SWR2 Aula Raimund Allebrand: Diktatur des Frohsinns Einladung zum postmodernen Burnout

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 Burnout - postmodern

SWR2 Aula Raimund Allebrand: Diktatur des Frohsinns Einladung zum postmodernen Burnout

Sendung: Sonntag, 6. März 2016
Redaktion: Ralf Caspary
Produktion: SWR 2016
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Autor
Raimund Allebrand (Jg. 1955) studierte Philosophie, kath. Theologie und Psychologie. Auf Tätigkeiten in Hochschule und Erwachsenenbildung und einen längeren Forschungsaufenthalt in Südspanien folgte ein Volontariat als Nachrichtenjournalist. Allebrand arbeitete als Hörfunkredakteur und Dozent in der Journalistenausbildung sowie freiberuflich als Fachjournalist und Buchautor. Seit 2005 leitet er das IFIB – Institut für interkulturelle Beratung in spanischer Sprache (Bonn), daneben eigene niedergelassene Praxis für Psychotherapie, psychodynamisches Coaching und Supervision.
Literatur:
- Die Burnout-Lüge – ganz normaler Wahnsinn. Wie man mit Coolness sein Leben ruiniert. ehp-Verlag. 2013
Stand: 4.3.2016, 14.28 Uhr

ÜBERBLICK
Optimisten leben länger - oder etwa nicht? Eine Flut von Ratgebern und Motivationstrainern kündet heute von der Macht des positiven Denkens. Die Auswirkungen einer positiven Einstellung auf Gesundheit, Einkommen und zwischenmenschliche Beziehungen liegen auf der Hand und gelten als unbestreitbar. Ein direkter Zusammenhang zwischen Denkstil und Lebensglück scheint unausweichlich. Doch gleichzeitig artet die Glückssuche zu einem neuen Imperativ aus, der alles Negative aus dem Leben verbannen möchte. Der Journalist Raimund Allebrand befürchtet gar eine Diktatur des Frohsinns.
Homepage:
www.raimund-allebrand.de

INHALT
Ansage:
Mit dem Thema: Diktatur des Frohsinns - Einladung zum postmodernen Burnout.
Optimisten leben länger, oder etwa nicht? Wer gut gelaunt ist, hat ein besseres Immunsystem, wer viel lacht, ist gesünder, stimmt nicht? Eine Flut von Ratgebern und Motivationstrainern umstellt uns und verlangt von uns positives Denken. Und dieses ganze Unterfangen schlägt ins Gegenteil um: Die Glückssuche wird zu einem neuen traurigen Imperativ, der unser Denken und Handeln einschränkt. Das sagt der Journalist und Psychologe Raimund Allebrand.
Raimund Allebrand:
Optimisten leben länger – oder etwa nicht? Eine Flut von Ratgebern und Motivationstrainern kündet von der Macht des positiven Denkens. Die Auswirkungen einer positiven Einstellung auf Gesundheit, Einkommen und zwischenmenschliche Beziehungen, sie liegen auf der Hand und gelten als unbestreitbar. Ein direkter Zusammenhang zwischen Denkstil und Lebensglück scheint unausweichlich. Aber auch ohne Kenntnis statistischer Erhebungen oder die Langzeitbeobachtung von Lebensläufen wirkt ein frohes Lied auf den Lippen sympathischer als ewige Schwarzmalerei.
Zudem ist Glück durchaus lernbar, wie uns zahllose Ratgeber auf dem Buchmarkt versichern: Positive Gefühle führen zu positivem Denken - oder war es umgekehrt? – und prägen in vielen kleinen Schritten eine Perspektive, aus der gute Erfahrungen erst möglich sind, die dann wiederum Fühlen und Denken bestimmen, ein Kreislauf der Lebensbejahung.
Soweit so gut. Ob das Glas halb voll ist oder halb leer, hängt bekanntlich weniger ab von einer stets umstrittenen Realität als von meiner Einstellung zu den Dingen. Dass Optimisten allerdings längere Lebensdauer verbuchen, konnte bis heute nicht bewiesen werden. Und zudem kennt selbst die positivste Lebenshaltung ihre Schattenseiten.
