SWR2 Aula - Thilo Baum: Zwischen Gender-Pflicht und Denglisch-Verbot . Sprache und Ideologie¨

Diskurs SWR2-PA4-Kooperation   > I
http://www.swr.de/swr2/programm/
Ideologie - Sprache
-ds-swr216-8sprache-ideologie
SWR2 Aula - Thilo Baum: Zwischen Gender-Pflicht und Denglisch-Verbot . Sprache und Ideologie¨

Sendung: Sonntag, 21. August 2016
Redaktion: Ralf Caspary Produktion: SWR 2016
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

AUTOR
Thilo Baum, geb. 1970, studierte Theaterwissenschaft und Publizistik in Berlin und arbeitete mehrere Jahre als Journalist bei einer Berliner Zeitung. 2004 wechselte Thilo Baum in die Selbständigkeit und schult Journalisten und PR-Leute, er hilft Unternehmen in Seminaren und Workshops, besser zu kommunizieren. Er unterrichtete an der SKlara"-Journalistenschule und ist Autor mehrerer Bücher.
Bücher (Auswahl):
– Komm zum Punkt! Das Rhetorik-Buch mit der Anti-Laber-Formel. Relevanz-Verlag,. 4. Auflage, 2016.
– Mach Dein Ding! Der Weg zu Glück und Erfolg im Job. Eichborn-Verlag. 2010.
htttp://www.thilo-baum.de

ÜBERBLICK
Unsere Gesellschaft ist im Umbruch. Nicht nur die Landtagswahlen im März und die Bundespräsidentenwahl in Österreich haben gezeigt: Die alten Volksparteien sind nicht mehr unbedingt Volksparteien. Doch wir erleben nicht nur einen Rechtsruck, sondern auch die linke Seite im politischen Spektrum verstärkt sich - sie formiert sich gegen den zunehmend starken rechten Rand. Dabei scheint es, als bräche die gesellschaftliche Mitte weg. Unsere Gesellschaft scheint radikaler zu werden. Der Kommunikationswissenschaftler Thilo Baum meint: Diese Tendenz zeigt sich auch in der Sprache. Beide Extreme versuchen, die deutsche Sprache für sich zu vereinnahmen. Während die Linken durch politisch korrekte Sprachregelungen die Gleichheit aller Menschen in den Köpfen der Menschen zementieren wollen, setzt sich der rechte Rand für einen Nationalismus in der Sprache ohne Denglisch und für Quoten deutschsprachiger Musik im Radio ein.

INHALT
Ansage:
Mit dem Thema: "Zwischen Gender-Pflicht und Denglisch-Verbot – Sprache und Ideologie".
Unsere Gesellschaft scheint sich zu radikalisieren, allein ein Blick in die Chatforen des Internet belegt das: Dort stehen sich politische Gruppen unversöhnlich gegenüber, rechts polemisiert gegen links, links gegen rechts, und immer wieder entzündet sich die ideologisch hoch aufgeladene Debatte an der Flüchtlingsthematik.
Diese Radikalisierung spiegelt sich auch in der Sprache wider – das sagt der Kommunikationswissenschaftler Thilo Baum in der SWR2 AULA.
Thilo Baum:
Unsere Gesellschaft ist im Umbruch. Nicht nur die Landtagswahlen im März und die Bundespräsidentenwahl in Österreich haben gezeigt: Die alten Volksparteien sind nicht mehr unbedingt Volksparteien. Auf etwa zwanzig Prozent schätzt man das Potenzial derjenigen, die tendenziell nach rechts driften.
Doch wir erleben nicht nur einen Rechtsruck. Auch die linke Seite im politischen Spektrum verstärkt sich – sie formiert sich gegen den zunehmend starken rechten Rand und rückt enger zusammen. Dabei scheint es, als bräche die gesellschaftliche Mitte weg. Unsere Gesellschaft scheint radikaler zu werden. Es scheint, als nähmen immer mehr bisher gemäßigte Menschen Positionen der Extreme ein – sie entscheiden sich entweder für Links oder für Rechts.
Diese Tendenz zeigt sich auch in der Sprache. Beide Extreme versuchen, die deutsche Sprache für sich zu vereinnahmen – so wie es für extreme politische Richtungen üblich ist. Auf einer Pegida-Demonstration in Dresden war ein Transparent zu sehen mit der Aufschrift – Zitat: Islamophobie ist kein Rassismus. Zitat Ende. Wie reagieren wir auf diese Aussage? Je nach Sicht gibt es drei Möglichkeiten.
