Der zwyfach /dreifache Damaskios

PA4-Diskurs-Inhalt vom 12.10.2003

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"Die mythischen Geschehnisse haben sich nie zugetragen, aber sie sind immer ": Sallust PA4: Platon, u.a. Staat,.....Recherche: Alain, Heribert, Walter
Das Unsagbare (das der Sprache Entzogene) / indicibile ; das Unaussprechliche (jedoch für ein Subjekt mystisch Erfahrbare) / ineffabile ; Gewahren des Unausdrückbaren (inexprimabile) und Unbeschreiblichen im absoluten Schweigen
Das Eine / unum entzieht sich der Sprache und ist deshalb undefinierbar archê tu pantos (Prinzip von allem, vgl. Sonnengleichnis) Ideen erkennen; ihre Ursache
Kennzeichnend für die Gesprächsführung bei Platon und für PA4 ist die Enthaltung jeglicher Festlegung auf irgend einen dogmatischen Standpunkt. Diese Einstellung bildet den Rahmen, in dem all unsere Diskurse sich gestalten
Der dreifache Radikalismus am Diskurs

Kritik am Diskurs epistrophé
Infragestellen der proklischen Interpretationen Platons
Methode: Aporetik a priori
Erweis einer Kohärenz in einem absoluten Prinzip von Allem
Prinzip = unsagbar (nicht Materie, nicht Nicht-Seinendes..) ?Kontradiktion?
Unsagbares wird befreit vom Gegensatz Prinzip+Prinzipielles, Ursache+Verursachtes, Erstes +Zweites Seele+Hellseherisches...: alles unsagbar
Denken wird auf sich selbst rückgewandt = mystisch, sakrosankt...

Genese der Prinzipien
Methode der Rückwendung Konversion
Unmöglichkeit des Sagbaren erzeugt eine Kette von Prinzipien Vorprädikatives, Prä-Diskurs
Unsagbares birgt im Abgrund das Eine Im Oben das Alles. Es ensteht so die Teilung des Diskurses Matrixfeld = Fliessen von Allem pythagoräische, geeinteTriade chaldäisches Nous orpheisches Ur-Ei Relais-Station des Einen ?supraessentielle Henaden?
Anspielendes Erfassen im Diskurs
Vielheit = Nicht-Eines-Sein + Noch-Eines
Der Diskurs umfasst: Symbole, Anspielen, Ein-Wickeln (Involvieren)

Struktur des Hervorgangs prohodos
Mystisches + Metaphysisches wird gereinigt, ist rational begründet


Unterhalb des Unsagbaren gibt es mehrere Schwellen der Transzendenz






So offenbart sich das Prä-diskursive Modell von Damiskios

Fazit: ? Im Zweifel habe ich die Dreifachheit angesteuert, die ich Dich, lieber Alain, noch didaktisch zu bereinigen....
Alles Liebe und Gute bis 12. 10.

Es lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass sich das Denken von Damaskios letztlich durch einen dreifachen Radikalismus kennzeichnen lässt: (i) Denjenigen der Kritik am Diskurs, (ii) denjenigen der Genese der Prinzipien und (iii) denjenigen der Struktur des Hervorgangs. Diese drei Themen, die gewöhnlicherweise vom zeitgenössischen Denken als drei entgegengesetzte Denkweisen betrachtet werden, sind hier eng miteinander verbunden kraft des begründenden Charakters einer Aporetik, welche nicht ein vergeblicher Aporetismus ist.

Könnte dieser neue philosophische Esprit, den Damaskios gegen Ende der Spätantike an den Tag legt, nicht eine neue Art des Philosophierens für Morgen hervorrufen?

Im VI. Jahrhundert schliesst Damaskios, aus Damas stammend, die Reihe der Philosophen der neuplatonischen Schule von Athen ab. Diese Schule wurde am Ende des IV. Jh.s oder zu Beginn des V. Jh.s von Plutarch von Athen in seinem eigenen Haus am Fusse der Akropolis eingerichtet, um das Denken Platons fortbestehen zu lassen und dessen spirituelles Erbe fruchtbar zu machen. Dies ist der Grund, warum die Scholarchen, welche auf Plutarch folgten, nämlich Syrianos, Proklos, Marinos, Isidor und Zenodotos den Titel "Diadoch" (oder Nachfolger Platons) weitergaben. Dieser Titel wird ebenso Damaskios durch die Über- und Unterschrift im Ms. Marcianus graecus 246 (aus dem IX. Jh.) zugeschrieben, welches seine Abhandlung "Aporien und Auflösungen betreffend der ersten Prinzipien" sowie seinen Kommentar zum platonischen Parmenides enthält.

