Warum wir unser Wirtschaftssystem radikal ändern müssen - Weniger ist mehr

 

Diskurs-SWR2
N. Klein: Wirtschaftssystem ändern ..

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Sendung: Sonntag, 24. Mai 2015, 8.30 Uhr
Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch
Produktion: SWR 2015 : Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Service.

AUTORIN
Die Kanadierin Naomi Klein ist Journalistin und Bestseller-Autorin. Sie schreibt u. a. für das US-Magazin „The Nation“ und für die britische Tageszeitung „The Guardian“. Klein setzt sich in ihren Büchern und Artikeln kritisch mit den Themen Konsumverhalten, Globalisierung, Neoliberalismus und Klima auseinander.
Bücher:
- Die Entscheidung – Kapitalismus vs. Klima. S. Fischer-Verlag. 2015.
- No Logo – Der Kampf der Global Players um Markenmacht. Fischer Taschenbuch. 2015.
- Die Schock-Strategie – Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Fischer Taschenbuch. 2008.

ÜBERBLICK
Unser Wirtschaftssystem und unser Planetensystem passen einfach nicht zueinander: Damit die Erde überleben kann, damit das Klima nicht kollabiert, müssen wir unseren Ressourcenverbrauch senken, damit die Wirtschaft nicht zusammenbricht, benötigen wir mehr Expansion, mehr Konsum, mehr Wachstum. Wie kann man dieses Paradoxon auflösen? Wir müssen das kapitalistische System rigoros umbauen und das "Immer-Mehr" aufgeben. Naomi Klein, Bestsellerautorin, Journalistin, Globalisierungskritikerin, zeigt Alternativen und Auswege auf.
Die Kanadierin Naomi Klein ist Journalistin und Bestseller-Autorin. Sie schreibt u. a. für das US-Magazin „The Nation“ und für die britische Tageszeitung „The Guardian“. Klein setzt sich in ihren Büchern und Artikeln kritisch mit den Themen Konsumverhalten, Globalisierung, Neoliberalismus und Klima auseinander.

INHALT
Ansage:
Mit dem Thema: „Weniger ist mehr – Warum wir unser Wirtschaftssystem radikal ändern müssen“.
Unser Wirtschaftssystem und unser Planetensystem passen einfach nicht zusammen. Damit die Erde und wir überleben können, damit das Klima nicht kollabiert, müssen wir unseren Ressourcenverbrauch senken und ins postfossile Zeitalter einsteigen. Damit die Wirtschaft nicht kollabiert, benötigen wir aber mehr Expansion, mehr Wachstum, mehr Konsum. Wie kann man dieses Paradoxon auflösen? Wir müssen endlich das kapitalistische System rigoros umbauen, das Immer-Mehr aufgeben, sagt die Globalisierungskritikerin und Bestsellerautorin Naomi Klein in ihrem neuen Buch, Titel: "Die Entscheidung – Kapitalismus versus Klima", erschienen bei S. Fischer.
Mein Kollege Geseko von Lüpke hat Klein in Berlin getroffen und mit ihr über das Buch gesprochen, er hat das Interview für uns übersetzt, Katja Amberger leiht Naomi Klein die deutsche Stimme.
INTERVIEW
Frage:
Naomi Klein, if historians ... currents would they see?
Wenn Historiker auf die letzten 20 Jahre globaler Politik zurückblicken, welche Hauptströmungen würden ihnen auffallen?
Naomi Klein:
One of the things they would see ... an explosion in greenhouse Gas emissions.