Diese erlebt beispielsweise die nordamerikanische Publizistin Barbara Ehrenreich, als sie unverhofft lernen muss, mit den Folgen einer Krebserkrankung umzugehen. Von ihrer Umgebung erfährt sie dabei wenig Hilfestellung, denn eine in den USA weit verbreitete Kultur des positiven Denkens lässt Frustration gar nicht erst aufkommen. Negative Erfahrungen sind unerwünscht, ihre Artikulation wird durch soziale Kontrolle weitgehend verhindert. Noch bevor Ehrenreich ihre Reaktion angesichts der lebensbedrohlichen Krankheit in Worte fasst, wird sie bereits aufgefordert, den Krebs als Chance zu begreifen: Lächle oder stirb, aber bitte möglichst ohne Klagen und mit positiver Ausstrahlung! In ihrem Buchtitel Smile or die! schildert die Autorin zahlreiche Facetten einer Ideologie des schier grenzenlosen Optimismus.
Die Wurzeln eines in den USA ungemein erfolgreichen Lebens-Positivismus sieht Ehrenreich im religiösen Bereich. Sie bemüht einen Vergleich mit der zuweilen düsteren Weltsicht eines traditionell amerikanischen Calvinismus. Das Ziel der irdischen Existenz besteht hier in permanenter Selbstprüfung und Selbstüberwindung. Lediglich beharrliche Erwerbstätigkeit und ein auf harte Arbeit

bauender Wohlstand kann zeigen, ob der Gläubige von Gott auserwählt ist: Zwischen Hölle und Paradies klafft ein Abgrund: Vergnügen und Leidenschaft, Frohsinn und Zerstreuung sind diesem Konzept christlicher Lebensführung gründlich suspekt. Wer unter solch rigider Disziplin aufwächst, muss sein Gefühlsleben unter ständiger Kontrolle halten. Abweichende Emotionen, Wünsche oder Phantasien enden auf direktem Wege in der Sündhaftigkeit und letztere in der ewigen Verdammnis.
Die Suggestivität einer positiven Weltsicht, die negative Erfahrungen nicht zulassen kann, ist nach dem Urteil der Autorin eine späte profane Antwort auf das calvinistische Konzept vom Menschen. Der Gläubige strebt nach moralischer Läuterung, um Gott zu finden, ohne den allenthalben lauernden Versuchungen eines irdischen Jammertales zu erliegen. Demgegenüber fordert das Bekenntnis zum positiven Denken ebenfalls permanente Selbstprüfung, um negative Empfindungen von sich fernzuhalten, gleichsam wie der Teufel das Weihwasser: Auch dem Positivdenker sind Gefühle suspekt, und er ist angehalten, sein Innenleben unablässig zu überwachen.
Eine konsequente Befolgung der Lehre erfordert das Ausblenden vieler alltäglicher Empfindungen und Erfahrungen und führt über eine Art pseudoreligiöse Autosuggestion schließlich in eine Tyrannei des positiven Denkens, die authentische Selbstwahrnehmung unmöglich macht. Was auf der Strecke bleibt, ist die eigene innere Realität.
Dem gegenüber postuliert Barbara Ehrenreich ein Recht auf negative Empfindungen und schmerzliche Erfahrungen. Sie sind Teil des Lebens und dürfen nicht allein zugelassen, sondern ohne jedes Schuldgefühl auch artikuliert werden – was allerdings im kulturellen Mainstream der USA nicht unbedingt ratsam erscheint. Deshalb begründete die Autorin, gleichsam als soziale Gegenbewegung, einen Club der Negativisten, dessen Mitglieder die Existenzberechtigung und das Lebensrecht unguter Gefühle verteidigen.