Die uns heute zur Verfügung stehenden Dokumente, die Hinweise und Informationen zu seinem Leben enthalten, sind einerseits Exzerpte aus einem seiner Werke "Das Leben des Isidor", welches nicht nur über seinen Lieblingsmeister handelt, sondern auch über eine Anzahl von zeitgenössischen Persönlichkeiten, und andererseits ein Reisebericht des Historikers Agathias über das persische Exil von Damaskios und sechs weiteren Philosophen, darunter Simplikios und Priskianos Lydus.

Wenn man das Geburtsjahr von Damaskios mit 462 n. Chr. ansetzt, dann wäre er 67 Jahre alt gewesen bei der Wahl dieses Exils, das unausweichlich schien nach den Massnahmen von Justinian im Jahre 529, die den heidnischen Philosophen jeglichen Unterricht untersagten. Wenn man ausserdem annimmt, dass Damaskios nach seinen eigenen Studien der Rhetorik in Alexandria, selbst als Professor diese Disziplin während neun Jahren in Athen unterrichtete, dann war er ungefähr 30 Jahre alt, bevor er zur Philosophie konvertierte. Marinos, der zu dieser Zeit Diadoch der Akademie war, wurde sein Mathematik-Professor und Zenodotos sein Philosophie-Lehrer. Doch die Wucht in der dialektischen Praxis war die Frucht seines Umgangs mit Isidor. Als dieser fast unmittelbar nach Amtsantritt als Scholarch in der Nachfolge von Marinos seine Funktion zugunsten von Zenodotos niederlegte, folgte ihm Damaskios nach Alexandrien, wo er den Unterricht bei Heliodor und Ammonius besuchte. Damaskios kehrte später nach Athen zurück, wo er nach 515 zum Diadochen nominiert wurde. Nach ungefähr zwei Jahren im Exil in Persien am Hofe von Khusrau, kehrten Damaskios und seine sechs Gefährten gegen Ende 532 ins byzantinische Reich zurück. Nach M. Tardieu konnten sie sich nach Harran zurückziehen. 1925 hat man ausserdem in Homs eine Grabstele gefunden, die Damaskios seiner Dienerin Zosima gewidmet hat. Doch bleiben Datum und Ort seines Todes ungewiss.

Nachdem vornehmlich Simplikios, Priskianos Lydus und Olympiodor v. Alexandrien vom Einfluss seines Denkens Zeugnis ablegen, bleibt sein Denken den Philosophen fast gänzlich unbekannt bis ins 19. Jh., d.h. bis zu dem Zeitpunkt, an dem die ersten gedruckten Editionen seiner wichtigsten Werke erschienen. Dieses Denken kennzeichnet sich zunächst durch ein beständiges Infragestellen der proklischen Interpretationen zu Platon, nicht ohne etliche seiner Ansichten wiederaufzunehmen, doch geschieht dies niemals ohne eingehende Prüfung. Die Vielfalt dieser Kritiken ist einem viel radikaleren Anspruch zuzuschreiben, der heutzutage als der typische Anspruch des philosophischen Geistes schlechthin definiert werden könnte. Dieser setzt sich dem freien Spiel aus, wie die ersten Prinzipien zu fundieren sind. Damaskios führt diese Aufgabe auf eine sehr originelle Art durch, und zwar mit Hilfe einer Aporetik a priori, welche von Anbeginn an dem Gesetz des Diskurses folgend den Begriff des absoluten Prinzips dem Erweis seiner Kohärenz unterzieht.