Eins der Dinge, die ihnen ins Auge fallen würden, wären die zwei parallelen Verhandlungsmarathons, welche die letzten 20 bis 25 Jahre geprägt haben. Eine dieser beiden Verhandlungen zwischen den Regierungen der Welt drehte sich um die globale Infrastruktur eines freien Flusses von Kapital und Gütern – also quasi eines Entgrenzung und Befreiung des globalen Kapitals. Und diese Historiker könnten beschreiben, wie dieses Projekt immer weiter wuchs, immer kraftvollere Institutionen und bindende Vereinbarungen hervorbrachte. Daneben würden sie einen weiteren Verhandlungsprozess zwischen den gleichen Regierungen beobachten, bei dem es um eine der größten Herausforderungen ging, vor denen die Menschheit steht – der Tatsache, dass wir dabei sind, diesen Planeten unbewohnbar für die menschliche Spezies zu machen. Und sie könnten analysieren, wie diese Verhandlungen von Scheitern zu Scheitern taumelten, halbe Lösungen produzierten, wenig bindende Erklärungen hervorbrachte, während das zu lösende Problem wuchs und immer schlimmer wurde. Und sie würden dann möglicherweise die Verbindungen zwischen diesen beiden Prozessen erkennen. Denn das so immens erfolgreiche Projekt der Befreiung des Kapitals machte es für die Regierungen nicht nur immer schwerer, den Abbau der CO2-Emissionen zur Bewältigung des Klimawandels durchzusetzen. Sondern der unbegrenzte Handel ermutigte zudem die umweltschädlichste Form des Konsums in allen Erdteilen und provozierte die schmutzigste Form der Produktion in Billigländern und ließ die Freisetzung der Treibhausgase explodieren.
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Frage:
If we would call it 'bad timing' … but it is not?
Wenn wir das „ schlechtes Timing‟ nennen, klingt das wie ein Zufall. Aber es ist wohl keiner?
Naomi Klein:
I think it is simply a case of … It was really bad timing.
Da lag, glaube ich, gar keine böse Absicht dahinter, dass der Klimawandel zu dem unpassendsten Moment unser aller Aufmerksamkeit gewann. Natürlich hatten ein paar Klimaforscher warnend auf den Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und der globalen Erwärmung hingewiesen. Das beruht auf einem recht simplen wissenschaftlichen Konzept, dass es schon eine Weile gab. Es brauchte aber bis 1988, als James Henson, der führende Klimawissenschaftler der NASA, vor dem amerikanischen Kongress erklärte, er sei sich zu 99% sicher, dass es diese Verbindung gäbe. Das war dann auch der Zeitpunkt, als das ‚Intergovernmental Panel on Climate Change„ gebildet wurde. Und damals gab es eine große Hoffnung, dass wir dieses Problem gut bewältigen könnten. In der Tiefe kam es dazu, dass alle Welt auch daran glaubte, dass wir eine Ära ‚neuer Aufklärung„ vor uns hätten, weil die Sowjetunion schwächelte und man hoffte, nun eine neue Welt schaffen zu können, die besser wäre als Staats-Sozialismus einerseits und unreguliertem Kapitalismus andererseits. Als dann die Berliner Mauer fiel, wurde das aber als ein Triumph des Kapitalismus wahrgenommen und man rief, wie Nobelpreisträger Joseph Stieglitz es nannte, den ‚Markt-Fundamentalismus„ aus, in dem die Bürger nichts mehr zu sagen haben. Margaret Thatcher behauptete damals: „So etwas wie eine Zivilgesellschaft gibt es nicht!“, der Markt sollte alles regulieren. Da gab es gar keine Möglichkeit, ein so kollektives gesellschaftliches Thema, wie der Klimawandel es ist, anzugehen. Der Klimawandel fordert wie kaum ein anderes Thema eine nie dagewesene Kooperation zwischen allen Menschen in einem Land, aber auch zwischen verschiedenen Ländern. Und er verlangte nach klaren staatlichen Regularien in einer Zeit, wo jeder Vorschlag staatlicher Einflussnahme als ‚kommunistisch„ gebrandmarkt wurde. Es war wirklich ‚schlechtes Timing„.
Frage:
C02-emission grows ... Is it just this contradiction to market mechanisms?
Die CO2-Emissionen sind seit 1990 von 24 Milliarden Tonnen jährlich bis heute auf 36 Milliarden Tonnen angestiegen. Warum sind wir offenbar unfähig, diese Entwicklung zu stoppen?
Naomi Klein:
It's not just the contradiction with ... And the cheapest energy is dirty coal.