Die erste Möglichkeit: Wir betrachten das Transparent durch die linke Brille. Danach ist der Satz falsch. Denn Pegida ist der Gegner, und was der Gegner sagt, ist per se falsch. Es ist aus linker Sicht zudem nicht opportun, pauschal etwas gegen den Islam zu haben. Und daher ist dieses Transparent verwerflich.
Die zweite Möglichkeit: Wir betrachten das Transparent durch die rechte Brille. Danach fühlt sich jemand zu Unrecht als Rassist diffamiert, obwohl er nichts gegen Ethnien hat, sondern – in Anführungsstrichen – nur gegen den Islam ist, also gegen eine Religion. Und zwar generell. Was aus rechter Sicht auch relativ üblich ist und eben opportun.
Die dritte Möglichkeit: Wir betrachten das Transparent so unideologisch, wie das eben geht in diesen Zeiten. Wir betrachten – nach Friedemann Schulz von Thun –nur die Sachebene der Aussage. Demnach stellen wir fest: Es ist in der Tat nicht rassistisch, etwas gegen eine Religion zu haben, der Menschen aller Ethnien beitreten können. Denn Religion und Ethnie sind zweierlei.

Wer etwas gegen Vertreter einer Nation hat, ist nicht unbedingt Rassist. Wenn jemand etwas gegen die USA hat, hat er etwas gegen die Nation, egal, welchen Ethnien ihre Bürger angehören. Das ist jedenfalls erst einmal die rein definitorische Ebene der Worte. Es ist Unsinn, einem USA-Gegner Rassismus vorzuwerfen. Gegen welche Ethnie hat er denn etwas? Gegen Schwarze? Gegen Weiße? Also ist es im Wortsinn auch nicht rassistisch, etwas gegen Türken oder gegen Deutsche zu haben. Rassist ist, wer etwas gegen eine Rasse hat, neudeutsch Ethnie – wie das Wort es eben auch sagt. Zudem ist es einer der historischen Denkfehler in Deutschland, beispielsweise das Judentum rassisch zu definieren.
Doch im alltäglichen Gebrauch sind die Begriffe höchst unklar. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Islam und Islamismus. Ebenso wie es einen Unterschied gibt zwischen Antisemitismus und Judenhass – auch Araber gelten als Semiten. Doch so differenziert betrachten wir das schon lange nicht mehr. In der öffentlichen Auseinandersetzung schleifen wir die Nuancen einfach weg und runden Tendenzen auf und ab, statt sie exakt zu beschreiben. Es scheint, als käme uns im derzeitigen politischen Kampf das differenzierte Denken abhanden. Dabei brauchen wir die Nuancen für den politischen Diskurs. Eine Debatte, in der die Zwischentöne verschwinden, läuft auf Schwarzweißdenken hinaus. Und das ist nicht gut, weil diese Tendenz in den Totalitarismus führen kann, ob der links ist oder rechts.
Das Prinzip "alles oder nichts" ist ein Wesensmerkmal von Ideologien, und das Absolute daran, das Kompromisslose, das Totale, findet sich im Begriff des Totalitarismus wieder. Das Schwarzweißdenken, der Wegfall von Nuancen, bezeichnet an sich den Totalitarismus. Differenzierungen sind ebenso verboten wie Selbstkritik oder auch nur der externe Blick auf sich selbst.
Argumente auszublenden, die der eigenen Theorie widersprechen, ist der Beginn von Ideologie und damit potenziell der Anfang einer totalitären Entwicklung. Übernehmen Ideologen die Macht, ist mit höchster Wahrscheinlichkeit ein totalitäres System die Folge – die Regeln des siegreichen Lagers werden zur Pflicht. In diesen Tagen formieren sich zwei ideologische Lager rechts und links, die beide die Meinungshoheit anstreben. Beide Seiten, die Rechte und die Linke, formulieren ihre Positionen knallhart und kompromisslos, während die Mitte der Gesellschaft immer mehr verstummt und möglicherweise zu verschwinden droht.
Doch weil die Welt nicht nur schwarz oder weiß ist, scheitern die politischen Lager mitunter an der Logik. Das Prinzip "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns", funktioniert nämlich nicht, solange einer unserer Freunde der Feind eines anderen Freundes ist. Und solche Konstruktionen sind in der Welt nun einmal normal – es ist Realität, dass der eine Konflikt uns mit jemandem verbindet, während uns ein anderer Konflikt von ihm trennt.
