Aufklärung (Neiman)

PA4-12-8risikenIII-wirkkraft.2.Aufklärung (Neiman , Zillmann)

2 a Aufklärung (Neiman)
Susan Neiman lehrt als Philosophin in Harvard und an der Freien Universität in Berlin, Yale , Tel Aviv, ist Leiterin des Einstein Forums in Potsdam.
Thesen - Auszug
- Moralische Stärke ist gefragt in einem neuen Zeitalter der Aufklärung
- Immer wenn man sich auf die gute alte Tradition der Aufklärung als sinnstiftendes Element beruft, wird man schnell in die Ecke des
konservativen Idealisten geschoben, der auf Werte setzt, die längst keine Rolle mehr spielen.
Dabei sind Moral, Humanität, Vernunft essentiell für das Zusammenleben und die Menschlichkeit,
sie sind erst recht wichtig, wenn es um ein stetig wachsendes und zusammenwachsendes Europa geht.
Quintessenz.
- Die Aufklärung ist Europas beste Erfindung, und obwohl es gerade den Europäern am wenigsten klar zu sein scheint, hat
kein Ort der Welt die Ideale der Aufklärung in einem solchen Maße verwirklicht wie das Europa von heute.
- In Europa gelten Obdach, Gesundheitsfürsorge und Bildung nicht als Vergünstigungen – „benefits“, wie es in Amerika heißt
sondern als Rechte.
- Wer mehr als einer Arbeit nachgehen muss, um die Grundbedürfnisse seiner Familie zu sichern, wer zwei Wochen Urlaub als erfreuliche Belohnung für jahrelange Aufopferung im Dienst an der Firma erhält, wird kaum Zeit oder Energie haben, sich über die politischen Einrichtungen seiner Gesellschaft Gedanken zu machen. Durch ihre Kulturförderung und die Bereitstellung der für ihren Genuss nötigen Zeit unterstützen europäische Regierungen nicht bloß Unterhaltungsbedürfnisse und Vergnügungen, sie legen damit vor allem das Fundament für Demokratie.
- Auf der anderen Seite des Atlantiks lassen schlechte Ernährung, Obdachlosigkeit, Kinder mit Waffen und ohne Krankenversicherung, steigende Kriminalität und sinkender Lebensstandard große Teile der USA wie den voraufgeklärten Naturzustand von Thomas Hobbes aussehen.
- Wer die Aufklärung verteidigen will, muss robuste Werte aufzeigen. Neben dem Internationalismus konzentriere ich mich auf vier: -
Glück, Vernunft, Ehrfurcht und Hoffnung. Glück als Recht und nicht als Gnade. Deshalb stellt die Vorstellung, es gebe ein Recht auf Glück, eine Reihe von Forderungen an die Gegenwart. Wer seinen Glücksanspruch daraus bezieht, dass er die Ansprüche anderer ignoriert – sei es der Marquis de Sade oder der Vorstandsvorsitzende von Goldman Sachs – ist ausgeschlossen.
-Der zentrale Wert der Aufklärung ist die Hoffnung – nicht zu verwechseln mit dem Optimismus, der so deutlich im Candide verworfen wurde. Optimismus ist eine Verkennung der Tatsachen; Hoffnung zielt darauf, Tatsachen zu ändern. die Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden…
-Während Europa eifrig debattiert, ob es als ein Ganzes existiert oder nicht, befindet sich die übrige Welt auf der Suche nach Vorbildern – die Europa schon bieten könnte, wenn es sich endlich von Trägheit und Selbstzweifeln befreit, wenn es sich auf die Werte der Aufklärung beruft.

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2 b Aufklärung (SWR2 Wissen – Autorin: Barbara Zillmann, Autorin)
Selbstentfremdung bei Rousseau
Der Mensch zwischen Freiheit und Konvention
Man kann den Begriff Entfremdung ja auf zwei Ebenen verstehen, einmal auf der
individuellen Ebene, dass man mal nicht in Einklang mit sich selbst lebt, diese
Erfahrung macht ja jeder von uns mal in verschiedenen Aspekten, das ist sozusagen
das alltagssprachliche Verständnis, der Begriff ist aber auch immer in der
Ideengeschichte so auf einer gesellschaftlichen Ebene verstanden worden, eben dass
die Menschen als Gesellschaft oder politische Formation in entfremdeten Zuständen
leben, in Ausbeutungsverhältnissen oder auch in Zuständen, wo sie die Natur
zerstören.
Entfremdung
So steht die Wendung „être hors de soi“ – wörtlich außerhalb seiner selbst sein“ – einerseits für die psychologische Spaltung, andererseits aber auch für Bewusstseinserweiterung etwa in Träumen. Das Wort „aliènation“ vom Wort alièn, fremd, heißt eher „Entäußerung“ – etwas von sich geben, einbringen, und ist mit Verkaufen und Verschenken assoziiert. Es kommt also aus dem Bereich von Geben und Nehmen. So benutzt Rousseau „aliènation“ im Zusammenhang mit dem Contrat social auch positiv:
Der freie Mensch gibt ein Stück seiner Entscheidungsfreiheit ab an die von allen gewählte politische Macht. Das fängt mit Robespierre in der zweiten Phase der französischen Revolution in der jacobinischen Phase schon an, der ja ein großer Rousseau-Anhänger war und der diese „volonté generale“ eben totalitaristisch umdeutet, und das wurde auch in der Wirkungsgeschichte Rousseau immer wieder vorgeworfen, dass er der Vordenker des Totalitarismus war, aber das sind natürlich irgendwelche Lesarten von Rousseau, die vielleicht nicht so historisch zutreffend sind, weil Rousseau ja ganz klar ist an dem Punkt, und er sagt, die „volonté generale“ ist mehr als die Summe ihrer Teile, aber solange nicht die Freiheit jedes einzelnen Teils da mit inbegriffen ist, ist es keine „volonté generale“ mehr. Man kann nicht über die Freiheit des einzelnen einfach so hinweggehen, wie es die Totalitaristen machen.

-Die Suche nach dem Ich in einer entfremdet empfundenen Welt: individuell bei Werther.. politisch bei Hegel, Marx …