Entdeckte Max Weber seinerzeit in der traditionellen protestantischen Ethik eine Triebfeder des kapitalistischen Wirtschaftssystem, so sieht Barbara Ehrenreich in der calvinistischen Selbstprüfung eine Wurzel des positiven Denkens. Zweifellos präsentiert sie dabei eine zugespitzte Argumentation, die ihre extremen Erfahrungen mit einer Variante nordamerikanischen Frohsinns spiegelt. Was das Selbstverhältnis des Menschen und seinen Umgang mit der eigenen Empfindungswelt betrifft, sind ihre Schilderungen allerdings exemplarisch. Jede Form von emotionaler Selbstzensur und eine Reduzierung meines Erlebens auf positive Empfindungen führt auf Dauer zu eingeschränkter Wahrnehmung der eigenen Gefühlswelt: Ein emotionales Burnout wird hier vorbereitet. Denn eine Verkürzung des Lebensvollzugs auf ausschließlich positive Wahrnehmungen und Gedanken hat zum Ergebnis nicht allein galoppierenden Realitätsverlust; sondern eine schleichende Reduzierung des eigenen Selbst, das gerade aus emotionalen Kontrasten eine lebenslange Dynamik schöpfen kann – und damit sowohl lebenstüchtig bleibt und auch liebesfähig.
Allerdings: Liebe ist nur ein Wort. Den Titel seines gleichnamigen Bestsellers hat Johannes Mario Simmel gut gewählt. Denn je nach persönlicher Lebenserfahrung

sagt Liebe vermutlich für jeden etwas anderes. Es kommt darauf an, welcher Inhalt und welche Erfahrung sich mit diesem Wort jeweils verbinden lässt.
Für den mittelalterlichen Kirchenlehrer Thomas von Aquin beispielsweise ist Liebe kein Gefühl, sondern ein Willensakt. Lieben heißt laut Thomas jemand anderem Gutes wollen, schreibt er in seiner Summa teologica. Von Gefühlen – Thomas redet eher von Passionen – ist hier zunächst keine Rede, obwohl auch der Theologe weiß, dass Lieben mit Empfindungen einhergeht. Nur ist die Liebe selbst für ihn eben kein Gefühl, sondern eine Option des Willens.
Spätestens seit dem Zeitalter der Romantik dürfte man dies anders sehen. Romantische und damit gefühlsbetonte Varianten der Liebe hat es aber wahrscheinlich immer gegeben und gibt es hoffentlich auch weiterhin. Haben also die Menschen womöglich zu allen Zeiten unter gleichen Bedingungen ähnliche Gefühle, artikulieren sie aber unterschiedlich – und manchmal auch gar nicht? Oder kann man im Leben auch ganz ohne Emotion und Empathie zurechtkommen, wenn man etwa kein Gefühl in sich findet?
In seiner Zeitskizze Deutschland auf der Couch beschrieb der Psychologe Stephan Grünewald vor einiger Zeit die Mentalität unserer Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Der Tenor dieser Untersuchung, die sich auf 20.000 Tiefeninterviews eines Kölner Forschungsinstituts beruft, ist eindeutig: Ein Verlust von sinnlicher und leidenschaftlicher Selbstwahrnehmung charakterisiert das zeitgenössische Lebensgefühl der Deutschen. Dort heißt es: Der coole Mensch hat seine Leidenschaften abgelegt und damit seinen primären seelischen Antrieb abgewürgt.
Wie entsteht aber eine solche Distanzierung von der eigenen emotionalen Welt, woher kommt sie und wem nützt sie? Was geschieht, wenn Gefühle fehlen, wurde längst schon zum Thema des Feuilletons. Wenn Männer keine Gefühle haben, titelte etwa Spiegel online; Kein Gefühl, nirgends vermisste Die Zeit, und über Gefühlsblindheit berichtete eine Reportage in stern.de. Folgt man entsprechenden Presseberichten, so kann ein nicht geringer Teil unserer Mitmenschen Gefühle kaum artikulieren, mehr noch: Emotionen bei sich selbst und bei anderen gar nicht wahrnehmen. Den erwähnten Reportagen zufolge hat ein erheblicher Teil der Bevölkerung Probleme, sein Gefühlsleben überhaupt zu lokalisieren. Etwa jeder zehnte Deutsche leidet unter: Alexithymie.