Stellen wir uns zwei Freunde vor: Kurt und Manfred. Und es gibt einen Dritten: Heinz. Nun ist Heinz mit Kurt befreundet, mit Manfred aber verfeindet. Und schon scheitert das Schwarzweißdenken. Das Gesetz "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" versagt, weil Heinz nach dieser Logik Kurts Freund und Kurts Feind zugleich wäre. Was geschieht in so einer Konstellation? Um die Logik zu retten, wird Kurt Manfreds Feindschaft gegenüber Heinz ignorieren oder kleinreden. Kurt tut einfach so, als hätte Manfred gar nichts gegen Heinz. Und das nur, um die Blockbildung nicht zu gefährden.

Dabei könnten und sollten alle miteinander reden: In einer Sache sind zwei Menschen gleicher Ansicht, in einer anderen Sache widersprechen sie einander. Das ist im Grunde vollkommen normal. Doch entgegen dem, was normal ist, verfallen Ideologen sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite in eine Art Starre angesichts des Feindes. Und diese Starre macht unflexibel im Denken und verhindert eine Auseinandersetzung. Diese Starre bewirkt, dass wir mit jemandem entweder hundertprozentig übereinstimmen oder eben gar nicht.
Diese Entwicklung ist alles andere als gut. Denn hat eine Ideologie einmal die Macht ergriffen, gibt sie ihre Haltung als Doktrin vor und befiehlt den Menschen, diese Doktrin zu akzeptieren und auch selbst zu vertreten. Sowohl Links als auch Rechts versuchen uns zu indoktrinieren. Wir dürfen es als Gefahr betrachten und sollten als Demokraten und Pluralisten in höchster Alarmbereitschaft sein, wenn linke und rechte Gruppen den Menschen vorzuschreiben beginnen, was sie zu denken haben.
Wie soll man als Beobachter auf so eine verfahrene Situation reagieren? Wie soll man überhaupt sachlich sprechen über die vielen mehr oder weniger klugen Argumente, die sich Vertreter politischer Gruppen derzeit an den Kopf werfen? Ohne dabei in die Mühle zu geraten und selbst Partei zu werden, wie es manchen Journalisten beim Berichten geschieht?
Der Kampf zwischen Links und Rechts zeigt sich derzeit nirgendwo so gut wie in der Flüchtlings- beziehungsweise Zuwanderungsdebatte. Für einen Rechtsradikalen sind alle Zuwanderer suspekt, für einen Linksradikalen sind alle Zuwanderer gut – jeweils unhinterfragt und absolut. Beide Sichten sind Extreme, die einer dispersen Größe, wie es Bevölkerungsgruppen nun einmal sind, nicht gerecht werden. Kein Volk an sich ist in seiner Gesamtheit gut oder schlecht. Überall gibt es solche und solche, wie der Volksmund sagt.
Doch was einer Ideologie nicht passt, blendet sie aus. Ausblenden heißt ignorieren, kleinreden, wegwischen. Wird eine Meinung, die der Ideologie zuwiderläuft, zu stark, beginnt der Kampf. Bei allem ist es vollkommen egal, ob die geäußerte Meinung eine Wahrheit beinhaltet. Was real stattfindet oder wahr ist, kümmert Ideologen nicht – sie messen die Welt einzig an ihrer Doktrin. Und mit der Zeit wird auch die Sprache immer einseitiger. Beginnend mit Thesen und Argumenten frisst sich das totalitäre Denken durch die Sprache bis hin zu den Wörtern.
Beginnen wir bei den Argumenten und nehmen wir die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln. Der Fall ist bekannt: eine massenhafte sexuelle Belästigung an Frauen, begangen von Nordafrikanern und Arabern, was Politik und Medien aber erst dann thematisierten, als es sich nicht mehr ignorieren ließ.
Die Feministin Alice Schwarzer hat dazu ein hervorragendes Buch herausgebracht: "Der Schock". Alice Schwarzer gilt als linke Feministin, schreibt aber Dinge, die der linken Doktrin widersprechen.
Alice Schwarzer schreibt zum Beispiel, Zitat: "Der öffentliche sexuelle Terror gegen Frauen ist in der nun auch in Köln erlebten Form seit den 1960er-Jahren in den arabischen Ländern bekannt." Zitat Ende. Und sie spricht von falscher Toleranz. Frau Schwarzer schreibt, Zitat: "Das geht jetzt schon seit einem Vierteljahrhundert so. Seither herrscht in Deutschland eine Political Correctness – allen voran befeuert von Grünen und Protestanten –, die nicht wahrhaben will, dass es mit spezifischen Menschengruppen spezifische Probleme geben kann.

