ist, der gewaltigste Moment des Lebens mit einem Hinausströmen des Selbst aus sich, einer rauschhaften Auflösung, einer Zerlegung des Lebens in dieser Gestalt. Diese ultimative Ekstase hat nicht mehr nur ein „Hinausstehen“ (ekstasis im Griechischen), sondern ein völliges Hinausgehen aus sich und diesem Leben zur Folge. „Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen“, sagt Rilke in der ersten seiner Duineser Elegien. Dass die Abwesenheit des geliebten Anderen nach seinem Tod so unwirklich erscheint, wäre dann erklärbar: Er lebt nicht mehr in dieser Wirklichkeit, sehr wohl jedoch in einer anderen. Etwa „im Himmel“, wie den Kindern gesagt wird? Ja, wenn unter Himmel die Unendlichkeit der Möglichkeiten verstanden wird, ein unfassbarer Raum. Daher kann der, der zurückbleibt, sich hin- und hergerissen fühlen zwischen dem unendlichen Schmerz über den Verlust, der nicht mehr rückgängig zu machen ist, und der unendlichen Euphorie über das Sein, in dem das gemeinsame Leben geborgen ist: Novalis machte am Grab seiner jungen Geliebten Sophie von Kühn diese Erfahrung. Das Erschaudern vor der Wucht des metaphysischen Abschieds ist verständlich, aber zugleich ist die subjektive Gewissheit möglich, dass es ein Zusammensein über den Tod hinaus gibt, sodass es nicht mehr unsinnig erscheint, sich leichten Herzens für eine Weile Adieu zu sagen bis zur immerwährenden Vereinigung im Kontinuum der Energie. Inmitten der wirklichen Endlichkeit tut sich ein Fenster zur möglichen Unendlichkeit auf, in der selbst dann, wenn der geliebte Andere „nicht mehr da ist“, eine Gemeinschaft mit ihm möglich erscheint, in welcher Form auch immer. „Bis dass der Tod euch scheidet“: Das war schon immer eine wunderliche Formulierung, zumal in christlichem Kontext, in dessen Rahmen doch angenommen wird, dass der Tod nichts scheidet, dass es vielmehr ein Leben über den Tod hinaus gibt. Die Wahrheit selbst ist unzugänglich, aber die Lebenswahrheit, die der Einzelne für sich gewinnt, ermöglicht die Annahme, dass die Lebenden und die Toten ein und dieselbe Welt bewohnen, wenngleich auf unterschiedlichen ontologischen Ebenen: Ebene der Materie und ihrer jeweils begrenzten, endlichen Wirklichkeit, Ebene der Energie und ihrer unbegrenzten, unendlichen Möglichkeiten. Die reale Gestalt stirbt, nicht jedoch die Seele und der Geist, die im Grunde reine Energie, reine Potenz sind. Niemand kann definitiv wissen, in welchem Status ein Toter lebt, Annahmen sind jedoch möglich: Tot ist ein Mensch nur in Bezug auf dieses Leben, das er gelebt hat. Vergangen ist lediglich die einmalige Zusammensetzung der materiellen und immateriellen Bestandteile dieses Menschen, die Integrität, die ihn als Person charakterisierte. Dann gilt: Es gibt keinen wirklichen Tod außer dem Tod der Person. Die Person in dieser Komposition, die ihre begrenzte Zeit hat, löst sich auf, aber alle Bestandteile leben in anderen Zusammenhängen weiter, körperlich, seelisch, geistig. Nichts von dem, was durch diesen Menschen geprägt wurde, verschwindet jemals wieder, es sei denn auf lange Sicht der Name, der für diese Prägung steht, und das Wissen Anderer, dass überhaupt eine Prägung stattgefunden hat. Jeder Mensch, der aus der energetischen Möglichkeit kommt und in sie zurückkehrt, hinterlässt eine Spur in der materiellen Wirklichkeit. „Warum habe ich überhaupt gelebt?