Ein Fachbegriff, der nur in wenigen Lexika zu finden ist, er steht für ein offenbar verbreitetes Phänomen, das umgangssprachlich umschrieben wird als Gefühlsblindheit oder emotionales Analphabetentum. Erst in jüngster Zeit fand dieses Persönlichkeitsmerkmal Beachtung und wurde von den Medien thematisiert.
Der US-amerikanische Psychiater Peter Sifneos leitet das Kunstwort Alexithymie Anfang der 1970er-Jahre aus dem Griechischen ab: Keine Worte für Gefühle. Damit bezeichnete er jedoch nicht ein individuelles Krankheitsbild, sondern ein strukturelles Wahrnehmungsdefizit, ähnlich der Farbenblindheit, das er im klinischen Kontext erforschte. Durch empirische Untersuchungen der zurückliegenden Jahrzehnte wurde das Phänomen klarer beschrieben und in seiner Verbreitung näher bestimmt.
Alexithymie bringt demnach bei starker Ausprägung eine erhebliche Einschränkung, affektive Zustände und Signale des eigenen Selbst bei sich und anderen

festzustellen. Unterschiedliche Gefühle werden weder bewusst wahrgenommen noch klar differenziert, ein Ausdruck emotionaler Betroffenheit über Mimik und Gestik findet bei diesen Personen nur eingeschränkt oder gar nicht statt. Im Sozialverhalten kommt die eigene emotionale Befindlichkeit nicht zum Ausdruck. Auch für das affektive Verständnis anderer Menschen kann diese Selbsterfahrung nicht eingesetzt werden. Es fehlt die Fähigkeit zur Empathie. Gespräche mit Gefühlsinhalten werden deshalb von den Betroffenen zumeist vermieden, das eigene Denken ist zumeist phantasielos und kreist um sachliche oder abstrakte Inhalte.
Weil der Bezug zur eigenen Affektwelt blockiert ist, ist eine emotionale Kommunikation bei alexithymer Veranlagung stark eingeschränkt. Gefühle werden einfach nicht erkannt. Sie wurden niemals gelernt. Hervorstechendes Merkmal einer alexithymen Beeinträchtigung ist ferner eine Unfähigkeit, Gefühle von körperlichen Empfindungen zu unterscheiden. Psychosomatische Erkrankungen und somatoforme Beschwerden führen dann nicht selten zum Arzt, der eine entsprechende Diagnose allerdings nur stellen kann, wenn er um bislang wenig bekannte Zusammenhänge weiß.
Alexithymie wird deshalb selten erkannt und bleibt auch im gesellschaftlichen Umgang weitgehend unauffällig. Das Fehlen empathischer Fähigkeiten und eine eingeschränkte soziale Kompetenz bringen allerdings für die Betroffenen früher oder später Konflikte in ihren persönlichen Beziehungen.
Um die Reichweite dieser Wahrnehmungsschwäche unter der Allgemeinbevölkerung zu bestimmen, wurden verschiedene psychometrische Messverfahren entwickelt. Die derzeit valide Toronto-Alexithymie-Skala etwa bietet dem Probanden 20 Fragen, deren Beantwortung über eine Zahlenskala auswertbar ist, und berücksichtigt dabei vier Faktoren: Probleme bei der Beschreibung von Gefühlen, Wichtigkeit emotionaler Introspektion für den Probanden, ein nach außen orientierter Denkstil sowie Schwierigkeiten bei der Identifikation körperlicher Empfindungen. Eine repräsentative Erhebung zur epidemiologischen Verteilung von Alexithymie unter der deutschen Bevölkerung wurde unter Beteiligung der Universität Düsseldorf im Jahr 2008 durchgeführt und bestätigt den von mir bereits erwähnten Befund: Etwa zehn Prozent aller Erwachsenen sind demnach in starkem Ausmaß alexithym.
Die bislang weniger beachteten Ergebnisse der Alexithymie-Forschung geben uns Aufschluss, warum ein zutiefst menschlicher Lebensvollzug wie Empathie zwischen physisch getrennten Individuen überhaupt möglich ist. Mag sein, dass so genannte Spiegel-Neuronen verantwortlich sind, wenn mir die Tränen kommen, weil mein Gegenüber zu weinen beginnt. Da man aber in Andere bekanntlich nicht hineinschauen kann, sind Vermutungen über deren Befindlichkeit weitgehend abhängig von unserer Wahrnehmung: Sprachliche Mitteilung, Körperhaltung und Gestik, aber vor allem der mimische Ausdruck des Gesichts entscheiden darüber, was bei mir vom Anderen "ankommt".