Eine Haltung, die im Namen dieser falschen Toleranz die Probleme lieber vertuscht oder verharmlost, statt sie zu benennen und zu bekämpfen." Zitat Ende. Eine Begründung liefert Alice Schwarzer auch: Diese falsche Toleranz ersetze den Fremdenhass der früheren Deutschen durch eine, Zitat: "nicht minder blinde Fremdenliebe".
Was Alice Schwarzer hier schreibt, ist äußerst differenziert, und es ist eben kein Schwarzweißdenken. Die Autorin verstößt insofern gegen die linke Doktrin, sich nicht negativ über Fremde zu äußern, egal was sie tun. Sie kritisiert den Islam, was aus linker Sicht nicht opportun ist – die Linke ignoriert sogar die Gefahr der Judenfeindlichkeit vieler Muslime. Stattdessen erklärt Alice Schwarzer die Sozialisation in einem islamischen Land als einen Grund für Frauenverachtung. Im Hinblick auf die Medien – und Alice Schwarzer ist Journalistin – tut sie das, was Journalisten tun sollten: über Entwicklungen in der Gesellschaft berichten, eben ohne in einem Konflikt mit einer Seite zu sympathisieren oder gar selbst Partei in dem Konflikt zu werden.
Ideologisch betrachtet, müsste sich Alice Schwarzer im linken Lager Feinde machen. Unideologisch betrachtet, schreibt sie ihre Meinung, was in einem freien Land vollkommen in Ordnung ist. Die Meinungsbildung in einer Demokratie lebt vom Diskurs und von der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Meinungen. Es ist in Ordnung, wenn wir schreiben und sagen, was wir denken.
Wie reagieren wir jetzt auf Alice Schwarzers Buch? Wieder aus drei Sichten:
Erstens: Die Linken thematisieren das Buch von Alice Schwarzer nicht so gern, weil es den Logikfehler ihrer Ideologie entlarvt – die Rechten würden sagen: die Lebenslüge der Linken. Nach der linken Logik dürfen wir sexuelle Übergriffe nicht in Zusammenhang bringen mit einer Kultur. Das ist auch der Grund, warum linke Journalisten die Herkunft eines Täters so lange wie möglich unerwähnt lassen – obwohl es einen Leser sicher auch interessiert, wenn ein Deutscher ein Verbrechen verübt. Es ist immer interessant, wie ein Täter sozialisiert ist, weil Prägungen in Motive hineinspielen können. Woher jemand kommt, ist relevant, weil es viel erklären kann.
Zweitens: Die Rechten schnappen sich Alice Schwarzers Buch als gefundenes Fressen nach dem Motto: "Das haben wir ja schon immer gesagt." Sie instrumentalisieren Alice Schwarzer als Argument gegen die Linken und für ihre generelle Ablehnung des Islams. Ebenso ideologisch wie die Linken, denken die ideologischen Rechten in absoluten Aussagen und erklären jeden Vertreter des Islams generell für frauenverachtend.
Drittens: Unideologisch betrachtet, könnte unsere Gesellschaft einräumen, dass manche Menschen gegenüber den Frauenrechten möglicherweise noch Schulungsbedarf haben. Und wir könnten einräumen, dass sich das möglicherweise kulturell begründen lässt. Alice Schwarzer beschreibt den Zusammenhang ohne jede Feinseligkeit, und sie öffnet sich an keiner Stelle dem Vorwurf, etwas gegen Migranten zu haben, gegen Ausländer oder Gläubige bestimmter Religionen. Alice Schwarzer gelingt die Balance zwischen linker und rechter Ideologie in dem Buch "Der Schock" hervorragend.

Ebenso sachlich und unideologisch können wir unsere europäischen Werte verteidigen – gegen alle, die dagegen verstoßen. Ohne eine Gruppe anzugreifen. Doch statt Individuen zu kritisieren, verurteilen wir pauschal. Nach dem Prinzip "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" müssen wir uns für eine Seite entscheiden – wie in Kriegszeiten. So hat das zum Beispiel ein Kommentator bei Facebook im Januar 2016 gefordert. Dort gibt es die Gruppe "Arsch huh" – Kölsch für "Arsch hoch", eine Gruppe gegen Ausländerfeindlichkeit. Der Aktivist Franz Michael Moser hat dort gepostet, Zitat:
"Ihr seid gegen Pegida und gegen Vergewaltigungen? Ich glaube, Ihr solltet Euch entscheiden." Zitat Ende.
