SWR2 Wissen: Aula Wilhelm Vossenkuhl: I Über Tugenden und Laster. II Antike und Mittelalter / III Jenseits von Gut und Böse / Die Aktualität moralischer Ansprüche

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W. Vossenkuhl: Über Tugenden & Laster I-III
SWR2 Wissen: Aula Wilhelm Vossenkuhl: I Über Tugenden und Laster. II Antike und Mittelalter /  III Jenseits von Gut und Böse /  Die Aktualität moralischer Ansprüche

Sendung: Donnerstag, 4. Juni 2015, 8.30 Uhr
Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch
Produktion: SWR 2015
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR2. http://www.swr.de/swr2/programm/

AUTOR
Wilhelm Vossenkuhl, geboren 1945, studierte Philosophie, Neuere Geschichte und Politikwissenschaft in München. 1972 Promotion zum Dr. phil. an der Universität München;1980 Habilitation. Von 1993 bis 2011 hatte Vossenkuhl den Lehrstuhl für Philosophie 1 an der LMU in München inne. Schwerpunkte: Praktische Philosophie und Handlungstheorie, Grundlagen der Ethik, Philosophie der Sozialwissenschaften, Theorie der Rationalität. Er ist heute emeritiert.
Bücher (Auswahl):
- Die Großen Denker: Philosophie im Dialog. Zus. mit Harald Lesch. Komplett-Media. 2011.
- Philosophie Basics. Piper. 2011.
- Die Möglichkeit des Guten: Ethik im 21. Jahrhundert. CH Beck. 2006.
Internetseite:
http://www.wilhelm-vossenkuhl.de; http://www.swr.de/swr2/programm/


Über Tugenden und Laster:
I   Antike und Mittelalter
II   Jenseits von Gut und Böse
III  Die Aktualität moralischer Ansprüche

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Über Tugenden und Laster (1/3) Antike und Mittelalter

I
ÜBERBLICK  Antike und Mittelalter

Platon und Aristoteles verstanden die Tugenden als Charaktereigenschaften, die der Natur, den seelischen Dispositionen jedes Einzelnen angemessen waren. Der Gerechte handelt gerecht, weil er - durch stete Übung, orientiert an großen Vorbildern - gerecht geworden ist, nicht weil er sich jedes Mal dazu entscheidet, gerecht zu handeln. Die christliche Theologie hat den Tugendkatalog der Antike übernommen, ihm aber eine ganz andere Wertigkeit, vor allem eine andere seelische Qualität gegeben. Sie orientiert sich an den Ansprüchen von Glaube, Hoffnung und Liebe. Wilhelm Vossenkuhl, Professor für Philosophie aus München, beschreibt im ersten Teil seiner Reise durch die europäische Ideengeschichte diese Veränderungen.

