Zukunft Schönheit (H. Heere)

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Heribert Heere : Die Zukunft der Schönheit
August '18 
https://www.heereart.com/

( Text, dzt. nur mit Bild-Legenden)

Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde viel über das „Ende der Kunst“ und selbstverständlich über die Kunst „nach ihrem Ende“ gesprochen. Die Rede vom Ende der Kunst geht bekanntlich auf Hegel zurück, der allerdings diese längst zur stehenden Redewendung gewordene Formulierung so nie gebraucht hat. „Es heißt zwar, dass etwas „vergangen“, „verloren“, „vorüber“ sei; dass die Kunst über sich selbst hinausgegangen sei, und Hegel behauptet auch, dass es eine Vollendung der Kunst gibt und dass sie einen Endzweck hat.“ In der „schier endlosen“ Fachliteratur zum Thema gebe es, so Eva Geulen, noch nicht einmal eine Einigung darüber, ob Hegel überhaupt expressis verbis von einem Ende der Kunst gesprochen habe. Selbstverständlich muss ich die Diskussion darüber den Hegelkennern überlassen; allein, ich denke, dass vor allem die Hauptbetroffenen, die Künstler selbst, sich dazu zu Wort melden sollten. Behauptet doch Hegel nichts weniger, als dass nun, d. h. zu Zeiten der Romantik, „der Gedanke und die Reflexion die schöne Kunst überflügelt habe“ . Seitdem hat das Verfassen von Schriften zum Thema „Ästhetik“ eine gewaltige Produktivität erreicht. So listet das größte Online-Versandportal allein 10.000 Titel dazu auf. Entgegen allen Erwartungen kontrastiert diese ungeheure Buchproduktion keinesfalls mit einer etwa mangels geeigneter Themata dahinsiechenden Kunst und Künstlerschar. Ganz im Gegenteil. In den letzten Jahrzehnten, in Zeiten also einer rasant fortschreitenden Globalisierung, hat die moderne Kunstwelt unvorstellbare Dimensionen angenommen – und natürlich auch die Anzahl der professionellen Künstler weltweit.

Ist das Ende der Kunst also bestenfalls theorieimmanente Spekulation oder doch so etwas wie ein Symptom, vielleicht sogar ein Struktur-merkmal der Moderne selbst, also eine finale Permanenz, ein Ende ohne Ende? Dabei scheinen die meisten Protagonisten alles andere als einen „Schrecken ohne Ende“ zu empfinden, vielmehr herrscht wenigstens in Sachen Kunst kein Kampf mehr zwischen den diversen Modernen und vor allem nicht mehr zwischen Modernen und Konservativen. Anything goes. Also Wohlgefallen auf Erden?Allerdings könnte die Frage nach der utopischen Dimension von Kunst auch einen Widerspruch in sich selbst beinhalten, da Kunst nicht nur auf etwas zeigt, sondern auch und vor allem sich zeigt. Das Kunstwerk präsentiert sich.

Arcadia (Toskana), Acryl/Fine Art Print auf Dibond, 100 x 75 cm

Diese Präsenz des Kunstwerkes ist selbst Gegenwart par excellence, wohingegen jede Utopie – und jede Dystopie – in die Zukunft verweisen, allerdings in der Gegenwart abgehandelt werden. Andererseits ist der Arcadia-Komplex weniger als das „Goldene Zeitalter“ oder das „Paradies“ von chiliastischen und messianischen heilsgeschichtlichen Hoffnungen und Endzeit-Erwartungen geprägt, die dennoch alles andere als erledigt sind oder bloße esoterische Gespinste darstellen. Insbesondere der „Schönheitsmythos“ spielt hier eine gewichtige Rolle, da am Ende der geschichtlichen Entwicklung eine himmlische, friedliche, harmonische kurzum „neue schöne Menschheit“ steht, wie z.B. im „himmlischen Jerusalem“.So ging man daran, die „Weltgeschichte als Heilsgeschichte“ massiv in die Tat, bzw. in Weltpolitik umzusetzen. Die Weltkriegs-Katastrophen und die „Segnungen“ des „realen Kommunismus“ sollten eigentlich ein für alle Mal jede Nachahmung dieser „politischen Theologie“ ausschließen. Am „Tag danach“, sprich nach der nuklearen Katastrophe, gibt es keine wunderbare Allerneuerung, wie uns die unzähligen großen und kleinen Apokalypse-Erzählungen in Film, Videospiel, Comics oder Büchern eindrucksvoll vorführen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Menschen, die sich nun zum „Anthropozän“ entwickelt hat, also zum Zeitalter des Menschen, sind die diversen Weltuntergangs-Szenarien nicht nur Produkte einer kollektiven Einbildungskraft.Unter anderen Vorzeichen könnte allerdings das, was seit Neuerem unter dem Begriff  „Ende der Geschichte“ firmiert, ein solches Reich sein, in dem wir uns schon längst befinden und das durch einen ent-fesselten Konsumismus gekennzeichnet ist. Peter Sloterdijk sieht schon im Glaspalast des 19. Jahrhundert ein Bild jenes „großen Interieurs“, jenes Treibhauses, in dem das soziale Leben der Menschheit „nach dem Ablauf der kombattanten Geschichte sich abspielen könnte“ . „Sollen aber die historischen Kämpfe in den ewigen Frieden münden, wäre das gesamte soziale Leben in ein schützendes Gehäuse zu integrieren. Unter solchen Bedingungen könnten keine historischen Ereignisse mehr eintreten, allenfalls Haushaltsunfälle.“ Vielleicht gibt es auch einen Treibhauseffekt im „Weltinnenraum des Kapitals“ (Peter Sloterdijk), der die Temperatur unseres sozialen Reizklimas zusätzlich anheizt?

