Ralph Schumacher: Das Lernen lernen . Wie lässt sich selbstständiges Lernen fördern?

SWR2 Wissen Aula - Ralph Schumacher: Das Lernen lernen . Wie lässt sich selbstständiges Lernen fördern?
Autor und Sprecher:  Dr. Ralph Schumacher * ralph.schumacher@ifv.gess.ethz.ch
Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch
Sendung: Sonntag, 8. Juni 2008, 8.30 Uhr, SWR 2
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ÜBERBLICK
Ein zentrales Ziel des Schulunterrichts ist die Förderung selbstständigen Lernens. Schließlich sollen die Schülerinnen und Schüler darauf vorbereitet werden, sich im Studium und Beruf eigenständig neues Wissen anzueignen, um sich ständig fortzubilden. Zudem wird durch die selbstständige Kontrolle der eigenen Lernprozesse das schulische Lernen verbessert, indem zum Beispiel das Verständnis der betreffenden Inhalte vertieft und eine Integration neuer Informationen in das bereits bestehende Vorwissen gefördert wird. Dr. Ralph Schumacher vom Institut für Verhaltenswissenschaften der ETH Zürich zeigt Wege, wie man im Unterricht die Schüler zum selbstständigen Lernen ermuntern kann.

Vertiefender Hinweis zum Projekt "Selbständiges Lernen": http://www.educ.ethz.ch/ll/sl

* Zum Autor:
Ralph Schumacher ist Kognitionswissenschaftler und lehrt am Institut für Verhaltenswissenschaften an der ETH in Zürich. Schwerpunkte seiner Arbeit sind: Lernforschung und Lerntheorien, des weiteren Philosophie des Geistes, Kognitionsforschung, Theorien des Bewusstseins und der Wahrnehmung. Gastprofessuren u. a. in Princeton und Philadelphia, Fellowship am Hanse-Wissenschaftskolleg. Gegenwärtig leitet er beim Bundesministerium für Bildung und Forschung ein Projekt zu den Wirkungen des aktiven Musizierens auf den Erwerb von Lernstrategien, die Persönlichkeitsentwicklung und die Lernmotivation.

Wichtige Buchveröffentlichungen:
Perception and Reality (2004)
Lehr-Lern-Forschung und Neurowissenschaften: Erwartungen, Befunde und Forschungsperspektiven (zusammen mit E. Stern & R. Grabner) (2005)
Macht Mozart schlau? Die Förderung kognitiver Kompetenzen durch Musik (2007), Perspectives on Colour Perception (2007).


INHALT
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Ansage:

Heute mit dem Thema: „Das Lernen lernen – Wie lässt sich selbständiges Lernen fördern?“

Das ist ja ein zentrales Ziel eines modernen Schulunterrichts: Die Kinder sollen nicht nur neues Wissen aufnehmen, sie sollen zugleich Einblicke bekommen in die Art und Weise, wie Lernprozesse ablaufen. Dadurch werden sie kompetenter im Hinblick auf die eigenen Lernstrategien. Derjenige Schüler, der weiß, wie er lernt, wo seine Defizite liegen, wie er effizient neues Wissen aufnehmen kann, wie er sich etwa beim Vokabellernen verbessern kann, der lernt prinzipiell besser und vor allem selbständiger, er ist nicht mehr so stark angewiesen auf den Lehrer. Außerdem proklamiert die Pädagogik ja sowieso das Ideal des autonomen Schülers, der sein Wissen möglichst selbständig strukturiert und erweitert, auch dazu passt eben das Modell vom selbständigen Lernen.

Dr. Ralph Schumacher ist Kognitionswissenschaftler und lehrt am Institut für Verhaltenswissenschaften an der ETH in Zürich. Schwerpunkte seiner Arbeit sind: Lernforschung und Lerntheorien.

In der SWR2 AULA zeigt Schumacher Strategien zur Förderung selbständigen Lernens in der Schule und er skizziert viele Studien, die die Bedeutung dieser Art des Lernens klar machen.


