35 zu Architektur + Politik
 <<Ungeheuer produzieren Ungeheures>>
 W+B Agentur-Presseaussendung vom Dezember 1999 - Januar 2000
 <<Joachim Fest: Speer>>
 Eine Biografie; S. Fischer Verlag; Frankfurt, 539 S.; 1999; DEM 58.- / ATS 423.-
www.s-fischer.de
 Albert Speer ist kein "Rätsel", kein "Liebhaber Hitlers", auch keine "wider willen in die Politik geratene Künstlerexistenz", wie es nach all dem Grauen, im Nürnberger Prozess der gleichsfalls begabte Anwalt Speers, Dr. Flächner, formulierte. Denn Speers Fähig-keiten sind anschaulich und beachtlich: einerseits zart, labil, emotional gehemmt, ein "Vaterbewunderer". Dieser sein Vater ist bereits erfolgreicher Architekt, pathetisch, stolz, liberal, mit sicherem Bürgerinstinkt. Das hat Albert im genetischen Gepäck. Blitzartig zeigt das die vortrefflich charakterisierende Szene, und nicht nur diese, von J. Fest, wie der leibliche Vater bei einer Theaterpremiere 1935 dem "Übervater Hitler" gegenüber bleich wird und zu zittern beginnt. Die im gleichen Jahr erlassenen Judengesetze und folgende Entrechtung, Verfolgung und Massenvernichtung (Captain B. Klein, 1945 zu Speer) sieht Sohn Albert als "Schrulle" Hitlers. Erst im Nürnberger Prozessverlauf kommt es in Speer zu einem nachgeholtem Erschrecken und zum Erkennen über den Irrsinn des Systems, das zu einer Weltkatastrophe führt, in der Speer eine antreibende Kraft ersten Ranges ist.
 Zugleich wird dabei sein taktisches Genie seiner eigenen Vertei - digungs - Intuitionskraft, nicht nur Hitler gegenüber, sondern nun im Prozess sichtbar. In diesem sprengt er sich von der Phalanx um Göring förmlich und überraschend ab, insbesondere durch die Art des Hinweises auf seinen Attentatsplan an Hitler, Februar 1945 und dass er über die Greueltaten ausserhalb und innhalb der Vernichtungslager weder informiert noch involviert gewesen ist. Der Widerspruch ist eklatant, wenn er wiederum lebensrettend im selben Monat zu Hitler sagt: "Mein Führer ich stehe bedingungslos hinter Ihnen". Das ist doch kein Rätsel, sondern ein Bekenntnis zum eigenen Über-Leben, inmitten einer Katastrophe, in der bereits 17 Mio Deutsche obdachlos auf den Strassen herumirren.
 Speer ist ein verführender und zugleich verführter Verführer, gleich Hitler, Goebels und seinen Kohorten. Und wie der Papa so sein Sohn, ist er einer, der seine nationalkonservativ - präfaschistische, grossbürgerliche Herkunft und monomane Architekturbildung - als arrogante Attrappe zu seinem geschichtsträchtigen Erfolg zu nutzen versteht.
 Was Speer und Hitler von dern übrigen Unterführern absetzt - und das bis zum vorletzten Augenblick des Schreckens mit langem Ende, ist die gefühlsgleiche Komplizenschaft in ihrer Hingabefähigkeit zu gestaltenden Ideen wie Architektur, Naturbewunderung und Organisationskraft.
 Eine Glanzkarriere der ersten Jahrhunderthälfte wird sichtbar: als Tessenowschüler (Werkbund!), mit 23 Assistent, mit 30 Architekt der "Welthauptstadt Germania - Berlin". Mit 40 erfolgreicher Rüstungsminister, denn es gelingt ihm nach der "Hinrichtung" Todts die Produktion, trotz sich mehrender Verluste, bis zuletzt zu erhöhen.
 Wie erreicht ein so befähigter Karrierist dies alles: Allem voraus durch bedingungslose, auch scheinbare Loyalität, Gewissenhaftigkeit, taktisch-ästhetische Vorstellungskraft, Durchsetzungsvermögen, schliess-lich Charme und Verstellung, abseits stehen können.
 Es kümmert beide nicht, Hitler sowieso, noch ihn, eine Achse mitten durch Berlin zu legen, 10'000 Wohnungen, meist jüdische Besitzer zu deportieren, um die Prachtbauten zu planen.
 Das zeigt sich musterhaft in der von Speer, nach Hitlers vorskizzierten, neoklassizistischen Pathetik. Beide haben klassisches Talent, Hitler kann diese markant skizzieren, Speer kann diese Vorentwürfe gekonnt und gesteigert umsetzen.
 Das geschieht, abseits des zeitgleichen stilbildenden Deutschen Werkbundes und durch Alvar Aalto im Norden, von denen Speer ausschert, sowie weit ab von Bauhausideen, deren linker Salonkommunismus insbesondere durch Corbusier, der noch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, mit seinem Massenwohnungs-Mäander quer durch Paris, vergleichbar mit Speer-Hitler's Germania-Entwurf, gleichermassen verunstalten wollte.
 Als später der Architekt und Ingenieur Luigi Nervi, der wie Roland Rainer, durch seine funktional-ästhetischen und pathosfreie Gestaltung bekannt wurde, ein Treppenhaus-Modellfoto von Speer für Görings jährlichen Auftritt gezeigt wird, stellt er kurz fest: "die müssen verrückt geworden sein".
 Nun wissen wir, am Ende dieses Jahrhunderts, keine, auch die plural-demokratische Gesellschaftsform, ist jemals gegen solche, insbesondere gestalterische Wahnpersönlichkeiten, gefeit, siehe auch Paris-Westtangente.
 Facit: Ungeheuer produzieren Ungeheuerliches. Dies vorliegende Biografie ist somit ein vorzügliches Lehrbuch für alle, die es noch werden wollen, inmitten unserer Globalisierung, deren Dschungel-Kapitalisten, wie deren Wahngestalter, aber auch für alle jene, um es zu meiden.