Wesentlich für diese Entwicklung ist die Ideologie, das der Markt alles regle, welche die 90er-Jahre, in denen das Kyoto-Protokoll verhandelt wurde, prägte. Als deutlich wurde, dass es Regeln braucht, um die Kohlenstoff-Emissionen zu reduzieren, wurden deshalb nicht klare Grenzwerte beschlossen und drastische Strafen für all jene, die sich daran nicht halten beschlossen. Stattdessen kam man auf die verrückte Idee, einen Markt für Verschmutzungsrechte zu erschaffen. Das war auf allen Ebenen ein Fehler – der ziemlich vorhersagbar war. Man mache sich klar: Da wird den Leuten weisgemacht, man könnte mit einer unsichtbaren Substanz Geld verdienen – schmutziger Luft. Das war wie ein Magnet für alle möglichen schrägen
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Ideen. Denn es war extrem schwierig, diesen Markt zu überwachen, und extrem einfach, viel Geld zu machen. Und genau das passierte! Das Problem daran ist im Grunde, dass das Projekt unter dem Label ‚Globalisierung„ im Kern darauf abzielt, durch internationale Zusammenarbeit und offene Märkte die billigste Produktion von Gütern möglich zu machen. Das war nicht unvermeidlich, sondern eine bewusste Entscheidung, die von einer aggressiven Lobby durchgedrückt wurde. In meinem ersten Buch ‚No Logo„ habe ich darauf hingewiesen, in welchem Maß diese Haltung der Arbeit ihren Sinn nimmt und die Qualität der Güter zerstört. Was ich damals aber noch nicht erkannt hatte, war der innere Zusammenhang zwischen ‚billiger Arbeit„ und ‚billiger Energie„. Denn wenn im Mittelpunkt steht, die Produktionskosten zu senken, dann sucht der Markt immer nach der billigsten Option: nicht nur nach den billigsten Arbeitskräften, sondern auch nach der billigsten Energie. Und die billigste Energie ist die dreckige Kohle.
Frage:
Is this two degree limitation ... which basically question global civilization?
Ist die Begrenzung auf zwei Grad globaler Erwärmung, die in aller Munde ist, noch realistisch? Oder müssen wir uns auf weit bedrohlichere Entwicklungen einstellen, die tatsächlich die Zukunft menschlicher Zivilisationen in Frage stellen?
Naomi Klein:
My view is: So long as it is … And that is what this book is about!
Ich bin der Ansicht, dass es physikalisch immer noch möglich ist, eine katastrophale Erwärmung zu verhindern! Mit zwei Grad Erwärmung spielen wir schon mit dem Feuer. Bislang haben wir die globale Temperatur noch nicht einmal um einen Grad erwärmt, obwohl wir jetzt nah daran sind. Und schon bei diesem Wert wurden wir Zeugen von so katastrophalen Ereignissen wie dem Taifun Haijen oder der mehrjährigen Dürre in Kalifornien. Schon jetzt sind die Küstenstädte der Welt gefährdet. Wenn wir die Zwei-Grad-Begrenzung, auf die sich die Regierungen in Kopenhagen verständigten, aufgeben, dann ist das nichts anderes als ein moralisches Verbrechen. Da geht es dann buchstäblich darum, dass ganze Nationen und Kulturen, die seit Zehntausenden von Jahren existieren, verschwinden werden. Dann geht es darum, ganz Afrika südlich der Sahara zu opfern. Das ist eine moralische Frage, eine grundsätzlich ethische Herausforderung. Deshalb ist es für mich auch so wichtig, dass der Papst sich immer mehr in die Diskussion einbringt. Denn bislang sprechen wir darüber viel zu oft, als wäre es nur eine klinische Kosten-Nutzen-Analyse, so nach dem Motto: „Lass uns die die zwei Grad vergessen, wie könnte es mit drei Grad funktionieren?“. Solange es physikalisch möglich ist, die zwei Grad globaler Erwärmung einzuhalten – und daran glaube ich – bin ich ausschließlich daran interessiert, darüber zu reden: Wie schaffen wir das? Und darum geht es in meinem neuen Buch.