Es erweist sich nämlich, dass der Begriff des Prinzips von Allem sich dem Diskurs entzieht. Aber indem wir behaupten, dass das Prinzip unsagbar ist, geben wir ihm einem Namen, der noch zum Diskurs gehört. Wir finden uns vor der paradoxen Situation wieder, dass Jenes derart unsagbar ist, dass es nicht einmal dies ist – unsagbar. Es ist nichts, aber nicht nach Art der Materie, welche sich mangels der Form jeglicher Bestimmung entzieht, noch nach der Weise des Nicht-Seienden, welches alles durch reine Kontradiktion nichtig macht. Die Unsagbarkeit des absoluten Prinzips muss von jeglichem Gegensatz befreit werden, nicht nur vom Gegensatz des Konträren, sondern auch vom Gegensatz des Kontradiktorischen sowie vom Gegensatz zwischen einem Ersten und einem Zweiten, einem Prinzip und einem Prinzipiierten, einer Ursache und einem Verursachtem. Das Unaussagbare entschwindet jeglicher Relation, selbst der Relation seiner Unsagbarkeit. Indessen zerstört die Unmöglichkeit, das Prinzip auszusagen, nicht die mystische Notwendigkeit des Eingeständnisses, dass es selbst unsagbar und schweigend ist, denn unsere Seele bewahrt das Gewahren von dem, was sie nicht sagen kann, auf eine hellseherische Weise. Von allen unseren Bedürfnissen ist das notwendigste dasjenige, "dass von dort, wie von einem unzugänglichen innersten Sakrosanktum, alles vom Unsagbaren hervorgeht und dies auf eine unsagbare Weise." Die Aporie beschliesst den Diskurs nur, indem sie das Denken zu seiner eigenen konversiven Natur erweckt und es auf sich selbst rückwendet, aber über sich selbst hinaus, hin zur unsagbaren Trächtigkeit seiner reinen Transzendenz-Bewegung. Philosoph durch seine radikale Kritik, ist Damaskios gerade Mystiker dank dieser Kritik, denn diese reinigt das Eingeständnis, indem sie dieses von jeglichem Diskurs befreit, der glaubt, das Absolute erfassen zu können.

Einem anderen Standpunkt zufolge erzeugt die Unmöglichkeit, das unsagbare Prinzip zu sagen, in einer Kette alle Prinzipien des wahrhaft Vorprädikativen oder des Prä-Diskurses. Indem wir das Unsagbare zu sagen versuchen, projizieren wir auf seinen Abgrund das Eine, welches die reinste Ahnung von ihm repräsentiert. Aber in dem Moment, wo wir das Eine erfassen wollen, denken wir es als Eines und Alles, das allem voraufgeht, und wir unterwerfen es der Teilung unseres eigenen Diskurses. Einerseits kehrt also das Eine zum Unsagbaren zurück, von dem es nur das flüchtige Symbol darstellt, andererseits denken wir es in Ermangelung eines Besseren nur in einer Art einer prädiskursivem Matrix, welche ermöglicht wurde durch den Entzug des Einen gegenüber jeglicher Bestimmtheit. Dieses Matrixfeld ist dasjenige einer Triade von Prinzipien, welche die "Relaisstation" des Einen repräsentieren, indem sie es sozusagen nach unten hin in der vertikalen Reihenfolge des Ein-Allen (hen panta), des All-Einen (panta hen) und des Geeinten (henômenon) projizieren. Dies sind dies die ersten, aus dem Einen hervorgehenden Funktionen von Einheit oder seine supra-essentiellen Henaden, von denen ein Erfassen nur auf anspielende Weise möglich ist, insofern sie unserem Diskurs und dessen Distinktionen voraufgehen.

Das Ein-Alle suggeriert den Vorrang des Einen gegenüber der Allheit in der antizipierten Richtung zu dem hin, was noch nicht ist. Es wohnt in sich selbst (Verharren, mone) und es konstituiert gemäss der Analogie der reinen Subsistenz (Hyparxis) das Prä-Fundament jeglicher Subsistenz. Seine Analoga sind bei Pythaogras die Monade, bei Platon und Proklos das Begrenzende, in der chaldäischen Triade der Vater, bei Orpheus der Äther.

Das All-Eine deutet den Primat des All oder der Richtung des Einen zum All hin im Modus der reinen Vielheit. Die Vielheit an sich ist in ihrem Nicht-Eines-Sein noch eines durch seine Relation zum Einen. Es gilt sich die Vielheit gemäss einem dynamischen Schema wie dem Flux des sich ausschüttenden Einen vorzustellen (Hervorgang, prohodos), ohne dass es auf irgendeine Weise gerinnt oder erstarrt. Dieses Fliessen ist die Matrix von Allem. Seine Analoga sind bei Pythagoras die unbestimmte Dyade, bei Platon und Proklos das Nicht-Begrenzende oder die Unbegrenztheit, in der chaldäischen Triade die Mächtigkeit, bei Orpheus das Chaos.