Ralph Schumacher:

Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in der folgenden Situation: Sie sitzen in einem neutralen Raum und man bietet Ihnen eine Ihrer Lieblingssüßigkeiten wie zum Beispiel eine Tafel feiner Schweizer Schokolade an und legt sie gut sichtbar auf den Tisch vor Ihnen. Bei dieser Gelegenheit teilt man Ihnen außerdem mit, dass Sie die Option haben, entweder diese Süßigkeit sofort zu bekommen oder die doppelte Menge zu erhalten, wenn Sie so lange warten, bis der Versuchsleiter wieder in das Zimmer zurückkommt.

Dieses Experiment wurde nämlich von dem Entwicklungspsychologen Walter Mischel mit vier und fünf Jahre alten Vorschulkindern durchgeführt, wobei die Kinder im Durchschnitt ungefähr 15 Minuten auf die Rückkehr des Versuchsleiters warten mussten. Ein besonders interessantes Ergebnis dieses Experiments besteht darin, dass sich die Fähigkeit, Selbstkontrolle auszuüben und die Belohnung aufzuschieben, als besonders zuverlässiges Merkmal herausstellte, um spätere Leistungsunterschiede vorherzusagen. Denn es zeigte sich, dass diejenigen Kinder, die im Vorschulalter in der Lage waren, ihre spontanen Handlungsimpulse zu kontrollieren und auf die größere Belohnung zu warten, zehn Jahre später auch deutlich bessere geistige Fähigkeiten und schulische Leistungen aufwiesen als die Kinder, die das nicht konnten.

Das heißt natürlich nicht, dass Intelligenz für schulische Leistungen unerheblich ist. Vielmehr bedeutet es, dass es auch bei Schülern von gleicher Intelligenz noch viele Leistungsunterschiede geben kann und dass sich diese Unterschiede eben anhand der verschiedenen Ausprägungen ihrer Selbstdisziplin zuverlässig vorhersagen und erklären lassen.

Diese Forschungsergebnisse sind gute Nachrichten, denn sie zeigen, dass schulische Leistungen nicht nur von eher feststehenden Größen wie Begabung und Intelligenz, sondern ganz wesentlich auch von Kompetenzen zur Selbststeuerung wie zum Beispiel der Selbstdisziplin abhängen, auf die wir Einfluss nehmen können und die sich durch geeignete Trainings verbessern lassen. Eine dieser Selbststeuerungs-Kompetenzen, die für schulische Leistungen besonders wichtig ist, ist die Fähigkeit zum selbständigen Lernen. Im Folgenden wird der aktuelle Forschungsstand zu drei verschiedene Arten von Instruktionen vorgestellt, mit denen sich selbständiges Lernen im Unterricht effizient trainieren lässt:

Das erste Training besteht darin, Schüler zur Konstruktion von sogenannten „Selbsterklärungen“ anzuleiten. Bei Selbsterklärungen handelt es sich um einen Typ von Erklärungen, die man für sich selber entwickelt, um sich einen Sachverhalt verständlich zu machen. Stößt man zum Beispiel beim Lesen eines Biologiebuches auf die Feststellung, dass Wale und Delfine keine Fische, sondern Säugetiere sind, dann kann man sich dies nur erklären, wenn man sich das Prinzip vor Augen führt, dass Tiere nicht anhand ihres Lebensraumes, sondern anhand der Art und Weise ihrer Fortpflanzung klassifiziert werden. Und wird man beispielsweise in einem Physiktext mit der Behauptung konfrontiert, dass zwei Körper von unterschiedlicher Masse mit der gleichen Kraft auf einen dritten Körper einwirken, dann muss man nach einem geeigneten physikalischen Gesetz suchen, um sich dies erklären zu können. In dem vorliegenden Fall muss man sich vergegenwärtigen, dass Kraft das Produkt von Masse und Beschleunigung ist und dass die geringere Masse des einen Körpers deshalb durch eine größere Beschleunigung kompensiert werden kann. Mit Selbsterklärungen wird also nach den zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien gesucht, die man erfasst haben muss, um neue Informationen verstehen und sinnvoll in das bereits bestehende Vorwissen integrieren zu können. Neben der Erinnerung an Prinzipien, die dem Lernenden bereits bekannt sind, gehört dazu natürlich auch die Ersetzung alter durch neue Prinzipien. Selbsterklärungen sind damit für die aktive Wissenskonstruktion von zentraler Bedeutung.