Frage:
But what stops it? ... we go somewere else than two degrees limitation.
Was aber hindert uns daran? Da gibt es doch enorm viel Verdrängung! Wohin führt das? Es scheint doch, dass wir die Zwei-Grad-Grenze sicher überschreiten, wenn wir weiter fast nichts tun!?
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Naomi Klein:
Well I think it's denial … they are doing all the wrong things.
Es gibt Verdrängung, aber es geht darüber hinaus. In den USA haben wir die „Tea Party‟ und Leute wie Donald Trump. Die leugnen den Klimawandel, weil es manchmal schneit. Das ist ihnen Beweis genug. Aber über diese Form der Verdrängung will ich mich gar nicht auslassen, dazu lässt sich kaum noch was sagen. Andererseits leben wir alle mehr oder weniger in einem Zustand der Verdrängung. Kein Wunder! Das Thema ist riesig und beängstigend. Also wenden wir uns ab. Wir sehen keine Lösung, keine politische Führung. Ich glaube, wir können die Verdrängung nur überwinden, indem wir einen Plan machen, eine Vision entwickeln, wie wir die Emissionen entsprechend dem Zwei-Grad-Ziel senken können. Wir wissen, dass es in den reichen Ländern darum geht, den CO2-Ausstoß um acht bis zehn Prozent zu reduzieren. Wir müssen da vorangehen! Das heißt nicht, dass nicht auch China und Indien reduzieren müssen. Aber wir müssen die Einschnitte vormachen und das Notwendige tun. Und das Gute dabei ist: Wenn wir das schaffen, können wir extrem viele Jobs im Bereich der erneuerbaren Energien, im öffentlichen Verkehr erschaffen. Wir können mehr soziale Gleichheit verwirklichen, indem wir Zugfahrten billiger machen und Leute umsteigen und auf ihr Auto verzichten. Wir könnten unsere eigenen dezentralisierten Strom-Netze wieder erwerben, in denen die Energie den Gemeinden gehört, die ihre Ressourcen und Profite für das Gemeinwohl nutzen können. Worüber ich hier im Kern rede, ist die Hochzeit zwischen der Klimakrise und der Krise wirtschaftlicher Ungleichheit, der Krise der Arbeitslosigkeit, um verschiedene Herausforderungen gleichzeitig zu lösen. Das ist absolut dringend, um weiter zu kommen. Ihr hier in Europa habt deutliche Fortschritte in der Lösung der Klimakrise gemacht, bis die Wirtschaftskrise vor der Tür stand. Das ist doch der Punkt: Wenn die Politik nicht etwas tut, um die alltäglichen wirtschaftlichen Nöte der Menschen zu lindern, dann ist der Klimaschutz sekundär und wird vergessen. Hier in Deutschland ist die Klimapolitik noch gut – aber ihr seid auch nicht so von der Krise betroffen. In Spanien, Griechenland, Italien, Portugal sind alle Förderungen für erneuerbare Energien gestrichen worden. Und während man in gefährlichen Regionen nach Öl bohrt oder Gas aus den Böden presst, erhöhen sie die Preise für den öffentlichen Nahverkehr und privatisieren die Bahnen. Sie tun genau das Falsche!
Frage:
I think you even go beyond ... to solve the climate problem at all?
Sie gehen darüber noch hinaus, indem Sie schreiben, dass eine erfolgreiche Klimapolitik in einem kapitalistischen System nicht funktionieren kann, weil die Widersprüche zu groß sind. Müssen wir also den Kapitalismus hinter uns lassen, um das Klimaproblem lösen zu können?
Naomi Klein:
The reason why ... to avoid catastrophy.
