Ingrid Gilcher-Holtey: Eingreifendes Denken - Die Wirkungschancen von Intellektuellen

W+B Agentur-Presseaussendung Januar 2008
Buchbesprechung
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400 Seiten, broschiert, ISBN 3-938808-26-8, ISBN 978-3-938808-26-9, EUR (D) 45,00 / sFr. 71,00
Velbrück Wissenschaft, D-53919 Weilerswist-Metternich 2007; www.velbrueck-wissenschaft.dehttp://wwwhomes.uni-bielefeld.de/igilcher/ ; Vertiefender Inhalt zu Ingrid Gilcher-Holtey's "Eingreifendes Denken": http://www.velbrueck-wissenschaft.de/produkt.php?isbn=3-938808-26-8


Inhalt
Die Wirkungschancen von Intellektuellen.
Orientiert an Begriffen und Hypothesen der Kultursoziologie Max Webers und Pierre Bourdieus, untersucht die vorliegende Studie die Sozialrelevanz von Ideen und die Wirkungschance von Intellektuellen in Ereignis- und Handlungskonstellationen der deutschen und französischen Geschichte vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Ausgehend von der Macht der Worte und der Macht, die über Worte erlangt werden kann, problematisieren die Konstellationsanalysen die Rolle des Intellektuellen als Vordenker und Vermittler von Deutungs-, Wahrnehmungs- und Klassifikationsschemata der sozialen Welt. Sie rekonstruieren politische Interventionsstrategien sowie Distinktions- und Definitionskämpfe um das Mandat des Intellektuellen.

»Eingreifendes Denken«, ein von Bertolt Brecht geprägter Begriff, wurde als Titel gewählt, weil er das Erkenntnisinteresse der Studie pointiert: die Veränderung von Einstellungen, Verhaltensdispositionen und politischem Handeln durch die Veränderung von Deutungs-, Wahrnehmungs- und Klassifikationsschemata der sozialen Welt. Die Konstellationsanalysen akzentuieren die symbolische Macht, Dinge mit Worten zu schaffen, zeigen jedoch zugleich, daß die Konstitutionsmacht der Worte sozial konditioniert ist. Sie schreiben sich nicht in die Tradition einer Ideen-, Geistes- oder Diskursgeschichte ein, die Ideen zu Akteuren der Geschichte macht oder Handeln in Sprechakte auflöst, sondern unternehmen den Versuch, an ausgewählten historischen Fallbeispielen die Vernetzung von ideellen und materiellen Interessen, Sinn- und Handlungsstrukturen, Macht- und Definitionskämpfen sichtbar zu machen. Die Konstellationsanalysen zeigen Spuren des Eingreifenden Denkens, das nur auf der Mikroebene erfaßt, multiperspektiv erschlossen, analytisch gebrochen, erzählt und damit »narralytisch« rekonstruiert werden kann.

Autorin
Ingrid Gilcher-Holtey
ist seit l994 Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld.
Veröffentlichungen u.a.: Das Mandat des Intellektuellen. Karl Kautsky und die Sozialdemokratie, Berlin: Siedler l986; »Die Phantasie an die Macht«. Mai 68 in Frankreich, Frankfurt: Suhrkamp 1995, 2. Aufl. 2001; l968 – Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft. Sonderheft 17 von Geschichte und Gesellschaft, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1998; Die 68er Bewegung. Deutschland – Westeuropa, USA, München: Beck 2001, 2. Aufl. 2003 (übersetzt ins Tschechische und Koreanische).


Fazit
Der vom Verlag beigefügte Vertiefender Inhalt zu Ingrid Gilcher-Holtey's "Eingreifendes Denken": ( http://www.velbrueck-wissenschaft.de/produkt.php?isbn=3-938808-26-8 ) lässt den offenen Diskurs* wahrnehmbar werden den die Autorin Ingrid Gilcher-Holtey in aussergewöhnlich hellsichtiger Weise vorführt.
Zwischen dem 18.-20.Jhdt. ( Voltaire, Revolte, Aufklärung, Askese, Neue Linke bis zu Foucault.. ), der Kultursoziologie von Max Webers und Pierre Bourdieus und dem Begriff vom Eingreifendem Denken, der von Brecht stammt, umkreist und vertieft Ingrid Gilcher-Holtey in ihrem hervorragenden bis nahezu detailsüchtigen Diskursbuch "Eingreifendes Denken" die Wirkungsweisen von Intellektuellen und ergänzt es mit den Weisheitstraditionen Asiens (Tuischule** ) in ihrem Prolog. Als Abschluss ihres umspannenden Diskurses weist Gilcher-Holtey auf Foucault's Gliederung der drei Eigenheiten von Intellektuellen hin: beginnend mit dem spezifischen (lokal-sozial), allgemeinen (öffentlich-staatlich) und zu oberst den marxistischen (r-evolutionär) Intellektuellen und seine Wirkung. Sie schliesst zurecht, dass die spezifischen Intellektuellen spektakulär, theatralisch-provokativ, symbolisch auftreten, was hauptsächlich die Medien fasziniert - Foucault als Titelheld.

*Offener Diskurs* wie auch in der PlatonAkademie4 seit 12 Jahren geübt wird: http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4

**Vertiefender Inhalt zu Ingrid Gilcher-Holtey's " Eingreifendes Denken"
Die Wirkungschancen von Intellektuellen
Prolog: Eingreifendes Denken
In der Tuischule:
DER LEHRER Si Fu, nenne uns die Hauptfragen der Philosophie.
SI FU Sind die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns, oder sind die Dinge in uns, für uns, nicht ohne uns.
DER LEHRER Welche Meinung ist die richtige?
SI FU Es ist keine Entscheidung gefallen.
DER LEHRER Zu welcher Meinung neigte zuletzt die Mehrheit unserer Philosophen?
SI FU Die Dinge sind außer uns, für sich, auch ohne uns.
DER LEHRER Warum blieb die Frage ungelöst?
SI FU Der Kongreß, der die Entscheidung bringen sollte, fand wie seit zweihundert Jahren im Kloster Mi Sang statt, welches am Ufer des Gelben Flusses liegt. Die Frage hieß: Ist der Gelbe Fluß wirklich, oder existiert er nur in den Köpfen? Während des Kongresses aber gab es eine Schneeschmelze im Gebirg, und der Gelbe Fluß stieg über die Ufer und schwemmte das Kloster Mi Sang mit allen Kongreßteilnehmern weg. So ist der Beweis, daß die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns sind, nicht erbracht worden.
DER LEHRER Gut. Die Stunde ist zu Ende. Was ist das wichtigste Ereignis des Tages?
DIE KLASSE Der Kongreß der Tuis