“ schreit eine 17Jährige verzweifelt in ihrer Todesstunde. Aber sie hat geatmet, also hat sie die Welt verändert, und was rein chemisch kaum zu bestreiten ist, verhält sich wohl auch seelisch und geistig so. Die Ich-Konstellation wird verwischt und ausgelöscht, aber einige Moleküle, Gefühle und Gedanken haben sich anders bewegt, als sie sich ansonsten bewegt hätten. Mag es sich auch nur um eine Winzigkeit handeln, aber etwas bleibt übrig, das unauslöschlich ist. Über den Tod hinaus kann im Gespräch mit den Toten die Beziehung zu ihnen weiterleben, vielleicht in ähnlicher Weise wie in dem Sketch für zwei Personen von Lauri Wylie aus den 1920er Jahren, Dinner For One, nach großen Erfolgen in England in vielen anderen Ländern seit den 1960er Jahren als TV-Produktion bekannt geworden durch den Schauspieler Freddie Frinton als Butler James. Die 90jährige Miss Sophie (May Warden) feiert darin, wie alle Jahre, anlässlich ihres Geburtstags die Anwesenheit ihrer lange schon verstorbenen Freunde Sir Toby, Admiral von Schneider, Mister Pommeroy und Mister Winterbottom, und sie treibt ihren Butler dazu an, dieses Setting ernst zu nehmen: „Just to please me!“ Kann es wirklich solche Gespräche geben? Zumindest kann es die lebhafte Vorstellung geben, wie sie verlaufen würden, könnte es sie geben. Sollten sie tatsächlich stattfinden, fehlt es an Methoden, dies zu bewahrheiten; umgekehrt lässt sich die Möglichkeit solcher Gespräche nicht gänzlich ausschließen. In jedem Fall kann der Tote als imaginärer Gesprächspartner eine immense Bereicherung für das Leben sein: Mit dem Blick von außen, der ihm eigen ist, trägt er zur Orientierung der Lebenden bei, jedenfalls dann, wenn sie bereit sind, diesen Blick von ihm zu übernehmen. Unter anderen Bedingungen kann er jedoch zur Belastung für sie werden, vor allem in der modernen Kultur, die davon ausgeht, dass der Tote tot ist und kein Gespräch mehr mit ihm möglich ist, auch sonst kein irgendwie gearteter Austausch, sodass alles, was noch zu sagen wäre, zu Lebzeiten hätte gesagt werden müssen, um nicht für immer im kosmischen Nichts zu verhallen. Was ungesagt und ungelebt bleibt, kann zur Last werden, die nicht aufhört, einen Menschen zu bedrücken. Ungeklärte Fragen bleiben über den Tod hinaus offen und hinterlassen eine traumatische Erfahrung, die nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann. Unweigerlich sind Phasen des Umgangs mit dem Tod zu durchlaufen, wenn ein Mensch gestorben ist, zu dem eine enge Beziehung bestand. Nach der ersten Weigerung, den Tod wahrhaben zu wollen, tut sich das Chaos der Gefühle auf, das Wanken zwischen Wut, Enttäuschung, Empörung, Bitterkeit, Leiden an der Sinnlosigkeit, Mitleid, Selbstmitleid, tiefer Trauer, bevor der Tod akzeptiert werden kann und eine große Ruhe sich einstellt. Die Trauer kann ein Ausdruck von Liebe sein, manchmal von nachgetragener Liebe, die zu Lebzeiten keinen rechten Ausdruck zu finden vermochte. In moderner Zeit wurde die Trauer dynamisiert zur „Trauerarbeit“, um zu signalisieren, dass der Zustand aktiv angegangen wird, statt ihn passiv geschehen zu lassen. Manche wollen rasch mit dem Tod „fertig werden“, um die Unruhe, die von ihm ausgeht, nicht länger aushalten zu müssen. Aber die Trauer braucht Zeit, sie kann lange währen, abzukürzen nur um den Preis ihrer unvermuteten Wiederkehr. In Erinnerungen und an gemeinsam frequentierten Orten kann die Nähe zum Toten gesucht und wieder gefunden werden, um so viel wie möglich von ihm in sich zu bewahren, ihm einen festen Platz im eigenen Selbst zu geben und weiter mit ihm zu leben. Es ist die ausgehaltene Nähe zum Tod, zu diesem radikalen Anderssein, die dazu führt, das Leben mehr als je zuvor bejahen zu können. Auf die Zeiten der Ungewissheit und Verzweiflung folgen Zeiten der Gelassenheit und Heiterkeit. Sie ergeben sich aus dem Eindruck, dass das Leben weit umfassender ist als das individuelle Leben hier und jetzt, ja, dass es sogar seinen Gegensatz noch mit umgreift, den Tod, der selbst ein Leben ist, wenngleich er nicht die Form eines Daseins annimmt. Inmitten der Trauer wird dies zur Gewissheit: Dass da ein Sein ist, das von alledem unberührt bleibt, ein ewiges Sein durch alle kommenden und gehenden Ichs hindurch, an dem jedoch jedes Ich teilhat. Die