Der Grund dafür, dass ich das Buch in Englisch „This changes everything‟ – „Das ändert alles‟ betitelt habe, ist die Tatsache, dass wir so oder so vor fundamentalen Änderungen stehen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann wird sich die natürliche Welt tiefgreifend verändern. Wenn wir den bisherigen Weg aber verlassen wollen, dann braucht es grundlegende Veränderungen in unserem politischen und wirtschaftlichen System. Das ist so, weil wir einfach zu lange gezögert haben. Wir
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kennen den Satz: 'Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben'. Wenn man 25 Jahre nichts tut, dann blasen sich die Emissionen auf wie in einem Ballon. Und ihre Wirkung tritt ja erst mit Verzögerungen ein, weil der Kohlenstoff für Hunderte von Jahren am Himmel bleibt. Das heißt, wenn wir die Zwei-Grad-Grenze einhalten wollen, müssen wir die Emissionen so stark zurückfahren, dass es der fundamentalen Logik einer ökonomischen Wachstumsgesellschaft widerspricht. Deshalb ist das auch kein Konflikt mehr zwischen der Klimakrise und dem Neo-Liberalismus. Weil wir so lange gezögert haben, sind wir heute an dem Punkt angekommen, wo wir – wenn wir die Katastrophe verhindern wollen – im offenen Konflikt mit der innersten Logik des Kapitalismus stehen, der unbegrenztes Wachstum über alles stellt
Frage:
It sounds very radical ... the problems so radical?
Den Kapitalismus hinter uns zu lassen, klingt sehr radikal. Und die unmittelbare Frage lautet: Ist das nicht völlig irreal, erst das existierende Wirtschaftssystem zu überwinden, bevor wir das Klimaproblem lösen können? Wo sehen Sie denn einen realen Ansatz für eine so radikale Forderung?
Naomi Klein:
I think we find ourselves ... what needs to happen.
Wir sind da fraglos in der Zwickmühle. Tatsache ist: Die Schritte, die nötig sind, um die Stabilität der lebenserhaltenden System dieses Planeten zu sichern, können mit diesem politischen System bislang nicht umgesetzt werden. Wir sind also im Konflikt mit zwei Formen von Gesetzen: dem ökonomischen Gesetz des Marktes und den Naturgesetzen. Die Naturgesetze können wir nicht verändern. Aber die Gesetze der Wirtschaft sind veränderbar! Es ist schwierig, sehr schwierig sogar. Aber die Veränderung der Naturgesetze ist viel schwieriger (lacht). Ich sage nicht, es ist leicht. Ich sage nur: Es ist notwendig! Und tatsächlich ist mein Buch ein Aufruf für einen grundlegenden Wertewandel, der durch eine Koalition von Bürgerbewegungen durchgesetzt wird und die politischen Realitäten wirklich verändert. Denn das ist es, was passieren muss.
Frage:
You talk about a change ... cultural values?
Sie sprechen von einem Wertewandel. Liegt denn aber nicht hinter der Frage „Klimawandel versus Kapitalismus‟ ein tieferer Konflikt der Weltbilder? Der Art, wie wir uns selbst und unsere Rolle auf der Erde definieren? Ist es nicht im Kern ein Konflikt zwischen derartigen kulturellen Werten?
Naomi Klein:
Absolutely. I think if we ... never apart from nature.
Absolut richtig. Wenn wir über die Klimakrise reden wie über das Gesundheitssystem oder neue Arbeitsplätze, dann gehen wir nicht tief genug. Denn das Problem ist tatsächlich Ausdruck der Krise des gegenwärtigen Weltbildes. Im Kern ist es eine spirituelle Krise, weil wir an ein Weltbild glauben, dass uns über die Natur stellt. Die Ironie daran ist, dass es fossile Brennstoffe wie Öl waren, die uns diesen Glauben gaben. Fossile Brennstoffe haben unglaublich viel dazu beigetragen, uns vor den Unbilden der Natur zu schützen und uns von der Natur abzutrennen. Der Philosoph Emmerson nannte Kohle einmal 'ein transportierbares Klima'. Fossile Brennstoffe
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schienen uns das Versprechen zu geben: „Ihr seid nicht mehr der Willkür der Elemente ausgeliefert!“ Ob als Schiffskapitän, der bislang auf den Wind warten musste, um loszusegeln und der nun eine Dampfmaschine hatte, die ihn jederzeit überall hinbrachte. Oder ob man ein Fabrikbesitzer war, der bislang nur an Flüssen und Wasserfällen produzieren konnte, wo Energiegewinnung zeitweise möglich war, und der nun Fabriken überall dort bauen konnte, wo Arbeitskräfte billig und willig waren. Fossile Brennstoffe vermittelten uns die Illusion, dass wir getrennt von der Natur existieren könnten. Und während wir daran glaubten, füllten wir den Himmel mit ihren Rückständen. Bis wir jetzt schließlich feststellen müssen, dass wir niemals von der Natur getrennt waren.