Wenn diese Wahrnehmung zu spontaner Einfühlung werden soll, muss ich jedoch die jeweilige Emotion in mir selbst bereits kennen, um sie im Anderen wiederzufinden. Und selbst dann ist noch ungewiss, ob es sich nicht um eine Projektion handelt, mit der ich von mir auf andere schließe und nur das sehe, was ich zuvor im anderen deponiert habe. Ob ich den Anderen emotional verstanden habe,

zeigt er mir aber selbst, wenn er zum Ausdruck bringt, dass er sich von mir verstanden und angenommen fühlt.
In der emotionalen Abkühlung unseres coolen Zeitalters werden diese elementaren, für einen zwischenmenschlichen Umgang unverzichtbaren Prozesse allerdings zusehends erschwert. Wer – aus welchen Gründen auch immer – um Gefühle lebenslang einen Bogen macht, wird sich mit der Zeit infolge dieser Selbstzensur schwer tun, die eigene Befindlichkeit überhaupt mit einiger Deutlichkeit wahrzunehmen. Ein postmodernes Selbstverhältnis, das sich selbst und anderen mit Coolness begegnet, ist unter Einsatz bildgebender Verfahren heute bereits diagnostizierbar: durch magnetresonanz-tomografische Abbildung jener Gehirnareale im Limbischen System, die nicht aktiviert sind, wenn emotionale Beteiligung nicht stattfindet.
Doch gibt es hier Abhilfe: Der Wellness-Stratege Christian Mikunda beispielsweise, nach eigenem Bekunden ein Vordenker und Berater der Erlebniswirtschaft, hat unter dem Titel Warum wir uns Gefühle kaufen sieben Hochgefühle zusammengemixt, die er im Umkehrschluss aus den klassischen Todsünden ableitet – ein Gefühlscocktail mit den Zutaten Glory, Chill, Power, Joy, Desire, Bravour sowie Intensitiy, den wir alle, dem Autor zufolge, unablässig schlürfen wollen. Was dabei herauskommt, nennt sich emotionale Wellness, und auch alles Weitere kann offenbar nur in englischer Sprache gefühlt werden. Zum Ausgleich sind den genannten angelsächsischen Empfindungen Botenstoffe wie Adrenalin, Dopamin, Serotonin und andere beigeordnet, die den erstrebten Gefühlskick jeweils auslösen sollen.
Dabei ist dem Wellness-Berater weniger wichtig, was Gefühle eigentlich sind und was sie für ihren Inhaber bedeuten, wenn sie nur als permanent positives Feeling daherkommen. Zugegeben, sagt er: Von Zeit zu Zeit erfahren wir auch Hochgefühle, die uns das Leben einfach so schenkt. Aber: Wirtschaft, Kultur und Lifestyle machen das Unvorhersehbare kalkulierbar, meint der Autor und wird nicht müde, anzupreisen, wie man über Inszenierungen, die allesamt käuflich sind, das Hochgefühl stets neu wecken kann. Dieses Vorhaben wird entschieden erleichtert und überhaupt erst möglich, weil negative Wahrnehmungen in seiner Welt nicht berücksichtigt sind, aus durchsichtigen Gründen, wie mir scheint.
Zwar wird alles Mögliche zum Gefühl deklariert, lediglich leidvolle Empfindungen sind wie weggeblasen und kommen auf den Seiten dieses Buchtitels einfach nicht vor. Die kaufbaren Hochgefühle sind wie Medikamente ohne Verschreibungspflicht, die uns den Zugang zu jenem Segment an Lebenslust geben, das wir gerade nötig haben, proklamiert Mikunda.