Endlichkeit erscheint dann als Ende des Lebens in seiner jeweiligen Gestalt und in dieser Person, die Unendlichkeit als nicht endendes Sein über alle Gestalten und Personen hinaus. In jedem Augenblick und mit jedem Tun und Lassen wird Unendlichkeit zur Endlichkeit, Möglichkeit zur Wirklichkeit. In jedem Augenblick geht Wirklichkeit zugleich vorbei und wird wieder zur Möglichkeit. Über alle Traurigkeit hinaus ist Heiterkeit das Gefühl und der Gedanke, mit der Endlichkeit versöhnt zu sein und sich in einer Unendlichkeit geborgen zu wissen, unabhängig davon, welcher Name ihr gegeben wird. Vielleicht kann der Aufenthalt in der surrealen Dimension des Seins als ontologischer Schlaf verstanden werden, der dem allnächtlichen Schlaf ähnelt, dem Übergang aus der alltäglichen Wirklichkeit in die Traumwelt der Nacht. Auch für den Seinsschlaf könnte Erholung ein Grund sein, die aber anders als beim gewöhnlichen Schlaf nicht nur Körper, Seele und Geist in momentaner Verfassung, sondern dem gesamten Wesen zuteil wird. Mit der Auflösung seiner festen Gestalt erholt und verjüngt es sich und kehrt vermutlich nicht als dasselbe aus dem Möglichsein ins Wirklichsein zurück. Handelt es sich um eine Wiedergeburt? Vielleicht, aber wohl in veränderter Gestalt. Zumindest ist es denkbar, dass aus dem Energiefeld heraus eine Gestalt reinkarniert, also wieder zu Fleisch, zu einem Körper wird. Ähnlich wie beim Erwachen aus einem Traum könnten dabei bruchstückhafte Erinnerungen an ein früheres Leben wach werden, wie manche Menschen dies an sich beobachten, sodass sie glauben, in anderer Zeit „schon einmal da gewesen zu sein“. Erklärbar wäre mir selbst auch die gelegentliche merkwürdige Empfindung, mich zwar in dieser Wirklichkeit aufzuhalten, die mich umgibt, mich aber fremd in ihr zu fühlen, da ich meine Heimat anderswo sehe, nicht in der Bestimmtheit dieser wirklichen Welt, sondern in der Unbestimmtheit einer anderen. Das wäre dann kein Spuk, der wieder vergeht. Ein Spuk wäre eher das Hier und Jetzt, dem gewöhnlich so viel Bedeutung zugemessen wird und das doch morgen schon von gestern ist. Dass viele Menschen sich ein anderes Leben über das gegebene hinaus nicht vorstellen können, ist kein Beweis dafür, dass es dieses Leben nicht gibt. Aber auch die, die es sich vorstellen können, können es nicht beweisen, nur annehmen. Wird ein anderes Leben jenseits des Todes angenommen, kann der Tod als ein Hinübergehen von einem Leben zum anderen verstanden werden. Es lässt sich sogar von einem „Heimgehen“ sprechen, wie es angesichts des Todes auf der Zunge liegt, und dies nicht nur aus religiösen Gründen: Wenn Menschen heimgehen, so kann das heißen, dass sie zurück zur ewigen Welt der Möglichkeiten gehen, aus der sie gekommen sind, da Möglichkeiten aller zeitlichen Wirklichkeit zugrundeliegen, denn woher sonst sollte eine Wirklichkeit kommen? Der Einzelne geht zugrunde, aber damit kehrt das Wesentliche an ihm, das ihn leben ließ, zum Grund des großen Potenzials zurück. Vom energiegeladenen Pol, aus dem jedes Leben anfänglich hervorgeht, wandert es zum entgegengesetzten Pol des Energieverlusts, bevor mit dem Tod der Zustand reiner Energie wieder hergestellt wird, der ein neues Werden ermöglicht. So kreist das Leben zwischen Materialisierung, Entmaterialisierung und neuerlicher Materialisierung; es vollendet sich immer wieder dort, wo alle Möglichkeiten schlummern, bevor die Wirklichkeit eines anderen Lebens daraus hervorgehen kann. In der gesamten Natur ist dieser Kreislauf von Werden und Vergehen zu sehen, also kann es sich damit beim Menschen, der doch Teil der Natur ist, wohl kaum anders verhalten. Kann das angesichts des Todes ein Trost sein? Den übergroßen metaphysischen Schmerz, der entsteht, wenn Menschen mit dem Tod konfrontiert sind und sich ihrer eigenen Sterblichkeit