INHALT I
Ansage:
Mit dem Thema: "Tugenden und Laster, Teil 1: Antike und Mittelalter".
Eigentlich diskutieren wir permanent über Tugenden und Laster, etwa wenn es um gierige Banker oder Börsianer geht, um korrupte Fifa-Mitglieder, um Lügenbarone in Manageranzügen – immer stellen wir die Frage, um welche Eigenschaften geht es da, befördern sie das Gute oder das Böse, sind die gut oder schlecht für die Gemeinschaft?
Der emeritierte Philosoph Professor Wilhelm Vossenkuhl aus München zeigt ab heute in drei Teilen, welchen Stellenwert Laster und Tugenden in der Antike hatten. Dort wurde sie erstmals beschrieben, definiert, wie sie durch das Christentum umgewertet wurden, was mit ihnen in der Moderne passiert ist. Heute, also im ersten Teil, geht es um die Antike und das christliche Mittelalter.
Wilhelm Vossenkuhl:
In Padua, Italien, steht die Scrovegni-Kapelle, auch bekannt als Arena-Kapelle, eine kleine und außergewöhnlich schöne Kirche. Der Maler Giotto di Bondone hatte sie in den Jahren 1304 bis 1306 ausgemalt. Die Kirche und ihre Ausstattung waren von dem Bankier Enrico Scrovegni gestiftet worden, angeblich als Buße für seinen Vater Rinaldo, ebenfalls Bankier. Enricos Schwester war mit einem anderen Bankier, Vitaliano del Dente, verheiratet worden. Der war wiederum geschäftlich eng mit den Scrovegnis verbunden, also das war eine verabredete Eheschließung zur Verbesserung des Standings. Vitalianos Ruf war nicht besonders gut, er galt als Wucherer, ein sehr erfolgreicher Wucherer. Sein schlechter Ruf "schaffte" es bis in Dantes "Göttliche Komödie", und zwar in den ersten Teil des 17. Gesangs der Hölle. Man kann sagen, Vitaliono war eine peinliche Berühmtheit.
Diese Geschichte war nun Anlass für die außergewöhnlich kunstvolle Kapelle, für die der damals schon sehr renommierte Maler Giotto verpflichtet worden war. Neben der Fülle der Darstellungen des Leben Jesu, was damals so üblich war, um den Menschen zu zeigen, was im Neuen Testament stand (die meisten Menschen konnten damals nicht lesen), malte er die vier Kardinaltugenden: Klugheit, Tapferkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit. Ergänzt wurden die vier Tugenden durch die evangelischen, also die aus dem Evangelium stammende Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe. Also sieben Tugenden malte Giotto auf der einen Seite – und sieben Laster, sieben Untugenden auf der anderen Seite. Die Bilder waren jeweils monochrom, also nicht farbig, gemalt. Dem Glaube steht der Unglaube, der Hoffnung die Verzweiflung, der Liebe steht der Neid gegenüber. Und natürlich passt die Torheit, heute würden wir sagen Dummheit, zur Klugheit und Feigheit zur Tapferkeit, Zorn zur Unmäßigkeit, Ungerechtigkeit zur Gerechtigkeit usw. Die Laster gehören zu einem großen Laster-Katalog, einer Laster-Familie. Ich will nur ein paar nennen, wir kennen sie ja alle zur Genüge: Geiz und Habgier, Völlerei, Wollust, Faulheit, Unbeständigkeit, Stolz, Neugier und vieles mehr. Giotto hat diese Untugenden nicht eigens gemalt, aber sie spielen in die dargestellten Laster hinein, sozusagen als Varianten der Haupt-Laster.
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Man kann annehmen, dass damit auf die Verfehlungen der Scrovegnis und der Dentes Bezug genommen wird. Aber natürlich sind diese beiden adeligen Familien in ihrer Zeit nicht die einzigen Übeltäter gewesen. Und wir wissen nicht, was Giotto selbst über seinen Auftraggeber, dessen Verfehlungen oder die Verfehlungen seines Vaters dachte. Aber er sah einen engen Zusammenhang zwischen Tugenden und Lastern. Und er sah ihn sehr differenziert. Ich zitiere ein Stückchen aus dem 17. Gesang der Hölle von Dante:
"Nicht Schöpfer noch Geschöpf war je mein Sohn, begann er also ohne Drang der Liebe, Natur und Geist der Quell. Du weißt es schon. Die Natur irrt nie in ihrem Triebe, die andere irrt in ihrem Gegenstand, sei es, dass zuviel sie, sei es, dass zu wenig Liebe. Sucht Böses sie (gemeint ist die Natur), sucht Gutes sie zu raffen, so trotzt dem Schöpfer das, was er geschaffen. Daraus kannst du entnehmen noch den Rat, dass jeder Tugend Saat aus Liebe entspringe und auch der Samen jeder schlechten Tat."
Die wichtigsten Zeilen darin sind: "... dass jeder Tugend Saat aus Liebe entspringe und auch der Samen jeder schlechten Tat." Warum betone ich das so? Dante erkannte nicht nur, dass unsere menschliche Natur die Quelle von Gut und Böse ist, er erkannte auch, dass aus ein- und demselben Antrieb, nämlich dem, was wir – vermeintlich – für Liebe halten, gerade auch die böse Tat entspringen kann. Und das ist eine erstaunliche Beobachtung. Warum ist das für Dante so und auch für uns heute? Der Grund ist, dass der menschliche Geist anders als die Natur, an der wir nichts groß ändern können, irrtumsanfällig ist.
Wenn wir heute sehen, was im Mittleren und Nahen Osten passiert, haben wir lebendige schlechte Beispiele für genau das, was Dante meinte. Da wird aus religiösen Überzeugungen vermeintlich Gutes getan, aber es werden Menschen ermordet.
Also wir finden bei Dante bereits den Gedanken, was später als "irrendes Gewissen" bezeichnet wurde. Das irrende Gewissen folgt dem vermeintlich guten Willen, wir bilden uns ein, es sei alles prima und gut, und erkennen nicht, dass wir uns über unsere eigenen Antriebe täuschen. Das hat übrigens Kant auch sehr gut durchschaut. Wir fühlen uns in dem, was wir tun, gut und gerechtfertigt, wir fühlen uns geradezu wohl, tun aber etwas Schlechtes. Wir meinen gut zu handeln, tun aber etwas Böses.
Zweierlei fällt uns bei diesem Blick ins 13. und frühe 14. Jahrhundert auf, also in die Zeit, wo das große Zeitalter der Renaissance in Italien gerade beginnt: Das eine ist die erstaunlich differenzierte Moralpsychologie Dantes. Er ist 1265 in Florenz geboren, 1321 in Ravenna gestorben, das ist also schon einige Zeit her. Er erkannte auf ganz moderne Weise die gleiche Ursprünglichkeit des guten und schlechten Handelns und die Rolle der Tugenden, die sich, verglichen mit der Darstellung, die Aristoteles uns gegeben hat, sehr verändert haben. Diese Veränderung zeigt sich auffällig darin, dass nun die Laster nicht nur für den Maler Giotto, sondern auch für Dante sehr viel interessanter, man könnte sogar sagen faszinierender sind als die Tugenden. Das ist heute vielleicht ähnlich.
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Es wäre durchaus zu vermuten gewesen, dass der Auftrag an Giotto, dem Evangelium und seiner Botschaft entsprechend, eher einen erbaulichen Charakter gehabt haben könnte oder sollte, so dass die Bilder zur Einhaltung der Tugenden hätten mahnen sollen, also mehr einem kirchlichen katechetischen Zweck hätten dienen sollen. Dann hätte zum Beispiel die Demut und die Keuschheit die evangelischen Tugenden schön ergänzt und die ganze Pracht der christlichen moralischen Ideale zum Leuchten gebracht, die natürlich letztlich nur die Heiligen realisieren können. Die Künstler des Barock haben einige Jahrhundert später genau dies getan, natürlich immer im kirchlichen Auftrag.
Was Tugenden und deren Gegenstück, also Untugenden oder Laster sind, kennen wir primär aus der Antike, vor allem von den Schriften von Platon und Aristoteles. Eines der ersten theoretisch sehr anspruchsvollen Bücher über die Tugenden stammt von Aristoteles. Der Titel heißt "Nikomachische Ethik", so genannt nach dem einzigen Sohn von Aristoteles, der hieß Nikomachos. In diesem sehr anspruchsvollen, interessanten Buch werden neben den schon erwähnten Kardinaltugenden noch eine ganze Reihe anderer Tugenden genannt. Ich sollte vielleicht mal etwas zu dem Wort "Kardinaltugenden" sagen: das kommt von dem lateinischen Wort für Türangel "cardo". Das heißt also, um diese Tugenden dreht sich alles: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung, das sind die Kardinaltugenden. Und die werden, wie ich schon sagte, durch Aristoteles ergänzt um eine ganze Reihe anderer Tugenden. Dazu gehören Freigiebigkeit, Hochsinn, Seelengröße, Sanftmut, Enthaltsamkeit und – eine ganz wichtige Tugend – Freundschaft. Die Freundschaft ist eine Art sozialer Kitt in der Polis, im Stadtstaat. All diese Tugenden hatten für Aristoteles jeweils eine hohe Bedeutung – und einen guten Zweck für sich selbst, für das gute Leben des Ganzen, für das gelingende Leben der Gemeinschaft in der Polis. Man kann ohne allzu sehr zu vereinfach sagen, die individuelle Einübung der Tugend war für Aristoteles die Bedingung, dass ein gutes Leben überhaupt erst möglich war. Die Tugenden mussten also trainiert werden.
Der Frage, wie das nun geht, wie das Ziel des guten Lebens zustande kommt, widmet Aristoteles sehr ausführliche Gedanken. Er spricht über das alles überragende Ziel: Eudaimonie, ein Wort, das etwas ungeschickt mit "Glückseligkeit" ins Deutsche übersetzt wurde. Aber es geht nicht um ein Gefühl, sondern Eudaimonie bedeutet, dass wir nach einem guten "Daimon" leben. Ein Daimon ist eine göttliche Schicksalsmacht, und wenn wir gut handeln, wird uns die zugeteilt. Das hat nichts mit Gefühl zu tun, sondern das ist eine moralische Qualität. Die Antwort auf die Frage, wie Eudamonie zustande kommt, lautet also: durch Eingewöhnung, durch Training sittlichen Handelns. Tugenden sind, ich zitiere Aristoteles: Akte der Selbstbestimmung. Diese Akte sind die bleibenden sittlichen Anlagen, die wir haben. Jeder findet übrigens seine eigene Tugendhaftigkeit, zugeschnitten auf die eigene Person, und zwar durch sittliches Training. Und dieses Training besteht darin, dass man die richtige Mitte findet. Mitte hat übrigens nichts mit Mittelmaß zu tun, sondern Mitte heißt zwischen Mangel und Übermaß, zwischen Zuviel und Zuwenig. Und das muss jeder für sich selbst finden. Ein Beispiel: Der Feige (Aristoteles meinte übrigens, die meisten Menschen seien feige) muss solange versuchen, tollkühn zu handeln, also ins Gegenteil zu zielen, bis er endlich tapfer sein kann und das richtige Verhalten erworben hat. Umgekehrt muss der tollkühne Draufgänger versuchen, feige zu handeln, bis er seine richtige Mitte, also die Tapferkeit gefunden hat.
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Natürlich brauchen wir zur Tapferkeit eine Menge mehr. Zu allen Tugenden brauchen wir Klugheit. Die Klugheit ist eine Verstandestugend (keine Verhaltenstugend), die uns hilft, die Qualität unserer angestrebten Ziele und die Qualität der Mittel zu beurteilen, damit wir nichts Dummes tun.
