Wulf Hübner: Sprache und Leib : Eine Epistemologie der psychoanalytischen Praxis

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Online-Publikation: Mai 2018 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
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328 S., 15,5 x 23,5 cm, Paperback Großoktav; ISBN 9783955582296; 39,90 €
Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt a.M.; http://www.brandes-apsel-verlag.de

 
Inhalt
Seine erste, die Traumatheorie hat Freud nie aufgegeben: Die Ursache für den Ausbruch einer psychischen Erkrankung sei immer eine äußere, eine unerträglich erscheinende Wunschversagung der Realität: Die Form der elterlichen Beziehungsrealität ist, wie wir mit Winnicott sagen, nicht gut genug. Psychische Erkrankungen lassen sich dann allgemein als Bewältigungsversuche von widrigen Entwicklungsbedingungen verstehen; Beschämung durch Erwachsene spielt eine wichtige Rolle. Deren Verleugnung setzt die frühen Abwehrmechanismen Spaltung und Idealisierung in Gang.
Zudem sind wir zweisprachige Wesen, drücken uns wortsprachlich und körpersprachlich aus. Verdrängung und Verleugnung sind sprachliche Symptome, zeigen sich in unserer Redepraxis und deren Brüche: Wir können über uns sprechen und nicht fühlen, was wir sagen, wir können Gefühle zeigen, ohne dass sie uns bewusst sind. Wir müssen uns verständlich machen, wenn wir verstanden werden wollen.
Für diese beiden Bereiche und deren Verwobenheit entwickelt Hübner eine Theorie der Behandlungspraxis. Denn Glanz und Elend der sprachlichen Verständigung mit uns selbst sowie im Gespräch mit Anderen sind an das Gelingen des Verstehens und Übersetzens von Wort- und Körpersprache geknüpft. Unsere alltäglichen Verständigungsschwierigkeiten sind aus diesen Fäden geknüpft, wie auch das Verstehen und Missverstehen in der psychoanalytischen Situation. Auf Seiten der Psychotherapeutin und des Psychotherapeuten führt das auch zu unbewussten Abstinenzverletzungen, für deren Folgen Verantwortung übernommen werden muss. Das gehört zur Ethik des Gut-Genug.

Autor
Dipl.-Psych. Dr. phil. Wulf Hübner,
geboren in Büsum, aufgewachsen in Hamburg, Studium der Literaturwissenschaft, Soziologie und Philosophie in Hamburg und Konstanz, Hochschulassistent für Philosophie in Hamburg, Zweitstudium Psychologie; Psychoanalytiker und Lehranalytiker (DPG), Psychotherapeut in freier Praxis in Hamburg; Veröffentlichungen zu Sprachphilosophie und Psychoanalyse.

> Eigene Bemerkungen
zu Vittorio Galleses Aufsatz »Welche Neurowissenschaften und welche Psychoanalyse? Intersubjektivität und Körperselbst. Notizen für einen Dialog«
PSYCHE / 2015 / 12
> Vortrag anlässlich der 64. Lindauer Psychotherapiewochen 2014, 1. Tagungswoche "Zeit" vom 6. bis 11. April 2014. Der richtige Zeitpunkt hat einen langen, in die Stirn fallenden Haarschopf und ist dafür am Hinterkopf kahl - zumindest haben sich die alten Griechen ihn in seiner Verkörperung durch den Gott Kairos so vorgestellt.
"Deswegen sagen wir heute: Man muss die Gelegenheit beim Schopfe packen", erklärt
Wulf Hübner, Doktor der Philosophie und psychologischer Psychotherapeut aus Hamburg,
am zweiten Vorlesungstag der Psychotherapiewochen. Hübner bezieht sich auf Sigmund Freud, den Begründer der Psychoanalyse. Dieser sagte, dass Deutungen mit der Wirklichkeit im Patienten übereinstimmen müssen. Der Patient muss sich also in der Deutung wiedererkennen. Damit überhaupt erst eine richtige Deutung möglich wird, ist die Beziehung zwischen Therapeut und Patient von großer Bedeutung. Der Therapeut trage dabei die Verantwortung für diese Beziehung, so Hübner. Besonders geht er auf narzisstische Patienten ein. "Diese sind schon früh bei der Ausbildung eines kohärenten Selbst gestört worden", so Hübner. Er ruft dabei das Bild des Sündenfalls auf: Die Schamhaftigkeit Adams und Evas sei aus dem Erkennen der Verschiedenartigkeit des anderen und der daraus folgenden Empfindung, selbst weniger wert zu sein als dieser, entstanden. ?Was so verschieden ist, kann nicht gleichwertig sein", schildert Hübner den gedanklichen Konflikt, den narzisstische Persönlichkeiten nicht bewältigen können. Diese Menschen haben in der Kindheit häufig eine Anhängigkeit von Eltern erlebt, "die nicht gut genug waren", wie Hübner sagt. Erlebt ein Kind Übergriffe oder Ignoranz, erkläre es sich dieses Benehmen der Eltern als Strafe für sein eigenes ungenügendes Sein. Mit der Tatsache, dass die Eltern dauerhaft böse oder verwirrt seien, könne ein Kind nämlich nicht zurecht kommen. Auditorium-Verlag DVD, 44 Minhttps://shop.auditorium-netzwerk.de/

