H.W. Wahl : Erfolgreich altern ?

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H.W. Wahl : Erfolgreich Altern ?

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Aula - Hans Werner Wahl : Erfolgreiches Altern, nein danke!
Sendung: Sonntag, 6. September 2015, 8.30 Uhr
Redaktion: Ralf Caspary
Produktion: SWR 2015
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Service:

Der Leistungsdruck sollte nicht auch noch die letzten Lebensphasen bestimmen
Quintessenz:
'UNSEREN MÖGLICHKEITSRAUM MIT UTOPIE - LICHT/LUST & SCHATTEN/VERLUST - ERFÜLLend LEBEN...'
 (n. H.W..Wahl) m+w.p15-9

AUTOR
Prof. Hans-Werner Wahl machte 1981 sein Diplom in Psychologie an der Uni in Heidelberg, 1989 folgte die Promotion im Fach Psychologie, 1995 die Habilitation. Von 1997 bis 2005 war er Professor für Soziale und Ökologische Gerontologie am Deutschen Zentrum für Alternsforschung in Heidelberg, seit 2006 ist er Leiter der Abteilung für Psychologische Alternsforschung an der Universität Heidelberg. Forschungsschwerpunkte: Fragen der angewandten Gerontologie, Alltagskompetenz alter Menschen, Entwicklungspsychologie.
Bücher (Auswahl):
- Gerontologie – Einführung und Geschichte (2. vollst. überarb. Aufl.), Kohlhammer. 2014.
- Angewandte Gerontologie: Interventionen für ein gutes Altern in 100 Schlüsselbegriffen (2., vollst. überarb. u. erw. Aufl.), Kohlhammer. 2012.

ÜBERBLICK
Altern wird heute paradoxerweise als ein Sich-immer-jünger-Fühlen definiert, man stellt sich dann regelmäßig agile Menschen mit silbergrauem Haar vor, die geistig und körperlich fit sind, die aktiv und erfolgreich altern - von Vergreisung keine Spur! Diese Sichtweise beinhaltet eine Gefahr: Sie überträgt den Leistungsdruck, der in allen Bereichen der Gesellschaft zu spüren ist, auch auf das Altwerden und erzeugt Versagensängste. Professor Hans Werner Wahl, Leiter der Abteilung für Psychologische Alternsforschung des Psychologischen Instituts der Universität Heidelberg, zeigt, warum er diesen Trend problematisch findet.

INHALT
MANUSKRIPT
Ansage:
Heute mit dem Thema: "Erfolgreiches Altern – ein gutes Konzept? Der Leistungsdruck in den letzten Lebensphasen".
Altern wird heute paradoxerweise als ein Sich-immer-jünger-Fühlen definiert, man stellt sich dann regelmäßig agile Menschen mit silbergrauem Haar vor, die geistig und körperlich fit sind, die aktiv und erfolgreich altern – von Vergreisung keine Spur! Diese Sichtweise beinhaltet eine Gefahr: Sie überträgt den Leistungsdruck, der in allen Bereichen der Gesellschaft zu spüren ist, auch auf das Altwerden und erzeugt Versagensängste. Professor Hans Werner Wahl, Leiter der Abteilung für Psychologische Alternsforschung an der Universität Heidelberg, zeigt, warum er diesen Trend problematisch findet.
Hans-Werner Wahl:
Wollen wir nicht alle erfolgreich altern und möglichst jung bleiben bis zum Lebensende? Oder sind dies beides doch sehr widersprüchliche Aussagen? Geht es überhaupt, erfolgreich und jung zu altern? Welche Annahmen liegen solchen Sätzen sinnvollerweise zugrunde, nicht nur wissenschaftlich, sondern auch für die Betroffenen, eben alternde Menschen in ihren Alltagswelten?
Ich will mich im Folgenden mit einigen Thesen den angesprochenen Fragen nähern und dabei auch empirische Befunde der Alternsforschung, speziell der psychologischen Alternsforschung, einbeziehen. Denn diese Befundlage war noch nie so gut wie heute, finde ich.