 Arcadia 28, 2018, Acryl/Collage, 45 x 33 cm

Schönheit als Ereignis ist flüchtig. Ein Abglanz davon lässt sich auf reale und virtuelle Oberflächen bannen, Spiegeln gleich. Nicht umsonst ist die Geschichte der Schönheit(en) reich an Spiegel-Metaphern, vom Spiegel der Venus bis hin zum Zauberspiegel, der Schneewittchen beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Darin spiegelt sich übrigens auch eine gewisse Dämonisierung der Liebesgöttin, die zur märchenhaften bösen Schwiegermutter mutiert, ein Schicksal, das die „goldene Aphrodite“ in ihrem eher dunklen Nachleben im Christentum in vielerlei Gestaltung erfuhr. Arcadia“ ist ein Sehnsuchtsort, ein wahrer U-Topos, ein Nicht-Ort, und hat wenig zu tun mit den großen politischen Utopien eines Platon, eines Joachim von Fiore, eines Thomas Morus und anderen. Erst heute, in Zeiten zunehmender ökologischer Katastrophen käme dieser kollektiven Phantasie-Idylle eine gewisse politische, allerdings wenig tröstliche Bedeutung zu. Es ist hier nicht der Ort, diese zu referieren und täglich erreichen uns neue bedrückende Hiobsbotschaften.

In einer von Platon und Aristoteles bis Adorno reichenden Tradition ist die Kunst als eine Real-Utopie angesehen worden. Danach realisiere sie eine bessere Welt, aber nur als Schein. So verweist sie auf eine Utopie, in der der Schönheit ein führender Part zukommt, beispielhaft bei Schiller, der in seiner „idealistischen“ Ästhetik eine politische Utopie entwickelte. Es gibt keine Welt mehr: keinen mundus, keinen kosmos, keine durch-komponierte vollständige Anordnung, innerhalb der oder aus deren Innern her Ort, Aufenthalt und Anhaltspunkte für eine Orientierung zu finden wären. Es gibt nicht mehr das „Hienieden“ einer Welt, die Durchlass zu einem Jenseits der Welt oder zu einer Hinterwelt ge-währte. Es gibt keinen Weltgeist mehr, und auch keine Geschichte, die vor seine Gerichtsschranken führte. Anders gesagt, es gibt keinen Sinn der Welt mehr. Jean-Luc Nancys Paraphrase des „Endes der Welt“ hat, wie er betont, nichts mit einer Apokalypse zu tun, da „ein solches Denken noch völlig dem Regime eines bedeutenden Sinnes verhaftet ist, den es sich setzt, um als „Unsinn“ oder als „Offenbarung“ zu enden. Letzteres ist eine Anspielung auf die ursprüngliche Bedeutung von „Apokalypse“, die nichtsdestotrotz sich seit dem Mittelalter bis in die jüngste Filmgeschichte einer nicht nachlassenden Beliebtheit in Kunst und Populärkultur erfreut. Die Apokalyptik ist bis zum Beginn der Neuzeit noch einem finalen Heilsgeschehen, eben jenem, auch im biblischen Text schon recht diffusen „himmlischen Jerusalem“ verpflichtet, nachdem alle Antichristen im apokalyptischen Feuersturm zugrunde gegangen sind. Dass gegen Ende des Mittelalters auch endemisch die Angst vor dem Weltuntergang grassierte, zeigt eine vor kurzem aufgefundene Bilderhandschrift, ein „Wunderzeichenbuch“, das „dem stetig wachsenden Interesse an außergewöhnlichen, von Gott gesandten Zeichen im Europa des 16. Jahrhunderts auf spektakuläre Weise Ausdruck verleiht“.

Apokalypse (Das zweite Sigel), 2018, Acryl/Collage, 23,3 x 47,5 cm

Apokalypse (Der große Stein), 2018, Acryl/Collage, 25,5 x 47,5 cm

Michel Foucault hat mit seinen Untersuchungen zu einer „Ästhetik der Existenz“ einen Weg beschritten, der es ermöglicht, ästhetisches Verhalten jenseits von metaphysischen Letztbegründungsmodellen zu sehen und zu denken. Voraussetzung dafür ist, die Wege zu erforschen, „auf denen Menschen in unserer Kultur Wissen über sich selbst erwerben“…Er unterscheidet dabei vier Typen von Technologien. Bei den ersten drei handelt es sich um Technologien der Dinge, der Zeichensysteme und der Macht. Als vierte führt er die „Technologien des Selbst“ an, „die es dem Einzelnen ermöglichen, aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen, mit dem Ziel, sich so zu verändern, dass er einen gewissen Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt.“