Der große Vorteil des Einübens tugendhaften Verhaltens ist, dass der Einzelne, wenn er die Tugenden erworben hat, gar nicht mehr lange nachdenken und sich fragen muss, was mache ich denn jetzt, was ist denn richtig. Sondern das hat er drauf. Etwas salopp ausgedrückt könnte man sagen, die Tugenden gehören zum sittlichen Verhalten wie der Anzug oder das Kleid zum Körper.
Zwei Gedanken sind für die Eudaimonie bei Aristoteles besonders wichtig: Das Ziel des sittlich guten Handelns liegt im Handeln selbst, also in der Praxis; und es gehört auch dazu, dass das Gute um seiner selbst willen getan wird. Alle Tugenden haben ihren Zweck in sich selbst, sind also nicht nur einfach Mittel zu irgendwelchen anderen Zwecken. Ein funktionales Verständnis der Tugenden schließt Aristoteles kategorisch aus. Wären die Tugenden nur Funktionen für etwas anderes, dann wären sie eigentlich Laster. Wenn also jemand gerecht ist, um auf andere Eindruck zu machen, dann handelt er lasterhaft und schlecht. Der Gerechte ist gerecht um der Gerechtigkeit willen und nicht um etwas anderes, zum Beispiel um Ansehen oder Lob zu erreichen. Denken Sie an den heute oft vernommenen Spruch "Tue Gutes und rede darüber", das ist exakt das Gegenteil von dem, was Aristoteles als Tugend bezeichnet hat.
Das Gute, das erreicht werden kann, ist keine Auszahlung am Ende des Lebens und auch kein Resultat nach einem längeren Handlungsablauf. Das Handeln selbst ist das Ziel, die Praxis soll gut sein. "Prattein" heißt ja nichts anderes als handeln. Der Handlungsvollzug soll gut sein. Und in dem finden wir auch unsere Lust, wenn es gut gelingt. Der Mensch ist dann gut, wenn er dem gerecht wird, was er in der Situation, in der er steht, tun soll und was er eingeübt hat.
Das ist der eine wichtige Gedanke. Der zweite ist, dass es in der menschlichen Praxis immer auch um Gerechtigkeit geht, nicht nur um Klugheit oder Tapferkeit. Wenn wir also diesen Habitus der Tapferkeit erworben haben – heute würden wir von Zivilcourage und Mut sprechen, dann können wir im Handeln das tun, was wir uns und anderen schuldig sind. Das ist mehr oder weniger eine Umschreibung dafür, was gerecht heißt: was wir einander schulden, wenn wir Freunde sind, wenn wir ein Amt ausüben, wenn wir arbeiten, in der Familie, wenn wir für andere sorgen usw. Wenn wir also das Verhalten, den Habitus der Gerechtigkeit "drauf haben", dann können wir die Praxis so gestalten, dass sie für alle gut ist.
Man sieht ganz klar: Ethik und Politik sind für Aristoteles nicht trennbar, das ist eine Einheit.
Großer Sprung nun: 1.000 Jahre später hat Thomas von Aquin einen Kommentar zur Nikomachischen Ethik geschrieben und dabei das Ziel der Tugenden, also ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, nicht nur einfach aufgegriffen oder erwähnt, sondern in allen Einzelheiten von Aristoteles übernommen. Den Katalog der Kardinaltugenden und allen anderen Tugenden greift Thomas von Aquin auf, aber – und jetzt kommt ein großes "Aber" – diese Tugenden genügen nicht. Er glaubte, dass
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etwas Wichtiges fehlt, etwas Übergeordnetes, das über den Tugenden stehen sollte, höhere Tugenden, religiöse Zielsetzungen. Und die sah er in den christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe.
Sie erinnern sich, dass Giotto die auch gemalt hat. Erst wenn diese Tugenden die Praxis der tugendhaften Menschen begleiten, dann ist das gute Leben der Menschen überhaupt erst möglich, erst denkbar. Ein wahrhaft gutes Leben ist für Thomas erst durch Glaube, Hoffnung und Liebe möglich. Und sie geben allen anderen Tugenden einen guten Sinn für ein Leben nach dem Evangelium.
Diese Art von religiöser Überdachung durch die christlichen Tugenden haben die Kardinaltugenden verändert. Aus manchen wurde das Gegenteil dessen, was sie in der Antike ursprünglich waren. Ich gebe ein Beispiel: Die Tugend Tapferkeit hätte es in der Antike nicht zugelassen, einen Feind am Leben zu lassen. Sie kennen alle die Geschichte von Achilles und Hektor: Achilles musste Hektor in der homerischen Sage "Ilias" vom Trojanischen Krieg töten, sonst wäre Achilles gar nicht der große Held geworden. Die christliche Nächstenliebe, die auf Schonung des Feines plädiert und die uns ermahnt, auch den Feind zu lieben, wäre für die Antike ein glattes Laster, eine Untugend gewesen, völlig undenkbar. Umgekehrt wäre das schonungslose Töten eines Gegners für Christen nicht nur eine Untugend, sondern eine schwere Sünde, ein Vergehen. Schließlich waren ja die Christen lange genug selbst Opfer der Verfolgung und nicht nur im antiken Rom – wir wissen, dass das heute noch so ist.
Die Kardinalstugenden haben also unter christlichem Dach einen ganz anderen, teilweise sogar gegenteiligen Sinn angenommen. Aristoteles hat zum Beispiel die Demut, eine besonders hoch gepriesene christliche Tugend, als Laster verabscheut, als etwas, was Sklaven gut ansteht, aber nicht Freien. Da klingelt natürlich schon Nietzsche mit seiner "Sklavenmoral" im Hintergrund. Demut hätte Aristoteles also glattweg abgelehnt. Man ist nicht demütig. Als Christ wiederum wägt der Kluge nicht selbst ab, was das Beste oder welche Tugend für das Handeln angemessen ist, sondern er folgt einfach möglichst blind den christlichen Geboten. Heilige und Märtyrer werden so zu Vorbildern des guten Lebens. Das wäre für die Antike eine Absurdität, Märtyrer zu Vorbildern zu machen. Das gute Leben kann doch nicht durch qualvollen Tod für den religiösen Glauben gesichert werden, das ist doch völlig absurd. So jedenfalls mussten die Nicht-Christen in der Antike denken. Und für die Nicht-Christen war die Bereitschaft der Christen, für ihren Glauben auch noch zu sterben, ganz unverständlich, ja sogar lächerlich und übertrieben.
Die christlichen Tugenden haben umgekehrt aus den antiken Tugenden wie schon erwähnt etwas anderes, häufig etwas Gegenteiliges, Laster gemacht, und aus Lastern Tugenden. Das antike Modell des guten Lebens mit der großen Leuchtkraft der Kardinaltugenden und mit der Auffassung, dass die Exzellenz eigentlich nur mit diesen Tugenden erreicht werden kann, hat unter dem Dach der christlichen Tugend eigentlich ausgedient. Das ganze Gefüge der Tugenden verändert sich. Nun stehen nicht mehr die Tugenden ganz oben und vorne, sondern plötzlich ist das Laster, die Untugend, die Sünde im Vordergrund. Glaube, Hoffnung und Liebe verpflichten dazu, sich vor den Sünden, vor den Lastern zu hüten, gegen sie zu kämpfen. Nun kommt etwas erschwerend hinzu, dass die Christen sich, im hohen Mittelalter jedenfalls, von den Sünden gar nicht selbst reinwaschen konnten. Das hat sich später durch die
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Reformation verändert. Christen benötigen zunächst Hilfe von Priestern, die im Auftrag Christi Absolution erteilen. Der Bau der Scrovegni-Kapelle ist ein Beispiel für eine solche Absolution.
Diese knappe Geschichte der Laster und Tugenden zeigt, wie sich die Beurteilung als gut oder schlecht von der Antike bis ins Mittelalter und in die Renaissance hinein verändert hat. Das Christentum bewirkt im Vergleich zur Antike eine Art Umwertung der moralischen Qualitäten von Handlungen. Das Gute wurde umgewertet. Der Rahmen der moralischen Beurteilungen veränderte sich. Das Gute der Eudaimonie spielt keine Rolle mehr. An seine Stelle traten die christlichen Gebote. Und aus dem Schlechten der Laster wurden Sünden und schließlich sogar das Böse, etwas, womit die Antike gar nichts anfangen konnte.
Damit verloren die Tugenden ihre Bedeutung als Modelle und als Standards der Exzellenz. Und die Laster büßten ihre Bedeutung als bloße Verfehlungen der Exzellenz, quasi als Schönheitsfehler der Tugenden, ein. Tugenden und Laster, wie die Antike sie noch verstand, verschwanden aber nicht gänzlich. Man könnte sagen, sie sind nur eingeschrumpft zu Handlungsmerkmalen und zu Qualitäten von einzelnen Personen, von Individuen. Natürlich blieb es auch für eine Christin schön und empfehlenswert, enthaltsam zu leben und sich der Mäßigung zu befleißigen. Aber ihr Seelenheil als Christin hing nicht primär davon ab. Die Unmäßigkeit zum Beispiel wurde für einen Christen erst dann zur Sünde, wenn sie gegen das Gebot der Keuschheit verstieß. Trunksucht und Völlerei galten weniger schlimm als Wollust, auch wenn sie am einzelnen Menschen ja unmittelbar erkennbar waren. Auch der Schaden durch Trunksucht und Völlerei war ja unmittelbar erkennbar.
Ist es nicht heute noch für viele Christen so? Nicht wenige besuchen ja jährlich das Münchner Oktoberfest. Es ist ja nur der Leib, der unter Trunksucht und Völlerei leidet. Und dieser Schaden wird – nehmen wir jedenfalls an – spätestens durch den Tod getilgt, also die Folgen werden irgendwann einmal nicht mehr sichtbar sein. Die Wollust dagegen, so lehrt uns die christliche Kirche, schadet der Seele und dieser Schaden überdauert womöglich den Tod. Das Laster der Unmäßigkeit eines kirchlichen Würdenträgers, eines Priesters, eines Abtes oder Bischofs wird deutlich sichtbar durch dessen Leibesfülle. Und irgendwie scheint es so zu sein, dass den Genüssen des Essen und Trinkens große Toleranz entgegengebracht wird. Ganz persönlich habe ich den Eindruck, dass es auch heute noch so ist. Also wenn ein Priester, Abt oder Bischof diesen Lastern zugetan ist und man diese Laster auch an seinem Leibesumfang deutlich erkennen kann, dann denkt man, naja, er lebt halt gut und vielleicht bewegt er sich auch zu wenig, aber wir gönnen ihm das. Aber wenn ein kirchlicher Würdenträger den anderen "fleischlichen Lüsten" zugetan wäre, wäre es für ihn und natürlich auch für die Kirche besser, wenn das niemand sonst wissen würde. Schließlich sollen Würdenträger ja Vorbilder und in ihrer Funktion als Absolutionserteiler reine Seelen sein.
Diese kurze Geschichte von antiken den Tugenden zu den christlichen Tugenden, von den Lastern zu den Sünden, die das Christentum als Sünden lehrt, zeigt, dass wir von der Antike bis ins hohe Mittelalter und in die Renaissance hinein eine Umwertung des Guten erlebt haben, und wir werden sehen, wie diese Geschichte weitergeht, denn sie ist noch lange nicht zu Ende.