These 1: Es gibt sehr bedeutsame Wandlungen im Älterwerden von gestern zu heute: Die Älteren heute haben überhaupt nichts mehr mit den Älteren der 1980er Jahre zu tun.
Als ich in den 1980er Jahren begann, mich wissenschaftlich mit Altern und Alternsforschung auseinanderzusetzen, war dieses Wissenschaftsfeld noch weit davon entfernt so etabliert zu sein wie etwa die Medizin, Geschichtswissenschaft oder die Physik. Eigentlich wurde Alternsforschung, Gerontologie genannt, noch nicht so ernst genommen. Alte Menschen wurden primär als defizitäre Wesen gesehen, die nun einmal einem weitgehend genetisch getriebenen Abbauprogramm unterliegen, die kognitiv zunehmend weniger leistungsfähig sind, die vermehrt abhängig von anderen Menschen und professionellen Helfern werden, die Kontrolle über ihr eigenes Leben langsam verlieren und von nicht mehr steuerbaren Kräften beherrscht werden. Seitdem ist viel geschehen: demografisch, wissenschaftlich – ich konzentriere mich hier auf mein Fach Alternspsychologie – und in der Alltagswelt der älteren Menschen.
Demografisch: Menschen leben heute fast zehn Jahre länger! Selbst in diesem relativ kurzen Zeitraum von etwa 40 Jahren hat sich die Lebensspanne in Deutschland um deutlich mehr als zehn Prozent verlängert. Das ist für solch ein
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komplexes System wie den Menschen einfach gewaltig.
Alternspsychologisch: Wir verfügen heute historisch zum ersten Mal über Längsschnittstudien mit sehr langen Messreihen bzw. Langzeitbeobachtungen, die z. B. zeigen, dass der Rückgang der geistigen Leistungsfähigkeit nicht nur sehr unterschiedlich ist – es gibt auch hochaltrige Menschen mit relativ geringen kognitiven Einbußen, ein hoch spannendes Phänomen –, sondern auch insgesamt sehr viel weniger stark und langsam stattfindet, als man dies aus Studien geschlossen hatte, die Menschen unterschiedlichen Alters nur zu einem Messzeitpunkt untersuchten. Neue theoretische Sichtweisen, die auch wichtig sind, um Alter sind aufgetaucht und haben mittlerweile sehr viel Bestätigung gefunden.
Einige Beispiele: Die sogenannten sozio-emotionale Selektivitätstheorie geht davon aus, dass es nicht das chronologische Alter, sondern die sich immer mehr verkürzende Zukunftsperspektive ist, die alte Menschen sehr in ihre sozialen Netzwerke investieren lässt und diese stark in den Vordergrund stellen. Es gibt so etwas wie eine psychische Widerstandsfähigkeit. Ältere Menschen scheinen sehr gut darin zu sein, auch Widrigkeiten des Alterns in gewisser Weise glattzubügeln, zu kompensieren und sich trotzdem gut zu fühlen. Es gibt das Wohlbefindensparadox, das schon angeklungen ist in diesen Worten: Alte Menschen scheinen, egal was passiert, zumindest auf längere Sicht wieder zu ihrem vormals gegebenen Wohlbefinden zurückzukehren. Und es gibt so etwas wie selektive Optimierung mit Kompensation – damit ist gemeint, dass alte Menschen sehr gut darin sind zu selektieren, auszuwählen, was für sie bedeutsam ist, dass sie sich Kompensationen, das können Hilfspersonen oder Technologien sein, suchen und sich dann auch spät im Leben optimieren und sich weiter entwickeln können.