Zwischen dem Lernerfolg und der Anzahl der spontan gebildeten Selbsterklärungen besteht ein positiver Zusammenhang, der in der wissenschaftlichen Literatur als Selbsterklärungs-Effekt bezeichnet wird: Je größer die Anzahl der spontan gebildeten Selbsterklärungen, desto größer ist auch der Lernerfolg. Die Entdeckung dieses Selbsterklärungs-Effekts hat zu einer Reihe von experimentellen Studien geführt, die sich mit der Frage befassen, ob sich schulische Leistungen verbessern lassen, indem Schüler gezielt zur Bildung von Selbsterklärungen aufgefordert werden. Tatsächlich konnte in mehreren Untersuchungen gezeigt werden, dass sich Selbsterklärungen, zu denen Schüler aufgefordert werden, deutlich positiv auf deren Lernleistungen auswirken.

Wie sehen solche Trainings im Einzelnen aus? Ein gutes Beispiel ist die experimentelle Studie von Michelene Chi, in der die Leistungen von zwei Gruppen 14-jähriger Schüler miteinander verglichen wurden. In der Versuchsgruppe wurde den Schülern ein Biologietext über den menschlichen Blutkreislauf präsentiert, und sie erhielten die Instruktion, nach jedem gelesenen Satz eine Selbsterklärung zu konstruieren und aufzuschreiben. In der Kontrollgruppe wurde den Schülern derselbe Text präsentiert, aber sie wurden nicht ausdrücklich aufgefordert, Selbsterklärungen zu bilden. Stattdessen erhielten sie die Instruktion, den Text zweimal zu lesen, damit sie genauso viel Zeit mit dem Text zubrachten wie die Schüler der Versuchsgruppe. Bei allen Schülern wurde das Wissen über den menschlichen Blutkreislauf vor und nach dem Lesen des Textes getestet. Dabei zeigte sich, dass die Schüler in der Versuchsgruppe einen deutlich größeren Wissenszuwachs vom Vor- zum Nach-Test hatten als die Schüler in der Kontrollgruppe. Zudem förderten die Selbsterklärungen die Vertiefung des Verständnisses. Dies zeigte sich daran, dass Schüler mit vielen Selbsterklärungen komplexere Fragen beantworten konnten als Schüler mit wenigen Selbsterklärungen. Schüler mit vielen Selbsterklärungen lernten daher mehr und mit größerem Verständnis als Schüler mit wenigen Selbsterklärungen.

Auch die gezielte Integration neuer Informationen in das bereits vorhandene Vorwissen lässt sich mit Selbsterklärungen effizient fördern. So wurden in einer anderen Untersuchung neun- und zehnjährige Schüler dazu aufgefordert, insbesondere solche Selbsterklärungen zu bilden, die die neuen Informationen in Beziehung zu ihrem bisherigen Vorwissen setzen. Dabei wurden sie beispielsweise dazu angeleitet, sich zu überlegen, inwieweit Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den neuen Aufgabenstellungen und den Aufgaben bestehen, die sie bereits bearbeitet hatten. Bei diesen Schülern stellten sich deutlich größere Lernerfolge ein als bei den Schülern einer Kontrollgruppe, die Selbsterklärungen bilden sollten, die vor allem darauf abzielten, Verbindungen innerhalb des neuen Lernstoffs herzustellen.

Die positiven Wirkungen von Selbsterklärungen auf die schulischen Leistungen beruhen vor allem auf den folgenden fünf Gründen:

Erstens werden im Zuge von Selbsterklärungen bereichsspezifische Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten konstruiert wie zum Beispiel das bereits erwähnte physikalische Gesetz, dem zufolge Kraft das Produkt aus Masse und Beschleunigung ist. Dieses Wissen von Naturgesetzen und Prinzipien steht den Schülern anschließend für Problemlösungen zur Verfügung.

Zweitens wird beim Selbsterklären das eigene Lernens reflektiert und kontrolliert, denn die Schüler stellen sich dabei Fragen wie die folgenden: „Habe ich die vorliegende Behauptung verstanden? Welche Möglichkeiten habe ich, um diese Behauptung zu erklären? Trifft mein Erklärungsvorschlag wirklich die zentrale Aussage dieser Behauptung?“ Durch diese Art der Reflexion kommt es zu weniger Illusionen über das eigene Verstehen – und damit zu einem besseren Verständnis des betreffenden Lernstoffs.

