Nicole Müller: Narrative des Scheiterns .Zur Konstitution von Identität in biographischen Krisen

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Narrative - scheitern kontingent . N. Müller.
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Online-Publikation: Januar 2021 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Nicole Müller: Narrative des Scheiterns .Zur Konstitution von Identität in biographischen Krisen >>
260 Seiten, 22.2 x 14 cm, Broschur, ISBN 9783958322134, 39,90 €
Dieser Titel ist auch im Verlag Humanities Online als E-Book erhältlich:
Velbrück Wissenschaft, D-53919 Weilerswist-Metternich; http://www.velbrueck-wissenschaft.de

Charakteristika
> Kontingenz/en (*)
- (Philosophie), die Nicht-Notwendigkeit alles Bestehenden
- (Soziologie), prinzipielle Offenheit menschlicher Lebenserfahrungen
- (Psychologie), fein abgestimmte emotionale Kommunikation zwischen zwei Menschen
- (Geschichtswissenschaft), die Vereinbarkeit von Kausalität und Offenheit der Geschichte

Inhalt
Im Scheitern stößt der Mensch an die Grenzen seiner eigenen Steuerungsfähigkeit. Mit einem Mal kann er seiner Umwelt – zuweilen auch seiner eigenen Innenwelt – nicht mehr Herr werden. Damit ist ein grundlegendes Problem des Handelnden angesprochen.
Aus narratologischer Perspektive kann Scheitern als Bruch innerhalb einer Kontinuität von Sinnhaftigkeit konzipiert werden, die jedoch für die Identität des individuellen Akteurs unentbehrlich ist. Dieser Bruch ist somit das Ende von Anschlussfähigkeit innerhalb jeweils spezifischer lebensweltlicher Sinnbereiche: Eine Störung unterbricht die Verflechtungsordnung des Selbst und verunmöglicht es, die bisherige Struktur der narrativen Identität fortzuführen. Der Akteur ist gezwungen, neue strukturelle Formen von Identität auszuformen und diese auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umzulegen.
Nach dem Scheitern müssen zudem neue Formen von Handlungsmacht etabliert und die Erfahrung von entzogener Steuerungsmacht in den Kurs des eigenen Lebens integriert werden. Untersucht werden in diesem Buch daher erzählerische Praktiken deutsch- und englischsprachiger internationaler Sprecher/innen, die dazu dienen, nach dem Bruch der narrativen Identität aus dem Scheitern heraus eine neue Sinnstruktur aufzuspinnen und Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen.
Den analytischen Fluchtpunkt dieser Exploration von biographischen Narrativen des Scheiterns bildet somit die Frage, wie das Selbst sich angesichts des Scheiterns erzählt, welche neuen Praktiken der Selbstbezüglichkeit sich ausformen und welches Verhältnis sich zwischen Scheitern und narrativer Identität aufspannt. Auf diese Weise liefert die Studie eine neue Perspektive darauf, was Scheitern ist und wie es konzipiert und verstanden werden kann.

Nicole Müller
ist Soziologin und Germanistin und war als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Angewandte Linguistik an der Technischen Universität Dresden tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind empirische Sozialforschung, Kultursoziologie, Architektursoziologie, Narrationsanalyse, Identitäts- und Emotionsforschung. Derzeit arbeitet sie im Bereich Human System Interaction und User Experience Research.

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Fazit vorangestellt
Die Soziologin und Linguistin Nicole Müller kommt in ihrer umfassenden und feinstrukturierten Untersuchung "Narrative des Scheiterns" zum Schluss, dass .zur 'Konstitution von Identität in biographischen Krisen' eine Nicht-Notwendigkeit vom Bestehenden, eine prinzipielle Offenheit menschlicher Lebenserfahrungen, eine fein abgestimmte emotionale Kommunikation zwischen zwei Menschen, sowie eine Vereinbarkeit geschichtlicher Kausalität und Offenheit gegeben sein muss, um zu einer Kontingenz (*) zu gelangen.
Und in ihrer Quintessenz scheint es der Besitz des Selbst zu sein - bildhaft gesehen - der bei einem Schiff-Bruch über Bord geht. Und so 'dem Menschen mit seinen Narrativen', so Müller, dass diese noch im Bruch ‚die Nöte und Bedrängnisse, die Krisen und ihre Kontingenzen* an eine Erkenntnis-Notwendigkeit zurückzubinden vermögen'. Diese Schlussfolgerung bietet Trost zum Selbstwerden und -sein.
m+w.p21-1 < k. >


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Inhaltsfolge
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2. Theoretische Bezüge . . . . . . . . . . . . . . 19
2.1 Scheitern im Licht von Handeln und Praxis . . . . 19
2.2 Narrativität und Wirklichkeitsstrukturierung . . . . 31
2.2.1 Segmentierung und Sequentialität . . . . . . 33
2.2.2 Perspektivität und Positionalität . . . . . 38
2.2.3 Narrativierung auf Begriffsebene . . . . . . 41
2.3 Erzählen und Erinnern:
Biographische Selbstnarrationen . . . . . . . . . 44
2.4 Agency: Narrative Konstruktionen
von Handlungsmacht . . . . . . . . . . . . . 51
2.5 Narrative Identität . . . . . . . . . . . . . . 59
2.5.1 Narrative Identität bei Paul Ricœur . . . . . 66
2.6 Zwischenresümée . . . . . . . . . . . . . . 75
Nicole Müller
Narrative des
Scheiterns
Zur Konstitution von Identität
in biographischen Krisen
244 Seiten · broschiert · € 39,90
ISBN 978-3-95832-213-4
© Velbrück Wissenschaft 2020
© Velbrück Wissenschaft 2020
3. Empirische Untersuchungen:
Narrative des Scheiterns . . . . . . . . . . . . . . 78
3.1 Datengrundlage und Untersuchungsmethode . . . . 78
3.2 Definitionen: Der Bruch der narrativen Struktur . . . 84
3.2.1 Im Scheitern:
Der Verlust des Handlungsbogens . . . . . . . 110
3.3 Konzepte und Variablen von Handlungsmacht . . 117
3.3.1 Richtungen von Wirksamkeit . . . . . . . 117
3.3.2 Vertrauen als Abgabe von Handlungsmacht . . 123
3.3.3 Handlungsinstanzen im Innern und
die Definitionsmacht des Ich über sich . . . . 129
3.3.4 Übermächtige Instanzen . . . . . . . . . 143
3.3.5 Zwischenresümée: Variablen der
Agency-Konstruktion . . . . . . . . . . 153
3.4 Narrative Identitätskonstruktionen:
Selbstverstehen zwischen Konstanz und Varianz . . . 163
3.4.1 Selbstkomplexität und Kompartmentalisierung 163
3.4.2 Zur Entkoppelung von Handlungsebene und
Seinsebene . . . . . . . . . . . . . . 174
3.4.3 Zwischenresümée: Selbstkonzepte im Scheitern 185
3.5 Ordnung und Krise . . . . . . . . . . . . . 187
3.5.1 Kodierung und Kartierung des Selbst . . . . 188
3.5.2 Die epistemische Funktion von Emotionen in
Narrativen der Selbstkonstitution . . . . . . 195
3.5.3 Die innere Reise: A Hero’s Journey . . . . 204
3.5.4 Zwischenresümée: Die Verschiebung des
Referenzpunkts . . . . . . . . . . . . . 214
4. Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . 216
5. Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
6. Transkriptionskonventionen . . . . . . . . . . . . 230
7. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . 232
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