Wieder zeigt sich das Hauptproblem von Ideologien – das Denken in absoluten Kategorien. Moser sagt letztlich: Wer gegen Pegida ist, ist für Migranten und muss Vergewaltigungen in Kauf nehmen. Damit behauptet er, mit der Anwesenheit von Migranten gehe selbstverständlich sexuelle Gewalt einher. Und damit diffamiert er pauschal alle Migranten – möglicherweise ohne es zu merken. Er, der linke Aktivist.
Hier zeigt ein Fanatiker, zu welcher Absurdität Ideologien führen. Extreme, ob links oder rechts, denken einseitig. Da beide das jeweilige Extrem vertreten, ohne Nuancen zu beachten, gibt es so gut wie keine Chance zur Verständigung.
Wenn nun absolute Behauptungen zunehmen, so ist das ein Indiz dafür, dass sich die Gesellschaft radikalisiert. Verschärft sich die Sprache weiter, ist das eine Art Aufrüstung und ein Indiz dafür, dass die Gesellschaft sich zu spalten droht. Die Sprache ist dafür eine Art Frühwarnsystem – und es gehört möglicherweise zur Bildung, an Sprache politische Tendenzen erkennen zu können. Wenn wir zum Beispiel feststellen, dass wir über bestimmte politische Themen nicht mehr so frei mit Freunden und Verwandten sprechen können wie früher, weil uns jemand aus jeder Äußerung einen ideologischen Strick dreht, dann haben sich ganz offenbar die Fronten verhärtet. Und die Rechten haben ihre Anhänger sprachlich inzwischen ebenso auf Linie gebracht wie die Linken.
Und so kommt es eben, dass die beiden radikalen Lager links und rechts sehr undifferenzierte Wahrheiten vertreten: Für die extreme Linke sind alle Migranten ein Segen, für die extreme Rechte sind alle Migranten ein Fluch. Dass die Wahrheit in der Mitte liegen könnte, ist für Extremisten schwer zu erfassen. Die radikale Linke leugnet generell kulturelle Unterschiede zwischen Menschen, weil nach alter kommunistischer Lesart alle Menschen gleich sind. Der Gedanke verlangt die totale Integration. Die Rechtsradikalen bestehen dagegen auf harten Grenzen, und sie wollen die Unterschiede besonders betonen. Dieser Gedanke ist im Kern separatistisch, es geht um die totale Abgrenzung.
Integration und Abgrenzung sind Gegensätze, über die man sprechen könnte, und möglicherweise ist ja weder das eine noch das andere in seiner Extremform klug. Aber die Fronten sind verhärtet, und so kommen Linke und Rechte eben nicht miteinander zusammen. Obwohl es gut wäre. Doch da beide Seiten totalitär denken, also kompromisslos, verhärtet sich die Lage immer mehr.
Wie Sprache im Totalitarismus funktioniert, wissen wir vor allem von Victor Klemperer und LTI. LTI heißt Lingua Tertii Imperii, was Lateinisch ist und heißt "Die Sprache des Dritten Reiches". Klemperer entlarvt die demagogische Funktion der Sprache bei den Nationalsozialisten.

Die angeblich frewilligen Spenden ans "Winterhilfswerk" beispielsweise waren durchaus nicht freiwillig – der soziale Druck war so groß, dass man sich kaum vor dem Spenden drücken konnte, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Zudem galt die Norm, dass es sich "gehörte", dabei mitzumachen. Die Nazis haben hier also den Begriff des "Freiwilligen" verfälscht, und das Volk hat dabei mitgemacht. So entlarvt Klemperer zahlreiche Manipulationen der Nazis durch Sprache.
Oder nehmen wir Joseph Goebbels, den Großmeister deutscher Meinungsmanipulation. Im Jahr 1943 veröffentlichte Goebbels ein kleines Heftchen mit dem Titel "Dreißig Kriegsartikel für das deutsche Volk". In Artikel 13 schreibt er: "Wer über den Krieg und seine Aussichten spricht, soll seine Worte stets so wählen, als wenn der Feind mithörte. Denn in vielen Fällen hört er tatsächlich mit; jede unbe-dachte Redewendung von unserer Seite gibt ihm neuen Mut und Auftrieb und wirkt deshalb kriegsverlängernd."
Es geht also um die demagogische Macht der Worte. Dem ideologischen Denken geht es darum, was wir sagen und was wir nicht sagen. Was ein Regime will, dürfen wir sagen; was es nicht will, dürfen wir nicht sagen. Im Totalitarismus sagt der Mensch am Ende nur noch, was der Doktrin entspricht, wenn er überleben will. Die einseitige Sicht der Ideologie wird zur Wahrheit. Was die Nazis betrifft, war deren Informationsverarbeitung bekanntermaßen äußerst selektiv. Daher bietet sich die Nazi-Propaganda so gut an zur Demonstration dessen, wie ideologisches Denken funktioniert.