Aufgrund dieser Befunde und Konzepte ist ein Bild des älteren Menschen entstanden, das deutlich geprägt ist einerseits natürlich von kognitiven Einbußen, die aber andererseits in der Alltagswelt sehr gut beherrschbar bzw. kompensierbar sind. Es gibt heute ,wie ich finde, sehr spannende Ergebnisse aus sehr alltagsnahen Studien mit sehr dichten Mehrfachmessungen, die detailliert aufzeigen, wie alternde Ehepaare durch gegenseitige Stimulation und Kompensation ihre intellektuelle Leistungsfähigkeit interaktiv, eben nicht alleine als Solisten, aufrecht erhalten. Laborstudien haben demgegenüber vor allem Abbauprozesse des Alterns dokumentiert, wahrscheinlich deshalb, weil ältere Menschen im Labor aller ihrer Hilfsmittel und sozialen Bedingungen beraubt werden, die eigentlich im Alltag sehr gut funktionieren. Stichwort Demenz: Natürlich ist Demenz schlimm, aber eine bedeutsame Ausnahme des kognitiven Älterwerdens. Wir werden keineswegs alle dement, wenn wir älter und älter werden.
Ältere Menschen sind hoch adaptiv und in der Lage, fast jeder Widrigkeit noch etwas Gutes abzutrotzen, sie sind äußerst widerstandsfähig; und auch gesundheitlich, das große Thema des Alterns, das schnell als Defizit in den Vordergrund gestellt wird, beschreiben sich die meisten Älteren heute als weitgehend gesund, und zwar vor allem im hohen Alter. Im hohen Alter gibt es gleichzeitig objektive Daten, die natürlich sagen, diese Menschen sind krank, sie haben viele Diagnosen. Aber wir können fragen, was zählt denn am Ende mehr: Die Anzahl der Diagnosen oder die subjektive Einschätzung der eigenen Lebensqualität als dennoch hoch. Und in der Lebenswelt der Älteren selbst hat sich viel verändert. Sie sind zu einem Marktfaktor geworden. Wir suchen ja nach den wachsenden Märkten, ältere Menschen sind hier auf die
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Bühne getreten, man denke an Reisen, Gesundheitsprodukte aller Art, Wohnen, neue Technologien, auch ehrenamtliches Engagement, das unserer Gesellschaft übrigens einige Milliarden Euro spart. Auch scheinen die Älteren selbst zunehmend ein neues Konzept ihres Älterwerdens und Altseins zu haben, auf Neudeutsch: Sie haben längst ein "Mindset" des Älterwerdens entwickelt. Ich weiß heute als alter Mensch, was ich will, kann und brauche und hole es mir, und ich habe auch die notwendigen Kompetenzen und, natürlich wichtig, die notwendige verbleibende, aber lange Lebenszeit dafür.
Resümee: Die heutigen Älteren haben nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun mit jenen der 1980er Jahre, da ist etwas völlig Neues in der demografischen Welt unserer Gesellschaft entstanden.
These 2: Das vormals unterschätzte Alter ist zwischenzeitlich zum überschätzten Alter geworden.
Ich argumentiere nun, dass die an sich sehr guten Wandlungen im Bild des älteren Menschen, seinen Möglichkeiten und Leistungen die Gefahr beinhalten, dass wir unser eigenes Älterwerden in seinen Potentialen überschätzen, dass wir die Potentiale des Älterwerdens ungebührlich überziehen. Am deutlichsten wird dies vielleicht in dem heute schon ganz selbstverständlich in die Alltagswelt eingegangen Streben nach Anti-Aging. Alles, so wird hier behauptet, ist auch im Alter möglich. Wir können das Rad des Alterns, das Lebensrades, das sich dreht, anhalten, Unsterblichkeit ist keine völlig unsinnige Zukunftsvision mehr nach diesen Anti-Aging-Theoretikern und –Praktikern. Googeln Sie, wenn Sie möchten, doch einfach mal den Begriff "age-less" – alterslos, und nehmen Sie sich einen Vormittag Zeit, die ungefähr 16 Millionen Einträge durchzusehen. Es ist einiges los im Netz, wenn es um Alterslosigkeit geht. Hermann Hesse schrieb in seinen schönen Reflexionen zum Älterwerden etwa zehn Jahre vor seinem Tod im Alter von 85 Jahren: "Mit der Reife wird man immer jünger." Ich sage mit Blick auf eine heute sehr aktuelle Befundlage der Alternsforschung: je älter, desto jünger.