(Teil 2: Donnerstag, 4. Juni
Teil 3: Sonntag, 7. Juni)

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Jenseits von Gut und Böse (2-3)

II
ÜBEBLICK   Jenseits von Gut und Böse  .
Nietzsche hat die moralisierende Verachtung der Laster durch das Christentum als Sklavenmoral verabscheut. Er hat die Trennschärfe zwischen Gut und Böse infrage gestellt und behauptet, dass das eine mit dem anderen nolens volens verquickt sei, ja dass das, was für gut gehalten werde, auch schlecht sei und umgekehrt. Selbst wenn man sich diesem Versuch der Umwertung aller Werte nicht anschließen will, ist es doch offensichtlich, dass es eine Art Kovarianz von Tugend und Laster gibt. In einer durch und durch ungerechten Welt sind selbst die Forderungen nach Gerechtigkeit sehr viel bescheidener als in einer gerechten. Wilhelm Vossenkuhl, Professor für Philosophie, beschreibt im zweiten Teil dieses für die Moderne spezifische Problem.
(Teil 3, Sonntag, 7. Juni, 8.30 Uhr)

AUTOR
Wilhelm Vossenkuhl, geboren 1945, studierte Philosophie, Neuere Geschichte und Politikwissenschaft in München. 1972 Promotion zum Dr. phil. an der Universität München;1980 Habilitation. Von 1993 bis 2011 hatte Vossenkuhl den Lehrstuhl für Philosophie 1 an der LMU in München inne. Schwerpunkte: Praktische Philosophie und Handlungstheorie, Grundlagen der Ethik, Philosophie der Sozialwissenschaften, Theorie der Rationalität. Er ist heute emeritiert.
Bücher (Auswahl):
- Die Großen Denker: Philosophie im Dialog. Zus. mit Harald Lesch. Komplett-Media. 2011.
- Philosophie Basics. Piper. 2011.
- Die Möglichkeit des Guten: Ethik im 21. Jahrhundert. CH Beck. 2006.
Internetseite:
www.wilhelm-vossenkuhl.de