Marisa, 2018, Aquarell/Print, 54 73 cm

Vor kurzem sah ich einen TV-Film über eine Model-Schule in St. Petersburg, die die zukünftigen Top-Models schon im Kindesalter aufnimmt, natürlich immer begleitet von ihren Müttern. Gefragt nach ihren Ambitionen behaupteten sowohl die Mädchen wie ihre Mütter stereotyp, dass es ihnen eigentlich um die „innere Schönheit“ bei der Model-Ausbildung gehe. Dieser Begriff scheint Konjunktur zu haben, hört man ihn doch immer öfter auch in Zusammenhang neuerer, eher kontroverser Schönheitsdiskurse. Die nur äußere Schönheit scheint abgewirtschaftet zu haben, wird ausschließlich negativ konnotiert.„Auch und gerade die Schönsten der Schönen sind von dieser Entwicklung (dass die Körper Arbeit machen) entscheidend betroffen. Sie müssen ihren Körper zum Markenzeichen werden lassen, jenseits von Lebensalter, Geschlecht oder Zugehörigkeit. Bodybranding erzeugt sichtbare Brandzeichen: als würden wir – wie das Vieh, wie die Sklaven – nicht mehr uns selbst gehören, sondern einer unsichtbaren Kommunität, was oft genug mit Hilfe von Piercings oder Tattoos – vom zwanghaften „Ritzen“ bis zu Skalpellen der ästhetischen Chirurgie – visualisiert wird.“ Vermutlich hatte Michel Foucault solche aktuelle Körpertechniken nicht im Sinn, als er in seinen späten Arbeiten zur „Ästhetik der Existenz“ „Technologien des Selbst“ am Beispiel der spätantiken „Sorge um sich“ und des frühchristlichen Asketentums untersuchte. Unser neuer Körperkult scheint, zumindest was die eingeschriebenen Mitglieder betrifft, den religiösen Kult überflügelt zu haben. Seit kurzem gibt es mehr registrierte Benutzer von Fitness-Studios als Christen.

Carolyn, 2018, Aquarell/Print, 54 73 cm

In der Rede von der „inneren Schönheit“ lässt sich unschwer ein platonischer Kern erkennen. Bekanntlich entfaltet die Seherin Diotima im „Gastmahl“ den Aufstieg vom sinnlich Schönen, das von den Menschen begehrt wird, hin zur wahren Schönheit der Seele und der Erkenntnisse, die identisch ist mit dem höchsten Gut, nämlich dem gottgleichen Guten an sich.„Was also, sagte sie, darf man wohl erwarten, wenn einem das Glück beschert würde, das Schöne selbst zu schauen in voller Deutlichkeit, Reinheit und Unvermischtheit, ohne jede Spur von menschlichem Fleisch, von Farben und sonstigem irdischen Tand, wenn man vielmehr das göttliche Schöne selbst in seiner immer sich gleichbleibenden Form schauen könnte?...Oder sagst du dir nicht, fuhr sie weiter fort, dass es dort und dort allein gelingen wird, im Anschauen des Schönen mit seinem geistigen Auge nicht bloß Schattenbilder der Tugend zu erzeugen – denn man haftet ja nicht am bloßen Bilde – sondern die wahre Tugend, denn das, womit man in Verbindung steht, ist ja die volle Wahrheit.“

Platons so wirkmächtige innere Schau der wahren, unsterblichen, gottgleichen Schönheit scheint sich nach diversen Umformungen im Christentum und der Renaissance bis hin zum 19. Jahrhundert, im Massenphänomen „Wellness“ so profaniert und entdifferenziert zu haben, dass nun die wahre Erlösung allen, die guten Willens sind, winkt. In den Worten eines aus der unüberschaubaren Zahl der diesbezüglichen „Ratgeber“: „Das Zauberwort Wellness…spricht unsere Sehnsucht und unser Bedürfnis nach Ausgeglichenheit und Harmonie in einer immer komplexer und chaotischer werdenden Welt an.“   Die einst mystische Schau des göttlich Schönen hat sich nun verwan-delt in eine Arbeit an einer ganzheitlichen Schönheit, deren Ziel ein „Zustand von Wohlbefinden und Zufriedenheit, Selbstverantwortung, Ernährungsbewusstsein, körperlicher Fitness, Stressmanagement und Umweltsensibilität“  ist.

Ähnliche Ziele verfolgte allerdings, wie Foucault gezeigt hat, schon die antike „Sorge um sich“ .

Schönheit gewinnt im aktuellen Diskurs erst als Teilaspekt eines breiten Spektrums wie Fitness, Lebenslust, Entspannung und Balance, eine neue positive Bedeutung. So wird Schönheit unter den Aspekten medizinisch-kosmetischer, psychologischer oder spiritueller Arbeit an sich selbst begriffen, ohne allerdings in Egoismus oder gar Narzissmus zu verfallen. In der Diktion einer Wellness-Protagonistin klingt das folgendermaßen: „Nur wenn ich selber in meiner Mitte bin, inneren Frieden und Ausgeglichenheit verspüre, kann ich das nach außen tragen.“  Im weitesten Sinn wird Schönheit mit Gesundheit verknüpft und somit auch das Hässliche oder Übermächtige, wie es in der Ästhetik als Erhabenheit noch bei Kant und Burke zum Ausdruck kommt, eliminiert bzw. als Optimierungsproblem der diversen Selbsttechnologien gesehen.