Da fragt man sich, warum statt eines aufwändigen und kostspieligen Umwegs über Tiefseetauchen, Drachenfliegen und Bungee-Springen, über Shopping-Malls und Flagship-Stores nicht gleich die oben genannten biochemischen Botenstoffe zur Beglückung der Menschheit verordnet und in Tablettenform verabreicht werden. Aber freilich, dann würde nicht mehr konsumiert, die gefühlsträchtigen Inszenierungen unserer Medienwirtschaft wären ohne Kundschaft, und ein Erlebnis-Berater bliebe ohne Aufträge.
Manch einer will allerdings im Streben nach Glück nicht auf den gezielt herbeigeführten Dopamin-Ausstoß setzen, sondern er sucht nach Wegen, sich selbst und seine Person im Leben zu realisieren. Wer dabei nach Bindungen strebt und

seine Existenz an Ziele und Werte knüpft, wird auch anfällig für Enttäuschungen und für das Scheitern, mithin für das Leiden an sich und anderen.
Mit einer Unwilligkeit oder auch Unfähigkeit, ambivalente und negative
Selbstwahrnehmungen zu ertragen, sind jedoch weite Bereiche der emotionalen Persönlichkeit stillgelegt und bleiben jetzt auf äußere Impulse angewiesen: auf Gefühle, die man kaufen kann. Um sich selbst positiv zu spüren, um Motivation und Initiative zu entwickeln, ist schließlich eine stets höhere Dosis eben jener Glücksbringer vonnöten, die uns allenthalben als Gefühlsersatz der Konsum- und Eventlandschaft feilgeboten werden.
Ohne Fähigkeit und Bereitschaft zu ambivalenten Erfahrungen bleibt die eigene Gefühlswelt allerdings blockiert und wird jetzt alimentiert durch den Umweg über aufwändige Inszenierungen Sie steht zwar weiterhin im Dienste persönlicher Wellness, aber unter dem Kommando einer ständigen Selbstzensur. Auch bei eingeschränkter Selbstwahrnehmung, die dann mehr und mehr zur Regel wird, bleibt diese emotionale Lähmung nicht ohne Auswirkungen auf einen Lebensvollzug, der sich lediglich im Umfeld positiver Empfindungen abspielen darf: Hauptsache, man ist gut drauf! Wie soll ich aber Leidenschaft entwickeln und mein Leben auf eine Karte setzen, wenn Frustration und Scheitern, Angst und Abschied in meinem Programm nicht vorkommen dürfen?
Gleich welches fehlende Element einer emotionalen Biographie ersetzt werden muss: Als postmoderner Kompensations-Typ bin ich jenem Buchhalter gleich, der den Nervenkitzel beim Bungee-Springen sucht – oder einem Finanzinspektor, der sich beim Jeepfahren in der Sahara beweist, dass seine Welt und damit er selbst so langweilig nicht ist. Impulsarme Menschen verfügen zuweilen über interessante Hobbys. Anschließend kehren sie aber zurück in einen Alltag, der sich nicht ändern wird.
Womöglich wäre das Urlaubsgeld besser in ein Fortbildungsseminar investiert, das anschließend die Ausübung eines interessanten Berufes erlaubt. Aber eigentlich will man das nicht, denn die abenteuerliche Performance erfüllt durchaus ihre Wirkung und wird zum Ersatz der Wirklichkeit. Der graue Alltag ist mit Illusionen bequemer zu bewältigen als durch die harte Schule der Veränderung des eigenen Lebens. Eigene Träume ernst zu nehmen und die Grenzen des täglichen Selbst zu erweitern, um die eigene Lebens-Intention zu verwirklichen, dies bedeutet emotionale Arbeit – und setzt eine Leidensfähigkeit voraus, die unserer postmodernen Umgebung zunehmend abhanden kam.