INHALT II
Ansage:
Mit dem Thema: "Über Tugenden und Laster, Teil 2", es geht heute um Jenseits von Gut und Böse.
Der Philosoph Nietzsche hat ein seiner Meinung nach revolutionäres Projekt verfolgt,
er versuchte zentrale Werte abendländischer Kultur umzuwerten. Für ihn war der christliche Tugendkatalog Sklavenmoral, etwas Schlechtes, was überwunden werden muss.
Allerdings: Diese Umwertung der Werte ist nicht Nietzsches Erfindung gewesen, es gab sie zu allen Zeiten: Immer wieder wurden Tugenden zu Lastern, Laster zu Tugenden, das gilt besonders für die Zeit der kapitalistischen Moderne. Im zweiten Teil seiner Exkursion durch die Ideengeschichte zeigt der emeritierte Professor für Philosophie, Wilhelm Vossenkuhl, was die Moderne aus den Werten der Antike und des Mittelalters gemacht hat.
Wilhelm Vossenkuhl:
Vielleicht erinnern Sie sich: Ich sprach von der ersten Umwertung des Guten, von der Umwertung schlechter Handlungen in gute, von Laster in Tugenden. Die kam auch im Christentum mit Thomas von Aquin nicht zum Stillstand. Und ich gebe dafür natürlich auch Beispiele, damit das nicht abstrakt bleibt. Ein besonderes Beispiel der Umwertung ist die vom Geiz in Sparsamkeit. Ein Verhalten, das bis ins 15. Jahrhundert als Geiz galt, wurde ab dem 16., 17. Jahrhundert zu etwas ganz Freundlichem, Nettem, Schönem, nämlich Sparsamkeit. Ich will jetzt nicht auf die Gründe eingehen, die zum Beispiel von Max Weber und anderen gesucht wurden. Mir geht es einfach um die Umwertung.
Vor dem 16., 17. Jahrhundert galt die Wohltätigkeit, die Freigiebigkeit eines reichen Christen als tugendhaft. Wenn ein Reicher also den Armen half, dann galt er als Wohltäter. Das ist heute ähnlich. Aber es war nicht einfach nur Wohltätigkeit, sondern es waren gute Werke, die der Wohlhabende vollbrachte. Gute Werke konnten als Buße für seine Sünden angerechnet werden. Das hat sich durch die Reformation wieder geändert. Plötzlich waren die guten Werke nicht mehr so viel wert wie vorher, sondern es ging nur noch um den Glauben. "Sola fide" (allein aus dem Glauben kann der Mensch gerecht werden) hat Luther gesagt. Nun galten die guten Werke nicht mehr so viel, und die Armen, die nun doppelt arm waren, standen nämlich plötzlich im Verdacht, selbst schuld zu sein an ihrer Armut, nämlich faul zu sein – Faulheit als neue Untugend – und Wohltätigkeit gar nicht zu verdienen, während die Wohlhabenden ihren Fleiß und Erfolg wohl, so nahm man an, göttlicher Gunst verdanken. Wenn jemand also wohlhabend war, dann hatte er das auch verdient und der Herrgott schaute ihm freundlich zu und lobte ihn, unhörbar zwar, aber der Reiche meinte, er habe es vernommen.
Schon in der Renaissance wurde ein Gedanke geboren, der im Laufe der Zeit überwältigend und bestimmend wurde: Der Mensch stellt sich durch sein eigenes Handeln selbst her. Da muss man schon genau hinhören: Der Mensch stellt sich durch sein eigenes Handeln selbst her. Eine ganze Reihe von Denkern, Architekten
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und Künstlern haben diesen Gedanken aufgegriffen und variiert. Der in der Renaissance bedeutende Architekt Alberti hat diesen Gedanken auf eine Formel gebracht, die Formel des "l'uomo universale", des universalen Menschen, der zu allem in der Lage ist. Und die Architektur sollte dieser Leistungsfähigkeit besonderen Ausdruck geben. Oder denken Sie an Leonardo da Vinci, an den Mann, der mit ausgebreiteten Armen und Beinen in einem Kreis steht, quasi als Maß für alles, als Maß für die Selbstherstellung.
Also der Mensch macht sich selbst nach Vorstellung der Renaissance-Denker und –Gestalter, und er gestaltet auch seine eigene Geschichte. Das hat ein interessanter Philosoph aus Neapel namens Giambattista Vico (1668 – 1744) in einigen Schriften so beschrieben, und zwar mit großer Begeisterung. Interessant ist übrigens, dass Karl Marx in einer Fußnote auf Vico einging und ihn anerkennend zitierte. Für Marx war Vico also im Hinblick auf die Selbstherstellung in der Geschichte eine Art Vorläufer. Natürlich waren diese beiden nicht die einzigen, die so dachten. Der britische Philosoph John Locke (1632 – 1704) sah in der Bildung von Eigentum durch eigene Arbeit eine Wertschöpfung, die in den Augen von Locke für das gute Leben einer Gesellschaft ganz entscheidend war. Später sah Marx die Arbeit nicht nur als eine Art von Selbstschöpfung, Selbstherstellung, sondern als die eigentliche Produktivkraft in der Geschichte. Im Mittelalter genoss die Arbeit keine besonders hohe Wertschätzung. Nun wurde sie zur Wertschöpfungskraft. Durch die Arbeit könnte, davon war Marx tief überzeugt, auch im beginnenden Maschinenzeitalter alles besser werden, mit einer Voraussetzung: wenn die Menschen nicht durch das Kapital und die Kapitalisten ausgebeutet würden. In seinen sogenannten "Pariser Manuskripten" aus dem Jahr 1844 können wir lesen, dass die Arbeit für Marx den Menschen naturalisiert und die Natur humanisiert, also es ist eine wunderbare Harmonie menschlicher Selbstschöpfung. Der Mensch kommt endlich mit der Natur ins Reine, mit seiner eigenen und mit der ihn umgebenden Natur. Höhere Mächte, Gott und dergleichen, braucht man dazu nicht mehr.
Das war natürlich schon in der Renaissance so angedacht. Im historischen Zeitraffer sind die Gedanken von Vico, Locke und Marx, die ich eben erwähnt habe, weitere Meilensteine der Umwertung des Guten. Sie haben sehr viel mehr Aufmerksamkeit verdient, als ich sie ihnen jetzt zukommen lassen kann, aber ich will Ihnen ja eine Skizze zeigen, die bis in die Gegenwart reicht.
Natürlich werden auch die Laster umgewertet. Wir haben schon gehört, dass im Christentum aus einigen Tugenden Sünden und aus einigen Lastern sogar etwas Gutes wurde, Demut zum Beispiel. Im Zeitalter der Arbeit sündigen allerdings nur noch die Kapitalisten. Die Arbeiter sind unschuldig, können nichts dafür, dass sie ausgebeutet werden, die Kapitalisten sind schuld daran. Und die beuten die armen Arbeiter aus. Nach Marx kommen noch die bösen Klassenfeinde, die den Sprung in den Sozialismus verhindern wollen, und die muss man natürlich umerziehen. Man sieht, die Umwertung des Guten hat noch kein Ende genommen. Die Kardinaltugenden der Antike haben im 19. und 20. Jahrhundert nur noch eine Art Erinnerungswert für gebildete Menschen. Oder sie werden bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Im Maschinenzeitalter, sieht man von Marx und seiner Theorie ab, wird plötzlich aus dem Fleiß eine Tugend. Der Fleiß avanciert zu einer ersten Tugend. Es gab noch eine Reihe anderer neuer Tugenden, von denen man weder in der Antike noch im Mittelalter etwas wusste.
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Der britisch-amerikanischer Philosoph MacIntyre hat ein interessantes Buch geschrieben: "After Virtue" – Nach der Tugend, erschienen 1981. Dieser Philosoph erinnert zum Beispiel an Jane Austen, eine britische Schriftstellerin. Sie hat eine Reihe schöner Bücher geschrieben, in denen Tugenden vorkamen, die man bis dahin noch nicht kannte, die Konstanz zum Beispiel oder die Liebenswürdigkeit. Oder der amerikanische Politiker und Denker Benjamin Franklin hat in der Neuen Welt Tugenden entdeckt und gepriesen, zum Beispiel die Sauberkeit, die Ruhe, den Fleiß. Durch Franklin hat Amerika eine moraltheoretische Grundlegung erfahren. Aber das sind aus Sicht derjenigen, die die Kardinaltugenden schätzen, Sekundärtugenden. Dennoch darf man nicht vergessen, dass sie seit dem 19. Jahrhundert besonders hoch geschätzt wurden – übrigens auch in der deutschsprachigen, genauer: in der schwäbischsprachigen Welt. Man denke nur an die "Kehrwoche", die an Samstagen durchzuführen ist, inzwischen ist das nicht mehr obligatorisch. Das ist ein Beispiel für die Hochschätzung der Sauberkeit, vielleicht auch des Fleißes. Ich habe noch in der Schule die Kontrolle von Fingernägeln und gewaschenem Hals erlebt. Auch das zeigt, wie hoch die Sauberkeit geschätzt wurde. Und das ist noch nicht so lange her.
Solche Sekundärtugenden wurden in Gesellschaften, in denen es primär darum ging, dass jeder das zu tun hatte, was er auch wirklich in seiner sozialen Rolle tun sollte, sehr hoch geschätzt. Seine soziale Rolle sollte man möglichst effektiv und gewinnbringend wahrnehmen. Dann funktioniert die Gesellschaft richtig. Also eine ganz andere Vorstellung einer guten Gesellschaft als in der Antike. Vergleicht man diese Sekundärtugenden mit den antiken Vorbildern, dann kann man und muss man geradezu eine Art von Substanzverlust der Tugenden erkennen. Was wäre der brave Bürger, der samstags den Hausflur und das Trottoir kehrt, wenn er auch noch Mut im antiken Sinne hätte und tapfer wäre? Das passt gar nichts ins Bild. Kaum auszudenken, wie das aussehen sollte: Mut am Besen oder an der Kehrschaufel. Absurd. Auch die Klugheit verkümmert zur Einhaltung von bürgerlichen Regeln. Und die Gerechtigkeit ist sowieso nicht Sache des Bürgers, das überlässt der Bürger den Oberen, damit hat er eigentlich nichts direkt zu tun. Was können die alten Kardinaltugenden in einer solchen Welt überhaupt noch ausrichten? Würden sie nicht alles durcheinander bringen, die Leute verwirren?
