Pierfrancesco Fiorato / Peter A. Schmid (Hrsg.): «Ich bestreite den Hass im Menschenherzen» Zu Hermann Cohens Begriff des grundlosen Hasses

Online-Publikation: April 2015  im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung

Schwabe reflexe 40:  180 Seiten. Broschiert. ISBN 978-3-7965-3373-0; sFr. 19.50 / € (D) 16.50 / € (A) 17.- ; auch im Format E-Book: PDF erhältlich 
Schwabe  Verlag, Basel; http://www.schwabe.ch

Inhalt
Wie soll mit dem allgegenwärtigen Phänomen des Hasses umgegangen werden? In dem vorliegenden Sammelband beschäftigen sich Philosophen, Psychoanalytiker, Theologen und Politikwissenschafter mit verschiedenen Facetten dieses Gefühls. Ausgangspunkt ihrer Beiträge sind Hermann Cohens Reflexionen über den talmudischen Begriff des grundlosen Hasses.
Das Thema Hass hat in den letzten Jahren Konjunktur: Vor allem in der politischen und psychoanalytischen Diskussion wird es von mehreren Disziplinen aufgegriffen und nach verschiedenen Ansätzen behandelt. Diesem starken Interesse zum Trotz lässt sich aber der Eindruck kaum abweisen, dass «Hass» nach wie vor ein heikles Thema bildet und dass sogar sein Bestehen wie bei keinem anderen Affekt umstritten bleibt. Nur auf diesem Hintergrund lässt sich – um nur ein Beispiel zu nennen – die absichtlich provokante Geste verstehen, mit der André Glucksmann in seinem Le discours de la haine (2004) gegen die «Möchtegernspezialisten der Seele» auftreten zu müssen meint: «Dievon mir vertretene These lautet: Es gibt Hass, wir haben ihn alle kennengelernt.» Nicht weniger provokant lautet die These, die unter umgekehrten Vorzeichen von Hermann Cohen – und zwar trotz des Judenhasses, den er selbst hatte erleben müssen – im letzten Kapitel seines mitten im Ersten Weltkrieg verfassten Nachlasswerks vertreten wird: «Ich bestreite den Hass im Menschenherzen. [...] Was ist der Hass? Ich bestreite seine Möglichkeit. Es ist ein eitles Wort, das einen solchen Begriff bezeichnen will.» Von jeher haben Cohens Kommentare zum talmudischen Begriff des «grundlosen Hasses», in denen er die «Seelenkraft des Optimismus» erwecken und die «Zaubermacht des Friedens» beschwören will, Faszination und Irritation in den Lesern ausgelöst.

Zum Protagonisten
Hermann Cohen (* 4. Juli 1842 in Coswig; † 4. April 1918 in Berlin) war ein deutscher Philosoph. Er war – gemeinsam mit Paul Natorp – Schulhaupt des Marburger Neukantianismus, gilt aber zugleich auch als einer der wichtigsten Vertreter der jüdischen Philosophie im 20. Jahrhundert.
Zum philosophischen Hauptwerk
gehören sowohl die frühen, der „Neubegründung des kritischen Idealismus“ gewidmeten Werke Kants Theorie der Erfahrung,[5] Kants Begründung der Ethik[6] und Kants Begründung der Ästhetik[7] als auch die Schriften eines eigenständigen, die kantische Philosophie weiterentwickelnden „Systems der Philosophie“, nämlich Logik der reinen Erkenntnis,[8] Ethik des reinen Willens[9] sowie Ästhetik des reinen Gefühls,[10] und zahlreiche andere kleinere und umfangreichere Schriften. Seit 1977 erscheint im Olms Verlag eine von Helmut Holzhey u. a. herausgegebene Werkausgabe.
Cohens Neukantianismus
interpretierte den Kategorischen Imperativ Kants so, dass er aufforderte: „mache Dir die Selbstgesetzgebung in der Person eines jeden Menschen zum Zwecke“.[11] Daraus ergab sich, dass der Marburger Neukantianismus die Philosophie Kants benutzte, um ein politisches und soziales Programm zu begründen, das dem Sozialismus nahestand. Während die „roten Kantianer“ Karl Vorländer und Franz Staudinger für eine Marburger Tradition politisch für soziale Reformen eintretender Philosophie stehen, die auch den späteren bayerischen Revolutionär und Ministerpräsidenten Kurt Eisner prägte, trat Cohen vor einer breiteren Öffentlichkeit vor allem für das Recht der Juden ein, auch ohne die christliche Taufe Deutsche sein zu können. Denn für Cohen war der ethische Idealismus, den er von Kant theoretisch begründet sah, in der deutschen Kultur ebenso verankert wie in der jüdischen Religion, der „Glut des sittlichen Enthusiasmus der Propheten“.[12]http://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Cohen


Herausgeber-Team
Pierfrancesco Fiorato,
geb. 1959, lehrt Moralphilosophie an der Universität Sassari.
Peter A. Schmid,
geb. 1961, lehrt praktische Philosophie an der Hochschule Luzern und ist als freier Supervisor tätig.