 Laetitia, 2018, Öl auf Leinwand, 120 x 100 cm

In „Laetitia“ habe ich drei Schönheiten aus verschiedenen Zeiten und Räumen auf eine Leinwand gebracht: Die Schöne links im Bild verweist auf Laetitia Casta, seit den 80ern ein bekanntes französisches Model, die heute als Schauspielerin und Regisseurin arbeitet. Außerdem durfte sie Modell sein für die Büste der französischen „Marianne“, als Nationalfigur Frankreichs eine Bannerträgerin für die Freiheit, die in dem berühmten Bild von Eugene Delacroix das revolutionäre Volk anführt. In der Mitte meines Bildes sehen wir eine junge Frau, die eine Majolika-Schüssel präsentiert. Sie stammt aus einem Bild des venezianischen Frührenaissance-Malers Giovanni Bellini mit dem Titel „Götterfest“, gemalt 1514, zwei Jahre vor dem Tod des Meisters. In Bellinis Bild versammeln sich antike Götter, Satyrn und Nymphen zu einem Trinkgelage. Zum Wein, der aus einem Fässchen gezapft wird, werden Früchte in ebensolchen Schalen gereicht, wie sie hier die venezianisch gewandete Schöne in Händen hält. Bei Bellini befinden wir uns erst in der Morgenfrühe der Renaissance; dementsprechend scheinen die Gestalten etwas steif, haben noch nicht die ganze körperliche Grandezza der folgenden Malergeneration eines Tizian, Raffael oder Leonardo erreicht. Dafür strahlen sie die Frische einer sich am Vorbild der Antike entfaltenden arkadischen Utopie aus – in den Farben eines der größten Koloristen der venezianischen Malerei. In der unteren rechten Hälfte des Bildes ist ein Ausschnitt aus einem Model-Gesicht zu sehen, der, stark vergrößert, wie eine bemalte Scherbe, ins Bild hineinzuragen scheint. Den Hintergrund bildet eine Waldlandschaft.Auf diese Bildoberfläche malte ich in einem letzten Arbeitsschritt sticker-artige florale und tropfenförmige Gebilde, die ich einer digitalen Collage-App entnahm.

Giovanni Bellini, Götterfest (Detail), 1514

Beklebtes Fenster („Stickerkunst“), Berlin, 2018

Die stickerartigen Gebilde schaffen eine neue Bildebene scheinbar „über“ der eigentlichen Oberfläche des Bildes. Das Bild wird als Ding thematisiert; wie man ja auch Sticker auf Dinge klebt, um sie z.B. zum Versand fertig zu machen oder, um einfach eine zusätzliche Info anzubringen. Und dennoch gehörten sie dann zum Bildwerk.

Meine collagehafte Behandlung des künstlerischen Bildes bringt es in die Nähe eines „Readymades“, wie es Duchamp so folgenreich kreiert hatte, indem er Objekte (aber auch Bilder) aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang nahm und sie in den Kunstbereich integrierte bzw. in einen neuen künstlerischen Kontext stellte.Die hier abgebildete, mit Stickern beklebte Haustür in Berlin (Abb.   ) markiert einen banalen öffentlichen Ort, der – wie bei Graffiti – als Träger eines temporären Kunstwerks fungiert. Die Tür selbst spielt nur als Trägerme-dium eine Rolle. Sie wird bei der nächsten Sanierung gegen ein normal funktionierendes Ding, eben eine Haustür, ausgetauscht. Diese Stickerkunst existiert dann als fotografisches Abbild weiter. Dadurch geraten die Kategorien von Werk, Dauer, Konsistenz, Einheit in Bewegung. Ihre kategorialen Grenzen werden unscharf und können sich gänzlich verwischen.Es geht hier weder darum, mit gemalten Stickern das Bild, das ich nach einer Collage aus Fotos des Bellini-Bildes und heutiger Models erstellt habe, zu ironisieren noch gar das ursprüngliche Renaissancebild selbst lächerlich zu machen. Mit einem anbiedernden Augenzwinkern die eigene Kunst sowohl zu betonen, wie mich auch davon zu distanzieren, liegt mir fern. Genauso wenig will ich aber auch meine „klammheimliche“ Leidenschaft für die Renaissancekunst durch die Sticker bloß akzeptabel machen. Stattdessen soll ein imaginärer Dialog zwischen Kulturen aus verschiedenen Zeiten und Räumen stattfindenWas aber hat das alles mit Schönheit zu tun, mit einer modernen Schönheit, vielleicht sogar mit einer Zukunft der Schönheit? Charles Baudelaire, einer der Erfinder der modernen Schönheit (siehe seine „Hymne an die Schönheit“, S.  ), hat diese so definiert:

Das Schöne wird aus einem ewigen, unveränderlichen Element gebil-det, dessen Quantität außerordentlich schwierig zu bestimmen ist und aus einem relativen, bedingten Element, das, wenn man will, nachei-nander oder zugleich von der Epoche der Mode, dem geistigen Leben, der Leidenschaft dargestellt wird. Ohne dieses zweite Element, welches gleichsam der amüsante, glänzende, appetitanregende Überguss des göttlichen Kuchens ist, wäre das erste Element für die menschliche Natur unzuträglich, ungeeignet, unverdaulich. Durch die pastose malerische Behandlung der Bildoberfläche in „Laetitia“, auch die der „Sticker, kommt so etwas wie Distanz ins Spiel. Wie ebenfalls bei dem fast expressiven Duktus meiner anderen „Übermalungen“ geht es hier nicht um Verdeutlichung existentieller Befindlichkeiten, wie beim „Abstrakten Expressionismus“, sondern um die Überlagerung von Heterogenem, wie etwa von gegenständlicher Struktur der Fotografie und Malerei.