Dem Kulturkritiker Ulf Poschardt ist nicht zu widersprechen, wenn er in seinem Buchessay Cool unterstreicht: Der inflationäre Gebrauch beraubte das Attribut jeder Präzision. Die längst eingedeutschte Rede von Coolness steht über jugendlichen Jargon hinaus für eine diffus positive Bewertung von Sachverhalten. Zwar suggeriert sie im Wortsinn das genaue Gegenteil von emotionaler Beteiligung, soll aber in ihrer neuen Bedeutung lebhafte Zustimmung signalisieren. Coolness, so sagt es Poschardt, ermöglicht dem Menschen, mit der Kälte zu leben, statt in ihr zu erfrieren … Cool sein heißt, nicht verführt werden können, wenn man es nicht will. Es heißt, nicht verletzt werden können, wenn man es nicht will. Ulf Poschardt spricht hier von existenziellem Frost. Man setze aber heute alles daran, die Kälte als einen Effekt von Rationalismus und Funktionalismus zu nutzen, um sich mit ihrer Hilfe, gleichsam in

einer Affirmation der Entfremdung, selbst zu stilisieren – nicht als Opfer der modernen Zeiten, sondern als deren Konsument und Vordenker. Folgen wir dieser Einschätzung, so gelang es dem postmodernen Menschen, die Not kultureller Kälte in eine Tugend zu wandeln – um mit diesem Kunstgriff die Eiszeit halbwegs unbeschadet zu überstehen. Und dabei über die Verhältnisse zu triumphieren. Minustemperaturen und ihre emotionalen Konsequenzen werden, so gut es geht, einfach ignoriert, mit fatalen Auswirkungen dieser Haltung auf das soziale Klima.
In einem berühmt gewordenen Beitrag des Jahres 1967 schildern Margarete und Alexander Mitscherlich die Grundstimmung des deutschen Nachkriegsmilieus. Am Beispiel einer unzulänglichen Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit thematisieren sie Abwehrhaltungen der Gesellschaft gegenüber Schuld und Mitschuld aus psychoanalytischer Sicht. Das emotionale Defizit jener zurückliegender Epoche bringen sie auf einen prägnanten Begriff: Die Unfähigkeit zu trauern. Vier Jahrzehnte später, in der postmodernen Eiszeit, müsste eine paradigmatische Umschreibung heutiger Mentalität anders lauten: Die Unfähigkeit zu leiden.
An dieser Stelle muss ich mich enttäuschen: Leidenschaft ist zwar begrifflich das Gegenteil von Coolness, aber durchaus kein Hochgefühl, ja nicht einmal eine spontane Empfindung – eher schon das langfristige Ergebnis emotionaler Impulse, wenn sie ausgehalten und realisiert werden. Darauf deutet der allgemeine Sprachgebrauch: Man redet etwa von leidenschaftlichen Schachspielern oder Bergsteigern. Gemeint ist keine sentimentale Attitüde, sondern eine dauerhafte emotionale Bindung an die entsprechende Verhaltensform.
Im Autofahren oder Golfsport hat ein Mensch eine Spielart seiner selbst entdeckt, die er nicht preisgeben will und gegen Wind und Wetter verteidigt, gegen finanzielle Nachteile, zeitliche Einschränkungen oder soziale Barrieren. Ob ich aber leidenschaftlich bin, kann sich erst erweisen, wenn ich um einer Sache oder Person oder Idee willen Nachteile in Kauf nehme; oder zumindest die Bereitschaft hege, einer besonderen Hingabe zuliebe anderes hintanzustellen. Es handelt sich folglich um eine Option des Willens, um einen gewachsenen Impuls, der sich über einen gewissen Zeitraum bewähren muss und irgendwann Konsequenzen zeitigt, nicht aber um die sentimentale Anwandlung eines Augenblicks.
Leidenschaft ist nach meinem Verständnis nicht spontan, sondern impulsiv – wenn auch beide Begriffe nicht selten unterschiedslos verwendet und dabei verwechselt werden. Spontaneität ist eine Frage des Temperaments ("Nervensache"), Leidenschaft ein Ergebnis von Impulsivität. Sie zeigt sich nicht in Schnelligkeit, Lautstärke oder in der momentanen Theatralik einer temperamentvollen Reaktion, also im Show-Effekt der Event-Landschaft, sondern in einer womöglich lautlosen, aber durchgehaltenen Treue zum eigenen existentiellen emotionalen Impuls.