Drittens werden Erklärungen, die von den Lernenden selbst konstruiert werden, besser erinnert als Erklärungen, die ihnen fertig präsentiert werden.

Viertens lassen sich Selbsterklärungen dazu nutzen, um neue Informationen gezielt in das bereits bestehende Vorwissen zu integrieren. Durch diese Anbindung an das vorhandene Wissen werden die Schüler in die Lage versetzt, Analogien zu bilden und bereits bekannte Konzepte und Lösungsstrategien beim Bearbeiten neuer Aufgabenstellungen heranzuziehen. Geht es beispielsweise im Biologieunterricht darum zu verstehen, warum Fledermäuse nicht zu den Vögeln, sondern zu den Säugetieren zählen, dann kann es hilfreich sein, sich mithilfe der Analogie der Wale das Prinzip vor Augen zu führen, dass Tiere nicht anhand ihres Lebensraums, sondern anhand der Art ihrer Fortpflanzung klassifiziert werden. Wie sich Analogien beim Problemlösen gewinnbringend einsetzen lassen, verdeutlicht zum Beispiel der berühmte Fall des Archimedes, der bei der Beobachtung der eigenen Wasserverdrängung in der Badewanne auf die Idee kam, wie er den Goldgehalt der Krone von König Hieron von Syrakus prüfen konnte, ohne sie zu zerstören.

Fünftens hat das Konstruieren von Selbsterklärungen zur Folge, dass dadurch die betreffenden Inhalte geistig aktiviert werden und daher im Bewusstsein besonders präsent sind. In mehreren Untersuchungen des Entwicklungspsychologen Robert Siegler konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass sich die richtigen Lösungsstrategien aktivieren und die falschen Strategien gezielt deaktivieren lassen, indem man Schüler auffordert zu erklären, warum die korrekten Lösungsstrategien korrekt und warum die inkorrekten Strategien inkorrekt sind. Wenn auf diese Weise die richtigen Strategien aktiviert und die falschen Strategien gezielt unterdrückt werden, dann können Schüler in Problemlösungssituationen sehr viel besser entscheiden, welche Problemlösungsstrategie sie bei einer bestimmten Aufgabenstellung anwenden sollten – und welche Strategie sie besser vermeiden sollten.

Eine weitere Methode zur Förderung selbständigen Lernens besteht darin, Schüler durch bestimmte Instruktionen gezielt zur Reflexion über ihre eigenen Lernprozesse anzuleiten, damit sie ihre Lernfortschritte selber kontrollieren, Verstehensillusionen aufdecken und auf die Organisation ihres Wissens Einfluss nehmen können. Da es sich bei Lernprozessen um kognitive Prozesse handelt, wird dieses Training, bei dem die Lernprozesse selber zum Gegenstand der Reflexion werden, als metakognitives Training bezeichnet. Im Rahmen dieses Trainings werden die Lernenden mit Fragen wie den folgenden aufgefordert, ihre Aufmerksamkeit auf die eigenen Lernprozesse zu richten:

Verständnisfragen: Habe ich die zentralen Begriffe und die Aufgabenstellung verstanden?

Verknüpfungsfragen: In welchen Hinsichten ist die vorliegende Aufgabe anderen Aufgaben ähnlich, die ich bereits bearbeitet habe, – und in welchen Hinsichten unterscheidet sie sich von ihnen?

Strategiefragen: Welches ist die beste Strategie zur Lösung dieser Aufgabe – und aus welchen Gründen ist sie die beste Strategie?

Reflexionsfragen: Ist der von mir erarbeitete Lösungsvorschlag tatsächlich plausibel? Und welche Bedeutung besitzt diese Aufgabe in einem größeren Zusammenhang?