bewusst werden, kann am besten ein metaphysischer Trost auffangen, der nicht „jenseits der Natur“ (griechisch meta-physis) sein muss: Trösten kann das Aufgehobensein in der Geschichte der Menschheit und der Welt, die nicht mit dem Einzelnen zu Ende geht; kein Mensch fällt mit seinem Tod aus ihr heraus. Trösten kann die Einbettung der irdischen in die kosmische Natur. Der Tod ist nur ein Detail des Lebens in der übermächtigen Natur des Universums. Der kosmische Horizont führt die begrenzte Bedeutung des Irdischen vor Augen und macht eine andere Dimension sichtbar, in deren unendlicher Weite sich alles verliert, was im Leben jetzt schmerzt. Seit uralten Zeiten haben Menschen im Kosmischen, im unendlichen Universum die Freiheit gesucht, die den Blick über die momentane Situation, die gegenwärtige Wirklichkeit, das gesamte Leben hinaus weitet, um einem abgrundtiefen Schmerz zu entfliehen und in einer aussichtslosen Situation neue Perspektiven zu erschließen. Um nichts Anderes geht es auch in den Trostschriften der Philosophie. Alles Menschliche sei kurz und hinfällig und mache nur einen verschwindend geringen Teil der unendlichen Zeit aus, führt beispielsweise Seneca in seiner Trostschrift an Marcia in einer großartigen Kosmologie vor Augen. Und im 6. Jahrhundert n. Chr. tröstet der neuplatonische Philosoph Boethius sich selbst, als er, wegen des Verdachts der Teilnahme an einer Verschwörung zum Tode verurteilt, auf seine Hinrichtung wartet. In seiner Schrift Vom Trost der Philosophie zeigt er sich von den unantastbaren Eigenschaften der unsterblichen Seele überzeugt, die mit dem Tod in ihre göttliche Heimat und somit zur vollkommenen Glückseligkeit zurückkehrt. Trösten können alle transzendenten Fähigkeiten, die der Seele und dem Geist eines Menschen zur Verfügung stehen, denn sie ermöglichen ein Denken, Fühlen und Handeln über die Gegenwart hinaus, und ihre vorsätzliche Kultivierung macht eine energetische Intensität erfahrbar, die aus subjektiver Sicht dem Leben Sinn geben kann. Einige dieser Fähigkeiten fanden als Kardinaltugenden (cardo im Lateinischen für Türangel), also als Dreh- und Angelpunkte des menschlichen Lebens, Eingang in die abendländische Kultur, etwa mit der Trias von Glaube, Liebe, Hoffnung, die seit dem 4. Jahrhundert n. Chr. von christlichen Autoren tradiert wurde, aber nicht allein von ihrer Wertschätzung abhängt: Jeder Mensch kann sich für den Glauben entscheiden, dass ein Leben und Zusammenleben über das menschliche Leben hinaus möglich ist und dass etwas oder jemand in diesem Darüber hinaus dem Ganzen einen Sinn gibt. Auf einer Entscheidung beruht auch die Liebe über das eigene Selbst hinaus zu anderen Menschen, zum Leben, zur Welt überhaupt und zu etwas Größerem jenseits aller Endlichkeit und Wirklichkeit: Jede dieser Lieben hält so viel Intensität bereit, dass sich die Frage nach dem Sinn nicht mehr stellt. Und mit seiner Hoffnung vertraut ein Mensch darauf, dass es sinnvolle Zusammenhänge gibt und dass etwas, das aus dem Lot geraten ist, wieder gut wird, wenngleich nicht schon jetzt. Nicht immer ist klar, warum etwas geschieht, denn das Geflecht kausaler Zusammenhänge ist kaum je vollständig zu entwirren. Fast immer aber lässt sich klären, wozu etwas gut sein kann, denn unabhängig von wirklichen können Menschen sich alle möglichen Zusammenhänge ausdenken, um daraus Kraft zu schöpfen. Trösten kann die Deutung, dass letztlich alles in einem großen Ganzen geborgen ist, dass jetzt eine Herausforderung zu bestehen ist, dass aber das schicksalhafte Geschehen „für irgendetwas gut sein wird“ und wenn schon nicht dem Betroffenen, so doch Anderen zugutekommt. Trösten kann, dass von Grund auf nicht nur positiven, sondern auch negativen Erfahrungen Sinn zukommt, denn nur zwischen diesen Gegensätzen kann es Leben geben. Wer glaubt, das Leben könne immer nur positiv, toll und glücklich sein, wird umso bitterer leiden, wenn es anders ausfällt. Und eine Möglichkeit ist, sich schlicht dem Leben zu fügen und sich zu sagen: „Das ist mein Schicksal, ich habe es mir nicht ausgesucht, aber ich will damit leben, statt vergeblich dagegen anzuleben.