Das Geeinte suggeriert den Vorrang des ersten zusammengesetzten Selbstkonstituierenden, welches den Hervorgang des All-Einen durch die Rückkehr zum Verharren des All-Einen hin (Rückwendung, Konversion, epistrophê) integriert. Das Geeinte wird das erste Zusammengesetzte genannt, insofern es ‚eines’ ist kraft dem Ein-Allen und ‚vieles’ kraft des All-Einen. Aber in dieser Zusammensetzung sind "eines" und "vieles" nicht mehr dieselben wie weiter oben; es handelt sich vielmehr um absolut neue Elemente (reine Elemente, welche in der Einheit ihre Unterschiedenheit verbergen, wie ein einziges Wasser in vielfältigen Aufteilungen). Das Geeinte ist nicht das zweite Prinzip, aufgehalten in seiner Expansion durch eine Fixierung des ersten Prinzips, sondern es ist ein ursprüngliches Prinzip, welches die Unterschiedenheit in der Einheit und die Einheit in der Unterschiedenheit inauguriert und zusammen aufrechterhält. Das Geeinte ist eher zusammensetzend als zusammengesetzt zu verstehen. Man kann es auch All-Eines nennen, aber insofern es eines und alles zu gleichen Teilen und unteilbar ist oder als ein den beiden voraufgehendes ‚Zusammen’. Es ist daher die konkrete Einheit, die allem voraufgeht, die supraessentielle Konkretion, welche alle Mischungen antizipiert. Die Analoga des Geeinten sind bei den Pythagoreern die geeinte Trias, bei Platon und Proklos die erste Mischung oder das Sein, in der chaldäischen Triade der Nous, bei Orpheus das Ur-Ei.

Es gilt sich zu hüten, diese Prinzipien als Bestimmungen zu erachten. In ihrer Kontinuität formen sie eine einzige Bewegung, welche wir nur sehr unvollkommen sehen. Ihre Triade ist nicht eine numerische Triade, sondern das Eine selbst, dem wir uns nähern, insofern es in ihr verborgen ist und insofern es nur auf eine Art prädiskursiver Umkehrung vorgestellt werden kann. Die Kritik am Diskurs setzt sich hier fort und muss aufrechterhalten bleiben. Wenn wir von diesen Dingen sprechen, kann dies nur – ausgehend von unserem eigenen Sagen – mit Hilfe von Symbolen und Anspielungen geschehen, und dies durch das sofortige "Ein-Wickeln" (Involvieren) aller Unterscheidungen, die wir vornehmen.

In diesem Essay, die absoluten Anfänge zu fundieren, weil es sich ja um die Prinzipien selbst handelt, bleibt Damaskios nahe am Apophatismus von Jamblichos, der seinerseits bereits die Transzendenz des Einen gegenüber der chaldäischen Triade hin zu einer Transzendenz des Unsagbaren gegenüber des Einen verdoppelt hatte. Aber mit seiner aporetischen Kritik am Diskurs hat Damaskios diese mystische bzw. metaphysische Position gereinigt und dadurch rational begründet. Zudem hat er gezeigt durch die stete Anwendung derselben Methode, wie der Prä-diskurs des Geeinten sich im Nicht-Diskurs des Einen und des Unsagbaren gründet. Durch die Kritik betreffend dem absoluten Prinzip wird Damaskios dazu geführt, unterhalb des Unsagbaren mehrere Schwellen der Transzendenz anzusetzen und das prädiskursive Modell zu offenbaren, welches die Wurzeln selbst des Diskurses vorbereitet.

Es lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass sich das Denken von Damaskios letztlich durch einen dreifachen Radikalismus kennzeichnen lässt: Denjenigen der Kritik am Diskurs, denjenigen der Genese der Prinzipien und denjenigen der Struktur des Hervorgangs. Diese drei Themen, die gewöhnlicherweise vom zeitgenössischen Denken als drei entgegengesetzte Denkweisen betrachtet werden, sind hier eng miteinander verbunden kraft des begründenden Charakters einer Aporetik, welche nicht ein vergeblicher Aporetismus ist.

Könnte dieser neue philosophische Esprit, den Damaskios gegen Ende der Spätantike an den Tag legt, nicht neue Art des Philosophierens für Morgen hervorrufen?