Schauen wir uns einmal die Befundlage genauer an. Wir scheinen uns alle im Leben, vor allem im Erwachsenenleben, so alt zu fühlen, wie wir tatsächlich sind. Die Vierzigjährigen beispielsweise fühlen sich im Mittel, so zeigen viele, auch eigene Untersuchungen, etwa vier Jahre, die Sechzigjährigen etwa sechs Jahre und die Achtzigjährigen gar acht Jahre jünger. Es gibt selbst bei den älteren Menschen kaum eine Person, die sich älter fühlt, als sie chronologisch ist.
Wir haben uns im Jahr 2014 einmal in einer Metaanalyse die Rolle und das Wirken des Sich-jünger-Fühlens bzw. von positiven Bewertungen des eigenen Älterwerdens angeschaut und gefragt, ob solche Sichtweisen der Einstellungen und des Älterwerdens auch tatsächlich etwas bringen. Und das tun sie. Ältere, die sich jünger fühlen und ihrem eigenen Älterwerden positiv gegenüber stehen, sind gesünder, investieren mehr in Vorsorgeuntersuchungen, sind aktiver und leben sogar im statistischen Mittel mehrere Jahre länger als jene, die sich weniger jung fühlen und ihr Alter negativer erleben. Empirisch betrachtet ist also eine Menge dran an der Idee, dass es besser ist, sich jünger zu fühlen, als man eigentlich ist. Am Ende wollen wir doch alle länger leben.
Andererseits aber gibt es neuerdings auch Forschungsergebnisse, die uns
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nachdenklich machen müssen. Ich empfinde diese Forschungsergebnisse sogar als bedrohlich. Warum?
Wir leben immer länger, aber die Zeit um das Ende des immer längeren Lebens herum, nahe am Tod, ist gesundheitlich und psychologisch sehr gefährdet. Immer mehr der Übel des Älterwerdens wie Pflegebedürftigkeit und Multimorbidität – Mehrfacherkrankungen- werden immer weiter an das immer später eintretende Ende des Lebens zusammengedrängt, müssen aber eben auch durchlebt werden, nach einem oftmals sehr langen und aktiven Leben. Man könnte auch sagen, wir altern heute lange Zeit sehr langsam und dann gegen Ende des Lebens beängstigend schnell. Neue Befunde der Alternspsychologie zeigen, dass wir vor allem, wenn wir in der Nähe des Todes uns bewegen, auch unsere psychische Widerstandskraft teilweise verlieren und uns dabei häufig auch das in der Regel vormals hohe Wohlbefinden und hohe positive Affekte verlorengehen. Es kommt zu einem "terminalen Abfall", zu einer, wie wir es einmal genannt haben, psychologischen Terminalität. Das sieht man vor allem dann, wenn wir Menschen mit psychologischen Analysen bis zum Tod verfolgen und dann gewissermaßen von diesem Ereignis rückwärts statistisch analysieren. Mit anderen Worten: Nicht so sehr die Länge des bisherigen Lebens ist spät im Leben entscheidend, sondern bedeutsam ist nicht zuletzt auch der Abstand vom Tod. Diesen Befunden, verbunden mit den zu These 1 vorgetragenen Ergebnissen zu historischen Veränderungen des Alterns haftet, wie ich finde, etwas äußerst Paradoxes an. Altern wurde lange Zeit unterschätzt, jedoch sind wir eventuell gerade dabei, Altern einschließlich seines Endes auch zu überschätzen.