Der eben erwähnte Alasdair MacIntyre stammte aus Glasgow, 1929 geboren, seit 1988 ist er Professor an der Universität Notre Dame in Indiana. Er plädierte, und das ist es wert erwähnt zu werden, in dem schon genannten Buch für eine Rückbesinnung auf die antiken Tugenden, vor allem auf Aristoteles. Und er hatte natürlich auch Thomas von Aquin im Hinterkopf. Warum? MacIntyre war äußerst unzufrieden mit den Entwicklungen der Moraltheorie in der Moderne. Er versuchte nun eine Art Re-Import der Tugenden aus der Antike und definierte Tugenden als "erworbene menschliche Qualitäten". Gar nicht so weit weg von dem Habitus, den Aristoteles im Auge hatte. Und was sollen wir mit den erworbenen menschlichen Qualitäten? Das sind die Qualitäten, die uns laut MacIntyre befähigen können, alle die Güter zu schaffen, zu erwerben, die für eine gute menschliche Praxis unverzichtbar sind. Also zum Beispiel die Gerechtigkeit, es geht darum, gerechte Verhältnisse herzustellen. Wenn es uns an diesen Qualitäten mangelt, dann können wir jene Güter auch nicht erwerben.
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Für den Erwerb der entscheidenden sozialen Güter, für eine gute Gesellschaft, so meint MacIntyre, seien die Standards: Gerechtigkeit, Mut, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit gehörten in der Antike natürlich auch zum Katalog der Tugenden, aber das lief so nebenher. MacIntyre misstraute allen Theorien, die auf moderne Weise – und darauf bildet sich die Moderne ja viel ein – eine rationale Rechtfertigung der Moral anbieten wollten. Und das sind eine ganze Menge Theorien, man könnte pauschal sagen, mehr oder weniger alle Moraltheorien vom späten 17. bis vor allem ins 18. und frühe 19. Jahrhundert hinein. Dazu gehören große Theoretiker wie Kant oder die Utilitaristen Bentham, Mill. Das ist für MacIntyre nicht mehr akzeptabel, das sind Theoretiker, die meinen, dass wir Menschen uns moraltheoretisch an den eigenen Haaren durch Rationalität aus dem Sumpf des Verderbens ziehen können.
Selbstverständlich galt diese Verurteilung auch für alle Traditionen, die angelehnt sind an die rationalitätsgläubigen Theorien. Aber es geht ihm nicht nur um die rationalitätsgläubigen Theorien des 17., 18. Jahrhunderts, sondern er kritisierte scharf und sehr polemisch auch die Moraltheorien des 20. Jahrhunderts, wo es zum Beispiel um die Frage ging, welche Art von Theorie eine Moraltheorie überhaupt ist und ob das, was "gut" bedeutet, überhaupt definiert und richtig verstanden werden kann. Und wenn nicht, warum nicht? MacIntyre meinte, und man kann das auch gut nachvollziehen, dass ein ganzes Jahrhundert mit solchen doch etwas blutleeren, eigentlich für das Moralverhalten unmittelbar nicht besonders einschlägigen, ja vielleicht sogar irrelevanten Fragen vergeudet worden ist. Es sei nun an der Zeit, so meint MacIntyre, sich auf die alte Tugendethik zurückzubesinnen. Was er also vorschlug, war so etwas wie eine Tugend-Renaissance.
In Theorien mögen ja Renaissancen möglich sein. Und man kann vielleicht sogar in Theorien Umwertungen rückgängig machen. Warum nicht? Im Kopf ist ja vieles möglich. In der menschlichen Geschichte ist das kaum möglich. Vieles, was MacIntyre kritisiert, ist ja bedenkenswert. Aber eine Rückkehr zur Tugendethik wäre, zumindest in meinen Augen, ein Missverständnis. Ein Missverständnis der Möglichkeiten, die wir heute haben.
Ich nehme ein Beispiel, das MacIntyre selbst diskutiert, nämlich die alte Untugend der Pleonexia (griechisch für "Mehr-Haben-Wollen"). Dieses Laster kannte schon die Antike und es galt als Untugend. Im Kapitalismus avanciert dieses Laster zu einer ganz unverzichtbaren Produktivkraft. Man sieht auch hier wieder, über die Jahrtausende hinweg wird aus einer Untugend etwas Gutes, eine Art von Kapitalismus-Tugend. Nachdem die Geldwirtschaft vor nicht allzu langer Zeit zu einer entscheidenden Wertschöpfungskraft aufgestiegen und die Arbeit nur noch als Produktivkraft am Rande galt und zusammen mit der Realwirtschaft "zurückgestuft" wurde, kann man auf das Mehr-Haben-Wollen überhaupt nicht mehr verzichten. Mehr-Haben-Wollen beinhaltet ja nicht nur mehr Geld haben wollen, es ist eine Art von universalem Mehr, mehr von allem haben wollen. Mehr vom Leben, mehr leben, länger leben, mehr Macht, mehr Einfluss, damit das passiert, was man will; mehr Gesundheit, gesund essen, Vitamine usw.; mehr Vergnügen, mehr Spaß, mehr Freizeit, mehr Urlaub. Und man darf nicht vergessen, dabei werden auch Dinge, die lange Zeit streng privat waren, wie zum Beispiel die Sexualität, plötzlich zu etwas Öffentlichem. Sexualität wird zu so etwas wie einer Gesundheitsförderungsinstanz stilisiert.
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Von den meisten Dingen, die ich erwähnte, könnte man sagen, wer wollte denn nicht all das mehr haben? Stellen Sie sich vor, Politiker, Wirtschaftsbosse wollten nicht mehr mehr haben, also nicht mehr Macht haben, ganze Berufszweige wollten nicht mehr mehr Geld haben wollen. Oder wir alle wollten nicht mehr mehr reisen, vor allem nicht mit Billigfliegern. Gar nicht auszudenken. Die Preise würden in den Boden sinken, ein Schreckgespenst für Mario Draghi und die EZB. Eine Deflation würde drohen.
Das Mehrhabenwollen ist offenbar schicksalhaft mit dem Geldkapitalismus verbunden. Es ist müßig, darüber nachzudenken, ob diese vielen immer weiter sich steigernden Umwertungen des Guten, die uns am vorläufigen Ende die Tugenden des Kapitalismus beschwert haben, überhaupt rückgängig gemacht werden können. Darüber müssen wir nicht nachdenken, denn schon der Beginn des Nachdenkens löst ein Gähnen aus. Jeder kann doch beurteilen, ob die Tugenden des Kapitalismus, zumindest dieses universale Mehrhabenwollen, schlimme Laster sind oder nicht. Und jeder kann auch beurteilen, ob wir alle in der Lage sind, schlechtes eigenes Verhalten, was zum Beispiel den Konsum umweltschädlicher Dinge angeht, aufzugeben und dafür nur noch die guten Dinge zu konsumieren. Oder immer weniger zu konsumieren.
Wenn man über die Umwertungen des Guten nachdenkt, bekommt man den Eindruck, dass sich diese Umwertungen immer nur in Richtung bergab bewegen und dass diese Umwertungen auch nicht mehr umkehrbar zu sein scheinen. Es wäre aber zu billig, wenn wir uns auf eine Art Naturgesetz des schlechter werdenden Verhaltens zurückziehen würden, als wären die Umdeutungen von Lastern in Tugenden und umgekehrt unausweichlich und wir die Opfer. Das ist unsinnig. Schließlich gibt es ja gute Beispiele, wie zum Beispiel unser schlechtes Verhalten, das die Umwelt belastet, umgewandelt werden kann.
Es gibt eben kein Naturgesetz, das vorschreibt, dass das Gute immer in Schlechteres umgewandelt werden müsste, dass es immer bergab geht. Interessanter als sich zu beklagen, wäre es doch zu verstehen, warum Umwertungen überhaupt möglich sind, was damit eigentlich gemeint ist. Ich erwähne jetzt schon die nächste Sendung: Über die Umwertungen hat ja Friedrich Nietzsche nachgedacht. Mit ihm werden wir uns das nächste Mal beschäftigen. Aber er war ja nicht der Erfinder der Umwertungen, wir haben Umwertungen erlebt, schon lange bevor Nietzsche den Gedanken daran hatte.
Es ist früher wie heute schön, wenn man gerecht, tapfer und mäßig handelt. Und es ist ja auch für Christen heute wie damals gut, enthaltsam zu leben, die christlichen Gebote zu erfüllen, sich an den Zehn Geboten zu orientieren, die ja schon aus der vorchristlichen jüdischen Zeit stammen. Aber natürlich wissen wir alle, diese Standards gelten nicht für alle Menschen in der Welt. Und wenn wir so ehrlich sind, wenn wir an den Gedanken des "irrenden Gewissens" von Dante und auch von späteren Philosophen denken, ist es doch manchmal so, dass wir uns diese schönen tugendhaften Verhaltensweisen vor allem von anderen und für andere wünschen. Also dass andere tugendhaft sind: Politiker, Wirtschaftsführer, Banker. Und wir stürzen uns ja auch auf diese Menschen und ihre Rollen, wenn es darum geht, irgendwo einen Schuldigen zu suchen.
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Natürlich kümmern sich Politiker, Wirtschaftsführer und Banker auch um Tugenden. Und MacIntyre würde sich freuen, wie sehr sie sich um die Tugenden kümmern. Sie lassen sich nämlich in Seminaren erklären, was Klugheit, Gerechtigkeit, Mut, Mäßigkeit heute bedeuten und wie nützlich diese Tugenden sind. Man kann sie gut gebrauchen, sie sind nützlich für den eigenen Erfolg. Und wer wollte als Politiker, Wirtschaftsführer oder Banker keinen Erfolg haben? Das gehört alles noch unter die Rubrik Mehrhabenwollen. Man könnte also annehmen, Tugenden haben heute wieder Konjunktur.
Ehrlich gesagt ist das Gegenteil richtig. Wenn Sie sich erinnern, dass die Funktionalisierung von Tugenden genau das Gegenteil des Tugendhaften bewirkt, werden Sie merken, dass derjenige, der zur Steigerung seiner Produktionsfähigkeit, zur Steigerung seines Erfolgs sich Tugenden angedeihen lässt, schon dem Laster verfallen ist, den Untugenden. Also man sieht, dass das doch nicht so richtig hinhaut mit den Seminaren, in denen Klugheit, Gerechtigkeit, Mut und Mäßigkeit gepredigt werden.
(Teil 1: Sonntag, 31. Mai,
Teil 3: Sonntag, 7. Juni)
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Die Aktualität moralischer Ansprüche (3/3)

