Horst Lang: ... als der Pott noch kochte . Fotografien aus dem Ruhrgebiet

66 Industrie und ihre Brache - als Kultur und Bildsprache
W+B Agentur-Presseaussendung August 2000
<< Horst Lang: ... als der Pott noch kochte>>
Fotografien aus dem Ruhrgebiet der 50-iger und 60-iger Jahre. Mit einem Text von Andreas Rossmann
Schirmer/Mosel Verlag, München, 2000, 160 S., 91 Duoton-Bildtafeln, DM49,80; ÖS 364,-; SFr 46,-
www.schirmer-mosel.de
Gleichsam parallel zu seiner fremdbestimmten Arbeitswelt, als Polizeifotograf, hat Lang seit den 50-iger bis 60-iger Jahren seinem bildsprachlichen Spürsinn folgend, im Pott (Essen, Oberhausen, Gelsenkirchen und Umgebung) seine Aussenwelt dokumentiert, in der bis heute lebt.
Er zeigt rauchende Schlote, qualmende Hochöfen – fast spürt der Bildleser den beizenden Schwefelgestank in der sauren Luft –; Zechen, Gruben und Hüttenwerke wachsen vor unserem geistigen Auge erschreckend deutlich spürbar empor. Wirtschaftswunder hin und qualvoll bitter schmeckender Alltag her, das alles gibt es nun nicht mehr.
In dieser gezeigten Un- und Tat-Welt, die im ersten Blick äußerlich unwirtlich, rauh und unbarmherzig auftritt, erscheint der Mensch als ein Opfer, gleichsam verschattet, wie wir es in der Ars Povera und in SCEMA, dem Bildmagazin der politischen Linken Italiens kennengelernt haben oder in den neo-veristischen Filmszenen Vittorio de Sicca vorfinden: Fahrraddiebe, Wunder in Milano, Das Dach.
Wer das kennt und Osteuropa in diesen Jahren bereist hat, findet bei Lang’s Bildszenen die Erinnerungs-Fixpunkte für sein geistiges Unbehaustsein, die widerwillig und durch die Maloche geprägt, zur Alltagskultur, zur Vertrautheit, ja Heimat werden.
"Menschenskinder" steht als Poster auf einer Feuermauer an der Köln-Mindener Strasse in Essen
-Katernberg: ein Hund, eine Frau, ein Mann mit Hosenträger und den Händen in den Taschen gehen in den Bildraum zu dieser Aufschrift, die den Familiensinn ansprechen soll, schräg hinein; seitlich rechts von ihnen, drei hohe Fenster, verrammelt und vergammelt wie die Hauswände. So kam der Mensch auf den Hund, betitelte damals der junge Verhaltensforscher Konrad Lorenz, eines seiner ersten Publikationen.
Auch Ingmar Bergman beginnt manchmal seine Filme mit ähnlicher Perpektive und Lichtführung: kalt, mühsam, ungewiss, "aussichts-arm" - das sind die primären Merkmale dieser Unwelt, in der sich der Mensch behauptet und dennoch sein Leben führt. Sei es "mit seinem aufrechten Gang", oder dem Fahrrad, Auto, dem öffentlichen Verkehr.
Dieser Sympathisant Mensch macht sich in den Bildern Lang’s auf den Weg. Er ist auf dem Weg zu seinem Inneren: seiner Behausung oder seiner Arbeitsstätte. Alle diese Innenansichten sehen wir nie. Bleiben stets unsichtbar. Gerade diese Aussparung der Innenwelt macht diesen Bildband besonders anregend und stellt Fragen.
Lang offeriert uns damit die Möglichkeit diese geradezu herausfordernde, unheile Aussenwelt mit unserer Innenwelt-Fantasie zu ergänzen und persönlich "heilsam" zu gestalten. Was wir dem interessierten Leser hiermit besonders als Anreiz empfehlen