Sind wir zu erfolgreichem Altern verdammt? Aber laufen gleichzeitig auch Gefahr, auf diese Weise die Risiken des Alterns nicht mehr ernst zu nehmen? Das bringt mich zu
These 3: Es scheint, dass wir zu erfolgreichem Altern verdammt sind, altern immer jünger, immer leistungsfähiger, immer effizienter, aber erfolgreich ist im Bezug auf das Altern vielleicht ein schwieriger Begriff. Und dennoch ist er auch hilfreich. Ich argumentiere, wir brauchen diesen Begriff. Die Frage, was gutes bzw. erfolgreiches Altern bedeutet, ist allerdings nicht neu, wird schon seit den 1950er Jahren in der Alternsforschung intensiv diskutiert, immer wieder neu aufgeworfen, immer wieder neu bearbeitet. Aber wir können noch viel weiter zurückgehen: Der große römische Philosoph und Politiker Cicero hat in seiner Schrift "Cato der Ältere" über das Greisenalter bereits 44 v. Chr. den Nachweis versucht, warum das sogenannte "Elend des Alters" eigentlich ja gar kein Elend, sondern etwas durchaus Erfolgreiches darstellt. So schreibt Cicero etwa, man müsse die vielfach bereits im alten Rom getroffene Aussage "aber das Gedächtnis nimmt ab" differenziert betrachten. Zitat Cicero: "Ja, wenn man nicht übt oder wenn man von Natur aus langsam im Kopf ist." Es ist faszinierend, wie Cicero auf der einen Seite die moderne Trainingsforschung vorweg nimmt, denn wir wissen ja, dass kognitive Trainings auch alten Menschen sehr deutlich helfen, in Verbindung mit anderen, auch körperlichen Trainings. Auf der anderen Seite stecken neueste Befunde, Längsschnittdaten, die das ja gut bestätigen, in Ciceros Aussagen - auch die Einsicht, dass sich kognitive Defizite bereits früh im Leben, bis zu einem gewissen Grade schon in der Kindheit abzeichnen.
Fragen wir also mit Cicero: Was ist erfolgreiches Altern? Gibt es erfolgreiches Altern?
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Hier nun einige Antworten, die wir in der aktuellen Alternsforschung geben. Und am Ende will ich Ihnen meinen eigenen Vorschlag zeigen.
1. Die einfache Antwort: Altern ist verschieden, lassen wir doch jede und jeden nach ihrer oder seiner Fasson glücklich oder weniger glücklich werden. Es macht keinen Sinn, nach einer allgemeinen Definition von erfolgreichem Altern zu suchen.
Ich bezeichne dies als eine einfache Antwort, weil ich glaube, mit einer solchen Antwort machen wir es uns zu einfach. Alles nur den Älteren zu überlassen, so gerne ich das tue, ist aus meiner Sicht heute schwierig, denn wir haben noch keine entwickelte Kultur des Älterwerdens, die uns allen, auch den Älteren erlaubt, profund über das Älterwerden zu reflektieren, vor allem über das utopische Moment, was spät im Leben alles möglich sein könnte, kommt viel zu kurz, wenn wir die Älteren fragen würden. Aber genau dieses Moment stellen viele Vertreter der aktuellen Diskussion zu erfolgreichem Altern heraus. Altern bietet noch viele, bislang noch kaum geahnte Möglichkeiten, der Möglichkeitsraum des Älterwerdens ist noch wenig erkundet. Andererseits ist es dennoch auch unmittelbar evident, dass wir stark differenzieren müssen zwischen älteren Menschen. Denken wir einmal an einen an Demenz erkrankten älteren Menschen: Ist hier auch noch so etwas wie erfolgreiches Altern denkbar? Ich würde dies selbst nicht ausschließen, auch wenn eventuelle alle Beteiligten in einem konkreten Fall dies vehement in Frage stellen würden. Ich komme darauf zurück.
2. Die Graswurzel-Antwort oder die Antwort von unten: Die Älteren selbst zu erfolgreichem Altern zu befragen, bringt die besten Antworten.
