TTIP bedeutet 'Zwei Zulassungs-Kultur-Verbote: EU 1300 : USA nur 200 !

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TTIP - Die Freiheit der Forschung
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SWR2 Wissen - Peter Kreysler: TTIP und die Freiheit der Forschung


Bevor durch TTIP der größte Wirtschaftsraum der Welt entstehen kann, müssen die USA und die EU ihre Reglements zur Zulassung von Gütern anpassen. Doch die Standards könnten nicht weiter auseinander liegen. Was hier verboten ist, kann in den USA zulässig sein – und andersherum.
Alle drei Monate verhandeln die US-amerikanische und die europäische Handelsdelegation hinter verschlossenen Türen – genauso regelmäßig protestieren Bürger und Aktivisten. Es geht um TTIP - also eine "Transatlantic Trade and Investment Partnership". Sollte das Vorhaben gelingen, entsteht der größte Wirtschaftsraum der Welt.

Die TTIP-Gegner
Die Demonstranten sehen durch die Einführung des Abkommen europäische Standards und Verbraucherrechte in Gefahr. Die EU-Kommission bestreitet das. Und auch Bundeskanzlerin Merkel betont, "dass eben kein Standard, den es in der Europäischen Union gibt, abgesenkt wird". Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel pflichtet ihr bei – er wirft den TTIP-Gegnern und -Gegnerinnen Hysterisierung und Mythenbildung wirft vor.

Eine dieser Gegnerinnen ist Bärbel Höhn,
Vorsitzende des Umweltausschusses im deutschen Bundestag.
Höhn analysiert seit längerem mit großer Sorge die möglichen Konsequenzen von TTIP und CETA. Während die Verhandlungen über TTIP noch laufen, liegt ihr der Vertragstext zum Kanadischen Freihandelsabkommen, CETA, das als eine Art Blaupause für TTIP gilt, bereits vor.
Mehr Verbote, weniger Risiko
Das Vorsorgeprinzip leitet uns dazu an, frühzeitig und vorausschauend zu handeln, um Belastungen der Umwelt zu vermeiden. Ein Prinzip ist die Risikovorsorge. Sie bedeutet, bei unvollständigem oder unsicherem Wissen über Art, Ausmaß, Wahrscheinlichkeit sowie Kausalität von Umweltschäden und -gefahren vorbeugend zu handeln, um diese von vornherein zu vermeiden.
Höhn fürchtet um eines der wichtigsten Prinzipien der Demokratie:
 die Entscheidungsgewalt der Parlamente, die durch TTIP eingeschränkt werden könnte. Denn noch gilt in Deutschland wie in der ganzen EU das "Vorsorgeprinzip", durch das die Parlamente Produkte vom Markt nehmen können, weil möglicherweise Gefahr für Mensch und Umwelt besteht. Diese Entscheidungsgewalt, so Höhn, steht auf der Kippe, denn in CETA, und eben vermutlich auch in TTIP, ist von einer "rein wissenschaftliche Zulassung" die Rede. Dass bedeutet, dass in Zukunft alle Gefahren, die für Bürger bestehen, "zweifelsfrei wissenschaftlich nachgewiesen werden" müssen – erst dann könnte die EU-Kommission einen Stoff für die Anwendung verbieten.

Auch Professor Tobias Stoll,
der für die österreichische Regierung CETA und TTIP untersucht hat, findet diese Entwicklung äußerst bedenklich: "Wenn wir Anhaltspunkte haben, dass etwas gefährlich ist, dann muss man nicht warten, bis es in der Wissenschaft eine fundierte abschließende Erkenntnis dazu gibt. Das Vorsorgeprinzip ist in der Tat ein wichtiger Bestandteil der europäischen Politik."