 Simonetta, 2018, Acryl/Collage, 75 x 100 cm

In meiner Kunst wird das Foto „malerisch“ und die Malerei „fotogra-fisch“. Somit überschreite ich die kategorialen Grenzen der künstleri-schen und der profanen Welt, ohne diese zu leugnen.Laetitia (Abb.   ) und Simonetta (Abb.   , nach dem Gemälde „Simonetta Vespucci“ von Botticelli) könnten das Götterbild der Isis repräsentieren, die in Apuleius‘ genialem Metamorphosen-Roman dem tumben Toren Lucius erscheint, der durch Zauberei in einen Esel verwandelt wurde. Im Schlaf erscheint sie ihm höchstpersönlich und stellt sich mit folgenden Worten vor:„Ich, Allmutter Natur, Beherrscherin der Elemente, erstgeborenes Kind der Zeit, Höchste der Gottheiten, Königin der Geister, Erste der Himmlischen; ich, die ich in mir allein die Gestalt aller Götter und Göttinnen vereine, mit einem Wink über des Meeres lichte Gewölbe, die heilsamen Lüfte des Meeres und der Unterwelt vielbeklagtes Schweigen gebiete.“ Isis, ursprünglich eine altägyptische Göttin, erfuhr in Form von Mysterien-Kulten eine ungeheure Popularität in der griechisch-römischen Welt, bevor sie dann anderthalb Jahrtausende später im sinnlichen Aufklärungs-Pathos des 18. Jahrhunderts  eine wichtige Rolle spielen sollte. „Diese Mysterien galten der Göttin Isis als der all-einen, allumfassenden Gottheit, die sich in der Inschrift auf dem berühmten verschleierten Bild zu Sais mit den Worten verkündete: „Ich bin alles, was da war, ist und sein wird. Kein Sterblicher hat meinen Schleier gehoben“. Isis galt als Mutter Natur, als Inbegriff von Weisheit, Wahrheit und Vernunft, als Göttin der Aufklärung.“ „Zeigen und Verhüllen“ – das ist ein Charakteristikum meiner künst-lerischen Arbeit, wie es Martin Weidlich treffend in dem Titel zu seinem Text über mich formulierte (S…).Ihre berühmteste dramaturgische Inszenierung erfuhren die aufklärerischen Isis-Mysterien jedoch in Mozarts Zauberflöte mit dem Libretto von Schickaneder, dessen literarische Qualität lange verkannt war. Vielfältig sind die Anspielungen auf die Schönheit: „Ein holder Jüngling, sanft und schön...So schön, als ich noch nie gesehn. Ja, ja! gewiss zum Malen schön.“ (Zauberflöte I,1). Kurz darauf wird die bezaubernde Schönheit der noch unsichtbaren Pamina von ihrem Zukünftigen, dem Fürstensohn Tamino in einer der bekanntesten Arien der Operngeschichte überhaupt besungen (Zauberflöte I,3):

 Der Chor der Isis-und-Osiris-Priester singt am Schluss: „Es siegte die Stärke und krönet zum Lohn die Schönheit und Weisheit mit ewiger Kron‘!“ Die inzwischen böse Königin der Nacht versinkt mit ihrem Gehilfen Monostatos im Bühnenboden: „Wir alle gestürzet in ewige Nacht.“ (Zauberflöte II 30). Allerdings war jene Königin der Nacht im ersten Aufzug noch von der Aura einer guten Allmutter inmitten einer erhaben-schönen Naturkulisse umgeben. Entsprechend der Isis-Theologie des aufklärerischen 18. Jahrhunderts hat sie nicht den Doppelcharakter der großen Naturgottheiten, blühend-fruchtbar und gleichzeitig zerstörerisch zu sein, sondern wird als allumfassendes geistiges Grundprinzip gesehen. Im zweiten Teil der Oper entlarvt sich diese erhabene Repräsentation als Lüge und Heuchelei. Unsere Adepten gehen dennoch nach einigen Wirrungen und Prüfungen – selbst der Vogelmensch Papageno, halb Naturwesen, halb Wiener Strizzi – in „diese heiligen Hallen“ der aufklärerischen Vernunftreligion ein. Zuvor haben sie noch ihre entsprechenden „Weibchen“ gefunden, Pamina und Papagena. Um den scheinbaren Bruch im Bilde der nächtlichen Königin hat man viel herumgerätselt. Jan Assmann hat sogar im Doppelcharakter der Königin der Nacht „das eigentliche Rätsel der Zauberflöte“ gesehen; nämlich die „scheinbar vollkommen grundlose Verwandlung der Königin der Nacht von einer isis- und demeterartigen Göttin zu einer dämonischen Rachefurie der Finsternis“ . Zu Recht weist er darauf hin, dass sonst der Plot der Oper dahin wäre, nämlich die Hinführung des „Neo-phyten von der Unwissenheit zum Wissen, von der Lüge, Täuschung und Illusion zur Wahrheit und inneren Einkehr“ . Dieser Weg aus der Finsternis ins Licht bedarf des Kontrastes. Der scheinbare Bruch erweist sich als dramaturgischer Kunstgriff.Und sind wir nicht alle nach mehr als dreistündiger intensivster Musik- und Gesangskunst Neophyten, also frisch Bekehrte dieser „neomythischen“ Vernunftreligion  geworden, „wo Mensch den Menschen liebt“ (Zauberflöte II 15)?Natürlich verfliegt nach einiger Zeit dieser etwas naive Aufklärungsoptimismus, der aber durch sein religionsähnliches Ritual ein utopisches Fernziel der westlichen Welt seit dem 18. Jahrhundert beinhaltet, wie die drei Knaben in ihrem Schlusschor singen:

„Bald prangt, den Morgen zu verkündenDie Sonn‘ auf Goldner Bahn.– Bald soll der finstre Irrwahn schwinden. Bald siegt der weise Mann. – Oh holde Ruhe, steig hernieder; Kehr in der Menschen Herzen wieder; DANN IST DIE ERD‘ EIN HIMMELREICH UND STERBLICHE DEN GÖTTERN GLEICH“ (Zauberflöte II 26)