ÜBERBLICK  III  Die Aktualität moralischer Ansprüche
Offensichtlich sind in der Moderne Tugend und Laster einer ständigen Umwertung unterworfen. Der Geizige, der erfolgreich seinen Besitz mehrt und dabei die Armen ignoriert, gilt im 17. Jahrhundert noch als gottgefällig, später ändert sich das grundlegend. Die Geschichte wertet offenbar selbst die Moral immer wieder um. Können wir dies als Aufforderung zur moralischen Indifferenz deuten und achselzuckend dem Relativismus recht geben? Wilhelm Vossenkuhl, Professor für Philosophie, gibt Antworten.

INHALT
Ansage:
Mit dem Thema: "Tugenden und Laster", dritter und letzter Teil.
Der emeritierte Philosophieprofessor Wilhelm Vossenkuhl zeigte bisher in zwei Teilen, dass seit dem Mittelalter Tugenden und Laster permanenten Umwertungen unterworfen sind. Einen Höhepunkt findet die Entwicklung bei Nietzsche und seinen Tiraden gegen die Sklavenmoral.
Heute im dritten und letzten Teil zeigt Vossenkuhl, dass durch diese Umwertung besonders die Tugenden in Verruf geraten sind oder sagen wir besser, man misstraut ihnen immer mehr, der Relativismus grassiert.
Wilhelm Vossenkuhl:
Im Jahre 1885 schrieb Friedrich Nietzsche in Sils Maria, das ist im Ober-Engadin, das Buch „Jenseits von Gut und Böse.“ Der Untertitel des Buches, sehr anspruchsvoll: „Vorspiel einer Philosophie der Zukunft.“ Und zwei Jahre später schrieb er, auch wieder in Sils Maria, eine Art Fortsetzung. Der Titel dieses Buchs, sehr bekannt: „Zur Genealogie der Moral – eine Streitschrift.“ Als ob nicht alles von Nietzsche eine Streitschrift wäre! Aus der Perspektive des zweiten Buchs wird einem klar, was er eigentlich schon im ersten wollte. Und was er in beiden Büchern eigentlich wollte, das verkündet er in einem sehr bekannten Text unter dem Titel: „Also sprach Zarathustra – Ein Buch für Alle und Keinen.“ Das war ein Text aus dem Jahr 1882, da hat er bis 1885 dran geschrieben. Und ich zitiere jetzt mal aus diesem „Also sprach Zarathustra“: „Mit euren Werten und Worten von Gut und Böse übt ihr Gewalt, ihr Wertschätzenden, aber eine stärkere Gewalt wächst aus euren Werten. Und wer ein Schöpfer sein muss im Guten und Bösen wahrlich, der muss ein Vernichter erst sein und Werte zerbrechen. Also gehört das höchste Böse zur höchsten Güte: diese aber ist die schöpferische.“
Ich habe das, Sie müssen entschuldigen, extra ein bisschen theatralisch gelesen, weil es wahrscheinlich genauso gemeint ist. Nun wir neigen natürlich dazu, solche vollmundig anstößigen Forderungen, auch etwas spektakulären Ankündigungen, nicht wirklich wörtlich zu nehmen. Wenn wir aber verstehen, was Nietzsche sagen wollte, dann nehmen wir jedes Wort, das er geschrieben hat, ernst. Natürlich ist völlig offen, ob wir ihm dann am Ende zustimmen und folgen oder nicht.
Aber was wollte eigentlich Nietzsche? Schauen wir erst einmal in die „Genealogie der Moral“, weil er da wahrscheinlich am klarsten gesagt hat, was er wollte. Da ging es ihm um eine Klärung des Ursprungs von Gut und Böse. Diese Klärung sollte ihm verstehen helfen, was die Moral und die moralischen Werte eigentlich sind und auch was die Philosophen, mit denen er natürlich gar nicht einverstanden war, daraus gemacht haben. Es habe, so heißt es in der „Genealogie der Moral“, einen „Sklavenaufstand der Moral“ gegeben, in dem die „vornehmen Ideale den Ressentiments der Sklaven“ zum Opfer fielen. Also, die Schwachen haben sich gegen die Starken aufgelehnt. Das ist eine bekannte Figur in Nietzsches Denken. Nietzsche geißelte, auch das ist hinreichend bekannt, die christlichen Tugenden „Glaube“, „Hoffnung“ und „Liebe“ als perfide -sogar als perfiden Versuch, selbst stark
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zu werden im Blick auf das Reich Gottes. Er hat sich hier übrigens einen kleinen Scherz erlaubt, indem er das Fremdwort „perfide“ aus „per fidem“, also aus dem Glauben, dargestellt hat. Also als wäre das nun eine Perversion des christlichen Glaubens. Aber als guter Lateiner und Grieche hat er natürlich gewusst, dass das Wort von „perfidus“, wortbrüchig, treulos bedeutet.
Also am Ende sei das Christentum an seinen eigenen Dogmen zugrunde gegangen. Am Willen zu Wahrheit, der immer beschworen worden sei, daran sei die Wahrheit und letztlich auch die Moral zugrunde gegangen. Und Nietzsche bietet eine ganze Serie von gleichwertenden Bezeichnungen an, von Synonymen für den Willen zu Wahrheit. Das sei der Wille zum Nichts, der richte sich gegen das Leben, aus Hass gegen das Menschliche, sagt er. Es hat wenig Sinn, Nietzsches Worte hier einfach nur herunter zu beten und zu wiederholen, weil sie einen eher ratlos machen. Wenn wir seine Aussagen einfach wörtlich nehmen, heißt es, dass die Schwachen, und dazu zählte er die Juden und die Christen, sich gegen die Vornehmen und Starken auflehnten und dazu einfach die Moral als Mittel zum Zweck benutzten. Und anders, als mit der Sklavenmoral, konnten sie sich nicht wehren, so behauptet jedenfalls Nietzsche. Historisch betrachtet entbehren diese Behauptungen jeder Grundlage: Wann sollen denn die Schwachen, also die Juden oder Christen, aufständisch gewesen sein und sich aufgelehnt haben, fragt man sich. Wenn man aber davon ausgeht, dass Nietzsche seine Behauptungen gar nicht historisch meinte, oder gemeint haben konnte, sondern zeitkritisch, dann sieht die Sache anders aus. Obwohl dann immer noch dieser Antisemitismus im Hintergrund steht, den man heute natürlich ganz unverzeihlich finden muss. Wenn man jetzt aber nur davon ausgeht, dass es um Zeitkritik geht, dann kann man ihm das Recht zubilligen, die Unmoral seiner Zeit an den Pranger zu stellen. Die Unmoral, die er da meinte, und die in seinen Augen wirklich zu kritisieren war, nennt er Sklavenmoral. Was meint er damit? Eine Art von Gleichheitsmoral, eine christlich orientierte Moral, die sich aber nur christlich verkleidet und letztlich, wie er meint, eine Art von Utilitarismus-, eine Nützlichkeitsmoral sei. Diese Moral wollte Nietzsche nun als Unmoral beschreiben. Aber warum? Weil sie in seinen Augen Werte postuliere und das sei Falschmünzerei. Er spricht von Tartüfferie . Also Nietzsche wollte aufklären: Es gelte diese Werte der Unmoral im Hinblick auf ihre Herkunft in Frage zu stellen, zu kritisieren. Und er erläutert dies dann an der Mitleidsethik, die sein früher noch verehrter Lehrer Schopenhauer vertreten hat. Das kritisiert er jetzt, Mitleid sei eine „schändliche, moderne Gefühlsverweichlichung.“ Nur die Herrenmoral sei schöpferisch, nur die schaffe Werte. Der vornehme Mensch helfe nämlich dem unglücklichen und zwar nicht aus Mitleid, sondern, man höre und staune: mehr aus einem Drang, den der Überfluss von Macht erzeuge. Also, wenn die Muskeln so angespannt sind, dass man den Überfluss von Macht spürt, dann hilft man natürlich gerne dem Unglücklichen.
Diese Aussagen aus der „Genealogie der Moral“ sind nur genealogisch verpackt, es sind eigentlich Postulate. Die Herkunft von Gut und Böse wird wiederum nicht historisch verfolgt, sonst hätte Nietzsche, ähnlich wie wir es in den zwei letzten Sendungen hörten, eine Historie der Umwertungen des Guten seit der Antike schreiben müssen. Also er hätte gucken müssen: Was ist da eigentlich passiert, seitdem es Tugenden und Laster gab bei Platon und Aristoteles – und was haben die Christen daraus gemacht? Das hat er nicht getan. Nietzsche wollte aufwecken und das gelang ihm natürlich. Aber nicht mit den vollmundigen Postulaten, von denen ich
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jetzt gerade einige angeboten habe, sondern mit sehr scharfsinnigen moralpsychologischen Fragen und Beobachtungen. Und die finden wir in „Jenseits von Gut und Böse.“ Er fragt in dem Text ganz am Anfang, wie etwas, wie zum Beispiel die Wahrheit, aus ihrem Gegensatz, also zum Beispiel aus dem Irrtum, entstehen könnte. Und dann fragt er weiter, ob es Gegensätze überhaupt gäbe. Und er diagnostiziert, dass die bisherige Philosophie Wertgegensätze einfach nur behauptet, postuliert habe. Sie habe einen Glauben an die Gegensätze der Werte vertreten, und die Leute seien natürlich darauf reingefallen. Und wenig später, da wappnet er sich dann gegen naheliegende Einwände, ich zitiere: „Die Falschheit eines Urteils ist uns noch kein Einwand gegen ein Urteil.“ Natürlich ist das eine Strategie, die er hier verfolgt, die man leicht als Freifahrschein und als Immunisierung gegen Kritik durchschauen wird und muss. Aber damit trifft man eigentlich Nietzsches Absicht gar nicht. Er war ja nicht so dumm, nicht zu merken, dass er hier selber einen Freifahrschein gezogen hat. Was will Nietzsche? Er will einer neuen, bisher nicht gestellten Frage, nachgehen und gerecht werden. Und zwar der Frage, wie weit so etwas wie die Philosophie „lebensfördernd“, „lebenserhaltend“, „Art-erhaltend“, vielleicht sogar „Art-züchtend“ sein kann, das sind seine Worte.
Sind wir mit dieser Frage nicht eigentlich im Hier und Jetzt angekommen? Natürlich stellen wir heute genau diese Fragen. Und Nietzsche wollte erst einmal Widerstand erzeugen gegen falsche Wertgefühle. Er wollte Wertprediger und Wertpredigten dekuvrieren. Er plädierte für die Unwahrheit als Lebensbedingung. Und er richtet sich, das versteht man nun eher wieder, gegen den tugendhaften Lärm – also das Moralisieren. Er meinte natürlich nicht seine eigenen Unwahrheiten, sondern die der Moralisten. Die nennt er übrigens philosophische Arbeiter, damit meint er gewöhnliche Philosophen, also so jemanden wie ich zum Beispiel. Und wenn er das Böse preist, wie in „Also sprach Zarathustra“, dann meint er das Böse, so wie es diese Moralisten, diese Langweiler tun. Und er meinte natürlich das Böse der Vertreter der „Sklavenmoral.“ Nicht sein eigenes. Nietzsche sah das Leben durch eine falsche Moral, die er plakativ „Sklavenmoral“ nannte, gefährdet. Und er wollte sich, als Leidender am Christentum, als Leidender an der Dekadenz und am Nihilismus seiner Zeit, gegen den Verfall der wirklichen Moral auflehnen. Dafür hat er ziemlich schwere Geschütze aufgefahren: Der Wille zur Wahrheit des Philosophen, das ist der Wille zur Macht. Hier haben wir also die Grundidee in diesem Text. Und hinter dieser Vokabel des Willens zur Macht, da stecken, wenn man geduldig hinschaut, moralpsychologische Einsichten in die Gefahren des Moralismus, der uns hinreichend heute bekannt ist. Im siebten Hauptstück von „Jenseits von Gut und Böse“ heißt es etwa: „Das moralisch Urteilen und Verurteilen ist die Lieblingsrache der geistig Beschränkten, an denen, die es weniger sind.“ Im selben Atemzug sagt er, Bosheit vergeistige – dass er sich selber damit auch gemeint haben muss, das kann ihm wohl kaum entgangen sein.
Das Moralisieren von Allem und Jedem und der allgemeine scheinheilige Moralismus, das Verurteilen der Anderen, das sind Haltungen, die heute nicht seltener als zur Zeit von Nietzsche sind. Und sie sind heute genauso verlogen und falsch wie damals. Scheinheiliger Moralismus, es ging Nietzsche darum, diesen zu dekuvrieren. Und heute ist noch klarer als jemals zuvor, dass natürlich mit solchen Haltungen, auch mit dem Predigen von Tugenden, nichts besser wird - vor allem nichts im Hinblick auf die Erhaltung des Lebens, der Verbesserung der Lebensbedingungen, die wir dringend brauchen, die also auch schon Nietzsche