In seinem Buch "Davon haben wir nichts gewusst!" schreibt der Historiker Peter Longerich über die Stimmungsberichte des Sicherheitsdienstes der SS: "Die offiziellen Stimmungsberichte spiegeln daher in erster Linie die diskursiven Mechanismen unter dem NS-Regime wider: Sie wirkten mit an der Etablierung einer master narrative, einer herrschenden Erzählung, die alternative Diskurse nicht zulassen konnte."
Was ist ein Narrativ? Ein Narrativ ist die grundlegende Story, die als Wahrheit gelten soll. Ein Narrativ der Nazis waren der Antisemitismus und der selbstverständliche Endsieg. Ein Narrativ der Kommunisten ist die Bosheit des Kapitalismus. Ein Narrativ Nordkoreas ist die Liebe zum Großen Führer. Ein Narrativ der Islamisten ist der notwendige Kampf gegen Ungläubige. Ein Narrativ der extremen Rechten ist der notwendige Kampf gegen alles Fremde.
Auch der Vorwurf "Lügenpresse" ist ein Narrativ. Es mag sein, dass die Informationsauswahl mancher Medien selektiv ist und Medien handwerkliche Fehler machen, aber im historischen Rückblick waren eher rechtsextreme Medien wie der "Völkische Beobachter" und "Der Angriff" Lügenpresse, da genau diese Medien den Leuten die abenteuerlichsten Lügen aufgetischt haben, wie zum Beispiel das weltfremde Gerede vom "Endsieg" noch 1945. Die Motivation damals war die Hoffnung auf eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Solange man nur jedes Wort von einer Niederlage unterdrückt, verstärkt sich der Gedanke des Sieges. "Gerüchte verbreiten ist Landesverrat", steht daher in einem alten Nürnberger Luftschutzraum an der Wand.
Ebenso ist es ein Narrativ, dass sich die deutsche Nation gegen alles Fremde ab-schotten sollte, weil sie im Niedergang begriffen sei. Die "Islamisierung des Abendlandes"

ist ebenso ein Narrativ wie die Behauptung, sämtliche Zuwanderer seien hoch qualifizierte Fachkräfte. Beide Behauptungen sind angesichts ihrer Pauschalität ideologieverdächtig. Mit all diesen Narrativen will uns jemand politisch indoktrinieren – von links und von rechts. Uns also eine Doktrin einpflanzen.
Entsprechend ist unsere Sprache voller Propaganda. Je mehr sich die Gesellschaft polarisiert, desto einseitiger und kompromissloser wird die Sprache. Als Beispiel sei erwähnt das radikale Gendern – also die unbedingte Durchsetzung von Schreibweisen wie "StudentInnen" mit großem Binnen-I oder Formulierungen wie "Studierende", die das Geschlecht insgesamt negieren. Zudem geht es ums Denglisch, also Mischformen von Deutsch und Englisch wie im Wort "To-do-Liste" und um englische Wörter in deutschen Sätzen wie bei "Ich checke meine E-Mails". Beides sind Versuche sprachlicher Bevormundung, oft sogar mit staatlicher Gewalt durchgesetzt, indem Behörden die Sprache vorgeben.
Nehmen wir das Gendern. Es greift um sich in zwei Stufen. Stufe 1 ist: Erst eliminieren wir das Männliche und betonen das Weibliche. Wir sagen also nicht "Studenten", sondern erst "Studentinnen und Studenten" und schließlich "StudentInnen" mit großem Binnen-I oder Sternchen. Stufe 2 ist: Wir tilgen alles Geschlechtliche aus der Sprache und landen bei den "Studierenden".
Warum gendert die Linke? Ganz einfach: Weil sie eben in der Tradition des Kommunismus davon ausgeht, alle Menschen seien gleich. Diese Gleichheit will die Linke auch in der Sprache erreichen. Daher nivelliert die Linke die Unterschiede zwischen Menschen.
