'Entartete' Kunst > Moderne Meister - aus eigener Sammlung 07.04 - 21.08.2016

Ereignis Kunst
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Kurator: Dr. Daniel Spanke
Kontakt: Maria-Teresa Cano, Abteilungsleiterin Kommunikation und Kunstvermittlung, Kurator: Dr. Daniel Spanke
mailto:press@kunstmuseumbern.ch
http://www.kunstmuseumbern.ch


In der Ausstellung 
‚Entartete‘ Kunst im Kunstmuseum Bern»
steht erstmals die Erwerbungsgeschichte der eigenen Sammlung im Zentrum. Gezeigt werden Meisterwerke von Pablo Picasso bis August Macke unter dem Blickwinkel ihrer Herkunft, die in ein dunkles Kapitel der Geschichte führt. So gibt es darunter Werke, die von den Nationalsozialisten als «entartet» aus deutschen Museen entfernt wurden. Die Ausstellung soll exemplarisch Einblick in die eigene Forschung geben und das komplexe Thema der Provenienzfrage anschaulich vermitteln.
Das Kunstmuseum Bern verfügt über eine bedeutende Sammlung von Werken der Klassischen Moderne. Diese Werke hat das Museum nur zu einem geringen Teil selbst erworben. Die meisten wurden dem Haus geschenkt, vererbt oder als Stiftungsgut zur Verfügung gestellt. Wie alle öffentlichen Sammlungen stellt sich dem Kunstmuseum Bern damit die Aufgabe, die Geschichte seiner eigenen Werkbestände zu erforschen und darzustellen. Dass das Kunstmuseum Bern als Erbe von Cornelius Gurlitt eingesetzt wurde, macht diese Auseinandersetzung für Bern besonders dringlich.
Die Ausstellung soll zeigen, wie die international herausragende Sammlung von Werken moderner Meister im Kunstmuseum Bern zusammengesetzt ist. Und über welche Wege Werke, die während der Diktatur der Nationalsozialisten im Deutschen Reich diffamiert und als «entartet» veräussert und teilweise zerstört wurden, ins Kunstmuseum Bern gekommen sind. Zugleich gibt diese Sammlungssichtung den Anlass, nach den Umständen zu fragen, die letztlich zu starken Kulturgutverlusten sowohl deutscher Museen als auch privater Sammler geführt haben.
Hintergrund Seit 1938 galt im Deutschen Reich ein «Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst», das im Nachhinein die Beschlagnahme deutscher Museen legitimierte, die seit 1937 rücksichtslos durchgeführt wurden. Die als «entartet» klassifizierte Kunst wurde zu zigtausenden aus deutschen Museen beschlagnahmt und entweder möglichst gewinnbringend verkauft oder zerstört. Dabei handelte es sich um Werke von jüdischen Kunstschaffenden sowie um Kunst, die in den Augen der Nationalsozialisten als «jüdisch» oder «bolschewistisch» beeinflusst galt. Was vom Deutschen Reich als «Entartete Kunst» diffamiert und ausgesondert wurde, wurde in der Schweiz als «Werke moderner Meister» geschätzt und angeboten. Der Titel der Ausstellung ist angeregt durch eine historisch bedeutsame und gut erforschte Auktion, die im Juni 1939 in der Galerie Fischer in Luzern stattgefunden hat: «Gemälde und Plastiken moderner Meister aus deutschen Museen».
Ausstellung Im Vordergrund der Ausstellung steht die Auseinandersetzung mit Kunstwerken, die im Deutschen Reich als «entartet» galten und die nach 1933 in den Besitz des Kunstmuseums kamen. Darunter Werke von Franz Marc, Ernst Barlach, August Macke und vielen weiteren namenhaften Künstlern. Gezeigt werden 70 Objekte, darunter eine Auswahl von 53 Gemälden, Papierarbeiten und Plastiken Moderner Meister aus der eigenen Sammlung - chronologisch nach Sammlungseingang geordnet. Sieben der ausgestellten Werke waren bis 1937 Teil von Museumssammlungen in Deutschland.
Die Ausstellung gliedert sich in einzelne thematische Bereiche,
die versuchen Antwort zu geben auf Fragen wie: «Was sollte ‚Entartete‘ Kunst sein?», «Wie reagierte die Schweiz kulturell auf die Bedrohung durch Deutschland?» oder «Wie wurden Kunstwerke aus deutschen Museen in der Schweiz verkauft?». Weitere Bereiche sind Künstlern gewidmet, die unter der Diktatur in Deutschland zu leiden hatten und in besonderer biografischer Beziehung zur Schweiz standen, so Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee und Otto Dix.
Der zur Ausstellung und im Rahmen eines umfassenden Forschungsprojektes entstandene Katalog dokumentiert 525 Werke der Sammlung des Kunstmuseum Bern nach dem derzeitigen Stand des Wissens bezüglich ihrer Provenienzen. Zugleich macht das Forschungsprojekt deutlich, dass noch viel Arbeit zu leisten ist, um die Wege sämtlicher Kunstobjekte vom Künstleratelier bis ins Kunstmuseum Bern darzulegen. Die Ausstellung sowie der Katalog «Moderne Meister – ‚entartete’ Kunst im Kunstmuseum Bern» stellen somit den Auftakt der bevorstehenden umfangreichen Provenienzforschung des Kunstmuseum Bern dar.