Diese Antwort ist natürlich bestechend und liegt auch ganz auf der Linie vieler Bestrebungen der europäischen Alternsforschung, vor allem muss man die Perspektive des älteren Menschen als des Endverbrauchers von Alternsforschung so intensiv wie möglich einbeziehen. Ich sehe hier viele Grenzen in dieser auf den ersten Blick natürlich vielversprechenden Antwort. Vor allem glaube ich, dass die Älteren heute einfach aufgrund des noch nicht entwickelten Standes einer Alterskultur gar nicht wissen können, was das Alter alles bieten könnte. Aber natürlich ist das Befragen der Älteren dennoch eine gute Idee. Allerdings zeigen Studien, dass derartige Befragungen nicht so viel Neues zutage fördert. Die Älteren sagen in gewisser Weise, wenn man sie gut befragt, das, was Wissenschaftler auch über erfolgreiches Altern denken. Das bringt mich zur
3. Antwort von oben: Die Alternsforschung weiß am besten, was erfolgreiches Altern bedeutet. Hören wir also vor allem auf diese.
Diese Antwort macht mir große Schwierigkeiten, auch wenn ich selbst Alternsforscher bin. Wer definiert was für wen? Normative Probleme haben wir hier in ganz großem Stil. Warum ist das eine besser als das andere. Rowe und Kahn, zwei amerikanische Forscher, welche bislang die Diskussion über erfolgreiches Altern dominiert haben, sagen, erfolgreiches Altern ist hohes Engagement im Alltag, hohe geistige Leistungsfähigkeit und das weitestgehende Fehlen von Krankheiten und Funktionseinbußen. Doch warum diese Engführung auf diese drei Bereiche? Darf das irgendjemand für die Älteren entscheiden? Einmal abgesehen davon, dass man eine solche Definition, wenn man sie zugrundelegt, dazu führt, dass nur ein kleinerer Teil der älteren Menschen, etwa 20 Prozent, tatsächlich erfolgreich altern. Das finde
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ich nicht gut. Ein weiterer Nachteil dieser Definitionen liegt darin, dass man dieses sogenannte Ideal eines autonomen, selbständigen alternden Menschen hochhält, etwas typisch Amerikanisches, und man übersieht, dass Altern nicht zuletzt auch etwas höchst Soziales, räumlich, politisch und gesellschaftlich Eingebundenes ist. Könnte es nicht auch sein, dass die enge und emotional dichte Interaktion zwischen einem Demenzkranken und seinen Angehörigen einen bedeutsamen Effekt erfolgreichen Alterns darstellt? Alte Menschen sind eben keine Inseln, erst recht nicht die erfolgreich Alternden.
4. Die empirische Antwort: Lassen wir unser Daten sprechen!
Das klingt gut. Wir haben heute sehr viele Daten. Aber was schauen wir uns an? Gesundheit, Wohlbefinden, Autonomie, soziale Einbindung, Haushaltseinkommen, das sagen uns die Daten eben nicht. Wir haben die Qual der Wahl und sind wieder zurückgeworfen auf Entscheidungen: Was wollen wir nach vorne bringen, was finden wir weniger wichtig? Und deswegen hilft uns der Rückzug auf unsere an sich guten Daten auch nicht, wie ich finde.
5. Die radikale Antwort: Geben wir das Konstrukt erfolgreiches Altern oder ähnliche Begriffe wie aktives, gelingendes, gesundes, zufriedenes, sinnhaftes, gutes, positives Altern doch einfach auf und versenken sie in der Mottenkiste der nicht hilfreichen Konzepte der Alternsforschung.