Schon lange gibt es demgegenüber skeptische Stimmen. So spricht Freud in seinem späten, 1930 veröffentlichten Essay „Das Unbehagen in der Kultur“ trotz seines anfänglichen Fortschrittsoptimismus davon, dass der Mensch „eine Art Prothesengott“ geworden ist. Auch wenn seine „Gottähnlichkeit“ noch weiter gesteigert würde, „scheint es festzustehen, dass wir uns in unserer heutigen Kultur nicht wohlfühlen“, ja dieser sogar feindlich gegenüberstehen . Bekanntlich entwickelt Freud dort die These, dass die Kultur trotz ihrer Segnungen durch ein Anwachsen des Schuldgefühls, durch kulturell bedingten Triebverzicht, durch Triebentmischung und Entbindung innerer Destruktivität gekennzeichnet sei. Demgegenüber suchen wir vorrangig die Befriedigung und das Glück im Lieben und Geliebt-Werden. Doch „niemals sind wir ungeschützter gegen das Leiden, als wenn wir lieben, niemals hilfloser unglücklich, als wenn wir das geliebte Objekt oder seine Liebe verloren haben“ Hier fügt Freud nun eine längere Bemerkung über die Schönheit an. Er schließt den „interessanten Fall an, dass das Lebensglück vorwiegend im Genusse der Schönheit gesucht wird,… der Schönheit menschlicher Formen und Gesten, von Naturobjekten und Landschaften, künstlerischen und selbst wissenschaftlichen Schöpfungen“. Zwar bietet der „milde, berauschende Empfindungscharakter der ästhetischen Einstellung zum Leben“ wenig direkten Schutz gegen das Leiden, „vermag aber für Vieles zu entschädigen“. Der theoretischen, philosophischen Ästhetik traut Freud keineswegs zu, über Natur und Herkunft des Schönen aufzuklären. „Ihre Ergebnislosigkeit würde sogar durch einen Aufwand an volltönenden, inhaltsarmen Worten verhüllt“. Man hätte gern gewusst, welche Ästhetiken er meinte, war Freud selbst doch ein großer Bewunderer insbesondere von Werken der Antike und der Renaissance, die er in Reisen nach Italien vor Ort kennenlernte. Einigen davon widmete er bedeutende psychoanalytische Essays zur Kunst („Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci“, „Der Moses des Michelangelo“). „Leider“, so fährt er fort, „weiß auch die Psychoanalyse am wenigsten darüber zu sagen“. Dieses Wenigste ist für Freud die Ableitung der Schönheit aus dem Sexualempfinden, die er für gesichert hält:

Die „Schönheit“ und der „Reiz“ sind ursprünglich Eigenschaften des Sexualobjekts.

Kate, 2018, Aquarell/Print, 54 x 73 cm

Es liegt nahe, hier kurz auf Charles Darwins Evolutionsgeschichte des Schönen einzugehen, wie er sie in seinem zweiten Hauptwerk, der „Abstammung des Menschen“ skizzierte. Winfried Menninghaus hat allerdings in seiner ausführlichen Studie dazu herausgearbeitet, dass die Übertragung der Theorie sexueller Selektion kraft ästhetischer Präferenzen im Tierreich, z. B. bei Pfauen, auf das Feld menschlicher Kultur schon Darwin vor große Probleme stellte. Darwin sieht nämlich „gute Gründe zu der Annahme, dass der Mensch nicht nur keiner ästhetisch-sexuellen, sondern auch tendenziell keiner Evolution durch natürliche Selektion mehr unterliegt, also keine Naturgeschichte mehr hat... Insofern würde die Evolutionsbiologie selbst, aus eigenen Erwägungen, ihre Unzuständigkeit erklären und diese an Semiotik und Kulturgeschichte der Moden weitergeben.“ Darwin führt als Beispiel für eine im Überlebungskampf unnötige und sogar hinderliche Entwicklung überproportionaler ästhetischer Ornamente die Federpracht der männlichen Pfauen an, die durch die Präferenz der eher unscheinbaren Pfauenhennen sich entwickelt habe. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass es in der langen Naturgeschichte der tierischen Lebewesen die männlichen Vertreter sind, die sich einen evolutionären „Zwang“ durch die Schönheitspräferenzen der Weibchen gefallen lassen müssen.In dem Kapitel über Freuds wenige und scheinbar widersprüchliche Bemerkungen zur Schönheit, zeigt Menninghaus einerseits Freuds Übernahme von Darwins Theorie, dass „sexuelle Wahl im evolutionären Maßstab ihre Objekte sich zur Schönheit entwickeln lässt“ . Andererseits führt er Freuds Beobachtung an, „dass wir die Genitalien selbst eigentlich niemals schön finden können“ . Dazu hat Freud schon 1905 in seinen „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ einen seiner bekanntesten und umstrittensten Begriffe eingeführt, den der „Sublimierung“, der einen Ausweg aus diesem scheinbaren Widerspruch weist:„Der optische Eindruck bleibt der Weg, auf dem die libidinöse Erregung am häufigsten geweckt wird und auf dessen Gangbarkeit – wenn diese teleologische Betrachtungsweise zulässig ist – die Zuchtwahl rechnet, indem sie das Sexualobjekt sich zur Schönheit entwickeln lässt. Die mit der Kultur fortschreitende Verhüllung des Körpers hält die sexuelle Neugierde wach, welche danach strebt, sich das Sexualobjekt durch Enthüllung der verborgenen Teile zu ergänzen, die aber ins Künstlerische abgelenkt („sublimiert“) werden kann, wenn man ihr Interesse von den Genitalien weg auf die Körperbildung im Ganzen zu lenken vermag. Ein Verweilen bei diesem intermediären Sexualziel des sexuell betonten Schauens kommt in gewissem Grad den meisten Normalen zu, ja es gibt ihnen die Möglichkeit, einen gewissen Betrag ihrer Libido auf höhere künstlerische Ziele zu richten.“ Ich halte diese „Schaulust“, vulgo „Voyeurismus“, für eine der Hauptquellen künstlerischen imaginativen Handelns und Empfindens. Schaulust als Übergang vom sinnlichen Betrachten zur geistigen Erkenntnis ist ein alter kulturge-schichtlicher Topos. Dabei geht es, wie von Freud analysiert, um die Dialektik von Enthüllen und Sichtbarwerden. So soll über dem Eingang zum Isis-Tempel im ägyptischen Sais gestanden haben: „Ich bin alles, was ist, was gewesen ist und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.“ Die Enthüllung, Entschleierung (griech. Apokalypse) bedeutet dann Erkenntnis, Wahrheit, Entbergung, auch wenn sie oft alles andere als angenehm sich erweist. Die Allegorie der Wahrheit ist bekanntlich die nuda veritas, die nackte Wahrheit (siehe S    ). Darin „scheinen Erkenntnis und Eros geradezu leitbildhaft verschmolzen“ .