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anmahnte. In dem eben erwähnten siebten Hauptstück von „Jenseits von Gut und Böse“ begegnen wir Nietzsche in einer völlig neuen Rolle, als Bekennender. Er bekennt sich sogar zu einer Tugend, zur Redlichkeit. Das sei „unsere Tugend“ – und das ist die einzige, die allein noch übrig bleibt bei ihm. Er nannte sagte übrigens auch, die Quelle der guten Moral: das sei das Leiden und die Spannung der Seele im Unglück. Er hat sich hier selbst dargestellt als Leidender. Aber er sah auch gleich die Rückseite, er war ja ein guter Psychologe. Er sah die Gefahr, dass die Redlichkeit zu einer ganz raffinierten Art von Eitelkeit degenerieren könnte, und dann, wie er sagt, zu „Protz und Prunk“ wird. Also ich gebe dann quasi mit meiner Redlichkeit an. Obwohl natürlich jeder weiß: wenn jemand redlich ist, zeigt sich das in seinem Handeln, nicht in seiner Rede. Obwohl es Redlichkeit heißt. Redlichkeit gepaart mit Vornehmheit, das ist das einzig Positive, das wir in Nietzsches Texten finden. Er meint Vornehmheit -ein bisschen missverständlich- besteht darin, die eigene Verantwortlichkeit nicht an andere abzugeben. Also sie nicht einfach mit anderen teilen zu wollen, um sich selbst zu entlasten. Vornehmheit sei das Vorrecht – und das sei eine Pflicht. Das ist ein sehr interessanter Gedanke, wir werden nochmal darauf zurückkommen.
Wenn wir den Etiketten, die jeder kennt von Nietzsche: „Herrenmoral, Wille zur Macht“ einmal ein bisschen weniger Aufmerksamkeit einräumen, uns nicht darauf konzentriere und tatsächlich der Bedeutung von Redlichkeit nachgehen, verstanden als unteilbare Pflicht – wenn wir uns das einmal vor Augen führen, dann sehen wir plötzlich etwas ganz Neues an Nietzsche. Dann sehen wir, wie aus seiner hemmungslosen Kritik an der Amoral seiner Zeit und an der moralischen Dekadenz etwas ganz Neues, Stimmiges wird: der Redliche kritisiert die andern nicht. Jedenfalls erhebt er sich nicht moralisch und moralisierend über die andern, sondern er nimmt allein sich selbst in Pflicht.
Er verlangt von sich mehr als von den anderen, er ignoriert die prinzipielle, mit dem Gleichheitsprinzip verbundene, sogar von ihm ableitbare moralphilosophische Einschränkung, dass man das nur soll, was man kann. Das ist ein ganz bekanntes Prinzip, das Prinzip "Sollen schließt Können ein". Man hört das in jedem moralphilosophischen Seminar. Dieses Prinzip "Sollen schließt Können ein" wäre für Nietzsche eine ganz törichte, dumme und letztlich amoralische Ausrede. Der Redliche benutzt solch ein Prinzip nicht, er gibt sich selbst den Befehl: "So soll es sein, was immer andere tun“. Wenn man in einem Seminar das Prinzip "Sollen schließt Können ein" erläutert, dann bringt man Beispiele wie dieses: Stellen Sie sich vor, Sie gehen an der Isar spazieren und Sie sehen jemanden darin ertrinken, können aber selbst gar nicht schwimmen, dann sollen Sie da natürlich auch nicht rein springen, denn am Ende ertrinken Sie als Nichtschwimmer ja auch noch. So eine Art von Ausrede lässt Nietzsche nicht zu. Natürlich muss man, wenn man redlich ist, in Nietzsches Augen ins Wasser springen, egal ob man schwimmen kann oder nicht. So ist seine Aversion gegen die amoralische Ausrede ungefähr zu verstehen.
Die aus Nietzsches Leiden geborene Redlichkeit ist Nietzsches Moral. Gemessen an der Moral der ihn umgebenden Welt ist er natürlich ein Amoralist, der nicht nur gegen das Christentum polemisiert, sondern auch gegen das Judentum in einer Weise, die man heute nicht anders als antisemitisch ansehen muss. Die Angriffe gegen die jüdisch-christliche Sklavenmoral, das habe ich schon gesagt, sind natürlich pseudohistorisch. Deswegen ist es auch völlig müßig, darüber nachzudenken, ob sie
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berechtigt sein könnten oder nicht. Der positive Sinn von Nietzsches Polemiken ist: uns wachzurütteln, uns aufzuwecken aus dem selbstgefälligen, selbstgerechten, selbstzufriedenen moralischen Schlaf. Wir wiegen uns, das ist sein Vorwurf, in falscher moralischer Gewissheit. Wir meinen, mit ein paar Tugenden auf der Seite des Guten zu stehen. Wir loben uns sogar ganz schamlos dafür. Wir wissen, dass es ein Gebot unserer Zeit ist, alles daran zu setzen, das Leben zu fördern und zu erhalten. Und das war auch ein Anliegen von Nietzsche. Redlichkeit erfordert nun, alles zu tun, was getan werden muss, völlig unabhängig davon, was die anderen machen. Ich darf nicht in Nachbars Garten gucken, ob der sich der Redlichkeit anschließt oder nicht.
Ich selbst muss redlich sein und das heißt, ich muss mich unabhängig machen davon, was die anderen tun. Und dann ist das, was ich tue, in Nietzsches Augen auch vornehm. Wir erinnern uns, Dante hatte in dem Vers, den ich Ihnen in der ersten Sendung aus seiner "Göttlichen Komödie" zitierte, den Gedanken der Gleichursprünglichkeit von Gut und Böse formuliert, zumindest der Möglichkeit nach, aus der Liebe heraus. Einen ähnlichen Gedanken finden wir in Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse". Er überlegt, ob etwas nicht aus seinem Gegensatz entstehen kann. Das habe ich ja vorher schon erwähnt. Also Wahrheit aus Irrtum oder Täuschung, warum nicht auch Gutes aus Schlechtem? Beide, Dante und Nietzsche, zweifeln die Trennschärfe von Gegensätzen an. Beide zweifeln, und das ist entscheidend, an der Klarheit moralischer Standards. Und damit natürlich indirekt auch an der Selbstgewissheit derer, die meinen, zu den Guten zu gehören und das Richtige getan zu haben. Heißt das, es gibt keine moralische Selbstgewissheit und keine Selbstsicherheit in Fragen des Richtigen und Falschen? – Wahrscheinlich.
Wenn die Maßstäbe des Guten und Schlechten unsicher und schwankend geworden sind, dann, so scheint es, gibt es kein Halten mehr. Wir könnten natürlich Nietzsche selbst beim Wort nehmen und fragen, ob seine letzte Tugend der Redlichkeit auch aus ihrem Gegensatz, der Heuchelei, entstehen könnte, und natürlich dann auch, ob das Vornehme vielleicht aus dem Ordinären entstehen könnte. Außerdem, so könnten wir ihm natürlich auch vorhalten, ist die Redlichkeit doch eigentlich nicht mehr und nicht weniger als die Aufrichtigkeit im Denken und Handeln. Natürlich ist uns das heute bei den Debatten um wissenschaftliche Redlichkeit bewusst. Wenn es um Redlichkeit geht, dann geht es etwa darum, dass man nicht plagiiert, also nicht Gedanken und Einsichten anderer als die eigenen ausgibt. Redlichkeit ist also nicht mehr und nicht weniger als Wahrhaftigkeit. Und in diesem Zusammenhang will es uns auch nicht recht einleuchten, dass die wissenschaftliche Redlichkeit aus ihrem Gegensatz, also dem Plagiieren, entstehen könnte, nach dem Motto: Derjenige, der plagiiert hat, könnte am Ende doch redlich sein. Das wäre Quatsch.
Man sieht, dass Nietzsches Zweifel am Bestand von Gegensätzen zu ziemlichen Verdrehungen und Verwirrungen führen können, wenn man sie gedankenlos auf alles und jedes anwendet. Sie sind eben nicht auf alle Verhältnisse gleich anwendbar. Vor allem nicht auf die Verhältnisse, die uns etwas wert sind und die wir verteidigen wollen. Andererseits haben Nietzsches Zweifel schulbildend gewirkt, da haben sich viele drauf bezogen. Adorno, der bedeutende Philosoph und Soziologe, meinte ganz im Sinne Nietzsches: "Alle Moral hat sich am Modell der Unmoral gebildet und bis heute auf jeder Stufe diese wieder hergestellt. Die Sklavenmoral ist schlecht, in der Tat, sie ist immer noch Herrenmoral." Das schreibt er in seinem Buch
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"Minima Moralia". Etwas humorvoller hat ein halbes Jahrhundert vor Adorno der Ire Oscar Wilde gemeint, es sei "die erste Pflicht im Leben, so künstlich wie möglich zu sein". Adorno reagierte auf die Beschädigungen des Lebens durch den Faschismus und Rassismus der Nazis, das große Trauma seiner Lebenszeit. Wilde reagierte auf die heuchlerische Aufrichtigkeitsmoral im viktorianischen Großbritannien, wo er wegen Homosexualität ins Gefängnis kam. Wilde meinte übrigens, dass wir Menschen dann die Wahrheit sagen, wenn wir eine Maske tragen.
Der amerikanische Literaturwissenschaftler Lionel Trilling (1905 – 1975, New York) beschrieb die wechselvolle Geschichte der Aufrichtigkeit in der modernen Literatur seit der Renaissance in seinem Buch "Das Ende der Aufrichtigkeit". Das sind sechs Vorlesungen, die er in Harvard gehalten hatte. Das letzte Kapitel des Buchs trägt den Titel "Das authentische Unbewusste", darin geht es um Sigmund Freud und seine Psychoanalyse. Aber er stellt nur kurz Freud und seine Psychoanalyse dar, letztlich geht es ihm vielmehr um Jean-Paul Sartres Reaktion auf die Psychoanalyse. Sartre meinte, Freuds Versuch, die Unwahrhaftigkeit des Bewusstseinslebens darzustellen, sei selber unabweisbar inauthentisch. Es geht mir nicht darum, Freud gegen Sartre auszuspielen. Es geht mir nur darum, die immer kürzer werdende Halbwertszeit der Tugenden zu beschreiben. Nietzsches Tugend der Redlichkeit hielt nicht lange vor. Schon zu seiner Lebzeit (gestorben ist er 1900, im gleichen Jahr wie Oscar Wilde) hat gerade Wilde erheblichen Spott gegen die Redlichkeit vorgetragen. Natürlich meinte er damit nicht Nietzsches Redlichkeit, sondern die Pseudo-Redlichkeit der britischen Gesellschaft. Das Tugendideal der Redlichkeit, zumindest in der Literatur, wurde auch wenig später von einem neuen Tugendideal abgelöst, von der Authentizität. Das ist das Ideal der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Tugend der Authentizität wurde von der Psychoanalyse heftig attackiert. Das hielt auch nicht lange.
Der Verfall der Tugendideale erstaunt. Der kann aber nach den vielen Umwertungen des Guten seit der Antike nicht mehr wirklich überraschen. Einerseits kommt diese Entwicklung ja unserem Hang nach Ungebundenheit sehr entgegen. Wenn keine Tugend mehr allgemeinverbindlich ist, dann haben wir doch die freie Wahl! Wir dürfen dann die Mäßigkeit, die Redlichkeit, die Zivilcourage oder was auch immer als besonders empfehlenswert betrachten – oder jede dieser Tugenden auch ablehnen. Oder wie die Sauberkeit – Sie erinnern sich an dieses Beispiel – als wertlose Sekundärtugend ablehnen. Andererseits ist uns nicht wirklich wohl, wenn wir zu viel freie Wahl haben, wenn zu viel Ungebundenheit herrscht. Zumindest im Hinblick auf das, was die anderen tun, liegt uns doch zweifellos sehr viel daran, dass zwischen Tugenden und Lastern klar getrennt werden kann. Sonst könnten wir uns doch über die anderen gar nicht empören.
Beide eben genannten Alternativen, die völlige Ungebundenheit und die moralische Verbindlichkeit- sie sprechen sehr für das, was man heute den Zeitgeist nennen kann. Wir schätzen die moralische Ungebundenheit, scheuen aber die Beliebigkeit; wir kritisieren gerne die anderen, stellen uns aber selbst ungern der Kritik, schließlich sind wir doch unbestechlich, treu, schamhaft usw.
Gänzlich neu sind die zwiespältigen und widersprüchlichen Einstellungen nicht. Dante, würde er noch leben, könnte ihnen in leicht abgewandelter Form den "dritten Gesang der Hölle" neu widmen. Da geht es um die Lauen und Gleichgültigen und
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deren Klagen. Zwei Zeilen zitiere ich: "Ihr Leben ist so trostlos, blind und wehe, dass jedes andere Schicksal sie beneiden". „Dabei geht es ihnen gar nicht so furchtbar schlecht.“ Trifft uns das? Ich hoffe nicht. Wir müssen der ungebundenen Beliebigkeit widersprechen und entschieden für das eintreten, was uns wirklich etwas wert ist. Auch auf die Gefahr hin, von anderen dafür kritisiert, vielleicht sogar verhöhnt oder ausgelacht zu werden. Es gibt da noch den Spruch: "Wer zuletzt lacht", nur wann wäre dieses "Zuletzt"? Vielleicht ist uns bis dahin ja das Lachen auch schon vergangen? Und im Übrigen: Als Letzter zu lachen ist ja auch nicht so furchtbar erstrebenswert, vor allem dann nicht, wenn die anderen schon gelacht haben. Also gilt es jetzt, entschieden für das einzutreten, was wir wirklich schätzen, koste es, was es wolle. Das wäre redlich. Und das wäre tatsächlich vornehm.

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