Frage:
So what is the basic ... basis of economy and culture?
Was also ist der Grundwert, auf dem Kultur und Wirtschaft basiert, den wir verändern müssen?
Naomi Klein:
That this narrative ... as long as we behave.
Letztlich ist es der moderne Schöpfungsmythos, dass wir alles unter Kontrolle hätten und der Boss des Ganzen wären. Das war schon immer ein Mythos! Wir sind Natur, umgeben von Natur. Und es wird uns so lange geben, wie wir uns gut benehmen.
Frage:
So you try ... nothing less than that.
Und Sie versuchen nichts anderes, als den Mythos umzuschreiben?
Naomi Klein:
I think this is a narrative ... the earth is a machine.
Ich glaube, darin liegt tatsächlich die Herausforderung. Und damit bin ich Teil eines weltweiten Prozesses, in dem versucht wird, die Grundwerte umzuschreiben. Viele Menschen arbeiten daran, den Mythos des Menschen umzuschreiben. Und alte Mythen besser zu verstehen. Denn wir haben ja nicht immer an die Trennung von Mensch und Natur geglaubt. Im großen Bogen menschlicher Geschichte ist das eine relativ junge Idee, die im 14., 15. Jahrhundert in England mit Francis Bacon entstand und damals das traditionelle Weltbild auf den Kopf stellte. Denn die Erde galt unseren Vorfahren als lebendige, Leben schenkende Mutter. Eine, die ziemlich schlechte Laune haben konnte und bei der man sich gut benehmen sollte. Dafür gab es alle möglichen Tabus, von denen manche durchaus weise Regeln der Nachhaltigkeit waren. Hinter der Pflicht, sich um die Erde zu sorgen, stand der Glaube, dass sie sich dann auch um ihre Kinder kümmere. Solche Überzeugungen existieren in allen Kulturen dieser Erde. Und sogar in unserer hoch industrialisierten Welt existieren sie unter der noch sehr neuen Idee, dass die Welt eine Maschine sei.
Frage:
In the first part of the book you ... the whole system within the crisis?
Im ersten Teil ihres Buches versorgen Sie den Leser mit gut recherchierten schlechten Nachrichten. Der zweite Teil, in dem Sie darlegen, wie eine gute Klimapolitik eine ganz neue Kultur erschaffen kann, ist dann überraschend optimistisch. Wo sehen Sie eine Chance, in der Krise das ganze System zu verändern?
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Naomi Klein:
Well, I don't see ... the economy for the better.