Der positive Einfluss solcher metakognitiven Trainings auf den Lernerfolg wird durch mehrere Untersuchungen wie zum Beispiel durch die experimentelle Studie von Zemira Mevarech und Bracha Kramarski belegt. In dieser Studie ging es darum, den Einfluss von zwei verschiedenen Trainings auf die mathematischen Leistungen im Bereich der Algebra zu untersuchen. Dazu wurden 122 vierzehnjährige Schüler auf zwei Gruppen verteilt. In der Versuchsgruppe erhielten die Schüler ein metakognitives Training. Das heißt, sie wurden mit den bereits genannten Verständnis-, Verknüpfungs-, Strategie- und Reflexionsfragen angeleitet, ihre Aufmerksamkeit auf die eigenen Lernprozesse zu richten und ihre eigenen Lernfortschritte zu reflektieren. Dabei arbeiteten die Schüler in Kleingruppen zusammen und mussten sich gegenseitig Fragen zum Beispiel dazu stellen, ob sie die zentralen Begriffe und die Aufgabenstellung auch verstanden haben und welche Lösungsstrategien in verschiedenen Fällen am besten geeignet sind. Hingegen wurden die Schüler in der Kontrollgruppe, die ebenfalls in Kleingruppen zusammenarbeiteten, angeleitet, mithilfe sogenannter „ausgearbeiteter Beispiele“ zu lernen. Dabei wird den Schülern anhand exemplarischer Fälle ausführlich erklärt, welche Schritte sie im Einzelnen in einer bestimmten Reihenfolge ausführen müssen, um die vorgegebenen Probleme zu lösen.

Obwohl bereits Trainings mit ausgearbeiteten Beispielen im Allgemeinen die Lernleistungen deutlich verbessern, wurde diese Art des Trainings in diesem Experiment von dem metakognitiven Training sogar noch übertroffen. Die Schüler aus der Versuchsgruppe zeigten nämlich sowohl in einem Test unmittelbar nach dem Experiment als auch in einem späteren Test, der ein Jahr danach durchgeführt wurde, deutlich größere Lernfortschritte als die Schüler aus der Kontrollgruppe. Dabei zeigten sich die Unterschiede in den Lernfortschritten sowohl bei den Mathematikleistungen als auch bei der Fähigkeit, die eigenen Überlegungen mündlich und schriftlich zu erklären.

Untersuchungen wie diese zeigen, dass sich metakognitive Trainings einsetzen lassen, um die Fähigkeit zum selbständigen Problemlösen wirkungsvoll zu verbessern. Die positiven Wirkungen dieser Instruktionen sind aber nicht auf die Förderung von Problemlösungskompetenzen beschränkt, sondern sie lassen sich ebenfalls zur Verbesserung der Lesekompetenz heranziehen. Ein konkretes Beispiel liefert die experimentelle Studie von Adina Koch zum Verstehen von Physiktexten. Den Ausgangspunkt dieser Studie bildet die Beobachtung, dass einerseits Physiktexte besonders hohe Anforderungen an das Textverstehen stellen, denn im Unterschied zu Zeitungsartikeln und populärwissenschaftlichen Aufsätzen lassen sie sich nicht einfach überfliegen, sondern sie erfordern das präzise Erfassen sämtlicher begrifflicher Bedeutungen und aller Schlussfolgerungen im Text. Andererseits verfügen aber viele Physikstudenten gerade zu Beginn des Studiums noch nicht über ausreichende Lesekompetenzen. Es stellt sich daher die Frage, wie sich Physikstudenten so trainieren lassen, dass sich ihre Lesekompetenzen in Bezug auf Physiktexte deutlich verbessern.

Zu diesem Zweck wurden 62 Studenten zwischen 21 und 28 Jahren auf zwei Gruppen verteilt und über einen Zeitraum von drei Monaten mit unterschiedlichen Trainings zur Verbesserung des Textverstehens geschult. Die Studenten in der Kontrollgruppe haben mithilfe des so genannten Koch-Eckstein-Tests geübt. Dieser Test besteht im Wesentlichen darin, dass zuerst ein kurzer anspruchsvoller Physiktext präsentiert wird, den die Studenten lesen. Anschließend wird ihnen ein zweiter Physiktext präsentiert, der sich auf das gleiche Thema bezieht. Die Studenten haben nun die Aufgabe zu beurteilen, ob die einzelnen Behauptungen des zweiten Textes auch im ersten Text (a) enthalten oder (b) nicht enthalten sind – oder ob sie (c) mit dem ersten Text zwar verträglich, aber nicht ausdrücklich in ihm enthalten sind. Auf diese Weise lernen die Studenten, den ersten Text sehr genau zu lesen. Die Studenten in der Versuchsgruppe haben ebenfalls mit diesem Test geübt. Ihnen wurden aber zusätzlich metakognitive Fragen vorgelegt, die darauf abzielten, vor allem die folgenden drei Aspekte der Selbstbeobachtung zu fördern:

Erstens: die Einschätzung des eigenen Textverständnisses;
zweitens: die Einsicht in die Gründe für die eigenen Defizite beim Textverstehen;
drittens: die Beobachtung der Veränderung der eigenen Leistungen beim Textverstehen.