Sogar die Nachsilbe "ling" hält die Linke für diskriminierend, also will sie sie aus der Sprache tilgen: Statt von "Flüchtlingen" sollen wir von "Flüchtenden" sprechen, weil die Silbe "ling" Menschen klein und passiv mache wie im Wort "Säugling". Doch was an einem tonnenschweren "Findling" ist klein? Was an einem "CD-Rohling" oder an einem "Maronenröhrling" ist passiv? Denken wir das Gendern zu Ende, sind natürlich auch "Helfer" verboten, weil das Wort die Frauen ignoriert – und wir sagen "Flüchten-denhelfende" statt "Flüchtlingshelfer". Die politisch korrekte Linke übt sich hier in einem technokratischen Ansatz und beweist nebenbei ihren Mangel an Sprachgefühl und an Liebe zur Sprache.
Aus dem Postulat der Linken, die Menschen seien gleich, folgt logischerweise, dass neben dem Geschlecht auch weitere Eigenheiten von Menschen zu negieren sind – beispielsweise Nationalitäten und kulturelle Eigenheiten. Wenn alle Menschen gleich sind, spielt auch ihr kultureller Hintergrund keine Rolle. Das ist das linke Dogma, dem ausgerechnet Alice Schwarzer massiv widerspricht, die wichtigste Frauenrechtlerin Deutschlands.
Außerhalb der linken Szene, also rechts und in der Mitte, denken viele die Menschen: Menschen sind nicht gleich. Sie sind zwar gleich viel wert, aber sie sind eben nicht gleich. Das ist ein Unterschied. Menschen sind verschieden, und zwar deutlich: Sie haben verschiedene Bedürfnisse und lassen sich nicht einheitlich nach Schema F behandeln. Und ihre soziale Prägung motiviert sie oft zu dem, was sie tun. Daher könnte es wichtig sein zu sagen, welchen Hintergrund jemand hat, der etwas tut.

Rechts und in der Mitte der Gesellschaft fragen sich die Menschen: Warum wollen die Linken unbedingt diese Nivellierung? Gehört der Pluralismus, die Vielfalt nicht zu unserer Gesellschaft?
Je weiter wir nach rechts kommen, desto härter ist natürlich die Kritik am Gleichheitsgedanken der Linken. Die Agitation von rechts propagiert den Nationalismus in der Sprache, also eben die Abgrenzung. Frauen sind Frauen, also wollen die Rechten das Geschlecht nicht aus der Sprache entfernen. Für stramm Rechte gibt es nach wie vor das deutsche Mädel. Für Rechte sind Sinti und Roma nach wie vor Zigeuner, und sie bemühen als Argumente den "Zigeunerjungen" der Sängerin Alexandra und das "Zigeunerschnitzel" in einem rustikalen deutschen Wirtshaus. Muslime sind für stramm Rechte nach wie vor Mohammedaner – während sich die Sprache natürlich entwickelt und bewegt und sich die Konnotationen verändern – schließlich "wichst" heute auch kaum noch jemand seine Schuhe. Neben der Abscheu gegenüber Veränderung soll die deutsche Sprache aus Sicht der Rechten bitte deutsch bleiben – und das zeigt sich vor allem im Denglisch-Hass. Es gibt keine "Briefings", sondern "Einweisungen". Man versendet keine "E-Mails", sondern "Elektropost". Das "Internet" heißt "Weltnetz", und eine "Website" heißt "Weltnetzseite". Das Prinzip lautet: Ausländer raus – aus der deutschen Sprache. Also ist Denglisch verboten, ebenso wie andere Fremdwörter.
Außerhalb der rechten Szene, also links und in der Mitte, denken die Menschen: Was soll diese Abgrenzung? Diese Angst vor dem Fremden? Wozu eine Quote für deutsches Liedgut im Radio? Nicht nur die Linke, sondern auch die Mitte der Gesellschaft will diese radikale Abgrenzung nicht. Das Leben findet ja meistens eben hoch integrativ statt: Musiker und Sportler beispielsweise arbeiten international, verständigen sich in zahlreichen Sprachen, und die Internationalität und das Interkulturelle sind auch fürs gemeinschaftliche Geben und Nehmen in wirtschaftlicher Hinsicht richtig, schön und gut. Die Vielfalt verkörpert den Pluralismus, den die Bundesrepublik Deutschland will.
Das große I der Linken in der Wortmitte, das Sprachliebhabern Übelkeit erzeugt, das Denglisch-Verbot der Rechten – beide Tendenzen sind Anzeichen dafür, dass sich die linke und die rechte Ideologie zunehmend radikalisieren, indem sie uns Sprachvorschriften machen. Die Linken werfen den Rechten vor, sie erkennen, ohne zu gendern, die Frau nicht als gleichberechtigt an. Die Rechten werfen den Linken vor, sie verrieten die deutsche Sprache, die eben das Wort "Fräulein" kennt.