Dem widerspreche ich. Der erste Teil ist nicht voller schlechter Nachrichten. Er ist eine nüchterne Diagnose. Aber er stellt auch dar, was zum Beispiel in Deutschland passiert, wo es einen Konflikt gibt zwischen der Privatisierung der Energienetze und der Energiewende. Private Unternehmen wollen an ihren profitablen Geschäftsmodellen festhalten und verhindern, dass ihre bisherige Kundschaft zu Konkurrenten werden, die plötzlich selber Energie produzieren und daran verdienen. Mittlerweile haben sich Hunderte von Städten und Orten in Deutschland entschlossen, ihre Energienetze zurückzukaufen. Das sind keine schlechten Nachrichten. Vielmehr zeigt das doch exemplarisch, wie die Klimakrise wie ein Katalysator genutzt werden kann, um eine gerechtere Wirtschaft zu erschaffen. Und es ist ein sehr konkretes Beispiel. Wissen Sie, ich bin kein naiver Optimist. Ich habe lediglich noch nicht aufgegeben. Der Grund dafür, dass ich an die Chancen glaube – Chancen, für die es sich zu kämpfen lohnt – ist die Gewissheit, dass sehr viele Menschen unabhängig vom Klimawandel mit dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem nicht mehr zufrieden sind. Deutschland ist ja noch eine Insel der Ruhe in einem Meer des Chaos. Aber in Griechenland, in Spanien, in Italien, in Portugal – ich könnte die Liste fortsetzen und das ist nur Europa – ist der Ärger über ein System, das Profite über Lebensqualität, über Gesundheit, über ein Leben in Würde setzt, gegenwärtig sehr sehr groß. Die Menschen wollen eine faire Wirtschaft. Und mein Argument ist, dass der Klimawandel wie ein Katalysator für eine bessere Wirtschaft wirken kann, weil er uns unter Zeitdruck bringt, jetzt etwas zu tun, was nicht der Logik des Profits entspricht.
Frage:
But you see the mobilizing ... a climate revolution!"
Aber Sie sehen die treibende Kraft dafür nicht bei der Politik oder internationalen Konferenzen, sondern in Massenbewegungen der globalen Zivilgesellschaft. Im Buch heißt es wörtlich: „Wir brauchen eine Klimarevolution!”
Naomi Klein:
I think it's gonna come … will come from below.
Ich glaube wirklich, es muss „von unten‟ kommen. Es braucht Koalitionen mit den Gewerkschaften, die mit Umweltschützern arbeiten, Frauenorganisationen und Studenten mit hereinnehmen. Zusammen muss eine Vision einer post-fossilen Wirtschaft erdacht werden, die aufregend ist und besser als das, was wir heute haben. Aber es darf auch keine simple Konfrontation zwischen den sozialen Bewegungen und der Politik geben. Sehen Sie, soziale Bewegungen bringen auch neue Akteure hervor. Man denke nur an Pro Demos in Spanien, einer Partei, die vor drei Jahren noch gar nicht existierte und nun kurz davor steht, die Macht zu übernehmen. Je mehr Visionen an den Graswurzeln der Gesellschaft entwickelt werden, umso leichter wird es für die politischen Parteien, sie aufzugreifen. Das gilt auch für die etablierten Parteien, die ja an der Macht bleiben wollen. Aber die tragende Kraft und Führung, glaube ich, wird von unten kommen.
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Frage:
What is the system ... which is beyond growth?
Wie soll ein postfossiles System aussehen? Wird es ohne Kapitalismus sein oder einen anderen Kapitalismus ausprobieren. Wird es eine Postwachstums-Gesellschaft sein?
Naomi Klein:
I think what changes ... And it has failed.
Was sich verändern wird, ist der Maßstab für Erfolg. Während es im klassischen Kapitalismus um die Wachstumsrate geht, wird es nach einem Systemwechsel das Gemeinwohl und die kollektive Sicherheit sein. Das bedeutet nicht, dass es kein Wachstum mehr geben wird. Es bedeutet vielmehr, dass wir die Sektoren der Wirtschaft und Gesellschaft, die das Gemeinwohl erhöhen, die uns von fossilen Brennstoffen unabhängig machen oder der Lösung der Klimakrise dienen, wachsen lassen können. Da soll die Ökonomie sich ausdehnen. Wo wir die Ökonomie schrumpfen lassen müssen, ist in den Bereichen, die während des Wachstums die Umwelt destabilisieren und eine nachhaltige Zukunft gefährden. Es wird eine strategischere, geführtere Wirtschaft sein. Eine Misch-Ökonomie mit einem sehr viel größeren öffentlichen Sektor, mit vielen Kooperativen und Non-Profit-Bereichen. Diese Ökonomie wird weiterhin marktwirtschaftlich sein. Aber wir müssen den Märkten durch Regularien dabei helfen, die Emissionen zu senken. Wir können es uns nicht mehr leisten, alles einfach ‚dem Markt„ zu überlassen. Das haben wir die letzten 20 Jahre versucht. Und damit sind wir gescheitert.