Der Vergleich der Vor- und Nachtests beider Gruppen zeigte, dass sich das Textverständnis der Versuchsgruppe im Zuge des dreimonatigen Trainings deutlich stärker verbessert hatte als bei der Kontrollgruppe. Dieses Ergebnis spricht also dafür, dass das metakognitive Training einen eigenständigen Beitrag zur Verbesserung der Lesekompetenz leistete, der über den Beitrag des Koch-Eckstein-Tests hinausgeht.

Die positiven Wirkungen der dargestellten metakognitiven Instruktionen auf die Lernleistungen beruhen vor allem auf den folgenden drei Gründen:

Erstens wird durch metakognitives Training die Aufmerksamkeit auf die eigenen Lernprozesse gelenkt. Durch die intensivere Reflexion und Kontrolle der eigenen Lernfortschritte werden die Illusionen darüber, was man glaubt verstanden zu haben, reduziert. Zugleich wird das Verständnis des betreffenden Lernstoffs vertieft, da sich die Lernenden beständig vergewissern, ob sie etwas auch wirklich verstanden haben.

Zweitens werden die Lernenden im Zuge des metakognitiven Trainings dazu angeleitet, neue Informationen gezielt in das bereits bestehende Vorwissen zu integrieren. Ebenso wie die Aufforderungen zur Konstruktion von Selbsterklärungen fördert also auch diese Art des Trainings die Anbindung neuer Informationen an das vorhandene Wissen – und unterstützt damit zum Beispiel durch die Bildung von Analogien das Verständnis neuer Konzepte und Problemlösungsstrategien. Im Fall des metakognitiven Trainings wird dies insbesondere durch die bereits erwähnten Verknüpfungsfragen geleistet, mit denen die Lernenden angeleitet werden, sich zu überlegen, in welchen Punkten die vorliegenden Aufgaben anderen Aufgaben ähnlich sind, die sie bereits bearbeitet haben – und in welchen Hinsichten sich die neuen Aufgaben von den alten unterscheiden.

Der dritte Grund für die Wirksamkeit des metakognitiven Trainings steht in engem Zusammenhang mit der konstruktivistischen Auffassung, dass der Erwerb von Wissen stets die aktive Konstruktion einer intelligenten Wissensorganisation durch den Lernenden erfordert. Wissen, das einen in der Lage versetzt, neue Informationen zu verstehen und neue Probleme zu lösen, lässt sich nicht durch bloßes Auswendiglernen erwerben. Vielmehr ist es dazu erforderlich, Inhalte nach Kriterien zu ordnen, die für das Lösen von Problemen relevant sein können. Das bedeutet zum Beispiel, dass man Objekte nicht nach Oberflächenmerkmalen klassifiziert, sondern nach theoretischen Gesichtspunkten wie nach den zugrunde liegenden biologischen oder physikalischen Prinzipien. Wer zum Beispiel Tiere nach ihren Lebensräumen klassifiziert hat, wird die Gemeinsamkeiten von Walen und Fledermäusen weitaus schwerer nachvollziehen können als jemand, der Tiere nach der Art ihrer Fortpflanzung geordnet hat.