Fazit
Der Soziologe, Sprachphilosoph und Psychotherapeut Wulf Hübner hat sich in seiner tiefgreifenden und erkenntnistheoretischen Untersuchung (1) "Sprache und Leib" mit dem erkennenden Subjekt  in der psychoanalytischen Praxis befasst, dass das Verhältnis von Begriff und Objekt in den Mittelpunkt stellt.
So umkreiste er systematisch Somatisches wie Psychisches, Vor- , Un- / Bewustes und Verdrängtes. Dabei entbirgt sich ihm  'freudianisch'' Über-ich und Ichideal, Schuld und Scham - jenseits der Worte (Empfindungen, Gefühle und -Atmosphäre als Selbstreflexion und Vernunft der Affekte,) .sowie Beseelung und Verleiblichung. 
Hinzu kommen in seiner umfassenden Betrachtung die Verführungstheorie (0), Verleugnung, Regelverletzung Versprechung und die Eigenverantwortung.
Im zweiten Teil widmet sich Hübner -weiter vertiefend - Verführung der Alltagsmoral und 'wenn Wörter wieder Sachen werden' und vice versa  der ästhetischen Struktur (Gernot Böhme) der Atmosphäre  (das Unbewusste des Mütterlichen liegt jenseits der Sprache - in Schwingungen..).
Seine überzeigende Quintessenz lautet, der zuzustimmen ist: 'An der vordersten Front haben wir es mit Ichideal-Konflikten zu tun. Sie stammen aus unseren erste und bedeutsamsten Identifizierungen, die mit den bewunderten und enttäuschenden Erwachsenen der persönlichen Vorzeit. Das Ichideal ruht auf einem archaischen Grund, unserem wirklichen Lebeserbe. Wir haben es in diesem Kontext mit Achtung und Verleugnung zu tun, mit Missachtung und Scham, mit Liebe. Und mit unserer Angst.'. Da hilft nur die ständige Bewusstwerdung und Stärkung der Resilienz. m+w.p18-6

(0) Verführungstheorie
https://de.wikipedia.org/wiki/Verf%C3%BChrungstheorie_(Freud)
https://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Laplanche
1) Epistemologie
wird synonym für Erkenntnistheorie verwendet, das Teilgebiet der Philosophie, das sich mit der Frage nach den Bedingungen von begründetem Wissen befasst. Als Begriff für eine spezifische Richtung wird Epistemologie in der internationalen und der historischen Wissenschaftsforschung genutzt, die analysiert, was Wissen zu wissenschaftlichem Wissen macht. An diesen französischen Sprachgebrauch anknüpfend, geht es dabei, wie es der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger formuliert, um die „Reflexion auf die historischen Bedingungen, unter denen, und die Mittel, mit denen Dinge zu Objekten des Wissens gemacht werden, an denen der Prozess der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung in Gang gesetzt sowie in Gang gehalten wird“.[1] An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert lässt sich ein Umschlag von der Erkenntnistheorie der klassischen philosophischen Tradition zur Epistemologie im beschriebenen Sinne feststellen. Der vorherige Ausgangspunkt war der des erkennenden Subjektes, das das Verhältnis von Begriff und Objekt in den Mittelpunkt stellt. Ersetzt wird dieses durch die Reflexion des Verhältnisses von Objekt und Begriff, die nun am zu erkennenden Objekt ansetzt. Statt der Frage, wie das erkennende Subjekt seine Gegenstände in den Blick bekommen kann, wird die Frage nach den Bedingungen gestellt, die entweder geschaffen wurden oder geschaffen werden müssen, um Gegenstände unter jeweils zu bestimmenden Bedingungen zu Gegenständen von empirischem Wissen zu machen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Épistémologie
2) Gernot Böhme
(* 3. Januar 1937 in Dessau) ist ein deutscher Philosoph. Er war Professor für Philosophie an der TU Darmstadt und ist vor allem mit seinen Arbeiten zur Ästhetik, Natur-, Leib- und Technikphilosophie sowie mit seiner Auffassung von praktischer Philosophie als Kompetenz zur Lebensbewältigung hervorgetreten.
Zitat :(Phaidros 254b-d)
Es ist dies ein dramatischer Augenblick in der europäischen Geschichte: im Gleichnis wohnen wir der Gründungsszene des besonnenen Charakters bei. Das Begehren des Objekts verwandelt sich in Scham und Furcht vor demselben. Sind zuvor die kontrollierenden Instanzen des Ich von der Furcht vor Überwältigung durch den Trieb erfüllt, so kehrt sich dies jetzt um. Das Programm von Reiz, Begehren, Verweigerung, Verschiebung, neuem Begehren, neuer Verweigerung ist erfolgreich: gedemütigt schmiegt sich der geängstigte Trieb unter "Peitsche und Stachel". Triumph des Über-Ich.
https://www.hartmutboehme.de/static/archiv/volltexte/texte/natsub/sinne.html
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