Frage:
There is still an ironic thing ... So is 'the right' right?
Es bleibt eine ironische Tatsache, dass Ihre Aussage, wir müssten das Wirtschaftssystem ändern, um der Klimakrise Herr zu werden, den Vorwurf der Rechten bestätigt, das sich hinter einen grünen Klimapolitik eigentlich eine rote Revolution mit sozialistischen Werten verbirgt. Haben die Rechten recht?
Naomi Klein:
I don't think it should be ... I would ever advocate.
Da wird gar nichts versteckt und niemand sollte empört sein. Ich bin stolz, Teil der Linken zu sein. Und ich bin ein Teil der Linken, weil ich davon überzeugt bin, dass wir Gesellschaften im Interesse des Gemeinwohls erschaffen sollten, die gerechter und sicherer sind und den Klimawandel und andere ökologische Schäden bekämpfen sollten. Das ist ein Teil der Gesamtstrategie. Und das ist keine verborgene politische Verschwörung, sondern ganz offen formuliert. Ich glaube, dass die Rechte langsam begreift, dass – wenn der Klimawandel Realität ist – dann ihr extremes Weltbild des Individualismus und der Wettbewerbs nicht länger überleben wird. Denn dann wird klar, dass die Dinge, die getan werden müssen, eine Menge staatlicher Interventionen in den Markt und viele kollektive öffentliche Teilhabe braucht. Dann wird einsichtig, dass ein egoistisches Motiv der persönlichen Bereicherung inmitten dieser Krise vielmehr ziemlich gefährlich ist. Wir müssen dem gegenüber ein System schaffen, dass auf die Naturkatastrophen mit systemischen Antworten reagiert, die weitere Extremwetterlagen verhindern. Und das muss öffentlich passieren, demokratisch und gestützt sein von zivilen Massenbewegungen. Das ist das Gegenteil der Doktrin, die wir in der aktuellen Situation in Griechenland beobachten
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können, wo die Krise benutzt wird, um Demokratie auszuhebeln. Ganz nach dem Motto: “Es ist ganz egal, wie Ihr gewählt habt! Wir haben eine Wirtschaftskrise und wir werden Euch zwingen, unsere Politik zu übernehmen!“ Das wäre das Letzte, wofür ich eintreten würde.
Frage:
What has to happen to make ... a mass-movement grow?
Was muss geschehen, damit die Menschen aufwachen? Braucht es mehr Katastrophen, um eine Massenbewegung wachsen zu lassen?
Naomi Klein:
I don't think so ... is leadership and its brayshed.
Das glaube ich nicht. Die Angst ist schon jetzt groß. Und wir wissen keinen Ausweg. Was jetzt wirklich ansteht, ist die Bildung von Koalitionen, ist eine Vision für eine postfossile Gesellschaft und dann der Kampf für diese Vision. Und der Kraftakt, die Menschen davon zu überzeugen, dass es möglich ist. In der englischsprachigen Welt kam das Buch letzten September raus. Also habe ich das letzte halbe Jahr damit verbracht, mit sehr vielen Menschen über die Klimakrise zu reden. Wo immer ich hinkam, traf ich auf viele Menschen, die große Angst vor der Zukunft haben. Die größte Hürde für sie, aktiv zu werden, ist ihre Resignation. Sie haben aufgegeben und warten auf den Untergang. Sie sind ohne Hoffnung. Um das aufzubrechen, braucht es nicht weitere Schocks und Katastrophen. Die Antwort darauf ist eine positive Vision, eine kraftvolle politische Führung und Umsetzung.
Frage:
But somehow ... of that crisis?
Also sehen Sie eine Zukunft aus der Krise entstehen?
Naomi Klein:
Some futures are ... and how we behave within it.
Aus der Krise, in der wir jetzt stecken, können verschiedene Zukünfte entstehen. Wir aber sind in der Lage zu kontrollieren, wie schlimm die Krise wird und wir uns in ihr verhalten.
(Das Interview führte Geseko von Lüpke)
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