Ein wichtiger Punkt, der in diesem Zusammenhang unbedingt beachtet werden muss, betrifft die Einbettung des metakognitiven Trainings in einen spezifischen inhaltlichen Zusammenhang. Es hat sich nämlich gezeigt, dass sich vor allem die Kombination metakognitiver und inhaltsbezogener Anleitungen als besonders wirksam herausstellte, mit denen die Lernenden zusätzlich aufgefordert wurden, sich mit konkreten inhaltlichen Fragen auseinander zu setzen. Die Beschäftigung mit inhaltlichen Fragen des betreffenden Lernstoffs lässt sich vertiefen, indem man die Schüler anleitet, beispielsweise Fragen wie die folgenden zu bearbeiten:

Erstens: Worin bestehen die zentralen Punkte des Lernstoffs?
Zweitens: Welche Überschriften eignen sich am besten, um den Lernstoff sinnvoll zu gliedern?
Drittens: Welche Beispiele und Analogien eignen sich besonders gut, um den Lernstoff zu illustrieren und zu bestätigen – und welche scheinen mit ihm unverträglich zu sein?

Eine dritte Methode zur Förderung selbständigen Lernens lässt sich am besten mit dem Stichwort „Lernen am Beispiel anderer“ charakterisieren. Zu dieser Methode liegt bislang zwar nur eine einzelne experimentelle Studie vor. Aber die Ergebnisse dieser Studie sind sehr viel versprechend und weisen in eine interessante Richtung für zukünftige Forschungen. Diese Untersuchung geht von der Beobachtung aus, dass durch Einzelunterricht manchmal deutlich größere Lernerfolge erzielt werden können als durch den normalen Schulunterricht im Klassenzimmer. Da es aus Kostengründen natürlich nicht möglich ist, für jeden Schüler Einzelunterricht anzubieten, haben die Psychologin Michelene Chi und ihre Kollegen von der Universität Pittsburgh eine neue Lernmethode entwickelt, bei der die Vorteile des Einzelunterrichts mit den Vorteilen selbständigen kooperativen Lernens in Kleingruppen kombiniert werden sollen. Bei dieser Lernmethode betrachten Schüler oder Studenten nämlich in Zweiergruppen einen Videofilm, in dem ein Lehrer einem anderen Schüler oder Studenten Einzelunterricht erteilt. Die Lernenden haben – ähnlich wie bei den Selbsterklärungen - die Aufgabe, selbständig Fragen zum Lernstoff zu entwickeln und sich die betreffenden Inhalte gegenseitig zu erklären. Dabei werden ihnen einige Anleitungen dazu vorgegeben, welche Arten von Fragen sie sich gegenseitig stellen sollten. Dieser Studie liegt die Hypothese zugrunde, dass diese Lernmethode besonders effizient ist, weil sie die Lernenden im Zuge der gemeinsamen Entwicklung von Erklärungen zur aktiven Wissenskonstruktion anregt.

An dieser Studie haben 70 Studenten Anfang 20 teilgenommen. Bei allen Versuchsteilnehmern wurden vor und nach den verschiedenen Trainings Tests zum Wissen im Bereich der physikalischen Bewegungslehre, der Kinematik, vorgenommen. Diese Trainings wurden ebenfalls im Zusammenhang mit Unterricht im Bereich der Kinematik durchgeführt. Zehn Studenten wurden der Versuchsgruppe zugeordnet, bei der sie jeweils paarweise ein Video mit Einzelunterricht betrachteten und dazu selbständig Fragen und Erklärungen entwickelten. Die übrigen 60 Versuchsteilnehmer wurden auf vier Kontrollgruppen verteilt, die im Einzelnen die folgenden Trainings erhielten: In der ersten Gruppe erhielten alle Studenten Einzelunterricht. In der zweiten Gruppe betrachteten die Teilnehmer jeweils einzeln das Video mit dem Einzelunterricht und entwickelten selbständig Erklärungen. In der dritten Gruppe lernten die Studenten paarweise und konstruierten selbständig Erklärungen, allerdings ohne ein Video anzusehen. Und in der vierten Gruppe lernten die Teilnehmer für sich allein, wiederum ohne ein Video anzusehen.

Der Vergleich der Lernerfolge in den fünf verschiedenen Gruppen erbrachte, dass die Studenten in der Versuchsgruppe, die paarweise das Video mit dem Einzelunterricht angesehen hatten, fast ebenso große Lernfortschritte erzielten wie die Studenten, die Einzelunterricht erhalten hatten. Hingegen fielen die Lernfortschritte in den übrigen Kontrollgruppen deutlich geringer aus. Dies zeigt also, dass diese neue Unterrichtsmethode unter bestimmten Bedingungen tatsächlich zu vergleichbaren Lernerfolgen führen kann wie der Einzelunterricht!