Die Befürworter
Anders sieht das Jürgen Hardt, CDU- Bundestagsabgeordneter. Er koordiniert die TTIP-Verhandlungen für das Kanzleramt und hält die rein „wissenschaftlichen Zulassung" für angebracht. Er sieht in der Methode einen Fortschritt: "Wenn etwas verboten oder erlaubt wird, dann muss es eine nachvollziehbare, sachliche, wissenschaftliche Basis und Begründung geben."
Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace
stimmt der Bundesregierung in der Frage der „wissenschaftlich-basierten Zulassung“ grundsätzlich zu, erklärt Franziska Achterberg. Als Chefin der Lebensmittelpolitik bei Greenpeace EU empfindet sie es als richtig, dass auf Basis von wissenschaftlichen Studien ermittelt werden soll, ob ein Stoff Krebs verursacht oder nicht. Womit sie mehr Probleme hat ist die praktische Umsetzung in der Politik. "Unter welchen Bedingungen werden diese Studien erstellt?" Denn gängige Praxis innerhalb der EU ist schon jetzt , dass es die Unternehmen selbst sind, die Studien in Auftrag geben und deren Ergebnisse interpretieren und zusammenfassen. Die Behörden nehmen dann diese "Ergebnisse" der Industrie als Grundlage für ihre Einschätzung und nicht die Originalstudie. Hier bestehe ein klarer Interessenskonflikt, kritisiert Achterberg. Der aktuelle Streit um den Unkrautvernichter Glyphosat illustriere sehr deutlich, wie gefährlich es sei, sich auf das sogenannte "wissenschaftliche Zulassungsverfahren" zu verlassen.

Beispiel Glyphosat
Das Pestizid Glyphosat benötigt von der EU eine Zulassungsverlängerung. Während die Krebsagentur IRAC von der WHO warnt, der Unkrautvernichter sei krebserregend, sagt die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, der Stoff sei ungefährlich. Dass einzelne Wissenschaftler bei Risikoeinschätzungen unterschiedlicher Meinung sind, kommt häufig vor. Selten ist hingegen, dass sich zwei Institute von solchem Rang derart widersprechen.

Nach dem Vorsorgeprinzip
müsste Glyphosat also vom Markt genommen werden. Sicher ist sicher. Doch man bedenke, dass Glyphosat das weltweit am meist gebrauchte Pestizid ist. Allein in Deutschland werden 40 Prozent aller Äcker damit behandelt. Dennoch deutet sich eine Verlängerung der Zulassung an. Denn an Glyphosat werden Milliarden verdient und die Lobby dahinter ist dementsprechend an einem Fortbestehen der Genehmigung interessiert.
Glyphosat kommt auch in Deutschland zum Einsatz. Dabei besteht ein begründeter Verdacht, dass der Unkrautvernichter krebserregend ist.
Der Konflikt macht klar, wie problematisch es ist, sich auf "wissenschaftliche Expertise" zu berufen. Denn die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, arbeitet meist mit Industriestudien. Die WHO lässt dementgegen nur Studien zu, die öffentlich überwacht, kontrolliert und absolut transparent sind.

Die Macht der Lobby
Dass die EFSA zu der Einschätzung kommt, dass Glyphosat nicht krebserregend ist, wundert Martin Pigeon nicht im geringsten. Der Experte bei Corporate Europe Observatory (CEO), einer Antilobbyorganisation in Brüssel, hat die Zusammensetzung und Verflechtungen der wissenschaftlichen EFSA-Gremien mit der Industrie genauestens untersucht. In der Studie Unhappy meal: The European Food Safetys Authority's independence problem kommt er zu dem Schluss, "dass 59 Prozent der Wissenschaftler Verbindungen zur Agrar- und Lebensmittelindustrie hatten. Zwei Drittel von diesen untersuchten EFSA-Wissenschaftlern hatten sogar ganz direkte finanzielle Verbindungen: Sie waren auch als Berater für die Agrarindustrie tätig." Und das obwohl EFSA-Wissenschaftler ihre Verbindung mit der Industrie und damit mögliche Interessenskonflikte offenlegen müssen. Doch das taten viele schlichtweg nicht.
 