“ Aber das sind nur Anregungen und Überlegungen. Der einzelne Mensch selbst entscheidet, was er tun und lassen, glauben und nicht glauben will. Sicher ist lediglich, dass es auch in der modernen Zeit, die so viel zu wissen glaubt, kein Wissen über die letzten Dinge gibt. Und dass dennoch viele vom Nachdenken darüber umgetrieben werden. „Where are we now?“ Wo stehen wir jetzt? Der Horizont eines möglichen Lebens nach dem Tod, den die Moderne mutwillig verschlossen hat, steht wieder offen. *****

 

G.Eckel: Weggehen

Diskurs Aktuell
G.Eckel: Weggehen
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Online-Publikation: November 2012  im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
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Buch    :  Hardcover mit Schutzumschlag, 208 S.; ISBN: 978-3-629-13055-6; € 16,99
e-Book : via (ePUBiPhone, iPadKindle.EPubiPhone, iPadKindle). €14,99
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Droemer Knaur / O.W.Barth,  Berlin; http://www.droemer-knaur.de; http://www.pattloch.de

Inhalt
Gert Eckel hat vor zwei Jahren seine Partnerin verloren. Sie war gerade einmal 46 Jahre alt, als die Ärzte ihr erklärten, dass ihre Krebserkrankung unheilbar sei und ihr Leben bald zu Ende gehen werde. Nur wenig später gab sie ein Fest und erklärte den Gästen: „Noch lebe ich!“ Doch die Tage wurden schwerer, und die Sehnsucht nach Erlösung wuchs. Nach vier Monaten bestimmte sie den Tag, an dem sie „weggehen“ würde. Dieser Zeitraum war ein Wettlauf mit dem Tod, den sie nicht gewinnen konnte, und den sie dennoch gewann. Und es war ein Wettlauf um ihre Würde, die sie niemals verlor.
Gert Eckel gewährt uns Einblick in die eigene Seele und in die Seele seiner Partnerin. Er erzählt, wie sie Abschied vom Leben nahm und er Abschied von ihr. Er taucht ein in Erinnerungen, spricht von bitteren Tränen und unerfüllten Träumen und von der Fülle des Lebens, die sich im Angesicht des Todes entfaltet hat.

Autor
Gert Eckel, 71, ist ein in Berlin weithin bekannter und einflussreicher Architekt, dessen Entwürfe mehrfach preisgekrönt wurden. "Sie nennt es weggehen" ist neben einem Architekturbuch, das im Selbstverlag erschienen ist, das erste erzählerische Buch des Autors.

Fazit
'..auch sagte sie oft, sie gehe nach Hause..' entsinnt sich der Architekt und Autor Gert Eckel und gliedert seine Erinnerungen an seine Partnerin in seinem 'Tagebuch eines selbstbestimmten Sterbens' und betitelt es mit " Sie nennt es weggehen" . Im - auf den Weg gehen - ist auch das 'Weg-Sein' verknüpft und im 'Nach Hause gehen' meint das 'Erinnerungs-Haus', das vom Partner und ihren Freunden jederzeit imaginär  nach dem Weggang besuchbar ist und durch Erinnerungsobjekte, -sequenzen (z.B. Bewegung, Tanz^..) wachgerufen werden kann. In diesem sehr berührenden Tagebuch erscheinen die Freunde, Wünsche, Schmerzen, Schamanisches, Festliches.. und wie ungefähr entschlüpft es dem Autor beim Notieren: '...vielleicht macht der frühe Tod die Tage reicher, intensiver...'. Hanna, so heisst die Protagonistin, hört wie der Rabbiner  vom Licht und dessen Schönheit spricht, und das nach dem Tod bleibt . ..und Gert folgert : Einschlafen ohne die Erwartung, wieder aufzuwachen - wo ist der Unterschied zum Tod? Freiheit war ihr letztes Wort das sie schrieb
Es ist ein berührendes und zugleich  paradigmatisches Reisetagebuch  auf unserem Weg zum Erinnerungs-Haus. m+w.p14-11

Vertiefender Hinweis

http://www.kultur-punkt.ch/pa4-diskurse-2014-zukunft-iii.html