Fazit
Neun Siglen-Forscher haben sich mit dem Protagonisten Hermann Cohen zusammen mit den beiden Herausgebern Pierfrancesco Fiorato und Peter A. Schmid zusammengefunden, Hermann Cohens Begriff des Hasses im Diskursbuch «Ich bestreite den Hass im Menschenherzen» grundlegend zu untersuchen.
In der Einführung geht es um Cohens Auffassung zum grundlosen Hass in jüdischen Quellen (P. Fiorato, P. A. Schmid, S. Lauer).
Zur Feind(esliebe) werden christologische und rousseau'sche Überlegungen von (P: Fischer-Appelt, U. Mari-Brander) zur Selbst- und Eigenliebe referiert.
Hass als Krieg gegen die Scham wird von (L. Wurmser) in Dostojewskis Aufzeichnungen betrachtet.
Und Hass zwischen Psychologie und Affektenlehre (3, D. Strassberg) und ein weiser Umgang mit eigenem Hass (U.Renz) werden in diesem Abschnitt überlegt.
Schliesslich wird die karthartische Funktion (H.M. Dober) des Gebets (Plazeboeffekt, W. Prankl) zur Überwindung des Hasses durch geistige Übung (P.A. Schmid) in Richtung Befriedung dargestellt. Quintessenz der diskursiven Schrift : Hass wird als Bewegtheit -heiss bis kalt (Breivik (4)- langzeitlich vorwiegend in  gläubigen Empfindungen erkannt, und kann augenscheinlich karthartisch aufgelöst werden. m+w.p15-4

(1) Hass
ist eine menschliche Emotion scharfer und anhaltender Antipathie. Ausgehend von der Fähigkeit zu intensiven negativen Gefühlen wird der Begriff auch im übertragenen Sinne verwendet und steht allgemein für die stärkste Form der Abwendung, Verachtung und Abneigung. Die Motive des Hassenden sind teils unbewusst, können in der Regel jedoch bewusst gemacht werden. Als Gegenbegriff in vergleichbarer Gefühlstärke wird vor allem die Liebe angesehen.
Hass entsteht, wenn tiefe und lang andauernde Verletzungen nicht abgewehrt und/oder bestraft werden können. Hass ist somit eine Kombination aus Vernunft und Gefühl. Die Vernunft ruft nach dem Ende der Verletzung und nach einer Bestrafung des Quälenden. Laut Meyers Kleines Lexikon Psychologie ist das Gefühl des Hasses oft mit dem Wunsch verbunden, den Gehassten zu vernichten. Das Gefühl des Hassenden ist das des Ausgeliefertseins, der Gefangenschaft, der Wehrlosigkeit.
http://de.wikipedia.org/wiki/Hass
(2) Sigle
steht für: Sigel, die Darstellung von einem oder mehreren Wörtern durch Buchstaben oder Buchstaben-Ziffern-Kombinationen
Buchstaben
(3) Affektenlehre
geht auf die griechische Antike zurück und besagt, dass sich Affekte wie Freude, Trauer oder Schmerz musikalisch ausdrücken lassen und die Musik solche Gemütsbewegungen beim Hörer hervorrufen kann (Platon, Seneca...)
http://de.wikipedia.org/wiki/Affektenlehre
(4)Brevik's... kalter Hass (W. Prankl*) / Lust zu Töten
Klaus Theweleit : Das Lachen der Täter: Breivik u.a. ; Psychogramm der Tötungslust
http://www.kultur-punkt.ch/diskurs-platon-akademie-4-pa4/pa4-aktuell/k-theweleit-lachen-der-taeter.html 

*) http://www.kultur-punkt.ch/diskurs-platon-akademie-4-pa4/pa4-diskursrunden-1995-2015-a-z.html, siehe Diskursebene 'Bewegtheit'
(5) karthatisch
Katharsis (griechisch κάθαρσις „Reinigung“) bezeichnet in der Psychologie die Hypothese, dass das Ausleben innerer Konflikte und verdrängter Emotionen zu einer Reduktion dieser Konflikte und Gefühle führt. Vornehmlich wird von Katharsis gesprochen, wenn durch das Ausleben von Aggressionenhttp://de.wikipedia.org/wiki/Katharsis_(Psychologie)