Leidenschaftlich ist ein Mensch, wenn er aus Bindung an das, was ihm wichtig ist – also aus Treue zu sich und anderen, zu seiner Biografie und seiner Identität – im Zweifelsfall auch bereit ist, an Grenzen zu rühren und folglich zu leiden. Damit wird Leidenschaftlichkeit zu einer Grundstruktur der Persönlichkeit. So sah es auch Erich Fromm. In jedem Fall aber setzt diese Eigenschaft Leidensfähigkeit voraus als eine Bedingung ihrer Möglichkeit. Diese Option ist allerdings in der postmodernen Kultur nicht vorgesehen.

In seinem Buch Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn untersucht der Neurobiologe Gerald Hüther allerlei Anwendungsfehler, die einer optimalen Nutzung unserer mentalen Fähigkeiten im Wege stehen. Um die Möglichkeiten eines menschlichen Gehirns tatsächlich zu nutzen (und nicht die eines Computers, der wir nicht sind), empfiehlt er nicht etwa, unentwegt Schach zu spielen oder die Lösung mathematischer Gleichungen als den sichersten Weg des Braintrainings, sondern: Leidenschaft. Zwar verwendet er seinerseits den Begriff Betroffenheit, meint aber im Ergebnis dasselbe, wenn er schreibt: Betroffenheit ist ein zutiefst unangenehmes Gefühl, weil es unser bisheriges Denken, Fühlen und Handeln in Frage stellt. Es zwingt uns nicht nur, uns selbst zu erkennen, sondern uns auch noch zu verändern.
Deshalb müssen die meisten Menschen erst gründlich scheitern, bevor sie in der Lage sind, bisherige Fehler zu begreifen. Ohne Fehler und deren Korrektur gibt es aber kein Lernen und keine Veränderung. Für den Neurobiologen Hüther bedeutet dies: Ein weiteres Wachstum von Gehirnbahnen und deren Verästelungen und Synapsen findet nicht mehr statt. Wer nicht wächst, der schrumpft, möchte man hinzufügen, denn auf diese Weise beginnt dementielle Erkrankung in ihrem frühen Stadium. Deshalb, so sagt Gerald Hüther, ist die Unterdrückung und Abwehr von Betroffenheit der einzig wirkliche Bedienungsfehler, den man bei der Nutzung seines Gehirns machen kann.
Aus diesen Überlegungen eines Neurobiologen folgt für unseren Zusammenhang zweierlei: Einerseits ist eine Haltung postmoderner Coolness, die persönliche Betroffenheiten aller Schattierung sorgsam vermeiden muss, ein erster Schritt zur unvermeidlichen Demenz ihres Inhabers. Und ferner: Ein narzisstischer Gesellschaftscharakter, der Infragestellungen der eigenen Person – ihrer Standpunkte, Haltungen und Emotionen – nicht mehr zulassen kann, sondern die unablässige Bestätigung des eigenen Ego als soziale Norm im Kulturbetrieb postuliert, führt in kollektive Verblödung. Letztere hat weite Teile unseres elektronischen Medienbetriebs bereits fest im Griff und wird ob ihrer allgemeinen Verbreitung kaum noch bemerkt.
Die Umtriebigkeit unserer Eventkultur führt allerdings selten zu persönlicher Betroffenheit. Das Gegenteil ist der Fall. Demgegenüber wird ein momentaner Gefühls-Kick auf dem Konsummarkt jederzeit ohne Rezept erworben. Er ist in jeder Hinsicht beliebig, hinterlässt keine biografischen Spuren und bleibt ohne Prägung für einen Menschentyp, der die Fähigkeit zu Leidenschaft eingebüßt hat.
Vergeblich aber die Auslagerung der Emotion. Was wir in uns selbst nicht entdecken, werden wir außerhalb unseres Selbst nicht finden. Ein Menschentyp, der eigene Emotion zu ersetzen sucht, bleibt angewiesen auf ein gekauftes Selbst, das er auf dem Eventmarkt erwerben muss. Die suggestiven Angebote einer rasant fortschreitenden Digitalisierung sind ihm dabei behilflich – Folgen und Nebenwirkungen stehen allerdings auf keinem Beipackzettel.
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