Nachsorge statt Vorsorge
Neben den gegensätzlichen Meinungen zur rein „wissenschaftlichen Zulassung" beschäftigt auch ein weiterer Punkt die TTIP-Gegner. In den USA gilt im Gegensatz zur EU das „Nachsorge-Prinzip“, das heißt: Erst wenn jemand zu Schaden gekommen ist und erfolgreich vor einem Gericht klagt, kann ein Stoff vom Markt genommen werden. Für die Unternehmen kann das teuer werden – für die Verbraucher tödlich.

Diese beiden grundverschiedenen Zulassungskulturen zeigen die großen Unterschiede zwischen den USA und Europa. Zum Beispiel: Gentechnisch veränderte Lebensmittel
Die USA beharren zum Beispiel auch auf einer Liberalisierung des EU-Marktes für die amerikanischen Agrarprodukte. Im Kanadischen Abkommen CETA gibt es ein eigenes Kapitel, indem sich die EU verpflichtet, in Zukunft die genetisch veränderten Lebensmittel auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen zuzulassen. Solche Regelungen könnten die EU massiv unter Druck setzen, schätzt Wolfgang Köhler. Er überwachte die Zulassung von Gentechnik in der Landwirtschaft für die Bundesregierung und gibt zu bedenken, dass die Folgen der Gentechnik noch nicht ausreichend bekannt seien, um sie großflächig in der Landwirtschaft einzusetzen.
"Wenn ein neuer Antrag eines amerikanischen Konzerns auf Zulassung eines genetisch veränderten Konstrukts auf den Tisch gelegt wird und die EFSA sagt 'Das müssen wir uns genau angucken', dann würden die Amerikaner uns vorhalten, dass es überhaupt gar keine Beweise gibt, dass dies schädlich ist. Natürlich: Wo soll der Beweis herkommen?"
Ob Gentechnik in Pflanzen gesundheitsgefährdend ist, ist noch nicht "wissenschaftlich erwiesen". Solange dies nicht geschehen ist, sind sie weiter unbedenklich.
 
Ungefährlich bis zum Beweis der Gefahr
Auch hier ist es nicht nur eine Frage der gegenseitigen Anerkennung von Standards, zusätzlich wiegen auch hier die Interessen der Industrie schwer. Denn die wird natürlich keine Dokumente auf den Tisch legen, die ihre Produkte schlecht aussehen lassen, warnt Köhler. "Aber in diesen Zulassungsprozesse arbeitet man nur mit Dokumenten, die die Konzerne vorgelegt haben."
Am Ende ist es eine Frage des Vertrauens. Das sagen sogar die Lobbyisten – zum Beispiel Beat Späth, Direktor von BIO-Europe, eine Lobbyorganisation der Biotechnologie Unternehmen in Europa: "Vertraue ich Greenpeace oder den europäischen Akademien der Wissenschaften, vertraue ich EFSA oder der Europäischen Kommission?" Bis auf Greenpeace, so Späth, sagen ja alle, dass nie erwiesen wurde, dass Gentechnik in irgendeiner Weise eine höhere Gefährdung hat als konventionelles Saatgut. Bemühungen von Wissenschaftlern das Gegenteil zu beweisen, gäbe es ja immer. Oft seien das jedoch "Mythen".
Da die Verhandlungen zwischen der EU und den USA im Geheimen stattfinden, bleibt abzuwarten ob das Vorsorgeprinzip tatsächlich ausgehebelt wird und die Parlamente ihren Einfluss verlieren. Auch wie diese unterschiedlichen Standards letztlich zur beiderseitigen Zufriedenheit tatsächliche angeglichen werden bleibt ungewiss. Das einzige was bleibt, ist wohl die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel:
"Kein Standard, der heute in der europäischen Union vereinbart ist, wird durch dieses Abkommen unterschritten."

SWR2 Wissen. Von Peter Kreysler. Internetfassung: J. Schneider & R. Kölbel.