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Verfremdungsspiele (M.v. Stetten)
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Online-Publikation: Oktober 2018 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Moritz von Stetten: Verfremdungsspiele  . Zur Unterscheidung von vier Formen des systemtheoretischen Denkens 
 >>
484 Seiten; 22.2 x 14 cm; Paperback; ISBN 9783958321571: 49,90 €
Dieser Titel ist auch im Verlag Humanities Online als E-Book erhältlich: http://www.humanities-online.de
Velbrück Wissenschaft, D-53919 Weilerswist-Metternich; http://www.velbrueck-wissenschaft.de

Inhalt
Wie nur wenige Theorieprojekte vor und nach ihr hat Niklas Luhmanns Systemtheorie Gräben durch die Forschungslandschaft gezogen. Während viele ihre sozial- und gesellschaftstheoretischen Errungenschaften betonen, lehnen andere ihre Erneuerungen der Soziologie reflexartig ab. Einige halten sie für ein experimentierfreudiges, innovatives Denkabenteuer, andere für eine modernistische, konservative und eurozentrische Gesellschaftstheorie. Manche verstehen ihre abstrakte Ironie als ihr eigentliches Herzstück, andere sehen darin nur die Begriffsspielerei einer geniebesessenen, realitätsfernen Soziologie.
 Moritz von Stetten interpretiert Luhmanns Systemtheorie als ein theoretisches Verfremdungsspiel, das spätestens seit der sogenannten »autopoietischen Wende« in den 1980er Jahren bewusst für unterschiedliche Lesarten geöffnet wurde.
 Er arbeitet dazu das Motiv der Verfremdung als versteckten Kern des systemtheoretischen Denkens heraus. Luhmanns Systemtheorie wird so nicht als begrifflicher Monolith, sondern als theoretisches Chamäleon mit sich stellenweise wechselseitig ausschließenden Deutungsmöglichkeiten verstanden.
 Außerdem wird der These widersprochen, dass es sich nur um eine Systemtheorie handelt, die im interdisziplinären Diskurs verhandelt wird. Daran anschließend unterscheidet von Stetten innerhalb der Rezeption von Luhmanns Spätwerk vier Formen des systemtheoretischen Denkens, die auf jeweils andere, aber stets nachvollziehbare Art und Weise an eine Technik der Verfremdung anknüpfen. Die Unterscheidung dieser vier Formen des systemtheoretischen Denkens dient der systematischen Rekonstruktion und Erschließung der unübersichtlichen Rezeptionsgeschichte der Systemtheorie in den Sozial-, Kultur- und Medienwissenschaften. Es ergibt sich ein theoretisches Panorama, von dem aus die Fragen und Ziele von Luhmanns Systemtheorie im interdisziplinären Forschungskontext neu betrachtet und bewertet werden können

Autor
Moritz von Stetten
ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Soziologie der Universität Bonn. Neben der Sozial-, Gesellschafts- und Medientheorie liegen seine Schwerpunkte in den Bereichen Medizinsoziologie sowie Soziologie psychischer Erkrankungen.

Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1. Spielerische Theoriearbeit . . . . . . . . . . 14
2. Erste These: Die Theorietechnik der
Verfremdung . . . . . . . . . . . . . . . 19
3. Zweite These: Vier Formen des
systemtheoretischen Denkens . . . . . . . . 22
4. Zur Struktur des Buches . . . . . . . . . . 25
II. Die Theorietechnik der Verfremdung . . . . . . 30
1. Historische und begriffliche Hintergründe . . . 31
2. Merkmale systemtheoretischen Verfremdens . . 39
3. Verfremdungen und verwandte Konzepte . . . 48
3.1 Entfremdung und Exotisierung . . . . . . . 49
3.2 Ironische Distanz und Theorieparodie . . . . 57
4. Die »alteuropäische Tradition« . . . . . . . 64
III. Systemtheoretische Verfremdungsspiele . . . . . 71
1. Das Problem der doppelten Kontingenz . . . . 72
2. Die Unbestimmtheit des Gesellschaftsbegriffs. . 82
3. Theorieproduktion und Flucht vor dem
Alltäglichen . . . . . . . . . . . . . . . 90
4. Kulturskepsis und Theoriehygiene . . . . . . 101
IV. Universalistischer Konstruktivismus:
Systemtheorie als allgemeine Sozialtheorie . . . 120
1. Systemtheorie als Sozialtheorie:
Zehn Merkmale . . . . . . . . . . . . . . 121
2. Im Spiegelkabinett: Die autopoietische Wende . 126
2.1 Zur Unterscheidung von Luhmanns Früh- und
Spätwerk . . . . . . . . . . . . . . . 127
2.2 Die Einführung des autopoietischen Denkens in
die Soziologie . . . . . . . . . . . . . . 135
2.3 Das Beobachtertheorem und seine Kritik . . . 144
2.4 Das Spiel mit den strukturellen Kopplungen . . 153
2.4.1 Das Konzept der Kopplung in
Luhmanns Spätwerk . . . . . . . . . 154
2.4.2 Das Konzept der Kopplung in der
Luhmann-Rezeption. . . . . . . . . . 166
3. Universalität des Sozialen . . . . . . . . . . 177
3.1 Kommunikation als Operation des Sozialen . . 178
3.2 Das Verhältnis von Kommunikation und
Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . 187
3.3 Sinn als Medium der Potentialität . . . . . . 194
3.4 Auf der Suche: Neue Systeme und alte Kulturen 206
V. Radikale Selbstverfremdungen: Systemtheorie
als Orthodoxie . . . . . . . . . . . . . . . 216
1. Absolute Vorrangigkeit der Theorie . . . . . . 219
2. Flucht vor der Ontologie . . . . . . . . . . 225
3. Heuristik ohne Forschungsprogramm . . . . . 232
4. Konservatismus und Systemtheorie . . . . . . 243
VI. Immanenz und Exzess: Poststrukturalistische
Lesarten der Systemtheorie . . . . . . . . . . 254
1. Der Exzess der Systeme . . . . . . . . . . . 258
1.1 Sinn und Differenz . . . . . . . . . . . . 259
1.1.1 Differenzkonzepte bei Spencer Brown und
Derrida . . . . . . . . . . . . . . 259
1.1.2 Sinnprozession als Überschussgeschehen . . . 264
1.2 Dekonstruktion und Schriftlichkeit . . . . . . 272
1.2.1 Systemtheorie und Sprache . . . . . . . 273
1.2.2 System und Text . . . . . . . . . . . 281
1.3 Materialität und Medialität . . . . . . . . 287
1.3.1 Form und Medium . . . . . . . . . . . 287
1.3.2 Wahrnehmungsmedien und
Kommunikationsmedien . . . . . . . . 296
1.4 »Further outside«: Systemtheorie als
materialistische Ontologie . . . . . . . . . 300
1.4.1 Spielen und Schummeln . . . . . . . . 302
1.4.2 »The grandest paradox«:
Das Materialitätskontinuum . . . . . . . 306
1.4.3 System als poststrukturalistisches Konzept . . 313
1.4.4 Jenseits der Sprache: Die Immanenz
autopoietischer Systeme . . . . . . . . 319
2. Fluchtpunkte einer poststrukturalistischen
Systemtheorie . . . . . . . . . . . . . . . 324
2.1 Ästhetik des Theorielabyrinths . . . . . . . 324
2.2 Politisierung und Heimatlosigkeit . . . . . . 329
2.3 Die katalysatorische Kraft der
Verbreitungsmedien . . . . . . . . . . . 334
2.4 Endlose Verausgabung:
Diabolisch-autopoetische Gedankenspiele. . . 340
VII. Methodologische Verfremdungen: Systemtheorie
als historische Gesellschaftstheorie . . . . . . . 350
1. Systemtheorie als Gesellschaftstheorie:
Zehn Merkmale . . . . . . . . . . . . . . 353
2. Die real existierende Moderne . . . . . . . . 362
2.1 Moderne Gesellschaft und funktionale
Differenzierung . . . . . . . . . . . . . 364
2.2 Auf dem Weg zur Weltgesellschaft . . . . . . 379
2.3 Systeme als soziale Ordnungen . . . . . . . 387
2.4 Interaktionen und Interaktionssysteme . . . . 395
3. Systemtheorie und Anthropologie . . . . . . 404
3.1 Soziale Systeme als Entlastung des Menschen . 406
3.2 Der Körper als soziales Symbol . . . . . . . 411
3.3 Anthropologische Offenheit als analytische
Verfremdung . . . . . . . . . . . . . . 417
3.4 Realhistorisches Denken und systemtheoretische
Verfremdung . . . . . . . . . . . . . . 422
VIII. Schlussbemerkung: Horizont und Schicksal
systemtheoretischen Verfremdens . . . . . . . 426
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437

*
Ausführliche Information
https://www.velbrueck.de/out/media/Verfremdungsspiele_Einleitung.pdf

Fazit
Zur Struktur des Diskursbuches von Moritz von Stetten "Verfremdungsspiele" gibt es eine Erläuterung, um in dieser verzwickten Lage letztendlich den Blick dafür frei zu halten, die Komplexität dieses Geschehens in ihrem Vollzug und in ihren feinen Differenzen nachzuvollziehen. Es geht darum, die Spielregeln zu explizieren, nicht deren verborgene Wirksamkeit weiterzutragen. Am Ende lässt sich so mit der Systemtheorie besser verstehen, wie die Performativität einer sich selbst verfremdenden Moderne funktioniert.
Die Quintessenz von Moritz von Stetten geht im Kern von systematischen Überlegungen aus, dass aus dieser Perspektive der Moderne darin besteht, 'dass auf eine Verfremdung niemals mit der Einforderung rationaler Kohärenz - inmitten im Geschehen - reagiert werden kann, sondern immer nur mit weiterer Irritation'.
So gesehen, ist diese umfassende Analyse der verschiedenen Formen des systemtheoretischen Denken durchwegs gelungen.
m+w.p18-10