Schweizer Museen in der Verantwortung
Von Matthias Frehner, Leiter Abteilung Sammlungen von Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee.
Erschienen im Magazin KunstEinsichtBern (März 2016), hrsg. vom Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee
Seit dem Schwabinger Kunstfund und der Erbschaft Gurlitt, die vom Kunstmuseum Bern im November 2014 offiziell angenommen wurde, stehen die Themen Raubkunst und ,entartete Kunst’ wieder im Fokus des öffentlichen Interesses. Matthias Frehner erläutert die Hintergründe und Begrifflichkeiten im Umgang mit den entsprechenden Kunstwerken in der Schweiz.
Bis in die 1990er Jahre waren Sammler, Museen und Händler davon ausgegangen, dass das Thema Raubkunst durch die Wiedergutmachungsmassnahmen der Alliierten direkt nach 1945 längst erledigt sei und noch offene Fälle verjährt wären. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel trafen deshalb heftigste Vorwürfe von Opfern des Nationalsozialismus und ihrer politischen Interessenvertreter in den USA die Kunstwelt, als im Zusammenhang mit den „nachrichtenlosen Konten“ 1996 auch der pauschale Vorwurf erhoben wurde, die Schweiz sei noch immer ein Hort für Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus. – Heute weiss man, dass die Massnahmen, die die Alliierten von der Schweiz verlangt hatten, unzureichend waren. Der Bundesrat hatte Ende 1945 lediglich die Rückgabe von Raubgut, das aus kriegsbesetztem Gebiet stammte und sich damals in der Schweiz befand, verfügt. Diese Definition griff eindeutig zu kurz: der Herkunftsraum „kriegsbesetzt“ schloss das deutsche Reichsgebiet aus und der Zeitraum 1939-1945 liess die vor dem Krieg erzwungenen Entziehungen unberücksichtigt.
Moralische Verpflichtung Im Washingtoner Abkommen von 1998, das 44 Staaten unterzeichneten, darunter auch die Schweiz, wurde für den von Nazideutschland an jüdischen Eigentümern begangenen Kunstraub die Verjährung aufgehoben. Auch wer erst viel später durch legalen Erwerb in den Besitz eines Raubkunstwerkes gelangt war, wurde zur Rückgabe respektive zu einer gütlichen Einigung mit den Erben der Opfer aufgefordert. Als Reaktion auf die verschiedenen von aussen an die Schweiz herangetragenen Vorwürfe beschloss der Bundesrat Ende 1996, die Rolle der Schweiz zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durch eine «Unabhängige Expertenkommission» aufarbeiten zu lassen. Deren Publikation, erschienen 2001, ist ein Standardwerk. Unbekannte Fälle konnten seither jedoch nur wenige entdeckt werden, zu Restitutionen und gütlichen Einigungen kam es in weniger als zehn Fällen. Noch immer geht es um die Frage, ob wirklich alle Möglichkeiten nationalsozialistischer Beraubungen berücksichtigt worden sind. So wurden im Rahmen der Tagungen „Fluchtgut I und II“ 2014 und 2015 in Winterthur diskutiert, ob „Fluchtgut“ auch dann Raubkunst ist, wenn ein Kunstwerk ausserhalb des Einflussgebietes der Nationalsozialisten veräussert worden war. Inzwischen zeichnet sich ab, dass «Fluchtgut» dann mit «Raubkunst» gleichzusetzen ist, wenn bei der Veräusserung ein konfiskatorischer Zwang vorlag. Um dies ausschliessen zu können, muss die lückenlose Herkunft eines Werkes bekannt sein. Deshalb räumt das Kunstmuseum Bern der Aufarbeitung der Provenienzlücken in seiner Sammlung heute hohe Priorität ein.