Es wäre natürlich falsch, daraus jetzt den Schluss zu ziehen, schulischer Unterricht ließe sich dadurch ersetzen, dass man Schüler paarweise Videos mit Einzelunterricht betrachten lässt. Das ist allein schon aus dem Grund nicht möglich, weil es im Unterricht neben den Phasen der Einführung und Erläuterung neuer Konzepte auch Phasen der Wiederholung und Einübung gibt, die dazu dienen, dass die Schüler Sicherheit bei der Anwendung bestimmter Lösungsverfahren erlangen. In diesen Abschnitten des Unterrichts kommt es ganz wesentlich darauf an, dass die Lehrer individuell auf die Schüler eingehen, deren unterschiedliche Misskonzepte erkennen und sich mit den daraus resultierenden spezifischen Schwierigkeiten befassen. Diese Abstimmung neuer Lerninhalte auf das Vorwissen der Schüler kann sicherlich nur durch den Lehrer geleistet werden. Hingegen zeigt diese neue Unterrichtsmethode aber durchaus, dass bestimmte Arten des kooperativen Lernens die Fähigkeit zum selbständigen Lernen fördern sowie zu deutlich besseren Lernleistungen führen können.

Die Gründe für die positiven Wirkungen dieses kooperativen Lernens am Beispiel anderer bestehen vor allem in den beiden folgenden Punkten: Erstens werden die Lernfortschritte der Schüler im Zuge der gemeinsamen Bearbeitung von Problemen sowie der kooperativen Konstruktion von Erklärungen besonders intensiv reflektiert und kontrolliert. Dadurch kommt es zu weniger Täuschungen über das eigene Verstehen und das Verständnis wird vertieft. Zweitens wird durch die selbständige Wissenskonstruktion im Zuge des kooperativen Lernens die intelligente Organisation der Wissensbasis nach problemlösungsrelevanten Kriterien gefördert.

Wenn es darum geht, die Fähigkeit zur selbständigen Organisation und Kontrolle der eigenen Lernprozesse durch entsprechende Trainings zu verbessern, dann darf dabei ein wichtiger Faktor nicht außer Acht gelassen werden – und zwar das Wissen der Lernenden darüber, wie ihr eigenes Lernen wirklich funktioniert. Wer also weiß, wie Lernprozesse tatsächlich ablaufen und welche geistigen Anforderungen mit ihnen verbunden sind, der wird auch besser in der Lage sein, Lerntrainings umzusetzen als jemand, der unrealistische Ansichten über das Lernen hat.

Ein Beispiel für die Bedeutung solcher Überzeugungen für die Lernleistungen besteht in den Überzeugungen über die Veränderbarkeit der eigenen Lernfähigkeit: Wer glaubt, dass seine Lernfähigkeit von Geburt an festgelegt ist, der wird die Lösung von schwierigen Aufgaben weniger hartnäckig verfolgen und bei Problemen eher aufgeben als jemand, der sich sagt, dass seine Leistungen in erster Linie von seinem Arbeitseinsatz und Übungsaufwand abhängen.

Ein weiteres Beispiel betrifft Überzeugungen über die Struktur des Wissens. In mehreren Untersuchungen konnte nämlich gezeigt werden, dass Schüler und Studenten, die glauben, dass Wissen aus einer Ansammlung von Einzelfakten besteht, ganz anders lernen als Schüler und Studenten, die Wissen als einen komplexen Zusammenhang von Ideen, Hypothesen und empirischen Belegen betrachten. Personen aus der ersten Gruppe tendieren im Allgemeinen dazu, Einzelfakten auswendig zu lernen und zu glauben, ein Wissensgebiet zu beherrschen, wenn sie diese Einzelfakten aufsagen können. Hingegen bemühen sich Personen, die Wissen als zusammenhängendes Gefüge von Ideen und Daten betrachten, deutlich intensiver darum, Zusammenhänge zwischen neuen Informationen herzustellen und gezielt an der Organisation ihres Wissens zu arbeiten.

Für den Erfolg von Trainings zur Förderung selbständigen Lernens ist es daher entscheidend, dass sie durch Instruktionen darüber ergänzt werden, wie menschliches Lernen tatsächlich funktioniert