 Arcadia (Venus), 2018, Acryl /Fine Art Print auf Dibond, 75 x 100cm

Parallel dazu steht das Schauverbot, wie es am prägnantesten im Mythos von Orpheus und Eurydike zum Ausdruck kommt: Eurydike versinkt wieder in der Unterwelt, weil sich Orpheus trotz des Verbots nach ihr umgewendet hatte. Auch die Verwandlung des Jägers Aktaion in einen Hirsch, nachdem er Aphrodite nackt gesehen hatte und in der Folge von seinen eigenen Hunden zerrissen wurde, gehört in den Zusammenhang des Voyeurismusverbots. Giordano Bruno sah sogar im Akt des Verschlungen-Werdens Aktaions durch die Hunde den Weg der heroischen Liebe und des heroischen Intellekts zu dem höchsten Gut, dem ersten Wahren oder der absoluten Wahrheit. Aktaion jagt nach göttlicher Weisheit – „er macht die Bluthunde los“ – und verwandelt sich im Tod, den diese Bestien ihm geben, und zwar „mit grausam wilden Bissen“. Die wilden Waldestiere „sind die intelligiblen Erscheinungen der idealen Begriffe“. Das Schöne scheint in der westlichen Kultur zwischen dem (neoplatonischen) höchsten Gut und einem bestenfalls milden Wahn, auf den man nicht verzichten will, zu schwanken. Doch dieser „milde, berauschende Empfindungscharakter“ der Schönheit stellt eine nicht unerhebliche Sublimierungsleistung dar und kann dadurch beitragen zum aufgeklärt-wissenschaftlich Höchsten, nämlich zur Schaffung einer Kultur nach dem „Tod Gottes“.Dass die Verstrickungen zwischen Sexualität, Kultur, Religion bzw. Atheismus komplex sind, hat Foucault verdeutlicht. So sei es ein weit verbreiteter Trugschluss, die Sexualität habe heute „zu ihrer naturgegebener Wahrheit zurückgefunden“ , sie sei lediglich „denaturalisiert“ und grenzwertig geworden. Im Gegensatz zur „glücklich profanen Welt der Tiere“ markiere die moderne Sexualität einen „Riss“, eine Grenze, als die wir uns selbst zu „entwerfen“ haben.„Niemals jedoch hatte die Sexualität einen unmittelbareren natürlichen Sinn, kaum je erfuhr sie ein so großes Glück des Ausdrucks als in der christlichen Welt der gefallenen Körper und der Sünde. Eine umfassende Mystik und Spiritualität, die gar nicht in der Lage waren, die kontinuierlichen Formen des Begehrens, der Trunkenheit, der Penetration, der Ekstase und der bis zur Ohnmacht gehenden Ergießung zu unterteilen, sind der Beweis; alle diese Regungen wurden von ihnen empfunden, als ließen sie sich unterbrechungs- und grenzenlos bis ins Herz einer göttlichen Liebe verfolgen, deren letzte Weiterung und Quelle sie umgekehrt waren“. Ein Beispiel für Foucaults hier erwähnte mystisch-erotische Spiritualiät kann die vom biblischen „Hohen Lied“ beeinflusste mittelalterliche Mystik eines Johannes vom Kreuz, einer Teresa von Avila oder einer Gertrud von Helfta sein. Die Grenze, von der Foucault spricht, ist in „einer Welt, die dem Heiligen keinen positiven Sinn mehr zuerkennt“, in der es „keine Objekte, keine Wesen und keine Räume gibt, die sich entweihen lassen, die einzige noch mögliche Teilung“. Durch die Profanierung, die als Re-Inszenierung ein Charakteristikum meiner Kunst ist, nimmt das ehemals Heilige eine „leere Form“ an, indem die „schillernd gemachte Abwesenheit“ Gottes „in eine Fas-sung gebracht werden kann“. „Die Sprache der Sexualität… hat uns bis zu einer Nacht emporgehoben, in der Gott abwesend ist und in der sich alle unsere Handlungen an eben jene Abwesenheit richten, in einer Entweihung, die sie zugleich bezeichnet, beschwört, sich in ihr erschöpft, und sich durch sie auf ihre leere Reinheit als Überschreitung zurückgeführt findet“.