Erste Ergebnisse
Über siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs herausfinden zu wollen, wem ein Kunstwerk, das oft viel später in unseren Besitzt gelangt ist, im Zeitraum von 1933-1945 gehört hatte, ist äusserst aufwendig. Als erste Etappe stehen deshalb zunächst all jene Werke unserer Sammlung im Fokus, die von Künstlern stammen, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamiert wurden. Die insgesamt 550 Arbeiten, die dieser Kategorie zugeordnet werden können, sind nun samt aktuellem Provenienzstand im Katalog zur Ausstellung «Moderne Meister – ‚entartete’ Kunst im Kunstmuseum Bern» dokumentiert. Dies ist erst der Anfang eines umfangreicheren Provenienzforschungsprojektes, das noch dieses Jahr in Angriff genommen werden soll.
Text aus dem Magazin
KunstEinsichtBern (März 2016), hrsg.
vom Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee

Katalog
Moderne Meister
«Entartete» Kunst im Kunstmuseum Bern
Herausgeber: Matthias Frehner, Daniel Spanke
Mit Beiträgen von Claudia Blank, Bettina Brand-Claussen, Matthias Frehner, Meike Hoffmann, Andreas Hüneke, Georg Kreis, Franz Müller, Daniel Spanke, Esther Tisa Francini und Christoph Wagner.
Ausgabe in deutsch und englisch, gebunden, 376 Seiten, Prestel Verlag
Preis an der Museumskasse: 49 CHF (Änderung vorbehalten)
Gerne senden wir Ihnen ein Exemplar des Katalogs zu und danken Ihnen für die Veröffentlichung eines Beitrags dazu.

Rahmenprogramm
Öffentliche Führungen: Sonntag, 11h: 10. April, 1./22. Mai, 5./26. Juni, 3./10./17./24./31. Juli, 7./14./*21. August Dienstag, 19h: 19. April, 10./31. Mai, 14. Juni, 5./26. Juli, 9./16. August *mit dem Kurator Daniel Spanke
Reihe «Kunst und Religion im Dialog» Sonntag, 17. April, 15h Daniel Spanke im Dialog mit Brigitta Rotach (Haus der Religionen).
Gespräche in der Ausstellung Dienstag, 10. Mai, 18h: Magdalena Schindler, Kunstmuseum Bern, im Gespräch mit Esther Tisa Francini, Provenienzforscherin am Museum Rietberg Zürich
Sonntag, 22. Mai, 13h: Ausstellungskurator Daniel Spanke im Gespräch mit Franz Müller, Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft
Dienstag, 31. Mai, 18h: Beat Schüpbach, Kunstmuseum Bern, im Gespräch mit Matthias Frehner, Direktor Sammlungen Kunstmuseum Bern
Sonntag, 5. Juni, 13h: Beat Schüpbach, Kunstmuseum Bern, im Gespräch mit dem Kunsthistoriker Andreas Meier
Sonntag, 3. Juli, 13h: Andreas Meier im Gespräch mit Herbert Winter, Präsident Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund
Sonntag, 21. August, 13h: Ausstellungskurator Daniel Spanke im Gespräch mit Wolfgang Henze, Mitinhaber der Galerie Henze&Ketterer in Wichtrach
Volkhochschulkurs Mittwoch, je 15h–16h: 18. und 25. Mai, 1. und 8. Juni 2016 Anmeldung: Volkshochschule Bern: T 031 320 30 30,
mailto: info@vhsbe.ch
Einführungsveranstaltung für Lehrpersonen Dienstag, 26. April, 18h Mittwoch, 27. April, 14h Anmeldung: T 031 328 09 11, mailto:vermittlung@kunstmuseumbern.ch