Hier ist meine Argumentation: Nein, das wäre zu radikal und eine Art von wissenschaftlicher Vogel-Strauß-Politik. Weg mit den schwierigen Begriffen oder zumindest systematisches Wegsehen als wissenschaftliche Tugend, davon halte ich nichts. Deshalb nun mein Antwortversuche:
Die Auseinandersetzung mit dem Konstrukt des erfolgreichen Alterns fördert pluralistische Sichtweisen der Alternsforschung und ist als Prozess grundlegend für die Alternsforschung. Man könnte auch sagen, der wissenschaftliche Weg ist in diesem Fall das wissenschaftliche Ziel. Ausgehen will ich hier von dem eben bereits umrissenen wissenschaftlichen Double-Bind, das heißt, wie man es auch macht, es ist immer verkehrt. Das Konzept des erfolgreichen Alterns aufzugeben tut der Alternsforschung nicht gut, aber jeder Versuch, es nachhaltig zu definieren, entgleist und führt zu unendlichen Schlüssen, etwa wenn wir uns von einer Norm zur nächsten hangeln und dann wieder eine Norm brauchen, um die vormals benutzte zu begründen. Mein Antwortversuch ist pragmatisch und nicht grundsätzlich, deshalb sicher auch schnell angreifbar.
a) Offenhalten der Dimensionen erfolgreichen Alterns: von allem etwas, von keinem zuviel.
b) Pluralistische Sichtweise von erfolgreichem Altern: begriffliches Flexibilität auch wissenschaftlich an den Tag legen, das heißt für mich nicht Beliebigkeit, aber Flexibilität in den Begriffen, die ich hier anbiete, um erfolgreiches Altern zu verstehen, und mich dann damit auseinandersetzen, auch mit den Widersprüchen.
c) Den Prozess der Auseinandersetzung mit erfolgreichem Altern als solchen als Tugend in einem mehrfachen Sinn begreifen. Ich glaube, auch alternde Menschen müssen genauso darum ringen, was gutes und erfolgreiches Altern ist. Für die weitere Entwicklung der Alternsforschung ist, so meine ich, die Arbeit an diesem Konzept auch wissenschaftliche produktiv, ebenso wie für die Gesellschaft.
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d) Erfolgreiches Altern ist in jedem Fall, und hier komme ich auf einen Gedanken von vorhin zurück, relational und kontextuell. Was meine ich damit? Z. B. dass auch krankes Altern oftmals sehr stark in wichtige bedeutsame soziale Beziehungen, Pflegebeziehungen eingebunden ist. Hier wird erfolgreiches Altern aus meiner Sicht auch erlebbar, aber als etwas Interaktives, und natürlich spielen auch staatliche Instanzen, politische Akteure eine Rolle. Wir können nicht einfach ältere Menschen als Inseln betrachten.
e) Das utopische Moment der Idee des erfolgreichen Alterns. Auch das ist ein sehr produktiver Gedanke, Arbeit, auch wissenschaftliche Arbeit, an Alternsutopie ist wichtig.
Haben wir mit dem pragmatischen Antwortversuch nun alle schwierigen Fragestellungen zu erfolgreichem Altern vom Tisch gefegt? Oder uns vielleicht auch um alle schwierigen Fragen herumgedrückt? Meine Antwort: ja und nein. Aber ich meine, das Nein ist stärker und gewichtiger. Wir behalten den Begriff des erfolgreichen Alterns bei, bearbeiten ihn aber in dynamischer Weise, nehmen die vielen Fragen, die er aufwirft, wieder als Ansporn, konzeptionell weiterzudenken und natürlich auch neue empirische Studien durchzuführen. Ich hatte schon gesagt, in diesem Fall ist der wissenschaftliche Weg das Ziel. Und so können wir erfolgreiches Altern besser kennenlernen. Worauf dieses alles hinausläuft, das werden wir sehen.
Mein Rat wäre: Sehen wir das, was heute im Altern schon möglich ist, ohne die Schattenseiten zu vernachlässigen. Fühlen wir uns jünger, aber behalten wir das Älterwerden dennoch gut im Auge. Sehen und erleben wir die Erfolge des höheren Lebensalters, aber lassen wir auch die Verluste zu als eine bedeutsame Realität des Älterwerdens. Unterschätzen wir das neue Altern nicht, aber überschätzen wir es auch nicht.
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