 Der tote Gott 02, 2018, Acryl/Collage auf Dibond, 75 x 100 cm

In der übermalten und mit Stickern überklebten Collage habe ich ein mit Pfeilen durchbohrtes Herz Jesu, das ich von einem mittelalterlichen Gemälde im Kölner Wallraf-Richartz-Museum abfotografierte, neben eine Bikini-Schönheit gesetzt. Die Herz-Jesu-Verehrung der katholischen Kirche hat für die eben erwähnte mittelalterliche Mystikerin Gertrud von Helfta eine große Rolle in ihren Schriften gespielt. Wie kann die collagistische Verwendung eines solchen Motivs heute nach dem „Tod Gottes“ die Rolle einer profanen Überschreitung spielen? Indem es um „das Spiel der Grenzen und Überschreitungen“ geht. Diese zum Teil nur schattenhafte Grenze kann sich „zum Unbegrenzten öffnen“. „Die Überschreitung ist somit nicht für die Grenze, was das Schwarze für das Weiße, das Verbotene für das Erlaubte, das Äußere für das Innere, das Ausgeschlossene für den geschützten Raum der festen Bleibe ist… Um diese so reine und so verwickelte Existenz zu denken… muss man sie aus ihren zweifelhaften Verwandtschaften mit der Ethik herauslösen und sie vom Skandalösen oder Subversiven befreien… Nichts ist in der Überschreitung negativ. Sie bejaht das begrenzte Sein…Dennoch kann man sagen, dass diese Bejahung nichts Positives hat… Deshalb brauchen wir die Nietzscheanischen Gestalten des Tragischen und des Dionysos, des Todes Gottes, des Übermenschen und der Wiederkehr“.Somit kann sich die moderne Kultur nicht einfach an die Stelle des toten Gottes setzen. Abgesehen von desaströsen Ersatzbildungen ginge es heute eher um eine Profanierung, in der Vieles nebeneinander bestehen und sich entwickeln kann

 Der tote Gott 03, 2018, Acryl/Fine Art Print auf Dibond, 100 x 150 cm

Der „tote Gott“ (links, nach einer Pieta des florentinischen Manierismus-Malers Bronzino), scheint sich auf meiner übermalten Collage mit den Winke-Winke-Emojis endgültig zu verabschieden und seinen Part an die übergroße Schöne in der Mitte des Bildes abgegeben zu haben.

Nach der zentralen These Freuds liegt der Aggressionstrieb in einem ewigen Widerstreit mit dem Eros: „Und nun ist zu erwarten, dass die andere der beiden himmlischen Mächte, der ewige Eros, eine Anstrengung machen wird, um sich im Kampf mit seinem ebenso unsterblichen Gegner zu behaupten.“ Hier stellt sich die Assoziation mit den großen mittelalterlichen Theaterspektakeln ein, den „geistlichen Spielen“, in denen Gott und Teufel um die Vorherrschaft ringen, natürlich mit dem letztlichen Sieg Gottes.Freud hat immer an der für ihn unbestreitbaren Tatsache der Sublimierung festgehalten, jedoch nie eine diesbezüglich konsistente Theorie ausgearbeitet. So gibt es nicht nur eine Sublimierung zu höher geschätzten Kulturzielen wie dem Schönen, sondern auch deren Abdrängung, mündend in „Verdrängung, neurotischen Symptomen, Hemmung und Reaktionsbildung“ . Dies wäre dann eine falsche Sublimierung, die Alexander Mitscherlich anprangert: „Das totale Abdrängen jeder sexuellen, naturhaften Äußerung z. B. in Bereiche des Wertlosen, Wertwidrigen, Niedrigen – ein derart überspanntes Sublimierungs- und Neutralisierungsgebot, etwa im Calvinismus und Puritanismus, hat nicht nur zu einer lebenszerstörenden kollektiven Neurotisierung mit faktischer Doppelmoral geführt, sondern zu einer ungezügelten (entmischten, von echter libidinöser Bindung befreiten) Aggressivität.“  Angesichts der heutigen globalen Unkultur der Hater, Trolle, Wutbürger, Neorechten, Identitären etc. kann man sich des Eindrucks einer allgemeinen Entsublimierung nicht erwehren.

Allenthalben wird schon wieder von Kulturkämpfen gefaselt, wie bei den „Neuen Rechten“. Allerdings taucht dieser Begriff auch in einem seriösen kulturpolitischen Bestseller auf, Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“. Wie immer man diesen bewertet bzw. ob man ihn überhaupt akzeptiert: evident scheint zu sein, dass der Faktor Kultur heute im nationalen wie internationalen Maßstab massiv an Bedeutung gewonnen hat. In einem wird man Freud recht geben müssen: Besonders glücklich scheinen Viele weder über die Sublimierungsleistungen und –forderungen unserer Kultur noch über deren jüngere konsum- und marktgerechte Dekonstruierung zu sein. Die Millionen von FollowerInnen von bloggenden Teenagern, die Schminktipps und Dresscode-Anleitungen über die sozialen Netzwerke verbreiten, stören solche Skrupel nicht. Im Wort „Sublimierung“ ist allerdings der Begriff des Sublimen enthalten, also des Schrecklich-Schönen, das auf eine lange Tradition zurückblickt und sich heute nicht zuletzt in Katastrophen- und Endzeitszenarios reaktiviert.Heute sind sowohl eine Rückbesinnung wie auch eine Antizipierung einer Interkulturalität des Schönen möglich und nötig. Doch: „Was schön ist, ist schwer.“

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