Beide Seiten beschimpfen einander im Internet. Treffen dort Rechte und Linke aufeinander, geschieht verbal, was Anfang der Dreißigerjahre im Wedding physisch geschah – sie gehen aufeinander los.
Zum Glück heißt es in Artikel 5 des Grundgesetzes: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten." Demnach sind Sprachvorschriften jeder Art verfassungswidrig. Wir sind frei, was unsere Worte angeht. Und diese Freiheit sollten wir uns nicht nehmen lassen.
Zum Glück also müssen wir nicht gendern, wie es die Berliner Professorin Antje Hornscheidt verlangt, die "Professx" statt "Professor" oder "Professorin" lesen will. Zum Glück auch müssen wir nicht das Denglisch aus unserer Sprache verbannen. Wir sind in diesem Punkt frei und müssen uns keine Vorschriften machen lassen.

Insgesamt geben den Ton in der Sprachdebatte also zunehmend Extremisten an, und zwar von links und von rechts. Und das ist nicht gut. Schulen, Universitäten und der Gesetzgeber folgen bisher meist der linken Strömung. Das geht so weit, dass Fußgänger in der Straßenverkehrsordnung nun zu Fuß Gehende heißen. Das bringt die Rechten auf die Palme. Zugleich steigen manche Politiker auf die Forderung nach einer Deutsch-Quote im Radio ein, was wiederum die Linken schäumen lässt, von denen einige das Deutsche nicht allzu sehr schätzen. Die Mitte jedoch, die die Sprache ganz normal nutzt, weder links- noch rechtsideologisch, schweigt. Und das ist schade.
Eine liberale Sprache, eine tolerante Sprache der Mitte erträgt ein wenig Denglisch, und sie erträgt auch ein wenig Genderei. Eine Sprache der Mitte sagt punktuell "Studentinnen und Studenten", erhebt das Gendern aber nicht zum Fanatismus. Sie zeigt, dass Frauen gleichberechtigt sind, diskriminiert niemanden und steht zum Unterschied zwischen biologischem und grammatikalischem Geschlecht. Eine liberale Sprache der Mitte verwendet nicht aus Trotz alte Wörter, die inzwischen diskriminierend wirken. Übrigens hält sich auch Alice Schwarzer in ihrem Buch mit dem Gendern sehr zurück.
Zugleich schützt eine Sprache der Mitte deutsche Idiome und vermeidet Denglisch, wo es lächerlich wirkt oder es eine einfache und gleichbedeutende deutsche Alternative gibt. Es ist Unsinn, "strategy" zu sagen, wenn es auch die "Strategie" tut. Eine Sprache der Mitte driftet nicht in extremistischen Nationalismus ab. Die Sprache leidet unter dem Wort "Weltnetz" statt "Internet" ebenso wie unter dem Wort "zu Fuß Gehende" statt "Fußgänger". Beides ist ideologischer Quark. Eine Sprache der Mitte ist nicht ideologisch.
Maßvoll sind einige Ansätze zur Gleichberechtigung klug – es sollte nur keine Gleichmacherei werden. Und maßvoll sind auch einige Ansätze zur Rettung der deutschen Sprache sinnvoll, die ein wundervolles Kulturgut ist. Nur die Extreme sind schlimm, die alles gewaltsam gleichzumachen oder zu trennen versuchen.
Es ist eine bekannte Redensart, dass unsere Gedanken unsere Worte bestimmen und unsere Worte unsere Taten. Eben darum wollen Ideologen unsere Sprache beherrschen. Es geht um die Deutungshoheit über die gesamte Kommunikation. Es geht um Meinungskontrolle wie in jeder Diktatur oder in Orwells 1984. Zurzeit sind wir auf dem Weg dorthin.
Wer Sprache prägt, ob als Deutschlehrer oder Autor von Gesetzestexten, sollte möglicherweise wissen, dass er mit dem Gendern den Linken folgt und mit der Deutsch-Quote den Rechten. Wer Sprache prägt, sollte wissen, dass es hier um einen Kampf der Ideologen geht. Wer in diesen Tagen mit Sprache zu tun hat – ob als Lektor, Redakteur oder Lehrer – könnte sich einem Gedanken annähern, der höchst versöhnend wirken könnte: einer Sprache der Mitte, die uns die Freiheit lässt, unideologisch zu sprechen und zu schreiben.
Wenn wir nicht wollen, dass unsere Gesellschaft weiter auseinanderbricht, sollten wir die integrative Kraft der Sprache nutzen und sie ganz normal verwenden – handwerklich korrekt und ohne ideologisch motivierte Manipulationen.
*****